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Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 24, März-Juli 1958

Inhalt
Orson Welles
Definitionen
Vor der Sintflut (Avant le Deluge)
Staatsgeheimnis (State Secret)
Die Teuflichen (Les Diaboliques)
Hafengasse 5 (Le Garcon Sauvage)
Le Café du Cadran
Halleluya (Hallelujah)
Herr Satan persönlich (Confidential Report / Mr. Arkadin)
Die Erbin (The Heiress)
Die Lady von Shanghai (The Lady from Shanghai)
Bei Anruf Mord (Dial M for Murder)
Citizen Kane


Orson Welles ist ein Riese mit dem Gesicht eines Kindes, ein Baum, voll von Vögeln und Schatten, ein Hund, der sich von der Kette losgerissen hat und in einem Blumenbeet schlafen gegangen ist. Er ist ein aktiver Faulenzer, ein weiser Irrer ein Einsamer, umflutet von Menschlichkeit.       Jean Cocteau

Hollywood is a gold-plated suburb suitable for golfers, gardeners, assorted middlemen and contented movie stars. I am none of these things       Orson Welles


Ein Orson Welles ist genug. Zwei würden unzweifelhaft das Ende der Zivilisation bringen.       Richard Wright


Orson Welles Porträt eines Regisseurs

Jeder Mensch hat seine schwachen und starken Seiten. Bei einigen Menschen, man nennt sie wohl Genies, quillt aus der schwächsten Stelle eine unbändige Kraft, die es möglich macht, Kunstwerke zu schaffen.

Orson Welles' schwächste Stelle ist zweifellos seine manische Effekthascherei. Er kann es nicht mitansehen, wie etwas "normal", d. h. in althergebrachten Geleisen, abläuft; immer wird er seine Konzeption so wählen, dass die Blickwinkel verzerrt sind und das Geschehen sich so abwickelt, wie man es sich nicht hafte träumen lassen. Man ist verblüfft und zollt dem Magier Bewunderung. Wenn diese Perlenkette der Effekte zu Ende ist müsste man meinen die Wirkung sei auch vorüber. Bei Welles ist es nicht so. Man beschäftigt sich noch lange nachher mit diesem Zerrbild, das bei Reflexion immer mehr Wahrheit enthält als die verlogene Wirklichkeit. Seine Konsequenz, die Dinge so zu sehen und nicht, wie "man es tun soll", lässt sein Werk am Ende nicht als eine Spielerei um des Effektes willen erscheinen, sondern als eine mutige Interpretation einer Welt, die lügen muss.

Warum, so könnte man fragen, ist er dann so oft unterlegen gewesen, wenn er doch die wirksamsten Mittel für einen Kampf wie kein zweiter zu handhaben wusste; vielleicht fehlte ihm eins: Humor.

Etwas, das die Legende, die sich um ihn rankt, in reichem Mass anwendet, um ihn zu charakterisieren. Wenn in den Studios jemand fragt, wer denn dieser Orson Welles eigentlich sei, dann erzählt man folgende Geschichte: Eines Tages kam Welles in eine kleine amerikanische Stadt um einen Vortrag zu halten. Unglücklicherweise während eines schweren Gewitters. So fand er sich nur einer Handvoll Zuhörer gegenüber und kein Mensch war da, der ihn vorstellte. So stellte sich Welles selbst vor. "Ladies and Gentlemen", begann er, "ich werde euch zuerst etwas von mir erzählen. Ich produziere Stücke am Broadway. Ich führe Regie und trete in diesen Stücken auf. Ich schreibe Drehbücher, bin Filmregisseur und spiele in meinen und anderen Filmen mit. Ich schreibe Stücke fürs Radio, bin dort mein eigener Regisseur und spreche auch die Rollen. Ich kann Geige spielen und ebenfalls Klavier. Ich male, schreibe Leitartikel in Tageszeitungen und gebe Bücher heraus. Ich schreibe Novellen und bin ein Magier."

Und hier machte Welles eine Pause und fasste sein Publikum ins Auge: "Ist es nicht merkwürdig, dass so viele von mir da sind - und nur so wenige von euch?"

Kindheit in Chicago und Gate Theatre in Dublin

Man schrieb den 6. Mai 1915. Ein Tornado suchte die kleine Stadt Kenosha im Staat Wisconsin, USA, heim. Der Tornado wurde George Orson Welles genannt.

Sein Vater war ein solider Fabrikbesitzer, der einen Teil seines Geldes in Hotels angelegt hatte, und seine Mutter eine bekannte Pianistin. Als Orson zehn Jahre alt war, bekam er seine erste Schlagzeile in der Presse: "Karikaturist, Schauspieler, Dichter und erst - zehn", schrieb ein Blatt der Provinz. In Zukunft sollte er noch sehr oft in den Headlines der grössten Zeitungen auftauchen. Orson war ein Wunderkind. Er hatte in den Jahren, in denen sich normale Kinder noch mit Bauklötzen spielen, bereits ein grosses Allgemeinwissen in der Literatur, und die Psychologen begannen sich intensiv mit ihm zu beschäftigen. Sie machten dutzendweise Tests und waren jedesmal entzückt von den schlagfertigen und von grosser Intelligenz zeugenden Antworten. Z. B. wurde er einmal gefragt, was ihm zuerst in den Sinn komme, wenn er das Wort Teddybär höre. Die Antwort war: "Oscar Wildes Epigramm: Ein Zyniker kennt den Preis von allem und den Wert von nichts!" Zu jeder bedeutenden Party in der Umgebung von Chicago lud man ihn ein, denn er war für die alten Damen ein interessantes Spielzeug und half auf eine originelle Weise die Langeweile solcher Veranstaltungen zu zerstreuen.

Mit 3 Jahren wurde er von seinem Mentor, Dr. Bernstein, dem er später in CITIZEN KANE ein schönes Denkmal setzen sollte, dem Meister der magischen Kunst, Houdini, vorgestellt, der Orson einige kleine Tricks beibrachte. Der Junge geriet darüber so in Begeisterung, dass er innerhalb weniger Wochen unter Anleitung ein perfekter Magier wurde und während des Krieges Hunderte von Magic Shows für Soldaten gab. Ebenso war es mit Karikaturen. Nach anfänglichem Misserfolg übte er täglich mit verbissenem Eifer, bis er es nach einiger Zeit zu einer Meisterschaft gebracht hatte, die mancher Zeichner in Jahren nicht erreichte. Kaum hatte er mit 5 Jahren Lesen und Schreiben gelernt, musste ihm sein Vater eine Schreibmaschine kaufen. Mit ihr verfasste er glänzend konstruierte Kurzgeschichten. Mit acht Jahren schrieb er eine "Geschichte des Dramas", die sich durch eine erstaunliche Anreicherung von Wissen und scharfsinnige Analysen auszeichnete. Mit neun Jahren kam er zum erstenmal mit dem Theater in Berührung; er spielte den König Lear in einer Aufführung, die er in seinem Garten arrangierte. Er erzählte später ganz ernsthaft, dass dies seine stärkste Gestaltung einer Rolle gewesen sei.

Orson übertrug seine Phantasie ins tägliche Leben; er ging sogar so weit, sich in einem Restaurant als Sohn irgendeiner stadtbekannten Persönlichkeit auszugeben, ausgiebig zu Mittag zu essen und mit der lakonischen Bemerkung: "Wenn mein Vater vorbeikommt, zahlt er!" freundlich grüssend das Lokal zu verlassen. In der einzigen Schule, die er je besuchte, "The Todd's School", kritisierte er als erstes die Art, wie man den Schülern Shakespeare nahezubringen versuchte. Als man ihm verbot, seine Thesen in Vorträgen zu vertreten, schrieb er ein Pamphlet, das ihm später als Basis für sein grundlegendes Werk "Everybody's Shakespeare" dienen sollte. Als die Chicagoer Theatre Guild einen Preis für die beste Aufführung eines Schülertheaters ausschrieb, inszenierte er "Julius Caesar". Er spielte die Rollen von Marc Anton und Cassius selbst. Obwohl er nicht - wie erwartet - den ersten Preis erhielt (er hatte Berufsschauspieler engagiert), erregte die Aufführung grosses Aufsehen. Viele Leute prophezeiten ihm eine grosse Zukunft beim Theater und rieten dringend zu einer Ausbildung. Aber Dr. Bernstein, nach dem Tode beider Eltern Vormund und Erzieher, untersagte ihm, sich wie üblich einem Sommertheater anzuschliessen; er solle lieber nach Paris gehen und die europäischen Theater studieren. Orson aber hatte keine Lust und wollte nach Irland.

So kam es, dass er 1932, also mit 16 Jahren, auf einem gemieteten Eselskarren durch Irland gen Dublin ritt und dort, fasziniert von einer "Peer-Gynt"-Aufführung des Gate Theatre, den Intendanten bat, in irgendeinem Stück mitspielen zu dürfen. Hilton gab ihm "Jud Süss" und bat ihn, die Rolle des Duke zu lesen. Orson protestierte, er wolle eine richtige Rolle, vielleicht den Jud Süss. Hilton lachte und wollte gehen. Orson bat ihn, zu bleiben; für den Anfang ginge es ja. Und dann begann er zu lesen und die Rolle aus dem Stegreif zu gestalten. Zwar mit allen Fehlern eines Anfängers ohne Erfahrung, aber mit einem Temperament und einem erstaunlichen Einfühlungsvermögen. Er bekam die Rolle und auch noch weitere. Bald wurde die Presse auf ihn aufmerksam, und als er sich genügend berühmt glaubte, bewarb er sich an Londoner Bühnen. Wegen seines "Alters" erhielt er aber keine Arbeitserlaubnis. Gekränkt verliess er England und kehrte in die USA zurück.

Mercury Theatre und CBS

In New York glaubte er auch mit Tricks und Frechheit weiterzukommen, aber im Umgang mit den hartgesottenen Theateragenten war sein Latein bald zu Ende. Er bekam keine Stelle als Schauspieler. So ging er daran, Szenenanweisungen für Shakespear-Stücke zu schreiben und sie mit unzähligen Bühnenbildern und Szenendarstellungen zu illustrieren. Weiter gab er einige Bücher heraus, das bekannteste "Everybody's Shakespeare", das eine hohe Auflage hatte. Aber es zog ihn magisch zum Theater zurück. 1933 organisierte er die Festspiele an der High School in Woodstock und brachte Hamlet heraus; er selbst in der Rolle des Königs. Ein Jahr später glückte ihm endlich der Sprung an den Broadway und er ging mit auf Tournee. Er erhielt bei Katherine Cornell eine kleine Rolle in "Romeo und Julia". Aber er spielte sich schnell in den Vordergrund, und um seinen Ideen Gestalt zu geben, gründete er mit John Houseman "The Federal Theatre", eine Theatergruppe, die im Anfang vom Staat unterstützt wurde. Seine erste Inszenierung, unter grossen finanziellen Schwierigkeiten geboren, war "Macbeth"; alle Darsteller waren Neger. Damit schuf er am Broadway Gesprächsstoff für eine ganze Saison. Er wurde rasch als Producer populär und scharte eine Anzahl begabter aber unbekannter Schauspieler um sich. Im Laufe der Zeit entwickelten sie unter seiner Leitung einen ganz eigenartigen individuellen Stil, der im Verein mit neuartigen Beleuchtungsmethoden und Kulissen revolutionierend für das amerikanische Theater wurde. Dennoch war das Theater 1937 kurz vor dem Pleitemachen. Aber ein "Engel", ein echter Mäzen, stellte sich zur rechten Zeit mit einer Menge Geld ein und half ein unabhängiges Theater zu gründen, das "Mercury Theater". Die Premiere war "Julius Caesar": Regie Welles und Houseman. Ohne Bühnenbild, nur verschiedenartige Plattformen vor der nichtdekorierten Rückwand aus Ziegelsteinen und die Schauspieler in Strassenanzügen. Kein Mensch wusste, wie das Experiment ausgehen würde, aber wieder zollte das New Yorker Publikum enthusiastischen Beifall. Drei Jahre hielt er sich mit überdurchschnittlichen Leistungen, dann musste er schliessen. Innerhalb dieser Zeit hatte er Theatergeschichte gemacht. Schon lange vorher hatte er es fertig gebracht, sein ganzes Ensemble an der CBS-Radio-Station zu engagieren. Hier erhielt er als gefeierter Broadway-Star alle Freiheiten in bezug auf Produktion, Sendezeit etc. Ein wöchentlich regelmässiges Programm kam unter dem Namen "The Mercury Theatre on the Air" heraus. Und hier tobte sich Welles nach Herzenslust aus. Das tollste Stück aber leistete er sich am 31. Oktober 1938. In allen Zeitungen Amerikas war er am nächsten Tag in der Schlagzeile: "Radio War Terrorizes USA"; "Orson Scares America". Es handelte sich um eine von Orson Welles dramatisierte und produzierte Fassung von H. G. Wells "Krieg der Welten". Er liess, um die ganze Sache effektvoller zu gestalten, die Marsmänner in Manhattan landen und brachte es durch angebliche Original-Reportagen von Augenzeugen und "offizielle" Beruhigungshinweise aus Washington fertig, dass Millionen von Rundfunkhörern den Vorspann, in dem es ausdrücklich hiess, dass es eine Adaption eines Romans sei, vollkommen vergassen und glaubten, sie lauschten einer Originalreportage. Eine Panik ohnegleichen ergriff die Vereinigten Staaten. Viele flüchteten mit ihren Habseligkeiten aufs Land, einige begingen Selbstmord, andere erlitten Schocks und Verletzungen bei Paniken in Restaurants, viele nutzten die Verwirrung zu Plünderungen und Diebstählen. Seine Mitarbeiter selbst stellten fest, dass er zu weit gegangen war. Die Anwaltskosten, die das Studio aufwenden musste, um den Ansprüchen entgegenzutreten, gingen in die Hunderttausende.

Sobald sich allerdings der Schrecken gelegt hatte, war Welles der berühmteste junge Mann in Amerika, und Millionen lauschten gebannt seinen Rundfunksendungen. Und es dauerte nicht lange, wie konnte es auch anders sein, da interessierte sich der Film für ihn. Zuerst mochte er nicht recht anbeissen, Film, was war das schon. Aber Freunde rieten ihm, anzunehmen, vor allem könne er dort leicht so viel Geld verdienen, dass er eine recht avantgardistische Inszenierung am Broadway finanzieren könne. Dies gedachte er auch zu tun, weiter nichts. Er wollte sechs Monate in Hollywood bleiben, aber es wurden - sechs Jahre daraus.

Hollywood und Citizen Kane (Besprechung des Films ) 1940 unterzeichnete er einen 63seitigen Kontrakt, den er Wort für Wort studiert hatte, mit den RKO Radio Pictures. Es war ein unglaublicher Vertrag, wie er zwischen einem Künstler und einer Gesellschaft vielleicht einmal in 50 Jahren abgeschlossen wird. Orson hatte völlige Freiheit als Producer, Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler. Kein Mensch, selbst nicht die obersten Filmbosse, konnte ihm Vorschriften machen. Kein Mensch konnte den Film vor seiner Fertigstellung sehen, ja selbst den fertigen Film konnte er zurückhalten, bis ihm der Moment des Einsatzes günstig erschien. Dieser Vertrag, der Welles viele Neider einbrachte, war das Werk des Präsidenten der RKO, George Schaefer, einem intelligenten und ambitionierten Mann, der spürte, dass Hollywood neues Blut brauchte, evtl. sogar einen Schock. Welles setzte sich sofort hin und begann das Buch zu dem ersten Film HEART OF THE DARKNESS. Doch der Ausbruch des Krieges, der Hollywood grosse Teile des Auslandsmarktes gekostet hatte, machte diesen Plan zunichte. Einen Termin konnte Welles lt. Vertrag nicht selber machen, den Drehbeginn. Und so setzte man ihn auf die Warteliste. Entwurf auf Entwurf wanderte in den Papierkorb, Orson verlor beinahe die Geduld, ebenso seine Schauspieler, das gesamte Mercury-Ensemble, das auf seinen Rat auch von RKO unter Vertrag genommen worden war. Sie begannen, nach lukrativen Angeboten Ausschau zu halten. Aber last not least wurde ein Drehbuch, das Welles mit Mankiewicz geschrieben hatte, akzeptiert: Citizen Kane. Als die erste Klappe fiel, sah man, dass Welles während dieser Zeit nicht gefaulenzt hatte. Er hatte sich Hunderte von Filmen der verschiedensten Epochen angesehen, hatte tagelang mit Toningenieuren diskutiert und vor allem Kameraleute zur hellen Verzweiflung gebracht, weil er stundenlang die Linsen auswechseln liess, um die Effekte der verschiedenen Brennweiten zu studieren. Er entdeckte die Tiefenschärfe beim Weitwinkelobjektiv für den Film und führte sie ins Studio ein. Ebenso brachte er seine den Broadway revolutionierende Beleuchtungsmethode mit ins Studio. Keine Heiligenscheinbeleuchtung (Lichtkranz um das Haar), sondern Schlaglichtbeleuchtung. Ebenso entwickelte er neue Arten der Tonübergänge.

Obwohl niemand ausser seinen Mitarbeitern den Film während der Dreharbeiten gesehen hatte, sickerte es doch nach aussen durch, dass er ein Porträt war; ähnlich dem Schicksal des Zeitungskönigs Hearst. Hearst schickte Kundschafter aus, die ihm dies bestätigten. Und nun startete er eine grosse Kampagne gegen diesen Film, lange bevor er fertig war. Vielleicht auch gegen das Wunderkind Orson Welles, das er nicht leiden konnte. Und doch war es falsch von Hearst, denn er trieb kostenlose Werbung für den Film, in Höhe von ungefähr 40000 Dollar. Der Film war bereits populär, ehe er zum erstenmal gelaufen war. CITIZEN KANE war ein epochemachender Film, es gibt kaum ein anderes Werk, das in solcher der Realität adäquaten und kinematografisch effektvollen Sequenzen gestaltet wurde. Das Drehbuch ist ein Meisterwerk seiner Art. 156 Seiten geben 119 Minuten Film, und in dieser Zeit wird das Leben eines Mannes von der Kindheit bis zum Tod optisch vermittelt, meist gesehen mit den Augen von Menschen, die Kane während seines Lebens kennengelernt hatten. CITIZEN KANE war ein Meisterwerk. Aber er war nicht für die breite Masse. Er spielte zwar sein Geld ein, brachte aber keinen grosser Gewinn.

Sein zweiter Film bei RKO - 4 hatte er zu machen, jedes Jahr einen -, war THE MAGNIFICENT AMBERSONS. Von diesem Film schrieb sogar "Time Magazin", dass Welles der wichtigste und aufregendste Cinemaestro in Hollywood wäre. Dies machte seine Neider zu Feinden, denn es gab viele ambitionierte Regisseure, die nicht zum Zuge kamen. Sein dritter Film war JOURNEY INTO FEAR, ein Spionagethriller. Der Film fiel gegenüber den beiden ersten ab, hatte zwar wunderbare Momente, aber war in der Atmosphäre und im Aufbau nicht so dicht wie seine Erstlingswerke.

1943 drehte er in Südamerika seinen vierten Film für RKO. Aber noch während der Dreharbeiten an diesem 3-Story-Film wurde die RKO umorganisiert. Nicht zuletzt wegen finanzieller Schwierigkeiten, in die die RKO wegen der kostspieligen Welles-Filme geraten war. Sein Beschützer Schaefer musste gehen, und das neue Präsidium nahm eine grosse Anleihe bei einer Bankgruppe der Wallstreet auf. Ein zwischengeschalteter Sponsor hatte ein grosses Mitspracherecht bei der Themenwahl. Das erste, was er anregte, war, das Geld für Welles zu sperren und seinen Wundervertrag zu kündigen. Der Film blieb unvollendet. Er hatte nach Aussagen seiner Mitarbeiter, zu denen für eine Story auch Flaherty gehörte, unwahrscheinlich prägnante Aufnahmen und eine künstlerische Verarbeitung des Milieus, wie es seit Stroheim nicht mehr geschehen war. Es war das erste und einzige Mal, dass sich Welles mit dem Dokumentarfilm beschäftigte. Der Film hiess - nomen est omen - IT 'S ALL TRUE.

Nach dem Bruch mit RKO verhängte Hollywood ein Tabu über den Regisseur Orson Welles. Man machte ihm jedoch die besten Angebote als Schauspieler und immer in Geldschwierigkeiten, nahm er sie auch an. Er drehte JAN EYRE bei der Fox und wurde mit einem Schlag ein berühmter Star. Von dem Regisseur Welles sprach man nicht mehr, vor allem, weil die RKO seine Filme nicht spielte. Seine Arbeit als Schauspieler liess ihm viel freie Zeit und er nahm seine Rundfunksendungen bei CBS wieder auf, schrieb Leitartikel in grossen Tageszeitungen, hielt Vorträge für das State Department und gab ganz nebenbei Hunderte von Vorstellungen für die GI's, in denen er als Zauberkünstler fungierte ,The Mercury Wonder Show'. Die Universal-International drehte später einen Film darüber FOLLOW THE BOYS, in dem er Marlene Dietrich vor den Augen der Kamera in zwei Teile zersägte. Ein Film aus dem Jahre 1944, TOMORROW IS FOREVER, machte ihn vor allem in England populär, etwas, wovon er Jahre später ausgiebig zehren sollte.

Nach dem Krieg, 1946, gab ihm der Produktionsleiter der International (eine damals noch unabhängige Produktion), Sam Spiegel, eine Chance, denn er hielt ihn für einen der besten Regisseure in USA. Spiegel liess Welles alle Freiheit in Script, Wahl der Schauspieler, Darstellung und Regie, aber eins hat er sich ausbedungen, an dem fertigen Drehbuch durfte während des Drehens keine Veränderungen mehr vorgenommen und der Terminplan musste eingehalten werden. Welles versprach es und man einigte sich auf eine Novelle von Victor Trivas. Der Titel war THE STRANGER. Der Film wurde ohne Komplikationen gedreht und Sam Spiegel wusste über Welles nur Gutes zu berichten.

"Wenn man ihn richtig lenkt, ist er der grossartigste Regisseur, den man sich denken kann." Dieses strenge Regiment merkt man dem Film auch an. THE STRANGER war ein guter Film, gemessen an dem Standard, aber es fehlte ihm das Explosive, die kompromisslose Auflösung ins Optische, die z. B. CITIZEN KANE so ausgezeichnet hatte. Alles war ,kanalisiert', der unbeherrschte Strom war zu einem friedlichen Fluss geworden. Welles selbst tröstete sich mit dem Bonmot: "Ich habe mit der Spitze (KANE) angefangen, was bleibt mir anderes übrig als - hinab zu arbeiten!"

Auf Empfehlung von Sam Spiegel, der keine schlechten Erfahrungen mit Welles gemacht hatte, drehte er 1947 mit seiner zweiten Frau Rita Hayworth und dem Geld der Columbia THE LADY FROM SHANGHAI. Hier passte man nicht so sehr auf; er machte wieder alles selbst, auch die Story, und nach der ersten Representantenvorführung stand der Präsident der Columbia, Harry Cohn, völlig erschöpft auf und sagte, er würde demjenigen, der ihm auf der Stelle die Story erklären könne, 1000 Dollar in bar geben. Die Legende berichtet, dass Welles kein Wort gesagt habe. Die LADY VON SHANGHAI hatte grosse Szenen und einige Effekte, die einmalig sein dürften. Die Darstellung der Charaktere ist ausgezeichnet, aber die Story zu schwer verständlich. Ein einmaliger Film, aber nur für den Liebhaber.

Langsam wurden die Schulden an seine Freunde und Gönner und die Steuerschulden so drückend, dass er nach Angeboten Ausschau hielt, die ihn weit von Amerika fortführen konnten. Aber er wollte die USA nicht ohne Paukenschlag verlassen Er überredete die Republic-Production MACBETH zu verfilmen. Die Republic hatte mit Cowboy-Filmen angefangen und war langsam zu Geld gekommen. Sie wollte salonfähig werden in dem Reigen der Grossen. Dies konnte man am besten durch Kunst erreichen. Also griff man die Idee von Welles auf und produzierte einen MACBETH. Die Bedingung an Welles war, er musste den Film in 21 Tagen, also in der gleichen Zeit machen, die ein Western brauchte. Welles sagte ohne Zögern zu und man höre und staune - nach 21 Tagen hatte er MACBETH auf die Leinwand gezaubert. Ein mächtiger Film, aber kein grosser. Ein Film, der zweifellos Eindruck hinterliess, aber keine echte Rührung hervorbringen konnte. Welles hatte sich herabgearbeitet. Er setzte die Segel nach Europa, denn der Gläubiger, sowohl wegen des Geldes als auch wegen der Kunst, wurden zu viele.

European Touch: Kane wird Mr. Arkadin (Besprechung des Films )

In Italien, Frankreich und England verdingte er sich als Schauspieler in minderwertigen Filmen gegen grosse Honorare. Berühmt wurde er erst wieder mit DER DRITTE MANN, 1949. Danach startete er bei der BBC eine Sendereihe mit 39 Fortsetzungen, in der er die Abenteuer des Harry Lime las; den Charakter, den er in DER DRITTE MANN so brillant dargestellt hatte.

Schon 1948 begann er als Regisseur an einem neuen Filmprojekt zu arbeiten: OTHELLO. Eine ganze Legende rankt sich um die Produktion dieses Filmes, die sehr oft unterbrochen wurde, weil kein Geld da war und Welles schnell in einem anderen Film Charge spielen musste, die er sich teuer bezahlen liess. Als einmal die Kostüme für Cassio und Roderigo nicht rechtzeitig aus Rom ankamen, wollte er den Tag ausnützen und schlug vor: "Wir spielen ohne Kleider!" "Wieso denn, etwa nackt?" Und nach einigen Sekunden Nachdenkens brach es aus Welles heraus: "Jawohl, ich werde die ganze Szene der Ermordung in das Türkische Bad verlegen." Die Szene wurde ,aus dem Hut' gedreht. Als er 1952 in Cannes mit OTHELLO den ersten Preis gewann, wurde dieser Einfall von der Kritik als meisterlicher Ausdruck einer ausserordentlichen Shakespearekonzeption bezeichnet. Während der Herstellung mussten oft ganze Komplexe neu gedreht werden, da die Schauspieler, die sie angefangen hatten, mittlerweile an andere Theater gegangen waren, denn sie konnten von dem OTHELLO-Engagement nicht leben. Manche Schauspieler hatten ihren Urlaub zur Verfügung gestellt, denn sie wussten, dass Welles keine Gage zahlen konnte, weil er mit anderen Verpflichtungen eingedeckt war. 1950 war der Film für normale Sterbliche fertig, aber nicht für Orson Welles, er bastelte noch zwei Jahre daran herum, bis er 1952 als marokkanischer Beitrag in Cannes uraufgeführt wurde. 'Films in Review' schrieb: ,Orson Welles OTHELLO is a moody, flamboyant, and full of contradictions as its producer-adaptor-director-star. Nevertheless, and notwithstanding many imperfections, it is a worthy attempt to bring Shakespeare to the screen.'

Welles wandte sich dem Theater zu. Er spielte OTHELLO in London, und es wurde ein grossartiger Erfolg für einen Amerikaner im Lande Shakespeares. Aber er trug noch eine Filmidee mit sich herum und 1954 gelang es ihm, eine Gruppe von Schweizer Bankleuten und ein Madrider Studio zu überreden, einen Film zu machen: MR. ARKADIN. Und nun zog Welles als Drehbuchautor, Hauptdarsteller, Regisseur und noch vieles andere mit einem riesigen Produktionsstab durch Europas Lande, denn der Film spielt in vielen Staaten der alten Welt. Heute ist dieser Film (Besprechung auf Seite 18) als CONFIDENTIAL REPORT bekannt und ist, wenn man der englischen ,New Statesman and Nation' Glauben schenken darf, der zweitbeste Film, den Welles je gemacht hat. Mit CONFIDENTIAL REPORT war das Gastspiel - und als etwas anderes hatte er es wohl nie aufgefasst - Orson Welles' im Film vorüber, denn er kehrte dorthin, wo er herkam: nach USA und ans Theater. Er spielte 1956 König Lear am Broadway und riss die New Yorker zu endlosen Begeisterungsstürmen hin. Nach neun Jahren der Wanderschaft war das Wunderkind heimgekehrt, produzierte zwar keine Wunder mehr, er hatte eine Ruhepause nötig, aber verzauberte immer noch Hunderttausende in Television und Theater mit den unsterblichen Worten Shakespeares, die er wie wenige mit echtem Leben erfüllen kann. Vielleicht hat er aber doch noch ein Wunder vollbracht, denn mit einer einzigen Fernsehsendung war er imstande, alle seine Steuerschulden zu bezahlen.

Als Postscriptum und nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass er 1957 einen Film bei der Universal-International drehte, IM ZEICHEN DES BÖSEN (Regie und Hauptrolle), der aber nur in einigen Szenen an das Niveau seiner Filme heranreicht, insgesamt aber viele Brüche, Längen und schlecht placierte Effekte hat. Orson Welles, das geniale Wunderkind, der trotz horrender Gagen nie aus den noch horrenderen Schulden herauskam, dem Geld nie etwas bedeutet hatte, Kunst aber alles war, hat damit einen tiefen Kotau vor König Mammon getan und sich selbst verleugnet. Vielleicht hat ihn diese Demütigung tief beschämt, denn er ging ein Engagement mit einer New Yorker Bühne ein, 100 Dollar Wochengage - nur um Shakespeare spielen zu können. Seine Zeit ist im Film vorbei, die scharfe Konkurrenz zwischen Film und Fernsehen duldet keine Kunst im Film mehr, im Theater wird er noch manches Wort mitzureden haben. "I wonder, what he is hatching next".       Günter P. Schölzel

Es gibt tausend Wege einen Klassiker zu interpretieren. Wenn es effektvoll wäre, würde ich Hamlet auf dem Trapez spielen.       Orson Welles

Orson's courage, like everything else about him, imagination, egoism, generosity, ruthlessness, forbearance, impatience, sensitivity, grossness and vision, is magnificently out of proportion.       Michael MacLiammoir
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Definitionen

CinemaScope. Ein neues Verfahren, im Film den Horizont zu verbreitern, ohne beim Publikum einen erweiterten Horizont voraussetzen zu müssen. Deutscher Film. Treibhaus für die Züchtung der Veilchen von Klamottenburg unter akustischer Unterstützung von Abendglocken. Der deutsche Film beweist uns immer wieder, dass die Menschen alle edel wären, wenn es nicht einige Schufte gäbe. Dieser Beweis wird in der Regel unter Beiziehung von schwarzen Mercedeswagen, weisslackierten Telefonen, gefeierten Pianistinnen und Rittergutsbesitzern erbracht.

Edelwildwester. Unterscheidet sich vom üblichen Wildwester dadurch, dass der Sieg des Guten nicht ganz so reibungslos vor sich geht.

Gangster. Sollen beim Film lediglich auf der Leinwand vorkommen und haben dort die Aufgabe, neunzig Minuten lang Helden zu sein, in den letzten fünf Minuten aber von der Polizei überwältigt zu werden,, damit die Zuschauer nicht den Beruf wechseln.

Komik. Vielgefragter Artikel in der Filmherstellung. Zeichnet sich durch besondere Wirksamkeit aus, wenn der fensterlnde Hauptdarsteller auf einem Misthaufen landet.

Kriegsfilm. Ein spannendes Erlebnis für alle, die sich die Toten und Verwundeten von einem gepolsterten Stuhl aus ansehen. Grundsätzlich fallen aber in Kriegsfilmen nur die Soldaten der einen Partei. Wo Soldaten beider Parteien fallen, ist der Regisseur wahrscheinlich Pazifist und daher abzulehnen.

Religiöser Film. Mittel, das durch den Zweck geheiligt wird.

Tarzan. Affenähnlicher Wirklichkeitsersatz für Frauen, die nur mit einem schmalen Buchhalter verheiratet sind. Lebt auf Bäumen und täuscht mit dem Namen Weissmüller europäische Zivilisation und Biederkeit vor.

Werbefilm. Dreiminütiger Versuch, das Publikum auf dem Umweg über das Mittagessen Julius Cäsars, die Bevölkerungszunahme in Indien, die Brandgefahr in Segelflugzeugen und die Ursachen des ersten Weltkrieges auf den Wert einer Toilettenseife aufmerksam zu machen.

Wochenschau. Eine Folge von Schiffstaufen, Karnevalsumzügen, Pferderennen, Truppenparaden und Ministerempfängen. Es entspricht nicht den Tatsachen, dass im Jahresturnus immer wieder die gleichen Bilder gezeigt werden. Gelegentlich wird ein Pferderennen oder eine Schiffstaufe neu verfilmt.       Aus der Schweizer satirischen Wochenzeitschrift "Nebelspalter".
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Vor der Sintflut (Avant le Deluge)
Produktion: U.G.C./Documento-Films (1953)
Drehbuch: A. Cayatte; Charles Spaak
Regie: André Cayatte
Kamera: Jean Bourgoin; Louis Stein
Musik: Georges van Parys
Darsteller:
Marina Vlady (Liliane Noblet)
Bernard Blier (Herr Noblet)
Clément Thirry (Philippe Boussard)
Isa Miranda (Frau Boussard)
Jacques Fayet (Richard Dutoit)
Antoine Balpetre (Herr Dutoit)
und Delia Scala; Jacques Castellot; Paul Frankeur; Line Noro
Nach seinen grossen zeitkritischen Filmen über die Frage der Gerichtspraxis "Schwurgericht" und "Wir sind alle Mörder" greift André Cayatte hier wieder ein brennendes Problem auf: das Thema einer Jugend, die von ihren Eltern vernachlässigt oder falsch erzogen wurde. Drei Jungen und ein Mädchen stehen vor Gericht, angeklagt des Diebstahls, des Totschlags und des Mordes. Die Angeklagten werden zur Zwangsarbeit verurteilt, die Eltern aber, an deren Gesichtern man ihr Schuldbekenntnis abliest, können nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Film wirbelte in Frankreich bei seiner Uraufführung im März 1954 beträchtlichen Staub auf. Gegner des Filmes sagten, dass er eine falsche Vorstellung von der französischen Jugend vermittle und die Moral schwäche. Befürworter erklärten, er sei ein ausserordentliches Kunstwerk und gebe nur die Wahrheit wieder. Verschiedene Abgeordnete der französischen Nationalversammlung forderten die Regierung auf, einen Gesetzesentwurf zur Einführung einer Vorzensur vorzulegen, da nur so die immer deutlicher werdende Tendenz der französischen Filmindustrie zu moralgefährdeten Filmen wirksam aufgehalten werden könne. Die Vorkommnisse, die sich nach der Uraufführung in Paris ereignet haben, unterstreichen diese Forderung deutlich:
"Von jungen Leuten, Kindern reicher Eltern, die untereinander in keiner Verbindung stehen, nur dass sie den Film "Vor der Sintflut" gesehen hatten, sind zwei Morde begangen worden, streng nach dem Modellfall des Filmes. Auch der erschossene Polizist ist von der Wirklichkeit inzwischen geliefert worden. Auch die Weltreise war geplant. Auch die Methode des Erstickens ist angewendet worden . . . Der eine der jungen Pariser Mörder hat ausdrücklich gesagt, ihn habe zu seiner Tat der Ehrgeiz verleitet, nachzuweisen, dass er es geschickter machen könne als der Jüngling in AVANT LE DELUGE - das heisst, er fühlte sich von den Schauspielern zum Wettstreit im Verbrechen herausgefordert."       (Süddeutsche Zeitung, 22. 3. 54)
Wir möchten und können nicht in einem Programmheft wie diesem auf die Problematik der Filmzensur eingehen. Die Psychologen und Soziologen aber möchten wir anregen, sich in ihrem Studium einmal dem Fragenkomplex der Auswirkungen des Filmes auf Jugendliche zu widmen.       Bl
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Staatsgeheimnis (State Secret)
Produktion: Frank Launder - Sidney Gilliat (1950)
Buch u. Regie: Sidney Gilliat
Kamera: Robert Krasker
Musik: William Alwyn
Darsteller: Douglas Fairbanks jr. (Dr. Marlowe) Glynis Johns (Lisa) Jack Hawkins (Galcon, Minister) Herbert Loms (vosnischer Grossschieber) Walter Rilla (Diktator)
Was geschieht in einem totalitären Staat mit einem Ausländer, der durch Zufall von der streng vor dem Volke gehüteten "geheimen Staatssache , vom Tode des Diktators erfahren hat? Er wird hopsgenommen und umgebracht - so wenigstens setzt es unser Film voraus. Aber selbst angenommen eine gut eingefahrene Diktatur träfe eine weniger unwiderrufliche Massnahme, so genügt doch der blosse Glaube an die drohende Liquidierung, um die Handlung des Filmes in Gang zu bringen: die Flucht des Ausländers vor seinen Häschern, bei der es auf Biegen und Brechen geht.
Das geistige Klima allerdings, das in einem totalitären Staat herrscht, vermag der Film bei allen charakteristischen Einzelheiten, die er aus dem diktierten Leben bringt, nicht wiederzugeben; es bleibt bei der äusseren Anzeige dieses Klimas. Die Realisierung seiner Schwüle, seiner beängstigenden Ubiquität und der zermürbenden Wirkung des unaufhörlichen Appells an die individuelle Staatsgesinnung gelingt eigentlich nicht. Das mag mit daran liegen, dass die Strassenbilder aus der Hauptstadt des fiktiven Landes Vosnien uns in ihrer bunten Vielfalt zu warm und zu vertraut erscheinen, um seelischen Druck und Unfreiheit zu charakterisieren.
Es war seinerzeit (1950) nicht sehr geschickt von der Kritik, STAATSGEHEIMNIS gegen den DRITTEN MANN zu halten. Der Vergleich kann für unseren Film nur nachteilig sein, weil ihm die Dimension des Abgründigen und der sittliche Ernst fehlen, die den berühmten Carol-Reed-Film auszeichnen. Er ist einfach ein guter Abenteuerfilm und viel weniger die überzeugend demonstrierte Absage an den totalitären Staat, die man in ihm hat sehen wollen. Die behauptete politische Stellungnahme ist in ihm so wenig enthalten wie eine echte Antikriegshaltung in der heute modegewordenen Art von Kriegsfilmen - gewöhnlich ist sie nur aus Konformitätsgründen angeklebt. (Auch dieser Erscheinung wegen liesse sich Film geradezu als Klebekunst definieren.)
STAATSGEHEIMNIS bedient sich der aktuellen politischen Szenerie nur, um in einer nicht ganz alltäglichen Weise auf der Klaviatur unserer Nerven Forte zu spielen. Formal gesehen, handelt es sich hier um eine ansprechende und ergiebige Version, nämlich um eine In-version der herkömmlichen Jagd nach dem Verbrecher im Kriminalfilm: insofern nämlich hier der Vertreter des Rechts (-Staates) von den Vertretern des Unrechts (-Staates) gehetzt wird. Ihm darf seiner moralischen Integrität wegen unsere ungeteilte Sympathie gehören, und wir sind nicht erlöst, sondern in ernsten Konflikt gestürzt, wenn es ihm wirklich an den Kragen gehen soll.       K.B.
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Die Teuflichen (Les Diaboliques)
Produktion: Filmsonor, Paris
Regie: Henri-Georges Clouzot
Drehbuch u. Dialoge: Henri-Georges Clouzot und G. Géronimi
Kamera: Armand Thirard
Bauten: Leon Barsacq
Musik: Georges van Parys
Ton: William Sivel
Schnitt: Madeleine Gug
Darsteller: Simone Signoret, (Nicole)
Vera Clouzot (Christina) Paul Meurisse (Michel)
Charles Vanel (Fichet)
Pierre Larquey; Noel Roquevert; Jean Brochard; Michel Serrault
I
"Seien Sie nicht teuflisch", so ersucht uns die lebhafte Reklame für DIE TEUFLISCHEN, "verraten Sie nichts über diesen Film!" Nichts - ? Ich will gewiss nicht teuflisch sein, aber ein bisschen wird man ja noch sagen dürfen.
II
"So etwas gibt's nur in Kriminalschmökern", sagt da eine Mörderin zu der anderen Mörderin, "im Leben gibt es das nicht." Wie recht sie hat
III
Es ist ein Kriminalschmöker, nichts anderes. Dass der Film das selber sagt, ist nett von ihm, denn sonst tun die Filme von Clouzot gern furchtbar tief. Dieser tut nicht tief, sondern furchtbar. Aber gar so furchtbar ist er auch wieder nicht; ich habe schon teuflischere Filme gesehen. Gemordet wird hier mit Hilfe einer Badewanne, was ja vergleichsweise, wenn ich an andere Filme denke, gemütlicher wirkt als Maschinenpistolen, Würgemaschinen, Rattengift, Schlangen, Schlingen oder Schlitzmesser. Es ist auch sauberer.
IV
Clouzot muss etwas gegen Lehrer haben. Da malträtiert ein teuflischer Pensionatsdirektor seine Frau, die Lehrerin ist, und seine Geliebte, die auch Lehrerin ist, so lange, bis ihn die beiden Lehrkräfte gemeinsam in der Badewanne ertränken, in einen Korb verpacken und ins Schwimmbassin der Schule schütten _... aber keine Sorge, ich verrate nichts, denn diese Kleinigkeiten sind eigentlich nur die Einleitung. Danach kommt dann das Nervensägewerk Clouzot & Co. allmählich auf Touren.
V
Es gibt in diesem krassen und kalten Film keine sympathischen Menschen Es gibt nur Teufel oder Trottel. Bis auf den Detektiv; das ist ein Scheintrottel. Natürlich gibt es auch Scheinmörder, nebst irreführendem Augenschein und rätselhaften Erscheinungen im Abendschein: nichts ist, alles scheint - ausser der Sonne, denn düster ist es in des Teufels Pensionat. Der schöne Schein fehlt völlig. Es gibt nur den, der trügt.
VI
Geschmack kann man diesem blufftüchtigen Film nicht nachsagen, wohl aber virtuoses Spannungs- und Grusel-Theater. Er gehört in die neosadistische Serie, deren schwarzes Prachtstück DER LOHN DER ANGST war. DIE TEUFLISCHEN, diesmal ganz ohne die sozialkritische Tarnung, sind billiger, auch im Formalen. Am besten daran, ausser dem Schlusstrick, ist die geheime Komik, die bisweilen ins Groteske führt, hart an den Rand der Parodie. Erst verbreitet er Angst und Schrecken, dieser zynische Film, dann lächelt er. Oder grinst. Versöhnlich? Aber auch höhnisch. Der Hohn der Angst.
VII
Angstfilme sind meist schöne Erfolge. Woraus zu schliessen ist, dass ein starkes Bedürfnis nach Angst besteht. (Man sollte meinen, die Atombombe genüge - aber nein). Der Mensch in dieser Zeit liebt seine Gänsehaut - und solange er das tut, wird er, so ist zu befürchten, noch viel Gelegenheit zum Gruseln erhalten. Dies aber scheint mir an solchen Filmen und ihrem Siegeszug das Unheimlichste - und nicht so sehr, trotz all des schauerlichen Blubberns, der Mord in der Badewanne.       Gunter Groll
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Hafengasse 5 (Le Garcon Sauvage)
Produktion: Les Films Gibé (1951)
Drehbuch: Jean Delannoy und Henry Jeanson nach dem gleichnamigen Roman von Edouard Peisson
Regie: Jean Delannoy
Kamera: Robert Le Febvre
Musik: Paul Misraki
Darsteller:
Madeleine Robinson (Marie)
Frank Villard (Paul)
Pierre-Michel Beck (Simon)
Beauchamp (Gilles)
René Vilbert (Kapitän)
Die Kamera tastet das von der unbarmherzigen Sonne ausgeglühte Gebirge ab und bleibt schliesslich an einem kleinen Pferdekarren hängen, neben dem eine hübsche junge Frau einherstakelt. Mit dem befeuchteten Finger sucht sie eine Laufmasche zu stoppen -: damit beginnt der Film und damit endet er. Aber der Lauf der Dinge ist nicht aufzuhalten, weder die Laufmasche - noch ihr Leben, das sich in den engen Maschen der Hafengasse gefangen hat.
Der Film ist kein Dirnenfilm üblicher Machart. Das zeigt einmal der Name des Regisseurs, dem wir die Filme LA SYMPHONIE PASTORALE, LES JEUX SONT FAITS und DIEU A BESOIN DES HOMMES verdanken. Zum anderen zeigt es der Originaltitel DER WILDE KNABE, vom deutschen Prisma-Verleih reisserisch mit HAFENGASSE 5 übersetzt.
Im Milieu einer Hafengasse freilich spielt der Film. Aber es geht um den Jungen der hübschen Frau, den sie im Gebirge besucht. Er weiss nichts von dem eigentlichen Tun seiner Mutter. Sie ist für ihn der Inbegriff seiner Liebe Verwirrung und Entfremdung bringt erst ein neuer Freier, in den sich seine Mutter besinnungslos verliebt. Auf einem Dampfer findet er schliesslich als Schiffsjunge einen Ausweg in ein neues Leben. Besondere Beachtung verdient die ausgezeichnete Kamera, die mit harten Beleuchtungseffekten arbeitet und das Marseiller Hafenmilieu überzeugend einfängt.
Die "Neue Züricher Zeitung" schreibt: "Das Dreiecksthema ,die Frau zwischen zwei Männern' erscheint in ungewohnter und überraschender Version Ein weibliches Wesen, das die erotischen Spielarten der Liebe als Broterwerb betreibt, steht hier zwischen Sohn und Geliebtem. Reizvoll wird die morbide Daseinssphäre der Prostituierten, die einen Filou liebt, sich von ihm betrügen und demütigen lässt, aus der Perspektive der kindlichen Erlebniswelt betrachtet.
Die Fabel besitzt jene schöpferische Eigenwilligkeit und menschliche Intuition, die im vornherein fast eine Garantie des Dichterischen sind. Und doch _... das Psychologische entbehrt in manchem der Zwischentöne. Die Erzählung beschwört nicht den Wirklichkeitsodem des Unverbindlichen, Beiläufigen und Zufälligen, der erst den Charme des filmischen ,fait divers' ausmacht."       Bl
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Le Café du Cadran
Produktion: Safia-Diska, (1947)
Regie: Jean Gehret, Jean Decoin
Kamera: Jacques Lemare
Buch: Pierre Bénards
Darsteller: Bernard Blier; Blanchette Brunoy; Aimé Clarioud Felix Oudart
Originalfassung
Hauptdarsteller dieses französischen Films ist ein Café im Herzen von Paris. Nicht das, was man bei uns gemeinhin unter einem Café versteht - mit Schlagsahne und Eisbecher -, sondern eines von den vielen Pariser "Bistros", wo man an der Theke schnell ein Bier oder einen Kognak trinken kann, wo man sich aber ebensogut für eine halbe Stunde zu einem Aperitif an einem der kleinen Tischchen niederlassen kann.
So ein Café hat seine Stammkunden, und es ist nicht leicht für Monsieur Lucien und seine junge Frau, die neuen Inhaber des "Café du Cadran", frisch aus der Provinz hereingeschneit, den Kontakt mit den Grossstädtern zu finden, die so ganz anders sind als die braven Bürger der Auvergne. Wieder einmal erweisen sich die Franzosen als Meister der Milieuschilderung: das Kommen und Gehen der Gäste im "Café du Cadran" - der Journalisten, die bei einer kleinen Rast um ihre Stellung bangen, der Ladenmädchen, die in ihrer Mittagspause einen "Café au lait" hinunterstürzen, der Theaterbesucher, die sich eine Erfrischung gönnen - ist schlechthin grossartig gefilmt. Ein unerschöpfliches Reservoir an ausgeprägten Pariser Typen, wie der gutmütige Trunkenbold, der Caféhausgeiger von zweifelhafter Grandezza, der gerissene Buchmacher - erleichtert die Filmarbeit natürlich auch wesentlich.
In diesem Milieu wird das Leben des jungen Wirtsehepaares nun schwersten Belastungen ausgesetzt: es macht anfangs aus so mancher Not eine Tugend und scheitert schliesslich daran, dass ihm die Verhältnisse über den Kopf wachsen Das Drehbuch hat diesen Weg sehr folgerichtig entwickelt - bis auf den im wahrsten Sinn des Wortes "knalligen" Schluss; der den einheitlichen Eindruck stört, den der Film im übrigen hinterlässt. In den vielen kleinen Einzelzügen, mit denen Bernard Blier die Gestalt des Wirtes zeichnet, beweist dieser Schauspieler wieder einmal seine aussergewöhnliche Ausdruckskraft.
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Halleluya (Hallelujah)
Produktion: Metro-Goldwyn-Mayer, (1929)
Regie: King Vidor
Buch: Wanda Tuchok nach einer Erzählung von King Vidor
Musik: Irving Berlin
Darsteller:
Daniel L. Haynes (Zeke)
Nina Mae McKinney (Chik)
William Fountaine; Harry Gray; Fannie Belle de Knight; Eve- rett McGarrity; Victoria Spivey und die Dixie-Jubilee Singers
Originalfassung
Man muss sich in diesen Film erst etwas einleben. Die Mentalität und das vitale Spiel der Darsteller - alle sind Neger - sind für uns recht fremdartig. Es ist einer der ersten Filme um Neger und er schildert ihr Leben und ihre Umwelt ohne operettenhaftes Drum-und-Dran, wie man das in späteren Filmen oft zu sehen bekam. Wohltuend spürbar ist noch die Nähe zum Stummfilm, die sich in einer einfühlenden, wortesparenden Kameraführung bemerkbar macht. Der Ton ist - von einigen Dialogstellen abgesehen - beherrscht eingesetzt. Ein Bravourstück ist die Kameraführung während der Verfolgungsjagd im Sumpf.
Der Film zeigt uns eine naive, leicht zu beeinflussende Seele des Negers, tiefe Religiosität, aus der heraus dem strauchelnden Zeke - dem "Helden" des Films - immer wieder verziehen werden kann. Wenn uns auch die Szenen religiöser Ekstase unverständlich sein mögen, erleben wir sie heutzutage nicht auch wieder? Billy Graham zum Beispiel. Und erscheint uns dieser Weg zu bekehren nicht etwas zweifelhaft?
Wie leicht die anfangs noch echte Begeisterung für die Religion in die ausgehöhlte, sinnentleerte der Leidenschaft umschlägt, bekommt man hier optisch vermittelt deutlich gezeigt. Man kann aber auch sehen, dass die Religion in der Stille weiterwirkt.       HBi

King Vidor, geboren am 8. 2. 1894 in Galveston/USA, ist seit 1912 beim Film. Seine Filme vor und nach "Hallelujah" haben diese künstlerische Einheit und Höhe nicht erreicht. Das Grundmotiv war immer das gleiche: der Einzelne im Kollektiv. Seine bedeutendsten Filme sind: "Die grosse Parade" 1925; "Ein Mensch aus der Masse" 1928; "Die Zitadelle" 1938; "Duell in der Sonne" 1947; "Krieg und Frieden" 1956.
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Herr Satan persönlich (Confidential Report / Mr. Arkadin) (Zurück zum Artikel
Produktion: Filmorsa (Louis Dolivet), 1954
Regie u. Buch: Orson Welles
Kamera: Jean Bourgoin
Musik: Paul Misraki
Darsteller:
Orson Welles (Gregory Arkadin)
Paola Mori (Raina)
Robert Arden, (Guy van Stratten);
Michael Redgrave (Burgomil Trebitsch)
Patricia Medina (Mily)
Jack Watling (Marquis of Rutleigh)
Akim Tamiroff (Jakob Zouk)
Mischa Auer ("Professor")
Katina Paxinou (Sophie)
Gregoire Aslan (Bracco)
Peter van Eyck (Thadeus)
Suzanne Flon (Baronesse Nagel)
Was ist eigentlich die Bedeutung des Mannes Orson Welles für den Film unserer Tage? Die Antwort ist nicht so leicht zu geben wie die Frage zu stellen ist, denn sein Einfluss auf die Kinokassen wie auf das Filmschaffen anderer ist nicht bedeutend. Das Publikum zieht seine simpleren Brüder vom Regiestuhl vor; die einschlägige Industrie pfeift auf das Vorbild seines infiniten Sturm-und-Dranges; und die Avantgardisten, bei denen man die stärkste Wirkung erwarten sollte, haben heute zu dünnes Blut, um überhaupt mithalten zu können.
Seine Bedeutung wird gar nicht so schlecht gekennzeichnet mit der Feststellung, dass er der einzige Amerikaner ist, der vollkommen unamerikanische Filme macht. (Welches Lob wäre grösser?) Amerikanisch an ihm ist allein die Masslosigkeit. Die Masslosigkeit seiner Bildeinfälle, seiner szenischen Ideen, seiner Phantasie, die in wahren Anfällen von Tollwut den Pelion auf den Ossa türmt und diesen Bergsalat aufs Zelluloid spuckt - eine Masslosigkeit, die seinen ästhetischen Verstand bei weitem übertrifft. Der Stoff, den er hier in die Finger bekommen hat, ist ein rechtes Festessen für einen Filmbesessenen seines Schlages: Mehr in einem Bündel gebotene Möglichkeiten, sich von den besten wie von den schlechtesten Seiten der Regie zu zeigen, sind kaum denkbar.
Da gibt es einen Herrn Arkadin, einen Wirtschaftsfreibeuter, der ein sagenhaftes Vermögen angehäuft hat. Er lässt seine Vergangenheit, in der manch dunkler Punkt zu vermuten ist, von einem jungen Mann eruieren und sich über sie vertraulichen Bericht erstatten, da er das Gedächtnis daran verloren haben will. Was sind seine wirklichen Beweggründe? Wir erfahren sie in diesem Film, aber erst sehr spät, und bis dahin werden wir mit dem jungen Mann über die Schauplätze seines Auftrages gehetzt, dass es nur eine Art hat: Häfen und Spelunken, Städte und Länder, Meere und Kontinente,
Das ist ein mit hoher Brillanz gemachter Film. Er hat ein ganz eigenartiges Aroma - das ist nicht schlechthin eine Abenteuergeschichte, wie man sie jede Woche sehen kann. Hierin steckt, an der heissesten Stelle erfasst, der Atem der grossen Welt, der allergrössten, die die Phantasie sich nur erschaffen kann. Sie hat europäisches Gesicht, beherbergt eine Gesellschaft von Format und Lebensart, mischt Ost und West in einer kontinentalen Kulturmelange. Stiege Zeus heute wieder auf die Erde nieder, um zu lieben, er würde weder die Gestalt Amphitryons noch die des Schwanes wählen, sondern die, in der Orson Welles hier erscheint. Tatsächlich scheint sich der hier mit der Omnipotenz zu identifizieren, soweit sie von der Erscheinung eines grossen Herren und vom Gelde verliehen wird. Damit nimmt Welles einen alten Faden aus dem "Citizen Kane" wieder auf. Und ist das nicht wirklich die Geste eines dem Himmel entfallenen Grandseigneurs -: wie er einem seiner vielen Diener - man befindet sich gerade einmal in Mexiko - den Auftrag gibt, dem Mädchen, das mit ihm die Nacht verbracht hat, für ihre Liebesdienste ein angemessenes Geschenk zu überreichen, wobei er die schickliche Grösse des Geschenkes mit den Worten andeutet, "sie ist sehr lieb gewesen"?
Sympathisch, dass Welles nicht versucht, aus dieser hinreissenden Kolportage ein ethisches Edelgewächs zu züchten. Solche Verfälschungen liegen ihm nicht. Dafür nimmt er ungerührt das (in Deutschland) unisono ertönende Wehgeschrei der Kritiker in Kauf, welches Talent sich hier an welch einem unwürdigen Stoff verschwendet habe! (Lassen wir doch das Kino im Dorf!)       K.B.
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Die Erbin (The Heiress)
Produktion u. Regie: William Wyler (1948)
Buch: Ruth und Augustus Goetz nach "Washington Square" von Henry James
Kamera: Leo Tover
Musik: Aaron Copland
Darsteller:
Olivia de Havilland (Catherine Sloper)
Ralph Richardson (Dr. Austin Sloper)
Montgomery Clift (Morris Townsend)
Der amerikanische Film liebt die Psychologie. Er hat damit sowohl Seelenreisser wie auch Kunstwerke hervorgebracht. Zu den letzteren gehört ohne Zweifel DIE ERBIN. Hier ist ein Einzelfall in einer Weise vertieft, dass er Allgemeingültiges aussagt. Ein reiches, unansehnliches Mädchen wird zum erstenmal umworben. Sie blüht sichtlich auf, aber ihr Vater verbietet die Heirat mit diesem Mitgiftjäger und enterbt sie. Daraufhin lässt sie der vermeintliche Verehrer sitzen. Als er Jahre später zurückkommt, rächt sie sich an ihm.
Das alles wird ohne grossen Stimmenaufwand dargeboten. Die geschickte Kameraführung nimmt den Darstellern oft den Zwang ab, ihre Gefühle erklären zu müssen. Die Musik ist wohltuend dezent.       HBi

William Wyler wurde 1902 in Mühlhausen geboren. Durch den Produzent Carl Laemmle, einem Verwandten seiner Mutter, kam er nach den USA. Dort entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Vertreter des sogenannten sozialen Films. Seine wichtigsten Werke: DEAD END, 1937; DAS GEHEIMNIS VON MALAMPUR (The Letter), 1940; DIE BESTEN JAHRE UNSERES LEBENS, 1946; DIE ERBIN, 1948; POLIZEIREVIER 21,1951; EIN HERZ UND EINE KRONE (Roman Hollyday), 1953; AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE (The Desperate House), 1955.
Olivia de Havilland hat für ihre Leistung in dem Film DIE ERBIN den Oscar erhalten. Sie wurde 1916 in Tokio geboren und kam über das Theater zum Film. Ihren ersten Erfolg errang sie als Hermia im ,Sommernachtstraum' unter Max Reinhardt. Ihre Filme: DIE SCHLANGENGRUBE; DIE ERBIN; MEINE COUSINE RACHEL; UND NICHT ALS EIN FREMDER.

Limelight (Rampenlicht)
Produktion: United Artists (1952)
Drehbuch, Musik und Regie: Charles Chaplin
Kamera: Karl Strauss
Darsteller: Charles Chaplin; Claire Bloom; Sidney Chaplin; A. Eglevsky; M. Hayden; Buster Keaton
Originalfassung
So einig sich alle Filmkritiker sind, wenn sie Charles Chaplin als einen der grössten Schauspieler der Stummfilmzeit, wenn nicht gar als den grössten, bezeichnen so verschieden sind die Reaktionen auf seine beiden Tonfilme MONSIEUR VERDOUX und LIMELIGHT. Es dürfte sich deshalb lohnen, die Meinungen verschiedener Kritiker gegenüberzustellen.
I. Charles Chaplin hat einen ganz grossen Film herausgebracht, vielleicht seinen besten. Eine grössere Leistung hat er jedenfalls niemals geboten. Der Film enthält eine einfache Philosophie: die Schönheit des Lebens ist unvermeidlich wie der Tod, wenn nur die Menschen den Mut und den Willen zur Schönheit hätten. Deswegen ist auch der schliessliche Triumph der Tänzerin und des hungernden Komponisten wie des sterbenden Clowns selbst eine Allegorie der heroischen Behauptung des Menschen gegen die unmenschlichen Anstürme unserer Tage.       Alex Natan, London
II. In diesem Film wird Charlie, dessen Schweigen so unendlich beredt war, geschwätzig. Er öffnet den Mund. Er äussert Plattitüden und spricht Sentimentalitäten aus. Zweieinhalb Stunden lang. Was einst in der mimischen Andeutung deutlich und herrlich war, klingt jetzt im ausführlichen Klartext seines Dialoges banal, unoriginell und geradezu läppisch _... Die ranzigen Melodien stammen von Chaplin selbst. Der ganze Film ist ein Irrtum.       "Die Neue Zeitung", Berlin
III. Beispielhaft die dynamische dramatische Steigerung der Komposition im ganzen. Im Zenit der Spannung, da kommt das Wörtchen "Ende". Beispielhaft auch, wie Chaplin die Klippen der Kitschschablone in der Liebesgeschichte umgeht. Wie echter Traum und echte Tragik sich formt, wie bei ihm zärtliche Melancholie und nicht konstruierte Seelendramatik den Film beherrscht. Und dann sind Szenen da, die zeigen den Meister der Mimik, den Klassiker der Filmclowns. So, wenn Chaplin wieder Chaplin ist, mit Buster Keaton in der Parodie des Virtuosentums, so, wie er sich abschminkt und in den Spiegel blickt _...       H. B. Ulm
IV. Charles, nicht mehr Charlie Chaplin drehte jetzt den Film "Limelight". Ein Rührstück? Zweifellos. Aber doch eines, in dem Charlie gelegentlich Charles ablöst, der stumme, beredte kleine Vagabund den effektsicheren Akteur, der da so ungeniert autobiographisch wird, um die Legende von Charlie besser zu untermauern, die Legende vom ewigen kleinen Geschlagenen, die doch gerade dadurch eher zerpflückt als gefestigt wird. Charlie ist schon unsterblich. Warum hat Charles bloss Angst, von seiner Maske tyrannisiert zu werden? _... Mehr Rampenlicht, Charlie, wir wollen die Wahrheit in der Maske und die Maske von vorn!       W. Bittermann im "Rheinischen Merkur"
V. Haben alle die Ablehnenden nicht vielleicht allzu gebannt auf ein Wunschbild der Erinnerung geblickt, waren sie nicht nur enttäuscht, einen neuen statt des gewohnten Chaplins zu sehen? Hier kann es aber doch nur darum gehen, sich von der Selbsttäuschung einer vermeintlichen Nichtübereinstimmung freizumachen: recht hat allemal der, der bestrebt ist, im Einklang mit sich selbst zu sein. Immer hat Chaplin sich selbst gespielt, so auch diesmal. Man mache sich nur von der Trägheit seiner Augen frei und sehe das. Es gibt nur diesen einen Charlie Chaplin auf dieser Welt.       W. Lg. im Berliner "Tagesspiegel"
VI. Als Chaplin alt und weise wurde, wollte er kein Clown mehr sein. Als er noch älter und weiser wurde, drehte er "RAMPENLICHT" und war es wieder: der grosse Clown, der mit sich ringt. Inzwischen ist er noch älter und noch etwas weiser geworden - und nun will er, so hört man, einen Film wie früher machen, heiter und ohne Rhetorik, in der alten Vagabundenmaske und den viel zu grossen Schuhen. Es wäre schön. Dann schlösse sich der Ring. Und Charlie Chaplin wäre, auf vielen Umwegen, heimgekehrt.       Gunter Groll in der "Süddeutschen Zeitung"
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Die Lady von Shanghai (The Lady from Shanghai)
Produktion: Columbia (1947)
Buch und Regie: Orson Welles
Kamera: TOLAND
Darsteller: Orson Welles; Rita Hayworth; E. Sloane; G. Anders
Man hat in diesem Drama einen kommerziellen Kniefall von Welles erblicken wollen. Und zwar darum, weil das Mondäne und der pure Sex-Appeal darin eine entscheidende Rolle spielen. Bevor man indessen ins moralische Clairon der Entrüstung bläst, dürfte man sagen, dass hier die unheimliche Dämonie der reinen physischen Attraktion Bild geworden ist. Der Film, der die Liebe zwischen einem Matrosen (Orson Welles) und einer Dame von Welt (Rita Hayworth) schildert, enthält Szenen, die der passionierte Filmfreund zu seinen Paradezitaten zählt. Die wirbelnde Glasscherbenepisode ist Gleichnis gewordene Kettenreaktion der Tricks. Das Rendezvous im Aquariumsaal betrachten wir als einzigartig. Die beiden treffen sich in der Dämmerung. Eine Passantin erblickt die Liebenden mit sichtbarer sittlicher Aufregung. Sie gleitet vorbei. Nun sind sie allein. Ihre Konturen verschwimmen fast. Sie führen ein Schattendasein. Die Fische und Aale hingegen treten plastisch hervor. Das Animalische herrscht in diesem Raum, die sture Stummheit des Triebs. Die Menschen unterwerfen sich, von dunklen Mächten verzaubert. Eine Szene, die haften bleibt, weil sie mit kühnem Bild Abgründe aufreisst.
Sonst gibt es Passagen die etwas gedehnt wirken. Manchmal ist Welles zu lange in eine gewisse exklusive Photographie vernarrt. Indes, zuweilen scheint es, das Schleppende sei gewollt, sei Einladung zur Reflexion. Orson Welles gehört zu den wenigen Filmleuten, die deuten und in ihren Filmen eine (allerdings ziemlich fatalistische) Weltanschauung zum Ausdruck bringen. Er selbst spielt den Naturburschen mit der ihm eigenen Dummheit. Rita Hayworth hat die prickelnde Präsenz, die der Rolle angemessen ist. Offenbar hat ihr Exgatte Welles, bewusst die Skala ihres Spiels auf ein Minimum gedrosselt. Ihr Aussehen ist alles. Das ist nicht nichts; besonders im Film. Dem Vernehmen nach ist der inzwischen zur indischen Prinzessin avancierte Star wieder nach Hollywood zurückgekehrt. Eine "Mobilisierung" ihres Wesens, wie sie in der "Lady from Shanghai" geschah, bleibt jedoch ein Einzelfall, weil dazu eine Verachtung der Konvention und eine kritische Geistigkeit gehören, die in Hollywood nur aus Versehen gedeihen.       Neue Züricher Zeitung
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Bei Anruf Mord (Dial M for Murder)
Produktion: Warner Bros (1954)
Regie: Alfred Hitchcock
Buch: Frederick Knott (nach seinem Theaterstück)
Kamera: Robert Burkes
Musik: Dimitri Tiomkin
Darsteller: Ray Milland; Grace Kelly; Robert Cununings; Anthony Dawson; John Williams
Bei diesem Film hat man fast das Gefühl, dass die Schauspieler nur ein notwendiges Übel sind, um die Gedankenkonstruktion eines ausgeklügelten Mordplanes sichtbar zu machen. Wenn dennoch eine gute Theaterverfilmung dabei herauskam, so ist das Hitchcocks Regiekunst und dem gediegenen Spiel Ray Millands zu verdanken. Man bewegt sich fast ausschliesslich in der Bühnendekoration eines Zimmers, in dem der Mord geplant wird und misslingt. Die Stärke des Filmes liegt in der Schilderung, wie man Indizien auf zwei Weisen deuten kann. Die Entlarvung ist zwar der Höhepunkt der Spannung, aber sie kommt etwas unvermittelt, und man glaubt nicht recht, dass der Kommissar die entscheidende Idee hatte.
Die Kamera sieht meist nur zu, die wenigen wertenden Einstellungen nimmt sie hauptsächlich in der Szene zwischen Milland und Dawson an. Die Farben sind gedeckt, wären aber besser ganz in schwarzweiss übergegangen.       HBi

Alfred Hitchcock, geboren 1899 in London, war zu Beginn seiner Filmlaufbahn u. a. Zeichner und Regieassistent bei der Ufa. Er hat einen eigenen Filmstil entwickelt. Meist dreht er Kriminalfilme; in allen seinen Werken ist jede Person, jede Sache, jede Einstellung genau überlegt. Er bemüht sich sehr um die kleinen Randfiguren, die oft wesentlich zur Stimmung des Filmes beitragen. In den meisten Filmen wendet er eine eindringliche, "psychologische" Kameraführung an. Er hat auch eine Vorliebe für Gegensätzlichkeiten. So geschehen die haarsträubendsten Dinge meist an biederen, gar nicht dafür geeigneten Orten - etwa ein Mord hinter einer Leinwand, vor der Kinder der Mickey-Maus zujubeln. Oft tritt er in seinen eigenen Filmen an irgendeiner Stelle als Randfigur auf.
Einige seiner Filme sind: "Erpressung", 1929; "Der Mann, der zuviel wusste", 1934; "Neununddreissig Stufen", 1935; "Rebecca" (sein erster amerik. Film), 1940; "Lifeboat", 1941; "Verschwörung im Nordexpress", 1951; "Über den Dächern von Nizza" ("Kitchcocks Leichen sind die besten" FAZ), 1954; "Bei Anruf Mord", 1954; und noch einmal "Der Mann, der zuviel wusste", 1956
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Citizen Kane (Zurück zum Artikel
Produktion: RKO - Pictures, (1941)
Regie: Orson Welles
Buch: Orson Welles und Hermann J. Mankiewicz
Kamera: Gregg Toland
Darsteller: Orson Welles; Joseph Cotten; Ruth Warwick; Agnes Moorhead; Georges Coulouris; Everett Sloane; Ray Collins
Handlung; Charles Kane, vielfacher Millionär und Zeitungskönig, liegt auf seinem Riesenschloss Xanadu im Sterben. Immer wieder sagt er ,Rosebud'. Wer oder was ist ,Rosebud'? Ein Reporter wird beauftragt, das Geheimnis zu ergründen. Er sucht alle Menschen, die mit Kane irgendwann einmal etwas zu tun hatten, auf. Rückblende folgt auf Rückblende. Durch die verschiedensten Augen sehen wir das Leben des Bürgers Kane. Zuerst die ungetrübte Jugend, in die ein schwerer Schatten fällt: eine Erbschaft. Vergeblich sträubt sich der Junge gegen eine Entfernung aus dem Elternhaus zum Zwecke einer gründlichen Erziehung. Dann die Übernahme einer Zeitung, die zu dem ererbten Vermögen gehört. Mit seinem Freund Leland gestaltet er die Zeitung völlig um und schreibt einen Leitartikel, in dem er Wahrheit, Unbestechlichkeit und Eintreten für die Rechte des Volkes verspricht. Aber der Ehrgeiz dient nur im Anfang der Wahrheit. Er strebt den Erfolg um des Erfolgs willen an; auch in seiner privaten Sphäre. Von einer Europareise zurückkehrend bringt er die Nichte des Präsidenten mit, die er bald darauf heiratet. Doch Kane strebt nach Macht. Er will Gouverneur werden. Der Wahlsieg scheint ihm schon sicher zu sein. Aber die gegnerische Presse publiziert die Affäre mit einer kleinen Sängerin. Kane verliert den Wahlkampf, seine Frau lässt sich scheiden. Er heiratet die Sängerin. Und nun sucht er nach einem Ausgleich für seinen Misserfolg als Politiker. Seine Frau soll eine gefeierte Sängerin werden. Mit Hilfe seines Geldes und seines Einflusses macht er sie zum grossen Star, obwohl ihre Begabung nur gering ist. Wir erleben den Anfang der Karriere, aber sie ist den gestellten Anforderungen nicht gewachsen und macht einen Selbstmordversuch. Kane gibt nach: sie braucht nicht mehr zu singen. Und beide ziehen sich nach Xanadu zurück. Doch der alternde Kane entpuppt sich als grässlicher Tyrann. Sie verlässt ihn. -
Allein, von keinem geliebt, stirbt Citizen Kane, der gar kein "Bürger" war. Für die Umwelt hat er das Geheimnis um "Rosebud" mit ins Grab genommen. Nicht für den Kinobesucher. Der sieht, wie man beim Ordnen des Nachlasses einen kleinen Schlitten achtlos ins Feuer wirft. Der Name ist "Rosebud". Von diesem Schlitten wurde der Junge nach armen, aber glücklichen Kindertagen gegen seinen Willen getrennt. Rosebud ist das Symbol der verlorenen Jugend, der Sehnsucht nach Heimat und Mutter.       gps
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