Anfang
Dies sind die Übersichtsseiten über die vorhandenen Dateien.
Vorwort       Filmdaten bis 1920       Filmdaten ab 1920       Filmdaten noch nicht hier       Nicht-Filmdaten

Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 15, November-Februar 1955/56

Inhalt
Zur Entwicklung des realistischen Films in Italien
Vittorio de Sica
Film-Seminar
Vorträge
Germania nell' anno zero (Italien) (Deutschland im Jahre Null)
Quattro passi fra le nuvole (Italien) (Vier Schritte in die Wolken)
The Medium (USA) (Das Medium)
Roma ore undici (Italien) (Es geschah Punkt 11)
Miracolo a Milano (Itatien) (Das Wunder von Mailand)
The Million Pound Note (England) (Sein grösster Bluff)
II cammino della speranza (Italien) (Weg der Hoffnung)
Altri Tempi (Italien) (Andere Zeiten)
Umberto D (Italien)
Napoli Milionaria (Italien) (Millionenstadt Neapel)
The Bishop's Wife (USA (Jede Frau braucht einen Engel)
Sciuscia (Italien) (Schuschia)
Call me Madam (USA) (Madame macht Geschichten)
II Christo proibito (Italien) (Der verbotene Christus)
Ladri di biciclette (Italien) (Fahrraddiebe)


Zur Entwicklung des realistischen Films in Italien

1

Als nach dem Ende des letzten Krieges Italien der Welt einen neuen Filmstil schenkte, wurde dafür von den Kritikern der Begriff "Neorealismus" oder auch "Neoverismus" geprägt. "Neo"-realismus deshalb, weil man sich an die realistische Epoche der italienischen Oper im Anfang dieses Jahrhunderts erinnerte, eine Epoche, die thematisch nicht nur das Leben der gekrönten Häupter behandelte, sondern auch das Leben des einfachen Bürgers oder sogar der Gesellschaftsklassen, die noch unter diesem stehen. Eben dieselbe Thematik beherrschte auch ausschliesslich die Filme dieses neuen Stils. Aber es war nicht nur die Thematik, die zur Anwendung des Begriffes "Realismus" Anlass gab, vielmehr sah man diesen Filmen auch deutlich an, dass ihre Gestaltung nicht durch den Atelierbetrieb gehemmt oder in die Bahnen der Routine gelenkt worden war, keine Stars, sondern oft Laien spielten vor einem Hintergrund, der nicht von einem Filmarchitekten im Atelier aufgebaut worden war, sondern sie spielten in den Strassen und Gassen der italienischen Vorstädte, die einzige Beleuchtungsquelle war die südliche Sonne, das Drehbuch wurde oft erst während der Aufnahmen improvisierend geschaffen.

Kurz, Italien hatte einen Filmstil geboren, der den Geist eines ehrlichen Bemühens um unbedingte Wirklichkeitstreue und Wahrhaftigkeit atmete. Es soll nun im folgenden versucht werden zu zeigen, wo dieser neue Stil seine Wurzeln hat und unter welchen Bedingungen er die jüngste Epoche des italienischen Films zu einem so wichtigen Kapitel der Filmgeschichte machen konnte.

2

Es wäre absurd zu sagen, die ersten Filme überhaupt seien auch die ersten realistischen gewesen, kannten sie doch auch keine Stars und keinen Atelierbetrieb. Hier stand aber das Phänomen des bewegten Bildes noch so sehr im Vordergrund, dass von einem bewusst stilistischen Gestalten noch Keine Rede sein konnte, und man die Ateliearbeit als gestaltende Komponente nicht benutzte, weil es das Atelier ja noch nicht gab. Wichtig für die Filmgeschichte ist unter diesem Gesichtspunkt vielmehr das Jahr 1914, als nämlich Nino Martoglio seinen "Sperduti nel buio" drehte, eine Geschichte um einen Herzog mit seiner Mätresse einerseits, und einen blinden Bettler mit einem armen Mädchen andrerseits, ein Film, in dem nicht nur die Schilderung des Milieus überzeugend echt ist, nicht nur die toten Gegenstände ihre filmisch starke, symbolische Sprache sprechen, sondern auch das Gute und das Böse nach realistischer Manier im Menschen gleichermassen vorgefunden wird. Zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang vielleicht noch die Filme Emilio Ghiones, die zusammen mit den Martoglio-Filmen in der italienischen Kinemathek zur Vorführung gelangten und damit vielleicht einen allerdings sehr geringfügigen Einfluss auf den Neorealismus ausgeübt haben.

Bald darauf setzte für den italienischen Film eine Zerfallsperiode ein, verursacht einerseits durch den Ausgang des ersten Weltkrieges, andrerseits durch den Regierungsantritt Mussolinis, der zunächst keinerlei Interesse für den Film zeigte und bedeutende Regisseure wie Genina, Rhigelli und andere zur Emigration veranlasste, eine Periode, die schliesslich gegen Ende der zwanziger Jahre in einer Situation gipfelte, die in vielen Zügen der Situation im heutigen Deutschland gleicht: Die Inlandsproduktion ist wirtschaftlich gelähmt und bringt nur wenige unbedeutende Streifen hervor, während eine kleine Gruppe von Journalisten und Kritikern, zu denen unter anderen Blasetti, Pirandello und Zavattini gehören, unterstützt von einigen Filmclubs, in energischer Weise für den guten Film eintreten, bis dann gleichzeitig mit der Erfindung des Tonfilms junge schöpferische Kräfte dem italienischen Film neue Impulse geben.

3

Bevor allerdings in Italien der erste Tonfilm gedreht wurde,- bringt der junge Alessandro Blasetti einen Film mit dem Titel "Sole" heraus, der in meisterhafter Geschlossenheit eine dokumentarische Bilderfolge von der Trockenlegung der Pointinischen Sümpfe zeigt, erinnernd an die russische Tradition, doppelt erwähnenswert, weil er das Erstlingswerk Blasettis darstellt und ohne jede Vorbereitung äus dem Stegreif" geschaffen wurde. Dieses war der Auftakt einer Zeit, in der der italienische Film wieder an Bedeutung zunehmen sollte, deren wichtigste Köpfe Mario Camerini und Alessandro Blasetti und später deren Schüler Soldati, Castellani und Lattuada waren. Diese Epoche, interessant in ihrer Zwielichtigkeit, bestimmt durch das Regime Mussolinis und durch die stetige Perfektion der Filmtechnik, bringt uns eine lange Reihe tendenziös-heroischer Prachtstreifen, die dem Staate angenehm waren, neben vielen unverbindlichen, jenseits jeglicher Realität stehenden Kammerspielen, die aber in ihrer stilistischen Sauberkeit dafür zeugen, dass der künstlerische Gestaltungswille trotz allen Zwanges in den italienischen Regisseuren ständig im Wachsen begriffen war.

Aber blenden wir noch einmal ein kurzes Stück zurück. Als die Stimme der Filmclubs und der filmfreudigen Journalisten laut zu werden begann, kehrte ein Mann aus der Emigration zurück, der zwar selbst keine Filme drehte, der aber mit genug Verständnis und Kultur und auch mit genügend Einfluss ausgestattet war, um jungen und begabten Filmschaffenden die Wege zu ebnen. Es war der künstlerische Leiter der 1930 wiedergegründeten "CINES"-Produktionsgesellschaft, Filmkorrespondent und Essayist Emilio Cecchi, unter dessen Protektorat Camerini seinen meisterhaften "Gli uomini, che mascalzoni" (1932) und Blasetti seinen "1860" (1932) vollbrachte, der erstere der Anfang der Camerinischen Lustspielreihe, der letztere Bindeglied und Mittler zwischen Stummfilmtradition und dokumentarischem Realismus. Emilio Cecchis grösstes Verdienst um den Realismus ist jedoch seine Beteiligung an der Gründung einer Dokumentarfilmschule, aus der dann später die bedeutenden Vertreter des neuen italienischen Filmstils hervorgehen sollten.

Inzwischen hatte auch der Duce sein Interesse für den Film entdeckt, gab der Produktion eine breitere Grundlage und richtete eine Reihe staatlicher Institutionen ein, die dem Film zwar eine harte Zensur auferlegten, jedoch auch eine Reihe junger Talente in die Filmarbeit mit einbezogen. Camerini setzte sich mit seinem besten Film "II capello a tre punte" (1934) an die Spitze der italienischen Filmelite, während Blasetti zwischen unbedeutenden kommerziellen Spielfilmen, tendenziösen Heldenepen, wie "La corona di ferro" und einem menschlich-verklärten, heiteren "Quattro passi fra le nuvole" (1941) hin und her schwankte. Mit diesem Film stehen wir dann auch schon kurz vor dem Ende der Mussolini-Herrschaft und mitten in der Zeit, die dem Neorealismus zu seinen ersten Anfängen verhalf, interessantestes Beispiel dieser Zeit mag Viscontis Össessione" sein, der schon unverkennbar die Züge des neuen Stils trägt und wegen seiner starken Sozialkritik von der Zensur verboten worden war.

Aber noch von ganz anderer Seite wird der neue Stil während dieser Zeit vorbereitet, nämlich von den aus der Cecchischen Dokumentarfilmschule hervorgegangenen Wochenschauleuten, denen der Krieg reichlich Gelegenheit bietet, ihre Kenntnisse auszuwerten und die als Kameraleute in einigen Kriegsfilmen Sequenzen von überraschender Realistik zeigen.

4

Diese Wochenschaureporter stehen unter der Führung von Francesco de Robertis, dessen Devise "Dramatik durch Nicht-Dramatik, Heroismus durch Nicht-Heroismus, Propaganda durch Nicht-Propaganda" (Nino Frank) in seinen sachlichen und unpathetischen Marinefilmen "S O S 103" (1941), "La nave bianca" (1942) und Älfa tau" (1942) ihren Ausdruck findet. Stark sichtbar werden auch die ersten realistischen Stilelemente in den Kriegsfilmen Geninas "Die Belagerung des Alkazar" (1940) und "Benghasi" (1942) oder in den ersten Filmen Rossellinis Ün pilota ritorna" (1942) und Üomo della croce" (1943), der in ausdrucksstarken Bildern die Tätigkeit eines Feldgeistlichen behandelt.

Unter diesen Voraussetzungen und unter dem Zwang der Tatsache, dass nach dem Einmarsch der alliierten Truppen-die Ateliers zum Teil zerstört oder für andere Zwecke benötigt worden waren, konnte sich die Technik des Neorealismus schnell entwickeln. Die junge Generation der Dokumentarfilmleute, durch ihre Tätigkeit während des Krieges hundertfach darin geübt, eine Situation, ein Geschehen durch das "sprechende" Bild und nicht durch den Kommentar oder Dialog zu verdeutlichen, wandte diese ihre Techniken nun auf den Spielfilm an. Da sie es gewohnt waren, auch unter schlechtesten Tageslichtverhältnissen brauchbare Aufnahmen zu machen, konnten sie auf den Lichtpark des Ateliers verzichten, zumal ihnen unter dem Mittelmeerhimmel ständiger Sonnenschein weitgehend sicher war. Aber sie verzichteten nicht nur auf die technischen Vorteile des Ateliers, auch das Drehbuch wurde zu einem skizzierten Scenario, das die Einzelheiten der Kamera- und Darstellerführung dem augenblicklichen Einfall überliess. Beste Beispiele für die konsequente Durchführung dieser Methoden sind Filme wie Rosselinis "Paisà" und "Deutschland im Jahre Null", letzterer durch die technisch miserablen, aber eindrucksvollen Bilder in diesem Zusammenhang besonders bemerkenswert.

Aber nicht nur auf die Technik, sondern auch auf die Auswahl der Themen hatte der Krieg seinen Einfluss genommen. Partisanenkampf und allererste Nachkriegszeit, Flüchtlingsnot und soziales Elend, Schwarzhandel und Prostitution waren der Hintergrund, vor dem die einfachen Spielhandlungen abliefen. Hauptdarsteller waren meist nicht Einzelpersonen, sondern die Stadt, das Land, eine Menschengruppe. Die Menschenbilder dieser Filme passten natürlich nicht in die alten Klischees der herkömmlichen Schauspieler - Typisierung, von denen ein geistreicher Dramaturg einmal sagte, dass man aus ihnen nur eine ganz beschränkte Anzahl dramatischer Situationen konstruieren könne. Man griff deshalb bei der Auswahl der Darsteller auf Laien zurück und folgte so dem Rate Flahertys, die Leute "das spielen zu lassen, was sie ihr ganzes Leben lang ohnehin tun". Diesem Leitsatz zu folgen, fiel nun in Italien nicht sehr schwer, "wo jeder Strassenjunge wie Jackie Coogan spielen kann und das tägliche Leben eine fortwährende Commedia dell' arte ist" (Blazin). Aber damit waren noch keine Charaktere geschaffen, sondern die Gefahr, in einfache Typisierung abzugleiten, bestand in gleichem, wenn nicht sogar stärkerem Masse fort. Und es ist auch Rossellini, den man gemeinhin als den "Chef der neorealistischen Schule" bezeichnet und der auch tatsächlich als erster die neoveristische Technik in seinem "Roma - città aperta" (1945) anwandte, in diesem seinen Werke noch nicht gelungen, überzeugende Charaktere zu gestalten. Aber Rossellini stand damals noch zu sehr am Anfang seiner Schaffensperiode, um aus diesen Fehlern nicht seine Lehren zu ziehen. Und als er dann bald danach in "Paisà" (1946) eine Fülle von Menschlichkeit durchdrungener Personen erscheinen lässt, gibt er die allgemeine Richtung der Darstellerführung an, nämlich ungeübte Laiendarsteller mit Hilfe filmischer Mittel Menschlichkeit ausstrahlen zu lassen.

Doch alle diese erwähnten Umstände entspringen unmittelbar aus den Ereignissen des Krieges und sind mehr oder weniger für jedes andere europäische Land geltend zu machen, und es ist zu untersuchen, warum gerade in Italien schöpferische Kräfte in dieser ganz speziellen Richtung frei werden konnten.

5

"Die tiefergehende Konsequenz ist in den Impulsen zu suchen, die der Film thematisch und ideell von dem Zeitgeschehen erhält, besonders von dem Kampf der Widerstandsbewegung. Man muss hier berücksichtigen, dass sich die italienische Resistence grundsätzlich von der aller anderen Länder (ausser Jugoslawien) unterscheidet. Sie erstrebte nicht nur, wie in Frankreich, Polen und Dänemark etwa, die Befreiung des Landes von einer vier- oder fünfjährigen fremden Besatzung, sondern eine politische Revolution, deren Ziel ein neuer Staat war." (E. Patalas.) Und es ist das ganz besondere an dieser Revolution, dass man in Italien die neue Situation weit mehr begriffen hat als zum Beispiel in Deutschland, wo man 1945 ziemlich ratlos den Ereignissen entgegensah und nach wenigen guten Ansätzen weiter nichts als kraftlose "Trümmerfilme" hervorbrachte. Aber es ist noch eine Tatsache zu berücksichtigen, die der Produktion von Filmen sozialkritischer Thematik weitgehend Vorschub leistete. Bekanntlich sind die politischen Strömungen linksgerichteter Tendenz seit 1945 in Italien von nicht geringer Bedeutung, und es ist immer wieder in der Geschichte des Films so gewesen, dass er von dem nationalen, politischen Geschehen nicht unbeeinflusst blieb. Einerseits sehen die Produzenten mit Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens darauf, dass Themen verwirklicht werden, die bereitwillig von der breiten Masse aufgenommen werden, andererseits sehen die Regisseure keinen Grund - und das gerade in einem demokratischen Staate -, ihre Meinung in ihrer künstlerischen Form nicht zum Ausdruck zu bringen. Dafür spricht auch der grosse Publikumserfolg, den der Neorealismus am Anfang in Italien hatte, während er in den übrigen europäischen Ländern hauptsächlich Reservat der Filmkunsttheater und Filmclubs blieb. Und wenn Cesare Zavattini sagt: " _... der Neorealismus kann und muss die Armut darstellen. Wir haben mit der Armut begonnen, aus dem einfachen Grunde, weil sie eine der vitalsten Realitäten unserer Zeit ist _...", so erhebt er damit die Besserung der sozialen Verhältnisse zur nationalen Aufgabe.

Eine allzu starke Betonung dieser sozialkritischen Seite des Neorealismus wäre aber nicht ganz gerecht, und es soll an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben werden, dass es das Nebeneinander von krassestem Realismus und wärmster Menschlichkeit ist, das diese hier behandelten Filme von vielen ähnlichen realistischen Produktionen unterscheidet und dem neuen italienischen Film seine besonderen Akzente verleiht. Dass aber diese Thesen nicht ohne Schwierigkeiten und Krisen ihre Verwirklichung fanden, wird uns klar werden, wenn wir die Entwicklung seit 1945 einmal verfolgen.

6

Es sind zwei Persönlichkeiten, die das Gesicht der italienischen Filmproduktion dieses letzten Zeitabschnittes geprägt haben: Robert Rossellini und Vittorio de Sica. Und die Anwendung des Begriffes Persönlichkeiten geschieht mit einer ganz bestimmten Absicht, denn trotz der "günstigen" Zeitumstände, trotz all der Erscheinungen, die in ihrer Entwicklung auf den Neorealismus hingezielt haben, ist es doch die Persönlichkeit allein, die das allgemeine, unbestimmte Verlangen nach Wirklichkeit aus seiner Latenz befreit, geformt und zur künstlerischen Wahrheit erhoben hat. Den Anfang dieses bewusst "neorealistischen" Gestaltens machte Roberto Rossellini, genial im Erkennen der seiner Thematik entsprechenden Gestaltungsweise, nicht frei von einer gewissen Tragik durch das schnelle Ausscheiden aus der Entwicklung der von ihm begründeten Schule. Nach "Roma - città aperta" erreicht er mit "Paisà" seinen Höhepunkt. In dokumentarischem Stil erzählt er sechs verschiedene Episoden, in denen Paisà, das Land Italien der Jahre 1943 und 1944 im Mittelpunkt steht. Danach folgen "Germania anno zero" und das grossartig angelegte, zweiteilige Werk Ämore" (1948), beides noch bedeutende Filme, die aber nicht mehr an die in "Paisà" gezeigte klare Sinnbildlichkeit heranreichen." "Stromboli, terra di dio" (1950) und "Francesco, giullare di dio" (1950), elf peinlich lächerliche Episoden aus dem Leben des Heiligen Franziskus, setzen den Schlussstrich unter diese Schaffensperiode Rossellinis. Aber nicht nur Rossellini, sondern auch seine Zeitgenossen geraten um das Jahr 1949 in eine Krise. Es waren unter anderen Luigi Zampa, der mit den Mitteln Rossellinis Streifen voll heiterer Ironie, wie "Vivere in pace" (1946) und Änni difficili" (1948) gedreht hatte, Alberto Lattuada mit dem seinerzeit viel beachteten, etwas düsteren "Senza pietà" (1948), es war auch Pietro Germi mit "Gioventú perduta" (1948) und, in Italien weit mehr erfolgreich als im Ausland, Giuseppe de Santis mit "Caccia tragica" (1947). Sie alle wurden von der Krise des Jahres 1949 mehr oder weniger betroffen und nur Vittorio de Sica, der sich mit "Sciuscia" (1947), dem grossen Drama der italienischen Nachkriegsjugend, gleichberechtigt neben Rossellinis Paisà gestellt hatte, setzt gegen Ende des Jahres 1948 seinen einmaligen "Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe) mitten in die Krise hinein, hebt sich über die bedeutendsten Werke Rossellinis hinaus und beweist damit, dass er unbeeinflusst von zeitlichen Krisen in einer Entwicklung steht, deren Höhepunkt noch nicht abzusehen ist. Was aber war mit all den anderen Regisseuren geschehen, warum gerieten sie mit den mit so viel Begeisterung aufgegriffenen Stilmitteln in ein so grosses Dilemma?

Wiederum ist diese Entwicklungsperiode aus dem Zeitgeschehen zu verstehen. Während bis jetzt die Themen auf der Strasse lagen - fast jedes Menschenschicksal jener Zeit war in diesem Sinne filmisch -, fingen nun die Verhältnisse langsam aber stetig an, sich zu normalisieren, während bis jetzt fast jedes Menschenantlitz die Spuren der grossen Ereignisse trug und somit ein Symbol der Zeit abgab, benötigt man nun den geschulten Schauspieler, um ein abgerundetes Menschenbild zu formen, während bis jetzt jeder in der sozialkritischen Thematik den Anwalt seiner eigenen Misere sah, schwand mit der Verbesserung der Lebensmittelrationen beim Publikum das Interesse am Elend dieser Minderheit. Satte Zeiten sind ein schlechter Boden für seine Revolution.

Aber nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den Regisseuren liegen die Gründe für diese Krisenzeit. Die künstlerische Revolution, die "Sturm- und Drang-Zeit" ist vorbei. Viele bis jetzt unbekannte Regisseure greifen die neorealistischen Stilmittel auf, ohne die wesentlichen Grundlagen dieses Stils zu erfassen. Andere, die schon einigen Erfolg hatten, lassen den Stil zur Manier erstarren und "bereichern", um am Publikum zu bleiben, ihre Werke durch die bewährten Mittel des Sex-Appeal ("Bitterer Reis", de Santis 1948) und des Kriminalreissers ("Im Namen des Gesetzes", Germi 1948). Es bedurfte einer selbständig schöpferischen Persönlichkeit, um die in der "Revolution" mehr aus dem Gefühl als bewusst erworbenen Erkenntnisse zu ordnen, und ihnen durch die Form Allgemeingültigkeit zu verleihen. Dieser Übergang vom impulsiven Schaffen zum bewussten Gestalten gelang nur sehr wenigen.

Wenn Vittorio de Sica schon mit den "Fahrraddieben" bewiesen hatte, dass er in seinem Schaffen frei von zeitlich bedingten Strömungen ist, so wuchs er mit "Miracolo a Milano" (1950) nicht nur über seine Zeit, nicht nur über Rossellini und die Forderungen seines Stils hinaus, sondern erhob durch die Verquickung von Genialität und Form dieses Werk zum unnachahmlichen Einzelfall. "In ,Miracolo a Milano'", so schreibt Enno Patalas, "wo Milieu und soziale Verhältnisse sehr realistisch gezeichnet sind, wird der psychologische Realismus, die Wirklichkeit des nie ganz guten und nie ganz schlechten Menschen, wird auch die Wirklichkeit der Naturgesetze zerstört zugunsten eines Irrealismus, der der Irrealismus des Märchens ist." Und es ist auch kein Zufall, wenn nach der Zeit Rossellinis, der Zeit des genialischen Improvisierens, mehr und mehr der Autor in den Vordergrund tritt. Es ist Cesare Zavattini, nach dessen Märchen "Toto, der Gute" de Sica das "Wunder von Mailand" schuf, und es war auch Zavattini, der, vielleicht etwas zuwenig beachtet, mit seinen Drehbüchern zu "Vier Schritte in die Wolken", "Der Göttergatte", "Fahrraddiebe" und Ümberto D." die festgefügte literarische Vorlage lieferte. Mit Ümberto D." (1951) kehrt de Sica wieder zum Realismus zurück, aber es ist, wie bei allen grossen Filmen dieser Zeit, die Menschlichkeit neben dem Realismus, die dieses Werk über das normale Niveau hinaushebt.

Neben de Sica sind es noch zwei weitere Regisseure, die diese neue Ära des Realismus bestimmen: Luchino Visconti und Edoardo de Fillipo. Der erstere, 1943 durch Össessione" schon hervorgetreten, lebt monatelang unter sizilianischen Fischern, belichtet kilometerweise Filme, um dann aus diesem Material die eindruckvollsten Szenen zu dem grossartig epischen Dreistunden-Film "La terra trema" (1948) auszuwählen und zu montieren. Von gleicher Feinfühligkeit zeugt der leider in Deutschland viel zuwenig bekannte Film "Bellissima" (1951), in dem Anna Magnani die tragikomische Rolle einer Mutter spielt, die ihre Tochter als "die Schönste" unbedingt auf der Leinwand sehen möchte. Edoardo de Fillipo, der als Komiker in den Camerini-Filmen der dreissiger Jahre berühmt wurde, dreht 1950 seinen ersten Film in eigener Regie, "Napoli Milionaria", die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte des merkwürdigen neapolitanischen Volkes, dessen zwischen Heiterkeit und Tragik schwankendes Wesen für einen realistischen Film ideale Stoffe liefert. Und man kann an diesem Zeitabschnitt nicht vorübergehen, ohne den Altmeister des italienischen Films, Allessandro Blasetti, zu erwähnen, der mit "Prima Communione" (1950) seinen Beitrag liefert, man kann auch Renato Castellani, der mit "Due soldi d' esperanza" (1951) in Cannes den Grand Prix erringt, und Alberto Lattuada, der mit "Il capotto" (1951, nach Gogol) wieder in Erscheinung tritt, nicht unbeachtet lassen.

Wenn der Neorealismus auch im Anfang der fünfziger Jahre und mit diesen eben erwähnten Filmen sein Ende gefunden hat, so hat er doch im Filmschaffen Italiens und anderer Länder deutliche Spuren hinterlassen. Es wird niemand behaupten, dass der Realismus der einzig mögliche Filmstil sei, aber wenn man versucht, einmal die "klassischen" Werke der Filmkunst aufzuzählen, und man wird dabei nicht sehr weit über zehn hinauskommen, so wird man nicht umhin können, auch einen oder zwei Filme dieser Epoche zu erwähnen. Neben diesen Einzelfällen liegt die allgemeine Bedeutung des Neorealismus hauptsächlich in der befruchtenden Einwirkung auf die Filmkunst, in der Abkehr von der "Traumfabrik", vom "Kino der weissen Telefone". Diese Umkehr zur künstlerischen Wahrheit spürt man in vielen französischen, englischen und amerikanischen Filmen, auch in solchen, die alles andere als realistisch sind. Und in Italien selbst hat diese Entwicklung zum guten Film noch lange kein Ende gefunden. Regisseure, denen es gelungen ist, die Formen des Realismus zu durchbrechen, ohne seine positiven Forderungen zu vergessen, lassen noch viele gute Filme erwarten, Filme, die wie Luigi Comencinis "Brot, Liebe und Phantasie" und Frederico Fellinis "La Strada" systematisch und ständig wachsend auf den Erkenntnissen der letzten zehn Jahre aufbauen.

Umfassende Darstellungen der italienischen Filmgeschichte findet man bei Enno Patalas: "Pathos und Menschlichkeit." Die Geschichte des italienischen Films, filmforum I, 7-10.
Nino Frank: "Cina dell' arte", panorama du film italien. Editions Andre Bonne, Paris.
Maria Adriana Prolo: "Storia del cinema muto italiano", vol. I (Biblioteca cinamatografica, terzia seria). Poligono società editrice, Milano. Italien

Zurück zum Anfang


VITTORIO DE SICA

Filmographie
Geboren am 7. Juli 1902 in Sora in der Provinz Frossinone. Studiert zunächst Jura.
1923 Schliesst sich einer Wanderbühne an und spielt viele Rollen als jugendlicher Held und Liebhaber. In einigen Revuen tritt er als Sänger auf.
1931 Erste Begegnung mit dem Film als Darsteller.
1932 Hauptrolle in "Gli uomini, che mascalzoni". Enge jahrelange Zusammenarbeit mit dem Regisseur dieser Filme, Mario Camerini, der sein Lehrmeister wurde.
1938 Beginnt eigene Drehbücher zu schreiben.
1940 Führt zum erstenmal in "Rose scarlatte" Regie, weitere Filme in diesem Jahr: "Maddalena" und "Zero in condotta".
1941 "Teresa vernerdi" ("Fräulein Freitag").
1942 Ün Garibaldino al convento"
1943 Beginn der fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Cesare Zavattini mit dem Film "I bambini ci guardano".
1944 "La porta del cielo"
1946 "Sciuscia"
1948 "Ladri di biciclette" ("Fahrraddiebe")
1950 "Miracolo a Milano" ("Das Wunder von Mailand")
1951 Ümberto D"
1952 "Stazione Termini" Als Darsteller spielte Vittorio de Sica in folgenden Filmen:
1931 "La vechia signora", "Due cuori felici"
1932 "La segretaria per totti", "Gli uomini, che mascalzoni"
1933 Ün cattivo soggetto", "Signore desidera?"
1934 "La conzone del sole", "Lisetta tempo massimo"
1935 "Daro un milione", Ämo te sola", "Ma non euna cosa seria"
1936 "Lohengrin", "Non ti conosco piu"
1937 "L' uomo che sorride", "Napoli d' altri tempi", "Questi rigazzi", "Il signor Max"
1938 "La mazurka di papa", "L' orologio a cucu", "Hanno rapito un uomo", "Partire", "Le due madri", Äi vostri ordini signora"
1939 "I grandi magazzini", "Finisce sempre cosi"
1940 "Manon Lescaut", "La peccatrice", "Rose scarlatte"
1941 "L' aventuiera del piano di sopra"
1942 "La guardia del corpo", "Se lo fossi onesto"
1943 "Dieci minute di vita", "L' ippocampo", "Non sono superstizioso ma _...", "I nostri sogni"
1945 "Lo sbaglio D' essere vivo", "Il monde vuole cosi"
1946 "Roma citta libera", Äbbasso la richezza"
1947 "Lo sconosciuto di San Marino", "Sperduti nel buio", "Natale al campo IL", "Cuore"
1949 "Domani e troppo tardi" ("Morgen ist es zu spät")
1951 "Buongiorno elefante"
1952 Ältri tempi" (Ändere Zeiten")
1953 "Pane, amore e fantasia" (Brot, Liebe und Phantasie)

Zurück zum Anfang


In Zusammenarbeit mit der Gewerkschaftlichen Arbeitsgemeinschaft an der Universität Frankfurt zeigt das FILM-STUDIO im Wintersemester 1955/56 unter dem Thema "Sozialprobleme im Film" am Dienstag, dem 29. November 1955,

Früchte des Zorns
nach dem gleichnamigen Roman von John Steinbeck,
am Dienstag, dem 13. Dezember 1955,

Tod eines Handlungsreisenden
nach dem gleichnamigen Schauspiel von Arthur Miller.

"Früchte des Zorns", schon im Jahre 1940 von der 20th Century Fox unter der Regie von John Ford gedreht, hält sich in seiner Problematik genau an die der Romanvorlage. Das Einzelschicksal aus der Krisenzeit der dreissiger Jahre mag heute in den USA seine aktuelle Bedeutung verloren haben, in Europa aber, wo viele erfahren haben, was es heisst, heimat- und arbeitslos zu sein, hat es dafür einen weiteren, tieferen Sinn gewonnen. Es ist das Bewunderungswürdige an den Amerikanern, dass sie selbst in den Zeiten grösster Krisen vom Film oder von der Literatur solch eine scharfe, soziale Selbstkritik vertragen.

Der "Tod eines Handlungsreisenden" befasst sich - wie das gleichnamige Bühnenstück - mit der optimistischen Lüge, jeder könne es im Leben zum Erfolg bringen, wenn er nur tüchtig sei. So zeigt er das Ende eines Handlungsreisenden, der sich sein ganzes Leben lang bemüht hat, alles und jedem etwas zu verkaufen, und doch am Ende noch ärmer als am Anfang dasteht. Und wenn vor einem amerikanischen Filmtheater beim Verlassen der Vorstellung ein Besucher gesagt haben soll, " _... in Neu-England war aber auch nie etwas zu holen", so ist das ein Beweis dafür, wie tief diese Self-made-Ideologie im Durchschnittsamerikaner verwurzelt ist. Die Filme sollen Ausgangspunkte für eine Diskussion der sozialen Probleme sein, die in ihnen aufgezeigt werden. Beginn der Vorstellungen: 18 und 20 Uhr (Festsaal des Studentenhauses). Die Diskussion findet im Anschluss an die 20-Uhr-Vorstellung statt. Eintritt frei!

Film-Seminar

Für das Wintersemester 1955/56 kündigen wir an:

Filmische Grundbegriffe (Unter Verwendung von Archiv-Material)

Auf Grund der Erfahrungen, die wir im Laufe von drei Jahren sowohl im Filmkurs als auch im Film-Colloquium sammeln konnten, wird ein neugegründetes Filmseminar zu Beginn des Wintersemesters seine Arbeit aufnehmen. Wir geben bewusst die bisherige zweigleisige Arbeit von Kurs, und Colloquium auf,' um mit konzentrierten Kräften die uns gestellte Aufgabe, die geistesgeschichtliche Betrachtung und Durchleuchtung aller mit dem Film zusammenhängenden Probleme, zu bewältigen. Innerhalb dieses Seminars wollen wir auch alle diejenigen Filme zeigen, die? erfahrungsgemäss nur einen kleinen Kreis interessieren. So werden beispielsweise die Filme "Symphonie einer Grossstadt", "Die Mutter" (Pudowkin), "Le sangue d' un poet" innerhalb des Seminars zur Vorführung gelangen.

Den grössten Raum gewähren wir den Filmbeispielen, da man ja nur durch Anschauung tiefere Einblicke in das Phänomen Film mit all seinen Erscheinungsformen bekommen kann, und exakte Urteile und Gesetzmässigkeiten formuliert werden können. Dabei ist es für unsere Zwecke unerheblich, wenn innerhalb dieses Anschauungsmaterials sich bisweilen auch ein wenig künstlerischer Film befindet.

Die Teilnahme ist für alle Mitglieder des Film-Studio (auch Nichtstudenten) gebührenfrei.

Leitung: Ivar Rabeneck und Günter P. Schölzel
Ort: Zimmer 107, im Studentenhaus
Zeit: Montags, 20 Uhr, s. t.
Beginn: Montag, den 14. November 1955


Zurück zum Anfang

Vorträge

mit Filmbeispielen Veranstaltet vom Film-Studio und der Staatlichen Landesbildsfelle Hessen. Was man vom Film wissen muss (II)

Filmschaffende berichten aus ihrer Arbeit. Es sprechen:
9.12.1955 Erwin Kreker (Autor)
6. 1.1956 Heinz Sielmann (Bundesfilmpreisträger) (Kurzfilmregisseur)
10. 1.1956 Hans Abich (Produzent)
27. 1.1956 Hans Martin Majewski (Komponist)
14. 2.1956 Konstantin Tschet (Kameramann)

Die Vorträge eines Regisseurs und eines Architekten werden noch bekanntgegeben.
Sämtliche Vorträge finden im Festsaal des Studentenhauses zu den angegebener» Terminen jeweils um 20 Uhr statt, Platzkarten werden im Geschäftszimmer des Film-Studio ausgegeben.

Zurück zum Anfang


Germania nell' anno zero (Italien) (Deutschland im Jahre Null)
Produktion: U.G.C. (1947)
Regie: Roberto Rossellini
Kamera: Robert Juillard und Jacques Robin
Musik: Renzo Rossellini
Darsteller:
Edmund Meschke; Franz Grüger;
Ernst Pittschau; Erich Gühne;
Ingetraut Hinze
Rossellini ist mit der Kamera nach dem Kriege durch die Ruinen von Berlin gewandert und hat versucht, nicht nur das äussere Bild der geborstenen Mauern, sondern auch die Zerstörungen im Menschen festzuhalten. Ohne Drehbuch und unter Verwendung von Laiendarstellern ist ein Film entstanden, der in der ganzen Welt als authentisches Dokument einer aus ihren moralischen und materiellen Fugen geratenen Zeit beachtet wird, in der Skrupellosigkeit und Egoismus regierten. Die Kamera offenbart dem Auge mit schonungsloser Optik die Lebensmisere einer in Not und Elend geratenen Familie, der Vater ist krank und bettlägrig, der Sohn hält sich verborgen, da er aus der Kriegsgefangenschaft entfloh, die Tochter führt seit dem Tod der Mutter den armseligen Haushalt und "geht" nebenbei mit Besatzungssoldaten, um sich ein paar Zigaretten zu ergattern. Im Mittelpunkt der Handlung steht der jüngste Sohn. In der Hand seines ehemaligen Lehrers, der mit seinem Amte auch den letzten Rest an Haltung verlor, gerät der unbefangene Junge in das übelste Milieu, wird schliesslich zum Vatermörder und stürzt sich selbst in den Tod.
Zurück zum Anfang


Quattro passi fra le nuvole (Italien) (Vier Schritte in die Wolken)
Produktion: Cines-Film (1943)
Buch: Cesare Zavattini
Regie: Alessandro Blasetti
Kamera: Vaclav Vich
Darsteller // Deutsche Sprecher: Adriana Benetti // Gertrud Kückelmann; Gino Cervi // Paul Klinger; Aldo Silvani // Paul Dahlke; Giacinto Molteni // H. H. Schaufuss; Carlo Romano // Otto Nissl
In Amerika nannte "The Motion Picture Herald" diesen Film an zweiter Stelle unter den besten Auslandsfilmen, die in den USA gezeigt wurden in England zahlte 1951 eine Jury der bedeutendsten Filmkritiker ihn zu den zehn besten Filmen der gesamten Weltproduktion, in Frankreich lief er 1949 als erster italienischer Film nach dem Kriege sieben Monate lang in Erstaufführung in einem grossen Pariser Filmtheater. Durch besondere Umstände in der Kriegs- und Nachkriegszeit ist dies eigenartige filmische Meisterwerk in Deutschland ziemlich unbekannt geblieben. Das märchenhafte Abenteuer eines biederen Schokoladenvertreters, der als angeblicher Ehemann ein junges Mädchen zu dessen Eltern begleitet und so für ein paar Stunden dem grauen Alltag und seiner zänkischen Frau entrinnt, zählt heute neben Alberto Lattuadas "Giacomo l' Idealista" und Viscontis Össessione" zu dem fast schon klassischen Dreigestirn, mit dem der italienische Neoverismus begann. Der Regisseur - bekannt in Deutschland durch seine Filme "Der Göttergatte" und Ändere Zeiten" - führt uns mit sicherer Hand über eine verhältnismässig lange, aber lustige Autobusfahrt m das strenge Gefüge einer italienischen Bauernfamilie. Ohne dem harten sozialkritischen Realismus der Nachkriegsfilme zu verfallen schildert er mit ungeschminkter Wirklichkeit augenzwinkernd die versöhnlichen menschlichen Schwächen. Hervorzuheben ist die gut gelungene deutsche Synchronisation, leider wurde der Originaltitel nicht beibehalten, der Film heisst heute "Lüge einer Sommernacht"'
Zurück zum Anfang


The Medium (USA) (Das Medium)
Eine Film-Oper in zwei Akten von Gian-Carlo Menotti
Produktion: Transfilm Walter Lowendahl
Regie: Gian-Carlo Menotti
Buch: Gian-Carlo Menotti
Kamera: Enzo Sarafin
Musik: Gian-Carlo Menotfi
Personen und Darsteller: Madame Flora (dramatischer Alf): Marie Powers; Monica (lyrischer Sopran): Anna-Maria Alberghetti; Toby (stumme Tanzrolle): Leo Coleman; Mrs. Gobineau (Sopran): Beverly Dame; Mr. Gobinau (Bariton): Donald Morgan; Mrs. Nolan (Alf): Belva Kibler; Orchester: Römisches Symphonieorchester; Dirigent: Thomas Schippers;
1. Akt
Die Wahrsagerin Madame Flora (genannt Baba) lebt mit ihrer Tochter Monica und dem stummen Zigeunerjungen Toby in einer Mansardenwohnung zusammen. In dieser eigentümlich eingerichteten Behausung bereitet sie eine Séance vor, bei der Monica und Toby helfen müssen. An der spiritistischen Sitzung nehmen das Ehepaar Gobineau und Mrs. Nolan teil, um mit ihren verstorbenen Kindern in Verbindung zu treten. Doch während der Séance erliegt Madame Flora ihren eigenen "Geisterbeschwörungen", sie spürt plötzlich, wie zwei Hände ihren Hals umklammern. Ihr Verdacht fällt auf Toby, der ihr auf ihre Fragen aber nicht antworten kann. Um sich Gewissheit über den Vorfall zu verschaffen, geht sie zu Mrs. Nolan, der Besuch endet aber ergebnislos. In ihrer Verzweiflung beginnt sie in einer Wirtschaft zu trinken. Monica und Toby, die sich lieben, suchen sie. Aus Furcht vor den übernatürlichen Erscheinungen kann Madame Flora nachts nicht schlafen und misshandelt den wehrlosen Toby, bis Monica sie davon abbringt.
2. Akt
Dem Glück von Monica und Toby steht Madame Flora entgegen. Sie betrinkt sich jetzt häufig, um die ständigen Halluzinationen, die in Verfolgungswahn ausgeartet sind, abzuwehren. Sie ist zum Opfer ihres eigenen Berufs geworden. Um Toby zu einer erlösenden Antwort zu zwingen, schlägt sie ihn oft. Ihren Kunden, die auf eine neue Sitzung drängen, erklärt sie, dass die Beschwörungen nur Schwindel waren und dass keine Sitzungen mehr stattfinden werden. Aber ihre Kunden glauben dies ihr nicht und können nicht verstehen, dass sie weggeschickt werden. Auch Toby jagt Madame Flora aus dem Hause, weil sie hofft, dann Ruhe zu finden. Doch Toby schleicht sich in der Nacht zurück, um Monica wiederzusehen. Madame Flora, die im Rausch von den Geistern ihrer Wahnvorstellungen verfolgt wird, schiesst auf einen Vorhang, der sich bewegt hat; dabei tötet sie den hinter dem Vorhang versteckten Toby. In ihrer Trunkenheit glaubt sie zunächst den Geist erschossen zu haben, dann kniet die als Mörderin verdammte neben ihrem unschuldigen Opfer nieder, um zu fragen: "Warst Du es?".


Dieses ungewöhnliche Werk ist der erste wesentliche Versuch, die künstlerischen Möglichkeiten der Oper und des Films musikalisch und optisch zu einer Einheit zu verbinden, es ist die erste reine Film-Oper. Dem Komponisten Menotti, der niemals vorher mit dem Film zu tun hatte, ist mit der filmischen Fassung seiner Oper ein Kunstwerk von faszinierender Intensität gelungen. Bild- und Kamerakunst stehen auf gleicher Stufe mit der Musik und Schauspielkunst und werden in einer photographisch prägnanten Szenenfolge zu einer Einheit verschmolzen, die als einmaliger Glücksfall bezeichnet werden kann.

Gian-Carlo Menotti, der Autor, Komponist und Regisseur, wurde am 7. Juli 1911 in Cadegliano am Luganer See geboren und komponierte schon als Sechsjähriger Lieder nach eigenen Texten. Mit elf Jahren schrieb er seine erste Oper "La morte di Piero" und besuchte danach das Konservatorium in Mailand. Seine eigentliche musikalische Ausbildung erhielt er von 1928-1933 am Curtis Institut für Musik in Philadelphia. Bisher in der Obhut einer musikalischen Familie, in der gregorianischer Gesang und Kammermusik unter der behutsamen Anleitung der Mutter selbstverständliche Gegebenheiten sind, beginnt er nun ganz auf sich selbst gestellt ernsthaft zu arbeiten und entwickelt sich überraschend schnell: er schreibt Violin- und Klavierkonzerte und ein Pastorale für Streicher und Klavier.

Mit Ämelia geht zum Ball" begründet er 1933 seinen Ruf als erfolgreicher Komponist für das veristische Theater im Stil der opera buffa, das Werk gelangt 1937 an die Metropolitan Opera. Bei dieser und seinen weiteren Opern hat Menotti nicht nur seine eigenen Libretti geschrieben, sondern auch die Inszenierungen besorgt. Kurz danach folgen die Funkoper "Die alte Jungfer und der Dieb", ein Auftrag für NBC. seine erste lyrische Oper, "Der Inselgott", für die Metropolitan und 1946 "Das Medium" für die Columbia Universität, dem er das Ballett-Divertissement "Das Telephon" als "courtain raiser" vorausschickt. Beide Werke nehmen wie später die Kammeroper "Der Konsul" (1950), das Märchenspiel Ämahl und die nächtlichen Besucher" (1952) schnell ihren Weg nach Europa und Deutschland.

Auszeichnung: Prix du Film Lyrique der Internationalen Filmfestspiele Cannes 1952.
Zurück zum Anfang


Roma ore undici (Italien) (Es geschah Punkt 11)
Produktion: Transcontinental-Titanus (1952)
Regie: Guiseppe de Sanlis
Buch: Cesare Zavattini; Guiseppe de Santis; Basilio Franchina; Rodolfo Sonego; Gianni Puccini
Kamera: Otello Martelii
Musik: Mario Nascimbene
Darsteller: Lucia Bosé; Elena Varzi; Raf Vallone; Paolo Stoppa
Die vier Erstlingswerke des jungen Regisseurs de Santis "Tragische Jagd" (1947), "Bitterer Reis" (1948), "Vendetta" (1949) und "Es geschah Punkt 11" sind nicht nur ein geschäftlicher, sondern auch ein künstlerischer Welterfolg geworden. Als in Rom 1951 eine Treppe einstürzte und viele Menschen unter ihren Trümmern begrub, drehten über dieses Ereignis zwei Regisseure gleichzeitig je einen Film. Aber während der Regisseur Genina im Belletristischen steckenblieb, hat de Santis dieses aus der Zeit gegriffene Thema durch bestürzende Wirklichkeitstreue seiner Aussage und die mitleidlose Schärfe seiner Beobachtung meisterhaft zu einem erschütternden Erlebnis gestaltet. Der Stoff ist mit -hintergründiger Ironie und überlegenem Humor behandelt, die Schicksale nicht zu Ende geführt und nur angedeutet, so dass immer die Hoffnung auf einen neuen Anfang durchscheint.
Zurück zum Anfang


Miracolo a Milano (Itatien) (Das Wunder von Mailand)
Produktion: ENIC-de Sica (1950)
Regie: Vittorio de Sica
Buch: Cesare Zavattini; Vittorio de Sica; Cecchi d'Amico; Mario Chiari nach dem Roman "Toto il Buono" (Toto, der Gute) von C. Zavattini
Kamera: Aldo Graziati
Musik: Alessandro Cicognini
Darsteller: Francesco Golisano; Emma Grammatica; Guglielmo Barnabo; Alba Arnova; Paolo Stoppa; Brunella Bovo; Anna Carena
Mit diesem Film gelang de Sica ein Kunstwerk, das Witz und Satire mit märchenhafter Poesie und lebenswahrer Realistik verbindet. Politisch tendenzlos hat ihn der Regisseur mit dem ihm eigenen sozialen Verantwortungsbewusstsein geschaffen, es stösst der Schöpfer des neorealistischen Films in eine Welt des Legendären, Romantischen, des Illusionären und Absurden. Damit beschreitet er einen neuen Weg, der über den italienischen Neoverismus hinausgeht, einen Weg in das halb Realistische, halb Phantastische, der sich vom Rationalen abwendet. Der Film spielt in zwei Bildebenen: der der Realität, der harten Wirklichkeit der Bretterbuden und Blechhütten, und der des Irrealen, des Märchens; er ist realistisch in der Darstellung des Elends der Obdachlosen, ihrer Habgier und primitiven Wünsche, er ist idealistisch in der Darstellung der Nächstenliebe. Unter souveräner Benutzung auch aller filmischer Mittel ist der Versuch gelungen, in diesen zwei Ebenen ihre innere Einheit deutlich und glaubwürdig zu machen. Eine Fülle von Einfällen, Bildern und Stimmungen geben dem Film eine Lebendigkeit und Ausdrucksfähigkeit, die selten erreicht wurde.

Grand Prix der internationalen Filmfestspiele Cannes 1951, dazu grosser Preis der internationalen Kritiker.
Preis der New Yorker Filmkritiker für den besten ausländischen Film 1951.
Zurück zum Anfang


The Million Pound Note (England) (Sein grösster Bluff)
Produktion: John Bryan (1953)
Regie: Ronald Neame
Buch: Jill Craigie nach einer Kurzgeschichte von Mark Twain
Kamera: Geoffrey Unsworth
Musik: William Alwyn
Darsteller: Gregory Peck; Joyce Grenfell; Jane Griffiths; Maurice Denham; Ronald Squire; Bryan Forbes; Wilfried Hyde White; E. A. Matthews
Zwei reiche britische Sonderlinge stürzen einen pennylosen Vagabunden in seltsame Abenteuer. Auf Grund einer "Wette übergeben sie ihm eine Banknote über eine Million Pfund, von der der eine behauptet, sie sei nutzlos für einen armen Mann, und von der der andere behauptet, allein durch ihren Besitz schon könne man königlich leben, ohne den Schein in kleinere Geldsorten zu wechseln. Obwohl niemals Noten in diesem Wert im Verkehr waren - die Bank von England besass vor sechzig Jahren einige wenige Banknoten in dieser Höhe zum internen Verrechnungsverkehr - zeigt sich in kritischer Ironie alsbald die Allmacht des Geldes. Dem vermeintlichen Millionär öffnen sich Tür und Tor, ein Gag jagt den anderen, trocken witzig und fortwährend komisch tänzelt die ganze Geschichte ihrer Katastrophe entgegen. Ein Spassvogel versteckt die Banknote, und die Situation ändert sich schlagartig. Wer dem Millionär vorher um den Bart strich, geht nun wild auf ihn los. Die Gläubiger drängen, die Börse verwandelt sich in eine Revolutionsszene, und die gierige menschliche Natur offenbart sich in ihrer ganzen Blösse. Doch die Note wird rechtzeitig für ein segensreiches Ende wieder gefunden, die Aktien an der Börse steigen, und die Gläubiger stellen ihr Drängen als Irrtum hin. Der arme Millionär aber ist durch Spekulationen ein wohlhabender Mann geworden und gibt die unangetastete Banknote zurück. Die schwungvolle Regie von Ronald Neame hat aus diesem Stoff ein Lustspiel gemacht, das mit seinen immer neuen Überraschungen zu den humorvollsten gehört, die wir von der englischen Produktion gesehen haben.
Zurück zum Anfang


II cammino della speranza (Italien) (Weg der Hoffnung)
Produktion: Lux-Film (1951)
Regie: Pietro Germi
Buch: Pietro Germi; Frederico Fellini; Tullio Pinelli
Kamera: Leonida Barboni
Musik: Carlo Rustichelli
Darsteller: Raf Vallone; Franco Navarra; Elena Varzi; Saro Urzi; Saro Arcidiacono; Liliana Lattanzi
Dieser Film zeichnet in harter Realistik die dramatische Geschichte einer Gruppe sizilianischer Arbeiter, die mit ihren Familien durch Italien nach Frankreich wandern in der Hoffnung, dort eine neue Heimat und Existenz zu finden. In Rom verschwindet ihr Führer mit dem Geld, das sie sich durch den Verkauf ihrer Habseligkeiten beschafften. Dennoch setzen sie den Weg zur fernen Grenze fort, wo die Grenzwächter beider Nationen die unbarmherzigen Gesetze für kurze Zeit vergessen. Das Drehbuch ist ganz und gar optisch angelegt. Das Schicksal der Entrechteten im Kampfe mit den Mächten der modernen Welt wird vom Spiel, von der Kamera und vom Dialoge her in gleicher Weise packend gezeigt. Dem Stil des Neoverismus ist es gelungen, die versöhnende Kraft echter Menschlichkeit spüren zu lassen, ohne in sozialkritischen Anklagen zu eifern.
Auszeichnungen:
Grand Prix der internationalen Filmfestspiele Cannes 1951
Preis des besten ausländischen Films in Belgien 1951
Preis der Bundesrepublik für den Film, der besonders überzeugend für den europäischen Gedanken eintritt, 1952
Silbernes Band der italienischen Kritiker 1951
Prix Roma des Films 1951
Preis auf den Filmfestspielen in Karlsbad 1951
Silberner Bär auf der Berlinale in Berlin 1951
Selznik-Preis auf der Bienale in Venedig 1951
Zurück zum Anfang


Altri Tempi (Italien) (Andere Zeiten)
Produktion: Cines (1952)
Regie: Alessandro Blasetti
Buch: Alessandro Blasetti; Vitaliano Brancati; Suso Cecchi d' Amico und 10 weitere Autoren
Kamera: Gabor Pogany und Carlo Montuori
Musik: Alessandro Cicognini
Darsteller: Der Antiquar: Aldo Fabrici; Der Liebhaber: Andrea Cecchi; Die Frau: Alba Arnova; Die beiden Bauern: Foa und Folco Lulli; Die Mutter: Rina Morelli; Der Vater: Paolo Sfoppa; Guido: Maurizio di Nardo; Filii: Geraldina Parriniello; Er: Amedeo Nazzari; Sie: Elisa Cegani; Der Andere: Roldano Lupi; Die Flitterwöchner: Barbara Florian und Elio Pandolfi; Maria-Anfonia: Gina Lollobrigida; Der Anwalt: Vittorio de Sica;
Sechs verschiedenartige Geschichten zeichnen jene änderen Zeiten" als eine Epoche, deren Lebensstil und Probleme uns heute mit einer heiteren Wehmut und Besinnlichkeit erfüllen. Man streitet mit sich selbst, welche der italienischen Autoren des vorigen Jahrhunderts nacherzählten Episoden eigentlich die netteste war und bewundert immer wieder das Geschick, mit dem die Autoren und der Regisseur in wenigen Minuten zum Kern dessen gelangen, was sie uns zu sagen haben. Die Sorgfalt Alessandro Blasettis und die schauspielerischen Leistungen der besten italienischen Darsteller haben diesen Film mit Recht zu einem der besten italienischer Produktion gemacht.
Zurück zum Anfang


Umberto D (Italien)
Produktion: Rizzoli-de Sica-Amato (1951)
Regie: Vittorio de Sica
Buch: Cesare Zavattini
Kamera: C.R.Aldo
Musik:. Alessandro Cicognini
Darsteller: Carlo Battisti; Lina Gennari; Maria Pia Casilio
Mit dem Film "Sciuscia" haben de Sica und Zavattini einen Welterfolg errungen, mit "Fahrraddiebe" ihren formal perfektesten Film realisiert, in "Wunder von Mailand" mit neuen Erkenntnissen die alte Kunst des Illusionierens demonstriert, und mit Ümberto D" haben sie ihren mutigsten und vollendetsten Film geschaffen. Der klar und bescheiden angelegte Film ist durch und durch revolutionär und das Meisterwerk, ein Kunstwerk schlechthin. Das bittere Schicksal eines alten Pensionärs, der niemandem mehr etwas nützt und mit seinem Geld nicht mehr auskommt und deshalb Selbstmord begehen will, ist ein erschütternder Vorwurf gegen die menschliche Lieblosigkeit. Der Vorwurf, aus dem eine flammende Anklage gegen soziale Ungerechtigkeiten hätte gemacht werden können, ist durch einen leisen und herzlichen Humor gemildert, so dass eine echte menschliche Tragödie ohne Bitterkeit und Verbitterung, ohne einen falschen Ton entstanden ist. Aus Liebe zu seinem Hund gibt Umberto den Plan des Selbstmordes auf. Wahrheit und Wirklichkeit der Kamera lassen das Leben mit diesem Film zu einem Schauspiel werden, in dem selbst das kleinste Detail nicht vergessen ist, dass es uns wie in einem Spiegel als Poesie erscheint, die spärliche Anwendung filmischer Mittel hat die innere Harmonie erhalten und dem Film den gleichen menschlichen und filmkünstlerischen Wert gegeben.
Zurück zum Anfang


Napoli Milionaria (Italien) (Millionenstadt Neapel)
Produktion: Dino de Laurentiis (1949)
Regie: Eduardo de Filippo
Buch: Eduardo de Filippo; Piero Tellini; Arduino Majura
Kamera: Aldo Tonti
Musik: Nino Rofa
Darsteller: Eduardo de Filippo; Delia Scala; Toto; Gianni Glori; Leda Gloria; Carlo Ninchi; Titina de Filippo; Mario Soldati
Eduardo de Filippo, der in zahllosen Filmen ständig wachsenden Erfolg gehabt hat, demonstriert mit diesem Film das Leben in einer Stadt über zehn Jahre. Wie in einem Tagebuch erfahren wir, wie es den Bewohnern von 1940 bis 1950 ergangen ist. In ihren engen, schmutzigen und übelriechenden Gassen zusammengepfercht, bringt sie der Krieg menschlich einander näher, aber bald stellt sich der Egoismus des einzelnen in den turbulenten Nachkriegsjahren wieder ein. Doch das Leben in den kleinen Gassen hat sich kaum verändert, nur die Gesichtspunkte haben sich vielleicht verschoben. In einigen Szenen erreicht der Regisseur eine eindringliche Dichte der Gestaltungskraft, die Häuser, die zwischen den Fenstern zum Trocknen aufgehängte Wäsche, das Geschrei und Spiel der Kinder, und das ganze Leben überhaupt, sind von dokumentarischer Realität. Die Übergänge von Atelier- zu Aussenaufnahmen sind für den Zuschauer so unwesentlich wie bei den Filmen Chaplins, in denen reale und gebaute Dekorationen unbekümmert abwechseln.
Zurück zum Anfang


The Bishop's Wife (USA (Jede Frau braucht einen Engel)
Produktion: Samuel Goldwyn (1947)
Regie: Henry Koster
Buch: Robert E. Sherword und Leonardo Bercovici nach dem Roman "The Bishop's Wife von Robert Nathan
Kamera: Gregg Toland
Musik: Hugo Friedhofer
Darsteller: Cary Grant; Monty Woolley; Loretfa Young; James Gleason; David Niven; Gladys Cooper
Unsere Drehbuchautoren haben schon oft Engel und Herren von einem anderen Stern auf unsere Erde bemüht und sie mit Zuständen konfrontiert, die den Betroffenen gar nicht "himmlisch" vorkamen. So geschieht es auch in dem Buch des amerikanischen Autors, das in Deutschland unter dem Titel "Die Frau des Bischofs" erschienen ist. Ein junger Geistlicher wird unerwartet zum Dekan ernannt und von der Stunde an kennt er nur noch einen Ehrgeiz, der sich zur Besessenheit steigert: er will eine Kathedrale bauen. Darüber wachsen ihm seine Aufgaben über den Kopf, und er bittet den Himmel, ihm zu helfen. Prompt trifft ein junger Mann ein, der behauptet, er sei der Abgesandte von droben. Nun lösen sich im Handumdrehen die Knoten und Verwirrungen, aber ganz neue Verwicklungen treten auf, als sich der "Engel" um die privaten Sorgen seines Schutzbefohlenen zu bekümmern beginnt, um den verlotterten Haushalt, um das Töchterchen und, was das Schlimmste ist, um die junge Frau des Herrn Dekan. Den aber packt wegen seiner wilden Eifersucht ein Zwiespalt zwischen gläubigem Vertrauen und verständlichem irdischen Ärger. Henry Kosters Regie hat es verstanden, den Zauber und Charme dieses Buches so im Bild zu erhalten, dass aus der Geschichte von dem Engel auf der Erde kleine Blasphemie geworden ist, sondern eine phantasievolle und fast poetische Geschichte und auf jeden Fall eine sehr menschliche Geschichte.

Henry Koster ist gebürtiger Berliner und begann seine Laufbahn als Maler und Karikaturist, dann fand er den Weg zum Journalismus und zur Filmkritik. Für die UFA, Terra und Universal schrieb er 51 Drehbücher. Über französische und italienische Ateliers kam er 1936 nach Hollywood und schuf dort eine Reihe von Filmen, die ihn zu einem gesuchten und erfolgreichen Regisseur machten.
Zurück zum Anfang


Sciuscia (Italien) (Schuschia)
Produktion: U.N.I.C. Alfa Paola - William Tamburella (1946)
Regie: Vittorio de Sica
Buch: Cesare Zavattini; Vittorio de Sica
Kamera: Anchise Brizzi; Elio Paccara
Musik: Alessandro Cigognini
Darsteller: Franco Interlenghi; Anielo Mele; Rinaldo Smordoni; Maria Ciampi; Emilio Cigoli
Der Film um die römischen Schuhputzerjungen begründete den Welterfolg von de Sica und Zavattini, ein Meilenstein in einer Entwicklung, der bereits sieben Filme vorausgingen. Mit seiner gut gelungenen Synthese von Spielfilm und Dokumentarfilm bildet er ein Zeitdokument einer Nachkriegsjugend, die auf der Strasse heranwächst, die in dunklen Winkeln ihre Schwarzmarktgeschäfte abwickelt und durch deren Hände selbstverständlich Tausende von Lires und Dollars gleiten. Gewisse sogenannte "realistische" Filme haben bewiesen, dass es nicht genügt, auf der Strasse zu drehen und auf die Leinwand möglichst viele schmutzige Details zu bringen, um ein realistisches Glaubensbekenntnis abzulegen. Das Leben ist nicht nur Hässlichkeit und auch nicht nur Schönheit, sondern aus beidem zusammengesetzt. Die Kunst de Sicas besteht darin, diese Komplexität in wahrhaftigen Bildern zu illustrieren und dem Detail seine genaue Bedeutung zu bewahren, indem er es in die soziale Beziehung stellt, die ihm zukommt. Deshalb wirkt der Film nicht als erschütternde Tragik, denn es ist ja auch die Jugend, die mit dem angeborenen Charme und der unnachahmlichen Grazie südlichen Temperaments zu spielen versteht, die Ideale und Gefühle kennt, nämlich Treue, Kameradschaftlichkeit und Freundschaft.

Auszeichnungen :
Silberband der italienischen Kritik für den besten Film 1946.
Oskar für den besten ausländischen Film 1947.
Zurück zum Anfang


Call me Madam (USA) (Madame macht Geschichten)
Produktion: 201h Century Fox Film Corporation (1952)
Regie: Walter Lang
Buch: Arthur Sheekman nach dem musikalischen Lustspiel "Call me Madam"
Kamera: Leon Shamroy
Musik: Irving Berlin
Darsteller: Ethel Merman; Donald O'Connor; Vera Ellen; George Sanders
Wenn eine Amerikanerin mit einer grossartigen Begabung für rauschende Feste und totaler Unkenntnis der diplomatischen Gepflogenheiten und einer Verachtung für jede Zeremonie zur US-Botschafterin in einem kleinen europäischen Grossherzogtum ernannt wird, so kann man ungefähr ermessen, was sich in diesem Film an heiteren Zwischenfällen ereignet. Im Kreise goldbestickter würdevoller Staatsmänner tanzt sie beim Hofball Boogie-Woogie und vollbringt ganz erstaunliche Geschichten: sie verliebt sich in den charmanten Aussenminister und wirft ihm Millionendollarkredite nach, die er gar nicht haben will. Schliesslich verliebt sich ihr Presseattache in die Thronfolgerin. Da helfen auch die guten Beziehungen zu dem Präsidenten nichts mehr, die charmante Botschafterin muss abberufen werden. Aber bei dem ersten Empfang in Washington erscheint als Botschafter des Grossherzogtums der frühere Aussenminister und bringt zwecks Eheschliessung mit dem Presseattache die Thronfolgerin gleich mit. Diese amüsante Geschichte zeugt von einem beachtenswerten Mut zur Selbstkritik der Amerikaner, indem sie im Rahmen der satirischen Handlung gewisse Gepflogenheiten ihrer Europapolitik ironisch belächeln. Schwung, Rhythmus und Heiterkeit stellen diesen Film in die erste Reihe der Tanz- und Lustspielfilme, die über den grossen Teich zu uns gekommen sind.
Zurück zum Anfang


II Christo proibito (Italien) (Der verbotene Christus)
Produktion: Excelsa-Film (1951)
Regie: Curzio Malaparte
Buch: Curzio Malaparte
Kamera: Gabor Pogany
Musik: Curzio Malaparte
Darsteller: Raf Vallone; Alain Cuni; Elena Varzi; Gina Cervi; Rina Morelli
Dieser viel umstrittene und viel diskutierte Film um den Erlösertod, dessen Titel allein schon Fragen offen lässt, packt den Beschauer, und neoveristische Einzeldarstellungen vermitteln echte Erschütterung, ein ungewöhnlicher Film im Thema, ein aussergewöhnlicher Film in der Ausführung. Kamera und Handlung reissen alles Unheil des Krieges auf. Einem italienischen Russlandheimkehrer, der erst zu Beginn des Koreakrieges (1951) in seine Heimat zurückkommt, will niemand im Dorfe sagen, wer seinen Bruder, der als Partisan erschossen wurde, verraten hat. Um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und einen Mord zu verhindern, opfert sich der von den Einwohnern fast als Heiliger verehrte Meister Antonio. Das Opfer ist stark genug, um den wütenden Heimkehrer auf seine Rache verzichten zu lassen. Das in der Verzweiflung am Ende des Filmes hinausgeschriene "Warum?" ist symptomatisch für die Stellungnahme Malapartes zur materiellen und geistigen Situation unserer Zeit, die Stellungnahme eines Künstlers, der in umstrittenen Handlungen ein gewisses Geschick bewiesen hat, seine Existenz durch das Chaos unseres Jahrhunderts zu retten.
Zurück zum Anfang


Ladri di biciclette (Italien) (Fahrraddiebe)
Produktion: P.D.S. (1948)
Regie: Vittorio de Sica
Buch: Cesare Zavattini
Kamera: Carlo Montuori
Musik: Alessandro Cicognini
Darsteller: Lamberto Maggiorani; Enzo Staiola; Llianelle Carell
Die Meisterleistung des Regisseurs de Sica liegt zweifelsohne darin, aus einem Stoff im Umfange einer kurzen Zeitungsnotiz ein Zeit- und Stildokument geschaffen zu haben, das in keiner Szene an Intensität des Erzählens und an menschlicher Tiefe nachlässt. Die Hilflosigkeit und Verlorenheit eines Verzweifelten in der Erbarmungslosigkeit seiner Umwelt ist erschütternd dargestellt worden, nicht aber zur Schilderung des Elends, sondern als Ruf an den Menschen und seinen guten Willen. "Die letzte Szene des Films, in der der Junge seine Hand in die des völlig gebrochenen Vaters legt, ist vielleicht das stärkste filmische Erlebnis seit Charlie Chaplins und Jackie Coogans ,The Kid' vor dreissig Jahren" schreibt dazu die New-Yorker Wochenzeitung "Life". Man kann die Bedeutung dieser Worte nur ermessen, wenn man weiss, dass die amerikanische Kritik in der Beurteilung von ausländischen Filmen sehr zurückhaltend zu sein pflegt. Die Richtigkeit beweist die Tatsache, dass "Fahrraddiebe" in New York ein volles Jahr gezeigt wurde; ein Münchener Filmtheaterbesitzer sagte: "Das ist der schlechteste Film, den ich jemals sah."

Auszeichnungen:
Grand Prix auf dem 2. Festival Mondial du Film et des Beaux-Arts de Belgique im Knokke-le-Zout 1949.
Prix de Problemes humains et actuels auf den Filmfestspielen in Locarno 1949.
Oskar und Preis der New Yorker Filmkritiker für den besten ausländischen Film 1949.
Zurück zum Anfang