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Filmstudio Heft 27, Wintersemester 1959/60
Inhalt
Militär und Krieg im Film
Zwischen »Sous les toits de Paris« und »Porte des Lilas«: René Clair
Der Kriegsfilm
Zum Thema »Kriegsfilm«
Probleme der Gestaltung wissenschaftlicher Filme
Retrospektive
Jour de Fête
Der Hund von Baskerville
Circus
Mutter Krausens Fahrt ins Glück
Die Frau im Fenster
Das Himmelbett
Die schrecklichen Eltern
Immer Ärger mit Harry
Westfront 1918
Unter den Dächern von Paris (Sous les toits de Paris)
Wunder von Mailand (Miracolo a Milano)
Wege zum Ruhm (Paths to Glory)
Die Mausefalle (Porte des Lilas)
Der rote Ballon (Le ballon rouge)
Der Untertan
Der weisse Hengst (Crin blanc)
Das Komplott (Trial)
8/15
Kinder, Mütter und ein General
Im Westen nichts Neues (All quiet on the western Front)
Das Spiel ist aus (Les jeux sont faits)
Fanfan der Husar (Fanfan la tulipe)
Bereits in der Frühzeit des Films entdeckten die Produzenten, besonders in Deutschland und Österreich, dass man viele Zuschauer ins Kino locken könne, wenn man ihnen möglichst viele Männer in Uniform dort vorführt. Besonders die Soldaten und Offiziere der k. und k. Monarchie übten eine grosse Anziehung auf das breite Publikum aus. Allerdings wollten die Zuschauer keine Kriegsfilme sehen, sondern den Glanz der »grossen Gesellschaft« und vor allem die amourösen Abenteuer des feschen Leutnants in der Garnison oder beim Manöverball. Es würde jedoch zu weit führen, hier auf die Flut der belanglosen Filme dieser Art einzugehen, die auch heute noch - leider - nichts von ihrer Beliebtheit eingebüsst haben. Ebenfalls verzichtet dieser Aufsatz auf die Behandlung von Kostümfilmen - da allein die »Fridericus-Filme« einen Band füllen würden.
Es erscheint angebracht, das vorliegende Thema auf zwei Problemgruppen zu beschränken, um nicht - bei der Fülle des Materials - ins Uferlose zu geraten. Daher sollen einmal ausgesprochene Kriegsfilme behandelt werden und zum andern Filme, die sich mit Fragen befassen, die - wie z. B. Gehorsam, Verrat, Meuterei, Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen usw. - sich besonders im Bereich des Militärs stellen. Dass diese beiden Themengruppen sich stellenweise überschneiden, liegt auf der Hand; auch dass sie oft in politische Problematik hinüberspielen. Die Darstellung von Kriegsereignissen im Spielfilm stellt an Drehbuchautoren und Regisseure - wenn sie verantwortungsbewusst an ihr Thema herangehen - hohe Anforderungen. Denn in diesen Filmen muss der künstlerische Ausdruck notwendig hinter dem realen Geschehen zurückbleiben; das Grauen lässt sich nicht darstellen. Was der Film zeigen kann, ist lediglich dessen Reproduktion. (Anders liegt der Fall natürlich beim Dokumentarfilm, der jedoch, ebenso wie die Wochenschau, bewusst aus dieser Abhandlung ausgeklammert wurde.)
Es besteht einerseits die Gefahr, dass die der Kunst immanente Stilisierung das Dargestellte entemotionalisiert; andererseits, bei allzu naturalistischer Gestaltung droht die künstlerische Form zu kurz zu kommen. Selbst hervorragende Kriegsfilme wie z. B. »All quiet on the Western Front« (Im Westen nichts Neues) von Lewis Milestone, »Die andere Seite« von Heinz Paul, »Ugetsu Monogatari« (Das Märchen vom bleichen und geheimnisvollen Mond nach dem Regen) von Kenji Mizoguchi oder »Tuntematon Sotilas« (Der unbekannte Soldat) von Edwin Laine sind diesen Gefahren nicht völlig entgangen.
Leicht haben es dagegen die Regisseure, die eine Glorifizierung des Krieges beabsichtigen. (Daran liegt es vor allem, dass »Hurrapatriotismus« viel häufiger ist als nüchtern-objektive Betrachtung.) Meist werden derartige Filme in totalitären Staaten produziert, und sie machen aus ihrer Gesinnung keinen Hehl. Die im »Dritten Reich« entstandenen Filme »Stukas« von Karl Ritter, »U-Boote westwärts« von Günther Rittau und andere dürften noch genügend in Erinnerung sein. Aber auch demokratische Staaten kennen diese Filmgattung, die den Krieg als ein herrliches männliches Abenteuer und das Militär als eine harte, aber gute Schule darstellt, in der Schwächlinge zu »Helden« und »wirklichen Männern« erzogen werden. Besonders charakteristische Filme dieser Art sind »Objective Burma« (Der Held von Burma von Raoul Walsh, »I Sette dell' Orsa Maggiore« (Die Sieben vom Grossen Bären) von Duilio Coletti und »American Guerillas in the Philippines« (Der Held von Mindanao) von Fritz Lang. Hier ist der Krieg reduziert zu einem zwar harten, aber dabei reizvoll-abenteuerlichen Spiel mit der Gefahr, während alle anderen Aspekte schlicht unterschlagen werden. Von anderer Art sind die ausgesprochenen Hetzfilme, von denen »Back to Bataan« (Stahlgewitter) von Edward Dmytryk einer der übelsten sein dürfte. In diesem Werk werden die Feinde - in diesem Fall die Japaner - als eine wilde Horde von verschlagenen, feigen, aber gefährlichen Verbrechern Bestien und »Untermenschen« dargestellt; als lästiges und schädliches Ungeziefer - das mit Stumpf und Stiel vertilgt werden muss. Ihnen stehen die »Eigenen« gegenüber, sympathische und tapfere Burschen, die absolut kugelsicher sind - von einigen dekorativen Narben abgesehen - und die sich, wie der Film nicht nur schildert, sondern ausdrücklich erklärt, nicht an die Gesetze des Völkerrechtes zu halten brauchen.
Es mag vielleicht sonderbar klingen, wenn man sagt, dass die Filme der eben geschilderten Art relativ harmlos seien. Aber es gibt wesentlich schlimmere. Denn da sie ihre Tendenz deutlich offenbaren, können sie zwar verrohend wirken, aber sie sind leicht zu durchschauen. Wesentlich gefährlicher sind die Filme deren Tendenz unterschwellig bleibt, so dass der Durchschnittszuschauer sich nicht kritisch mit ihr auseinandersetzen kann. Meist gebärden sie sich pazifistisch; sie geben zwar vor den Krieg abzulehnen, betonen jedoch unauffällig seine Notwendigkeit. Zu diese Kategorie gehört vor allem »The Bridges of Toko-Ri« (Die Brücken von Toko-Ri) von Mark Robson, in dem die Frau eines Fliegers, die den Krieg verabscheut, »lernt«, den Heldentod ihres Mannes zu verstehen und sogar stolz auf ihn zu sein. Auch Alfred Weidenmanns »Stern von Afrika« ist in dieser Beziehung äusserst gefährlich. Auch er gibt vor, ein Antikriegsfilm zu sein; der aufmerksame Zuschauer bemerkt jedoch bald, dass hinter dieser dick aufgetragenen Ablehnung des Krieges dessen Rechtfertigung sichtbar wird. »Der junge Marseille ist ein bedauernswertes Opfer von Hitlers verbrecherischem Krieg. Wie schade, dass dieser besessene Flieger und untadelige Soldat seine Fähigkeiten nicht in einem »gerechten Krieg« einsetzen konnte!« Das ist letzten Endes das Fazit dieses Films.
Seltener als die den Krieg und das Militär verherrlichenden Werke sind die kompromisslosen Antikriegsfilme. Ausser den bereits erwähnten »Der unbekannte Soldat«, »Das Märchen vom bleichen und geheimnisvollen Mond nach dem Regen« »Im Westen nichts Neues« und »Die andere Seite« sollen hier noch einige erwähnt werden Hier sind zwei Gruppen deutlich zu unterscheiden: Einmal die »harten« Filme in denen der dem masslosen Grauen des Krieges hilflos ausgelieferte Mensch mit aller Krassheit gezeigt wird. Zum andern Werke, die weniger brutal, aber ebenso eindringlich die Sinnlosigkeit des staatlich organisierten Massenmordes demonstrieren und anprangern. Zu der erstgenannten Art zählen »Westfront 1918« von Georg Wilhelm Pabst und »Halls of Montezuma« (Okinawa) von Lewis Milestone. Sie schildern - oft in Bildern von schockierender Brutalität - die Hölle der Materialschlachten in denen der Mensch zum angstgepeitschten Nervenbündel zum hilflos entsetzten'Geschöpf erniedrigt wird. Diese Filme scheuen sich nicht, die Entwürdigung des Menschen durch Todesangst und Grauen mit aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, und sie stellen die Nerven des Publikums auf eine harte Probe. Aber der Schock, den sie verursachen, ist heilsam!
Das beste Beispiel für die zweite, die behutsamere Art ist Luigi Zampas Meisterwerk »Vivere in Pace« (In Frieden leben). Keine grausame Szene schockiert hier den Zuschauer. Aber die selbstverständliche, unpathetische Menschlichkeit des alten Bauern Tigna, für den es keine befreundeten oder feindlichen Soldaten gibt, sondern nur Menschen, die, ebenso wie er selbst, nichts anderes wollen, als in Frieden zu leben, führt den Krieg in eindrucksvollster Weise ad absurdum.
Missglückt dagegen ist Harald Brauns pazifistischer Film »Herz der Welt«, eine Biographie Bertha von Suttners. Aus der Lebensgeschichte einer tapferen Frau, die mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen den Wahnsinn des Krieges ankämpft, wurde ein sentimentales Rührstück um eine arme Frau, deren Ideale nicht verstanden werden, und einen schurkischen Waffenschieber, der auch noch - der Historie sei Dank! - Zaharoff heisst. Dem Publikum wird in diesem Film zwar viel Möglichkeit zum Weinen geboten, aber herzlich wenig Stoff zum Nachdenken.
Ein Privatschicksal, an dem die Problematik des Krieges kompromisslos abgehandelt wird, zeigt Falk Harnacks »Unruhige Nacht«, ein Film, der leider einige Schwächen aufweist- so hätte die etwas deplazierte Liebesgeschichte wegfallen müssen - der aber trotzdem stark in seiner Wirkung ist. Ein Deserteur, der mit einer Russin flüchtete, wird gefasst, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ein klarer, unkomplizierter Fall! Nicht etwa ein Justizmord aus verbrecherischen Motiven, Fanatismus oder Gleichgültigkeit wird geschildert, sondern ein juristisch einwandfreies, gerechtes Urteil Dies wurde von verschiedenen Seiten, so z. B. auch vom »Katholischen Filmdienst«, beanstandet. Zu Unrecht. Denn gerade die Gerechtigkeit des Urteils rückt die Problematik, um die es hier geht, ins rechte Licht. Das arme unschuldige Opfer eines gehässigen oder fanatischen Kriegsgerichtsrates hätte zwar durchaus den Vorwurf einer erschütternden Filmhandlung abgegeben, aber es wäre dem Thema nicht gerecht geworden. Es hätte die Emotionen des Zuschauers, aber nicht seinen Verstand angesprochen. Der Film zeigt, dass das »normale« Verhalten jedes Menschen, nämlich die Sehnsucht nach Frieden und Glück, im Kriege ein Verbrechen ist und gesühnt werden muss. Die Anklage gegen den Krieg wäre wesentlich entschärft worden, wäre der Soldat Fedor unschuldig hingerichtet worden. Aber gerade, dass nicht Willkür, sondern Gerechtigkeit zur Hinrichtung eines anständigen Menschen führte, dürfte das Wesen des Krieges, dessen Gesetze der Menschlichkeit Hohn sprechen, deutlich enthüllen _...
Dass man dem Problem des Krieges auch mit Humor beikommen kann, ohne in die billige Militärgroteske abzugleiten, zeigt die Komödie »Hotel Sahara« von Ken Annakin. Zwar ist die Handlung mit einer Fülle der komischsten Situationen durchsetzt, aber dahinter steckt - und damit unterscheidet sich der Film von der Klamotte - die deutliche Frage nach dem Sinn dieses kriegerischen Unfugs. Alle Soldaten, die als »Besatzer« oder »Befreier« in das Hotel kommen, sind anständige, friedliche Menschen. Aber man hat sie in Uniformen gesteckt, und nun versuchen sie mit allen Mitteln, einander zu töten. Sie sind weder Verbrecher noch Heroen, sondern einfach Menschen, und an ihrem Beispiel wird der Krieg entlarvt als die grösste Widersinnigkeit, die es gibt.
Eine Reihe von Militärfilmen befasst sich mit Problemen, die ausserhalb dieses Kriegsthemas stehen, auch wenn ihre Handlungen in einem Kriege spielen. Das Thema des Verrates liegt vielen zugrunde, auf die jetzt kurz eingegangen werden soll. »Der 20. Juli« von Falk Harnack und »Es geschah am 20. Juli« von Georg Wilhelm Pabst befassen sich mit einem Ereignis, das noch heute zu den brennenden Fragen gehört. Es besteht kein Zweifel, dass die Männer, die im Juli 1944 das Attentat auf Hitler planten und durchführten, aus edelsten Motiven handelten. Leider werden beide Filme - der von Harnack ist auf jeden Fall besser durchgeführt - dem Thema nicht ganz gerecht. Dem unbefangenen Zuschauer ist es rätselhaft, wie dieser Plan missglücken konnte. Hatten diese Leute, die doch alle Mittel zur Verfügung hatten, denn keinen Techniker, der ihnen eine wirkungsvolle Bombe konstruieren konnte - eine Kleinigkeit, die in Algerien zum Beispiel sogar Analphabeten fertigbringen? In derartigen Problemen erschöpfen sich leider beide Filme. Dabei hätte die Fragestellung lauten müssen: Darf der Soldat in die Politik eingreifen? Was rechtfertigt den Bruch des Fahneneides? Was sind die Gründe dafür, dass die meisten Generäle erst so spät sich gegen Hitler wendeten? Waren sie wirklich nur Mitläufer, solange alles gut ging, oder lag ihr Versagen tiefer, z. B. in ihrer mangelnden politischen Erfahrung? Diesen Problemen zeigten sich die Filme nicht gewachsen, obwohl »Der 20. Juli« von Harnack sie zumindest andeutete.
Ein ähnliches Thema griff Anatole Litvak mit »Decision before Dawn« (Entscheidung vor Morgengrauen) auf. Hier wird ein junger Sanitätsgefreiter zum »Verräter«, weil er erkannte, dass er dem Verbrechen diente. Aber auch hier wird sein Gewissenskonflikt nur angedeutet.
Die wohl gelungenste Auseinandersetzung mit dem Phänomen »Militär« dürfte die Verfilmung des »Hauptmann von Köpenick« sein. Richard Oswald und Helmut Käutner widmeten sich dieser wahren Begebenheit, die in einmaliger Weise die Autorität der Uniform ad absurdum führte. Der belanglose traurige Fall des Schusters, der keine Papiere besitzt und mit einer beim Trödler gekauften Hauptmannsuniform die Stadtkasse von Köpenick »erobert«, weitet sich aus zu einer Tragikomödie der »Uniformhörigkeit«, der besonders die Deutschen in grossem Masse verfallen waren. - Dass er das preussische Offizierreglement im Zuchthaus lernte (auch das ist historisch), setzt der Geschichte noch ein besonderes Glanzlicht auf.
Soll man Militärfilme drehen? Soll man sie ansehen? - Warum nicht? Wenn
sie ihren Problemen nicht ausweichen, sondern mutig und kompromisslos zu
den Fragen, die sie aufwerfen, Stellung nehmen, können sie durchaus in
der Lage sein, ein starkes und bleibendes Erlebnis zu vermitteln.
Sollten sich jedoch Heldenverehrung, Glorifizierung des Krieges und
Militärklamotte auf der Leinwand breitmachen, so ist es die Aufgabe
aller, gegen derartige Machwerke vorzugehen und ihren Einfluss - vor
allem auf die Jugend - zu unterbinden. Elisabeth Barbara Meyer
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Zwischen »Sous les toits de Paris« und »Porte des Lilas«: René Clair
Unmittelbar nach der Erfindung des Tonfilms gelang es in Europa einigen Regisseuren, allen pessimistischen Voraussagen zum Trotz, ein paar Filme hervorzubringen, die sich für alle Zeiten ihren Ehrenplatz in der Geschichte der Filmkunst sichern sollten. Es ist erstaunlich, wie schnell diese Regisseure herausfanden - und es ist seitdem keine wesentliche Erkenntnis in der Behandlung des Tons hinzugekommen-, dass man den Ton wie eine zweite Stimme, gleichsam getrennt, behandeln und ihn kontrapunktisch der »Bildmelodie« gegenüberstellen müsse.
Diese frühen Meisterwerke des Tonfilms waren unter anderen Sternbergs »Blauer Engel« und Fritz Langs »M« in Deutschland, Blasettis »1860« in Italien und René Clairs »Sous les toits de Paris« in Frankreich.
»Sous les toits de Paris« (1929) war ein Welterfolg. Es war ein Tonfilm, der keiner Synchronisation bedurfte, um von jedermann verstanden zu werden. Mit »Le million« (1930) begann Clair eine Reihe von Filmen mit sozialkritischer Nebenabsicht, die sich in »A nous la liberté« (1931) deutlich verdichten sollte. Aber während »Le million« noch viel von jenem pariserischen Charme seines »Sous les toits _...« aufzuweisen hatte, verschwindet das typisch Französische, das typisch Clairsche in diesem Streifen fast ganz zugunsten scharfer Satire. Heute ist man geneigt, diesen Film unter anderen Aspekten zu sehen, damals jedenfalls war die Reaktion - auch bei Clairs Bewunderern - weitgehende Verständnislosigkeit. Clair wandte sich wieder zurück zu den Stilmitteln des »Sous les toits _...« und schuf »Le quatorze Juillet« (1932), der ihm den gleichen Erfolg und die gleiche Popularität verschaffen sollte. Der letzte Film dieser Epoche sollte »Le dernier milliardaire« (1934) sein. Wieder eine scharfe Satire, die aber in einem Phantasieland spielte, so dass sich der mahnende Zeigefinger hinter dem Spielerischen verstecken konnte. Wenn man bedenkt, dass sich der französische Film im Anfang der dreissiger Jahre in einer schweren künstlerischen Krise befand, sind diese Leistungen René Clairs doppelt zu würdigen. 1935 wurde Clair nach England eingeladen, um in einem Film Regie zu führen, der mit Hoffnungen auf den amerikanischen Markt mit amerikanischen Stars gedreht wurde: »The Ghost goes West«. Aber selbst Clair konnte diesem aufgeblasenen Projekt nur einen schwachen Glanz verleihen. 1940 kam Clair nach Hollywood. Es erging ihm dort wie den meisten Europäern: der überorganisierte Atelierbetrieb gestattete ihm nicht die freie Entfaltung seiner Phantasie und seiner persönlichen Aussageweise; seine amerikanischen Filme verraten zwar immer noch seine unvergleichliche Handschrift, mehr aber noch die Handschrift eines alten Routiniers. (»The Flame of New Orleans« mit Marlene Dietrich, »I Married a Witch«, »It Happened To-Morrow« und »Ten Little Indians«.)
Nach dem Kriege ging er sofort nach Frankreich zurück und drehte mit amerikanischer Hilfe »Le silence est d' Or« (1945), mehr oder weniger ein »vehicle« für Maurice Chevalier, aber eine seltsame und faszinierende Mischung aus Satire und Pariser Charme. Mit Gerard Philipe folgte bald darauf »Les belles de nuit« (1952), der schon vom Stoff her alle Möglichkeiten zur Entfaltung spielerischer Phantasie in sich tragen sollte und ein beachtlicher Erfolg wurde.
Aber ein so selbstkritischer und suchender Regisseur kehrt nur ungern
zur sicheren Quelle seiner früheren Erfolge zurück. Er wird erkannt
haben, dass man nicht ein Leben lang Filme machen kann wie »Sous les
toits _...«. in »Les grandes manoeuvres« (1955) mischt sich zum erstenmal
bei Clair so etwas wie eine tragische Verwicklung ein-»Porte des Lilas«
ist eine Tragödie im ureigensten Sinne. Aber »Les grandes manoeuvres«
ist unkonsequent, reichlich kommerziell und nicht das, was man von Clair
erwarten kann. »Porte des Lilas« dagegen steht auf der gleichen Höhe
seiner früheren Erfolge. Es ist ein echter Clair, aber ein neuer,
vertiefter Clair. Es ist ein Film, der deutlich die Handschrift von
»Sous les toits _...« zeigt, der aber auch zeigt, dass der italienische
Neoverismus, der sartresche Existenzialismus und die »Serie noire« der
jungen französischen Regisseure nicht spurlos an Clair vorübergegangen
sind. we.
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Im Wintersemester 1958/59 wurde vom Verband der Film- und Fernseharbeitsgemeinschaften an den deutschen Hochschulen (Fiag) mit der Unterstützung durch Herrn Prof. D. Iwand ein Seminar über Probleme des Kriegsfilmes veranstaltet. Das Seminar stand unter der Leitung von Herrn G. Albrecht, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Fiag und wissenschaftlichen Assistenten (Forschungsauftrag über das Verhältnis von Film und Weltanschauung) an der Universität Bonn. Wir geben Ihnen die von Herrn G. Albrecht schriftlich niedergelegten Ergebnisse des Seminars auszugsweise in einer vom Geschäftsführer der Fiag, Herrn H. Martin, überarbeiteten Fassung bekannt.
Als Beginn der Geschichte des Kriegsfilmes kann man nach unseren heutigen Kenntnissen das Jahr 1895 nennen. Damals schon zeigten Lumière (Kürassiere zu Pferde), Skladanowsky (Die Wachparade kommt) und Messter (Napoleon übergibt Bismarck nach der Schlacht bei Sedan seinen Degen) Szenen, die als Vorläufer der späteren authentischen Aufnahmen militärischer Ereignisse in der Wochenschau-Aktualität und der rekonstruierten und verfilmten Heldentaten und Kriegsgeschehnisse im Spielfilm angesehen werden müssen.
Von damals bis heute wurden nun Kriegsfilme der verschiedensten Ausführungen in technischer, dramaturgischer, inhaltlicher, psychologischer und soziologischer Hinsicht produziert, die ihrer Aussagekraft und -tendenz nach in den meisten Fällen dem jeweiligen allgemeinen Befinden und Bestreben des breiten Publikums entsprachen, eventuell zusätzlich von einflusssuchenden Gruppen zur Lenkung und Leitung der Volksmeinung benutzt wurden. Aus diesen historisch erkennbaren Beziehungen zwischen Kriegsfilm und Publikum sowie aus volkswirtschaftlich-statistischen und betriebswirtschaftlichen Überlegungen kann man nun das Recht ableiten, den Kriegsfilm als Ware, als Konsumgut zu betrachten, wobei also ästhetische Kategorien und mit ihnen im Zusammenhange stehende Probleme suspendiert sind. Nach diesen Überlegungen stellt sich für eine Untersuchung die Aufgabe, die Auswirkungen, die von der filmischen Wirklichkeit der in den Kriegsfilmen durch die Gestaltung manipulierten Realität auf das Verhältnis des Publikums zur Realität ausgeübt werden, zu untersuchen.
Das Publikum (Gründe für den Besuch von Kriegsfilmen)
Ganz allgemein lässt sich aus den von Herrn Albrecht im Rahmen der Fiag-Untersuchungen gewonnenen Ergebnissen erkennen, dass das Publikum in seiner psychologischen Grundhaltung die Tendenz zur Erreichung einer Unbelastung, Rehabilitierung, Abwälzung von Verantwortung oder eines Freispruchs zeigt. Es sucht somit nach modernen Mitteln des Sündenablasses. Weiterhin lassen sich grosse Anstrengungen zur Herstellung und Festigung der persönlichen Autorität, d. h. ein starkes Geltungsbedürfnis, feststellen.
Wenn man über diese allgemeinen Ergebnisse hinaus eine detailliertere Struktur des Publikums von Kriegsfilmen angeben will, kann man drei Kategorien unterscheiden:
1. Eine Besuchergruppe, die aus der Vergangenheit heraus Komplexe der verschiedensten Art zeigt. Sie wünscht sich die Vergangenheit zurück oder sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Andererseits erhofft sie sich durch die Darstellungen des Kriegsfilmes eine Rehabilitierung, Entlastung oder eine Rechtfertigung von bestimmten oder unbestimmten Geschehnissen. In dieser Besuchergruppe überwiegen Personen von 30 Jahren ab aufwärts.
2. Eine Besuchergruppe, die der Faszination des Themas »Krieg« erliegt. Sie sieht, meistens unbewusst, im Krieg eine Konzentration und Anomalie der Geschehnisse und will diese als Quelle besonderer Spannung geniessen. Eine Unterart der 2. Besuchergruppe ist jene, die keinen Unterschied zwischen den einzelnen Filmgattungen wahrnimmt und bei der der Kriegsfilm wie jeder andere Film dazu dient, die Abenteuer- und Schaulust zu befriedigen. Diese Gründe finden sich hauptsächlich bei den 16-20jährigen, relativ selten in der Gruppe der 20-30jährigen, während sie bei den 30-55jährigen häufiger beim Besuch von Kriegsfilmen vorzuliegen scheinen und bei den über 55jährigen deutlich nachgewiesen werden können.
3. Eine Besuchergruppe, die sich aus pädagogisch-informativen Gründen Kriegsfilme anschaut. Die Motive können im einzelnen sein: a) Information über das Kriegshandwerk aus mehreren Gründen, b) Informationen über mutmassliche spätere Gegner wegen Befürchtung eines neuen Krieges, c) Informationen über die militärischen Ereignisse und deren Interdependenz von anderen Geschehnissen, sei es, um einen Überblick über die Kriegsgeschichte zu bekommen, sei es, um durch das historische Studium sich besser und richtiger mit politischen, ideologischen, organisatorischen, wirtschaftlichen, philosophischen oder technischen Problemen der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft auseinandersetzen zu können.
Kriegsfilm und »damalige« Realität (z. Z. der Produktion bzw. der dargestellten Ereignisse)
Die Belastung, mit der jeder Kriegsfilm vor einer wissenschaftlichen Kritik erscheint, ist die Tatsache, dass ihm generell der Ruf der wirklichkeitsgetreuen Darstellung vorauseilt. Jedoch zeigen die Untersuchungsergebnisse - aber auch schon oberflächliches Nachdenken -, dass der Kriegsfilm, wie jede andere mit Ausdrucksmitteln in Ausdrucksformen verkörperte Idee, nur Ausschnitte oder Manipulationen der Realität darstellen kann. Die vielfach vom Publikum bemerkte Authentizität der dargestellten Ereignisse mit denen der Realität ist nur eine scheinbare. Ebenso kann der Kriegsfilm keinen Überblick über das Kriegsgeschehen geben, der der Realität entspräche. Der Grund für die Unmöglichkeit der Darstellung realer Geschehnisabläufe im Kriegsfilm liegt in der unterschiedlichen Eigengesetzlichkeit von Kriegsfilm und Realität. Der Kriegsfilm als Konsumgut muss stimulieren, informieren, amüsieren. Das bedingt eine Konzentration und Formung der Realität nach dramaturgischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die dargestellten Menschen sind charakterisiert durch eine Schablonisierung. Sie sind keine unverwechselbaren Individuen, sondern Funktionsträger im Dienste der Dramaturgie und publizistischen Aussage. Die Wahl der Themen für Kriegsfilme sowie die der Darstellungsmittel und Titel erfolgen, wie statistisch nachgewiesen, unter dem Gesichtspunkt der Faszination des Publikums. Es erhellt also aus diesen Extrakt-Bemerkungen, dass der Kriegsfilm dem Publikum keine Realität zu bieten vermag. Es ist ihm daraus kein Vorwurf zu machen, da jedes Kommunikationsmittel dieses Negativum (oder Positivum?) in sich einschliesst, es sei denn, er bediene sich dieser Behauptung in der Öffentlichkeit (als Werbemittel).
Kriegsfilm und heutige Realität (Kriegsfilm und Publikum)
Aus den statistisch festgestellten hohen Besucherzahlen der Kriegsfilme ist zu ersehen, dass der Kriegsfilm als Darstellungsform mit arteigenen oder artwidrigen Darstellungsmitteln die Realität in einer Weise manipuliert, die dem augenblicklichen Befinden und Bestreben des Publikums gemäss ist.
Im Kriegsfilm werden ständig existentielle Entscheidungen getroffen und sollen auch als für das wirkliche Leben verbindliche Entscheidungen vom Publikum nachvollzogen werden. Dieses gegenüber der Realität potenzierte Leben in der Entscheidung, das aller Institutionalisierung und Habitualisierung des normalen Lebens entbehrt und verlustig geht, beruht auf einer in den sozialpsychologischen Grundstrukturen verankerten Faszination: nicht die Nebensächlichkeiten und Zufälligkeiten des Alltäglichen, die das Leben eigentlich charakterisieren, sondern die grossen, die persönlichen Schicksale und die Ideologie der Gesellschaft beeinflussenden Entscheidungsfragen werden als das eigentliche Leben angesehen. Die unter »das Publikum« erwähnte Tendenz zur Herstellung, Festigung und Steigerung der individuellen Autorität!
Die ausschnitthafte Darstellung der Realität, Einzelereignisse isoliert darstellend, wobei die Bewertung durch die Darstellungsmittel und den Ausgang (Erfolg oder Nichterfolg, Happy-End oder kein Happy-End) erfolgt, kommt der Tendenz nach Rehabilitierung, Abwälzung der Verantwortung entgegen. Die isolierte Darstellung des Einzelereignisses lässt die verheerenden Auswirkungen des Gesamtereignisses, das Inferno des totalen Krieges, nebensächlich werden, langsam vergessen. Der erfolgreiche Ausgang von Einzelgeschehnissen in Kriegsfilmen, der in der Ethik des Films im allgemeinen, verbunden mit adäquaten Darstellungsmitteln, die Richtigkeit und Gerechtfertigkeit der Aktion beweist, gibt grossen Teilen des Publikums das Gefühl der gerechten Sache, gibt Rechtfertigung, Abnahme der Verantwortung, Freispruch.
Man wird dementsprechend von der Gesamtheit des Kriegsfilmangebots weder eine richtige Darstellung des vergangenen Weltkrieges noch eine sachgemässe Vergegenwärtigung der Probleme eines kommenden Krieges erwarten können. Man wird ebensowenig durch die Kriegsfilme eine sachgemässe Auseinandersetzung mit den allgemeinen Problemen des totalen Krieges und mit der besonderen Problematik des vergangenen Krieges erwarten können, da das Publikum wegen der Projektion seiner Ansichten und Wünsche in diese Filme sich nur von ihnen bestätigen, niemals aber mit den wesentlichen Informationen für eine Auseinandersetzung, die es zur Revision seiner Ansichten zwingen könnten, versorgen lässt.
Da der Schwerpunkt im Winterprogramm 1959/60 des Filmstudios an der
Johann Wolfgang Goethe-Universität e.V. auf dem Gebiet des Kriegsfilms
liegt und sich nicht nur die Zusammenhänge zwischen der
Aufnahmesituation des Publikums und den Darstellungseigentümlichkeiten
des Kriegsfilms als Problematik offerieren, sondern daneben u. a. die
Probleme der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, Konzentrierung
und Lenkung der Kriegsfilmproduktion aus verschiedenen Motiven und vor
allem der Kontrolle und Zensur einer eingehenden Beleuchtung bedürfen,
hat das Filmstudio den stellvertretenden Vorsitzenden des Verbandes der
Film- und Fernseharbeitsgemeinschaften an den Deutschen Hochschulen,
Herrn Gerd Albrecht, Bonn, eingeladen, im Januar 1960 (der genaue Termin
wird noch bekanntgegeben) über den Fragenkomplex Freiwillige
Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und Filmbewertungsstelle (Fbw),
die Grundlagen und Rechtfertigungen ihrer Entscheidungen, zu referieren.
Hans Martin
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»Während sich Zehntausende zu Demonstrationen gegen die Gefahr des Atomtodes versammeln, hält die Filmwirtschaft die Zeit für besonders günstig, das westdeutsche Publikum mit dem massierten Einsatz von Militärfilmen jeder Kategorie und jeden Kalibers unter Beschuss zu nehmen. Aber trotz der immer deutlicher angemeldeten öffentlichen Kritik an dieser Erscheinung, trotz Resolutionen und Beschlüssen: Wir stecken mitten in einer übersteigerten Serie von Militärfilmen, und wenn man das Titelregister betrachtet, so scheint diese Walze noch lange nicht zu Ende, sondern sie wird in der nächsten Zukunft noch intensiver in Erscheinung treten, wenn nun die einheimische Filmproduktion ihrerseits an die Arbeit geht. Aber, von nahe gesehen, ergibt sich noch eine viel unangenehmere Entdeckung, die ein ausländischer Verleih kürzlich in das Wort kleidete: »Die Militärklamotten sind gegenwärtig überhaupt noch das einzige, womit man im Filmgeschäft in Deutschland Geld verdienen kann:« Und da Geld verdient werden muss, ganz gleichgültig, welche Entwicklungen dadurch ausgelöst werden und ob man sich wieder einmal den schwachen demokratischen Ast, auf den wir unser Nest mühselig gebaut haben, dabei selbst absägt, so scheint kein Kraut gegen die Invasion gewachsen.« (Pfarrer Werner Hess in »Kirche und Film«, Juli 1958, Auszug.)
Probleme der Gestaltung wissenschaftlicher Filme
Seitdem Eadweard Muybridge im Jahre 1882 mit Hilfe von Reihenaufnahmen zum erstenmal die Bewegungsphasen eines galoppierenden Pferdes eindeutig analysierte, hat sich der Film in stetiger Entwicklung einen festen Platz als wissenschaftliches Hilfsmittel gesichert. Der zweifelhafte Weg aber, den der Film andererseits als Massenunterhaltungsmittel ging, hat viele Hersteller wissenschaftlicher Filme davon abgehalten, sich mit der Gestaltung eines Films näher auseinanderzusetzen. Gestalten heisst aber zunächst einmal Ordnung schaffen, und eine innere Ordnung braucht ein wissenschaftlicher Film genauso wie eine schriftlich fixierte, wissenschaftliche Arbeit. Genauso, wie ich in einer schriftlichen, wissenschaftlichen Arbeit wissen muss, wie ich Wichtiges hervorhebe und Unwichtiges nebenbei erwähne, muss ich wissen, wie ich in einem Film durch filmische Mittel etwas »unterstreichen« kann, wie ich eine Bildsequenz filmisch einleite und wie ich sie beende.
Aber selbst, wenn ich mit diesen Dingen vertraut bin, sehe ich mich bei der Herstellung eines wissenschaftlichen Films immer wieder vor die Frage gestellt: Wie weit darf ich nun mit der Gestaltung gehen, um den Wahrheitsgehalt nicht zu verfälschen, und wie weit m u ss ich den Film gestalten, damit er auch einen bleibenden Eindruck hinterlässt?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich zunächst festlegen, welchen Zwecken der Film dienen soll. Ich unterscheide vier Gruppen von wissenschaftlichen Filmen: 1. Film als Forschungsmittel. Wird meist dann angewandt, wenn Bewegungsvorgänge zu analysieren sind, die sich in ihrer Dynamik mit dem Auge nicht erfassen lassen (Zeitlupe und Zeitraffer). Diese Aufnahmen werden normalerweise nicht in einer Szenenfolge zusammengefasst, sondern einzeln ausgewertet. Das Problem der filmischen Gestaltung entfällt. Verlangt wird nur eine technisch saubere Fotografie.
2. Film als Dokument. Dient dazu, Vorgänge festzuhalten, die nicht ohne weiteres wiederholbar sind, z. B. in der Zoologie Lebensvorgänge von Tieren, die im Aussterben begriffen sind, oder in anderen Zweigen der Wissenschaft komplizierte und teure Experimente. Bei dieser Art von Filmen werde ich meist eine grössere Anzahl von Einstellungen drehen müssen, die dann in irgendeiner Weise auch geordnet werden müssen. Die Kenntnis der psychologischen Filmwirkung ist erforderlich, da schon die Art der Kameraeinstellung oder der Schnitt den Eindruck auf den Zuschauer verfälschen kann. Eine technisch saubere, aber ästhetisch anspruchslose Kameraführung und sparsamer Schnitt werden solche Verfälschungen vermeiden helfen. (Ein gutes Beispiel solcher verfälschter Filmdokumente sind die Kriegswochenschauen.)
3. Film als Publikationsmittel. Um Arbeitsergebnisse mitzuteilen, kann der Film vielfach Verwendung finden. Als Faustregel mag gelten, dass ich ihn genausoviel und so wenig gestalte, wie ich einen Vortrag »gestalte«. Ich habe dafür zu sorgen, dass er wohl flüssig und verständlich abläuft, aber ich mache kein »Drama« daraus.
4. Film als Unterrichtsmittel. In diesem Falle sind alle Tricks und Gestaltungsmittel erlaubt, soweit sie sich mit den Prinzipien der Pädagogik vereinbaren lassen. Je nach Altersgruppe kann ich den Film mehr oder weniger dramatisieren. Allerdings ist auch hier vorsichtig zu verfahren; das Einflechten von spielerischen Elementen ist nur dann zweckvoll, wenn es in gekonnter Weise geschieht.
Innerhalb dieser vier Gruppen kann ich wiederum zwei Hauptgruppen unterscheiden. In den Gruppen 1 und 2 dient der Film zur Fixierung von Arbeitsmaterial, eine Gestaltung und damit eine subjektive Einflussnahme auf die Wirkung des Filmstreifens ist zu vermeiden. Bei den Gruppen 3 und 4 wird sich eine persönliche Beeinflussung der Filmwirkung nicht vermeiden lassen und kann in vielen Fällen sogar notwendig sein.
In der Praxis werden sich diese vier Gruppen vielfach überschneiden. So werden die Filme der Gruppen 3 und 4 oft Streifen aus den Gruppen 1 und 2 enthalten. Ja, meistens wird es überhaupt nur sinnvoll sein, einen geschlossenen Film herzustellen, wenn Material dieser Art zur Verfügung steht. Die nüchterne Frage nach dem Zweck des Films wird mich auch in diesen Fällen die richtige Lösung finden lassen. Auch die Frage nach dem sehr umstrittenen Ton im wissenschaftlichen Film lässt sich auf diese Weise beantworten: In den Gruppen 1 und 2 ist der Ton überflüssig - es sei denn, es handle sich um synchrone Aufnahmen von Tierstimmen, Geräuschen usw. -, in den Gruppen 3 und 4 kann ein gesprochener Kommentar sehr nützlich sein. Hintergrundmusik hat in einem wissenschaftlichen Film nichts zu suchen.
Auf die äusserst schwierigen Fragen der Filmgestaltung im einzelnen
einzugehen, ist hier nicht möglich. Eines sollte man sich aber vor
Beginn jeder Filmproduktion sorgfältig überlegen, nämlich ob sich der
vorliegende Stoff auf keine andere Weise besser oder ebenso gut
darstellen lässt. In vielen Fällen wird man auf den teuren Film
verzichten können. Eine Diapositivreihe, die neuerdings auch synchron
mit einem Tonband vorgeführt werden kann, tut oft die gleichen Dienste.
Willy Wehrhahn
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In den beiden Ferienmonaten zeigte das Filmstudio vornehmlich Filme, die aus Archiven stammen und somit in öffentlichen Kinos nicht laufen dürfen.
Jacques Tati schildert in seinem ersten grösseren Film - vor dem Kriege
hatte er schon einige kurze Streifen gedreht - einen Festtag in der
französischen Provinz. Der deutsche Titel »Tempo, Tempo« bezieht sich
auf eine Episode, in der Tati die amerikanische Hast karikiert. Wie auch
in seinen beiden späteren Filmen wendet er die Episodentechnik an, die
in den »Ferien des Herrn Ülo [Hulot]« die geschlossenste Form erreicht.
In »Tempo, Tempo« erzählt er die Geschichte eines Landbriefträgers, der
mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen hat und - wie Tati bei der
deutschen Uraufführung vor den Filmclubs sagte - eine Karikatur de
Gaulles darstellen soll. [Nachtrag: Das Filmstudio zeigte diesen Film
zufällig mehrmals, wenn de Gaulles in Frankreich wieder "an die
Regierung kam".]
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Nach einem Roman von Conan Doyle drehte Carl Lamac einen der wenigen
guten deutschen Kriminalfilme. Die Kameraführung erzeugt oft eine dichte
Atmosphäre; das Spiel der Darsteller, besonders das Pontos, passt sich
den Rollen gut an. Nur »Sherlock Holmes« enttäuscht, fast möchte man
sagen - wie nicht anders zu erwarten. Dabei wird er gut eingeführt: erst
nach drei bis vier Minuten sieht man zum ersten Male sein Gesicht -
leider.
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Als bester Film Chaplins wird von den meisten »Circus« benannt. Chaplin
verzichtet hier bei den meisten Gags auf seine Manie der mehrmaligen
Wiederholung. Der Stoff ist ein Märchen ohne die penetrante Psychologie
seiner späteren Filme, aber doch nicht mehr so anspruchslos wie der der
früheren.
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Mutter Krausens Fahrt ins Glück
Schon bald nach seiner Fertigstellung wurde »Mutter Krausens Fahrt ins
Glück« verboten. Die kommunistische Produktionsgesellschaft hat mit
diesem Film scharfe Kritik an den bestehenden krassen sozialen
Unterschieden zwischen den »Fassaden« und den »Hinterhöfen« geübt. Sie
hat sich einer ausgezeichneten Besetzung bedient, so dass dieser Film
wohl zu den besten Stummfilmen zählen dürfte. Die Kamera ist so
hervorragend geführt - man bediente sich übrigens der kurz zuvor
erfundenen Gummilinse -, dass die meisten Zwischentitel ohne Schaden für
die Verständlichkeit fehlen könnten. Die Montage ist sehr stark von
Eisenstein und Pudovkin beeinflusst.
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Den ersten Mord begeht man im Affekt, den zweiten mit Überlegung - das
ist etwa die These der Hauptfigur des Filmes, eines
Psychologieprofessors. Fritz Lang, der Regisseur, spannt die Zuschauer
gehörig auf die Folter, mehr durch den Inhalt allerdings als durch die
Form des Filmes.
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Ein Bett und ein Ehepaar sind die einzigen Personen, die auftreten. Die
fünf, über ein ganzes Leben verstreuten Episoden, werden durch im
UPA-Stile gezeichnete Verbindungsstücke zusammengehalten. An diesem Film
ist die Fabel reizvoll; sie will nichts Weltbewegendes, nur ein wenig
besinnlich machen. Die beiden Darsteller spielen wie in einem Zimmer, in
das wir heimlich hineinsehen dürfen. Die Kamera - unser Auge - entdeckt
unauffällig viele immer neue Blickpunkte.
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Dieser Film Cocteaus ist noch vor seinem viel bekannteren »Die
schrecklichen Kinder« entstanden. Er weist aber schon die gleichen
Stilelemente auf: Grau in grau gehaltene Kulisse, theatermässige
Inszenierung und eine langsame Kamera. Die Fabel ist, wie im andern
Falle, morbide und makaber.
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Den Abschluss bildete ein Film, der uns zeigt, dass die Wirkung des
Inhaltes auf das Publikum wesentlich auf der Form beruht, in der er
gezeigt wird. Zwar wirkt schon der Name Hitchcock im Verein mit dem
Vorspann im rechten Sinne, aber ohne die exakte Einführung der Personen,
die gekonnte Suggestion, dass der einzige Normale verrückt erscheint,
lässt sich das Stück nicht denken. Im Weltbild aller Beteiligter fehlt
ein Detail, das auch uns für die Dauer des Filmes genommen wird, so dass
der Tod und der Tote lustig zu wirken scheinen, und keinem die an sich
ja frivole Umgangsweise damit zum Stein des Anstosses wird. H.
Birett
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Westfront 1918
Produktion: Nero-Film AG. S. Nebenzal, Deutschland 1930; Regie: G. W.
Pabst; Buch: Ladislaus Vajda nach dem Roman »Vier von der Infanterie«
von E. Johannsen; Kamera: F. A. Wagner; Darsteller: Fritz Kampers,
Gustav Diessl, H. J.Moebis, Claus Clausen.
»Dieser Kriegsfilm war weder malerisch noch spannungsreich. Ein trübes,
stumpfes Grau herrschte überall vor, und bestimmte Bildmotive brachten
sich immer wieder beharrlich zur Geltung. Eines dieser oft wiederholten
Bilder bot den Anblick eines kahlen Stückes Niemandsland, das sich vor
den deutschen Schützengräben ausbreitete. Sein einziges Wachstum bestand
aus zerrissenem Stacheldrahtverhau, durch Rauchwolken oder
undurchdringlichen Nebel von der Himmelslinie getrennt. Das kahle
Niemandsland war die Landschaft des Todes, und ihr ständiges Erscheinen
nur ein Spiegelbild dessen, was alle die zu erdulden hatten, die in dem
grauen Nichts gefangen waren. Dieser Alpdruck verstärkte sich noch, wenn
der Höllenlärm einer Schlacht losbrach. Ins Heulen der Granaten und
Geknatter der Maschinengewehre mischten sich Angstschreie von Panik und
Wahnsinn und schwollen zu einem einzigen, grauenvollen Missklang an, der
in Abständen vom lang anhaltenden, betäubenden Dröhnen eines
Artillerie-Sperrfeuers noch übertönt wurde.« (S. Kracauer in »Von
Caligari bis Hitler«.)
Die Geschichte einer kleinen Infanteriegruppe während der Endphase des
ersten Weltkrieges. Die objektive Grundhaltung dieses Films und die
tendenzlose Schilderung menschlichen Elends bewahrte ihn zunächst vor
den Angriffen der Nazis, die das Verbot des etwa gleichzeitig
erscheinenden Films »Im Westen nichts Neues« damals durchsetzen konnten.
G. W. Pabst, der ein Jahr später mit »Kameradschaft« zur
deutsch-französischen Verständigung beitragen wollte und die berühmte
»Dreigroschenoper« verfilmte, war durch die Mängel der damaligen
Tontechnik gezwungen, seine Vorliebe für rasche Schnittfolge
fallenzulassen. Statt dessen brachte er durch lange Kamerafahrten über
das trostlose Niemandsland deutlich spürbare Bewegung ins Bild. we
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Unter den Dächern von Paris (Sous les toits de Paris)
Produktion: Films-Sonores-Tobis, Frankreich 1929-30; Buch und Regie:
René Clair; Kamera: Georges Périnal; Musik: Armand Bernard; Darsteller:
Albert Préjean, Paul Olivier, Gaston Modot, Pola Illery.
Während die Erfindung des Tonfilms die Filmschöpfer in aller Welt in
eine Art Panikstimmung versetzte und »alles, was mit Lärm und Worten
handelte, Schmarren- und Sketchverfasser, Possenreisser, Baritone,
Bauchredner, Tragöden und Tierstimmenimitatoren, in der Leinwand eine
wahre Goldgrube sahen«, war René Clair einer der ersten Franzosen, die
sich mit den neuen Verhältnissen abzufinden versuchten. Er nahm den
Kampf mit der Technik auf und machte sich ein eigenes Konzept: Er
unterschied zunächst einmal »Tonfilm« und »Sprechfilm«, wobei er dem
»Sprechfilm« keine Chance für die Zukunft gab. Sparsam angewandte
Geräuscheffekte, ein gutes musikalisches Leitmotiv und ein knapper
Dialog, der an die Stelle der im Stummfilm gebräuchlichen Untertitel
treten sollte, das waren die Mittel, mit denen er die Leinwand tönen
lassen wollte. Der Erfolg seines ersten Tonfilms »Sous les toits de
Paris« sollte ihm recht geben. Die Bedeutung dieses Films liegt nicht
nur darin, dass er für den künstlerischen Tonfilm richtungweisend war,
sondern auch in der Tatsache, dass er skeptischen, aber befähigten
Regisseuren neuen Mut machte. Die Deutsche Filmzeitung schrieb damals
(Okt. 1930):
»Es ist die schicksalhafte Liebesgeschichte eines kleinen, armen, in
der Grossstadt alleinstehenden Mädchens, die uns da schlicht und einfach
erzählt wird _... Um das Spiel, das einfach Leben ist, Leichtigkeit und
Tiefe zugleich, schwebt unfassbar, bezaubernd allgegenwärtig die
besondere Atmosphäre von Paris. Das Paris des werktätigen Volkes, nicht
das andere, wo die Fremden ihr zweifelhaftes Vergnügen suchen.
Von der Technik sei hier nicht mehr gesagt, als dass sie gepflegt und
gediegen ist, aber nicht Selbstzweck-Stimmung ist hier Leben: die
armseligen kleinen Stuben mit den altmodischen Möbeln, die elenden
Gässchen mit den schiefen Häusern, kleinen Fenstern, hügeligen Dächern
haben soviel Anheimelndes an sich. Eine Vorstadtgasse mit vier Menschen.
Aber diese vier sind wirkliche Menschen, bringen Erlebnisse voll
humorvoller Spannung und fast heiterem Traurigsein.« we
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Wunder von Mailand (Miracolo a Milano)
Produktion: »Produzione de Sica«, Italien 1950; Regie: Vittorio de
Sica; Buch: Cessare Zavattini; Darsteller: Emma Grammatica, Francesco
Golisano, Paolo Stoppa.
Nachdem dieser Film nun schon seit Jahren in allen Hauptstädten der
Welt mit grösstem Erfolg gelaufen ist, allseits bekannt ist, viel
diskutiert worden ist und schon beinahe ein Stück Kulturgeschichte
unseres Jahrhunderts geworden ist, kann man sich eine nähere Besprechung
ersparen.
Viel ist über diesen Film geschrieben worden, und wenn man ein paar
massgebliche Kritiken zur Hand nimmt, so stellt man verwundert fest, dass
eigentlich mehr Negatives als Positives über ihn gesagt worden ist. Die
Erklärung hierfür ist jedoch einfach: Alle Kritiker haben die
allerhöchsten Massstäbe bei ihrer Beurteilung angelegt, haben ihn
automatisch in die Reihe der »zehn Besten« gestellt und mit diesen
verglichen, über eines sind sich jedoch alle einig, nämlich dass er einer
der ungewöhnlichsten und phantasievollsten Filme ist, die je gedreht
worden sind.
Vieles ist beim Erscheinen dieses Films prophezeit worden. Er bedeute
das Ende der neorealistischen Epoche, es sei nun endgültig offenbar, dass
de Sica Kommunist sei, und noch vieles andere mehr. Aber es sind nach
dem »Miracolo _...« noch viele andere Filme im Stile des Neoverismo
gedreht worden, bei de Sica, der seine Star-Honorare in die Produktion
künstlerischer Filme steckt, hängt keine rote Fahne aus dem Fenster, und
er hat auch keine neue Ära der »Märchen- und Traumfilme« eingeleitet,
wie viele Kritiker wissen wollten. Dieser Film ist einmalig, so
einmalig, dass sich niemand traut, ihn zu kopieren. we
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Wege zum Ruhm (Paths to Glory)
Produktion: Bryna USA, 1957; Regie: Stanley Kubrick; Buch: Stanley
Kubrick, Jim Thompson, Calder Willingham nach dem Roman »Paths to Glory«
von Humphrey Cobb; Kamera: Georg Krause; Darsteller: Kirk Douglas,
Adolphe Menjou, George MacReady, Wayne Morris.
Das Erscheinen dieses Filmes wirkte wie eine Bombe. Frankreichs
Regierung sprach von »Nationaler Schmach«, in Berlin wusste die
französische Stadtkommandantur nichts Besseres zu tun, als dreissig
Soldaten in Zivil zu beauftragen, den etwas mageren Protesten des
französischen Stadtkommandanten durch Randalieren und durch Werfen von
Stinkbomben mehr Nachdruck zu verleihen. Die Schweiz gar sah sich
genötigt, den Film gleich zu verbieten.
Der Film spielt zur Zeit des ersten Weltkrieges. Um das Jahr 1916 -mit
ungeheueren Opfern an Menschen und Material versucht man auf beiden
Seiten der Front den eingefrorenen Stellungskrieg nun endlich für sich
zu entscheiden - werden einem französischen General Ehren und
Beförderung versprochen, wenn es ihm gelänge, eine »kleine Unebenheit
der eigenen Linien« zu beseitigen. Als der Angriff misslingt, werden drei
Soldaten, die man vorher nach sehr persönlichen Gesichtspunkten
»ausgelost« hatte, stellvertretend für das ganze Regiment, das bei
dieser Aktion fast völlig verblutete, in einer Kriegsgerichtsverhandlung
zum Tode »wegen Feigheit vor dem Feind« verurteilt und erschossen.
In knapper eindringlicher Form wird hier ein Vorgang gezeigt, in dem
die Gier nach Ruhm, der Hunger nach Ehre den einzelnen zum Verbrecher an
seinen Mitmenschen, hier an seinen Untergebenen, werden lassen.
Die sparsamen Dialoge, die sich nur auf das Notwendigste konzentrieren,
die ausgezeichnete Kameraführung - man illustriert nicht mit mehr oder
minderem Geschick das Drehbuch, sondern macht die Handlung durch das
Bild sichtbar. Durch den Verzicht auf harte Schwarz-Weiss-Kontraste
erreicht man, dass ein deprimierendes Grau die Bilder überzieht - und die
hervorragende Besetzung heben diesen Streifen auf das Niveau von
»Westfront 18« oder »Im Westen nichts Neues«. Die erschütternde
Sterbeszene der angeblichen »Feiglinge«, die aussichtslosen Bemühungen
des Regimentskommandeurs, der helfen und seine Männer vor dem Tode
bewahren will, und andere Szenen mehr lassen deutlich werden, dass es
hier nicht um die Verunglimpfung einer Armee geht; man hätte die ganze
Handlung auch in anderen Uniformen drehen können, sondern, dass es denen,
die den Film »Wege zum Ruhm« schufen, um die Ächtung des Krieges mit
seiner grausamen Maschinerie der Tötung und Entmenschlichung zu tun war.
wv
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Die Mausefalle (Porte des Lilas)
Produktion: André Daven, Frankreich/Italien 1956; Regie: René Clair;
Buch: René Clair nach dem Roman »La Grande Ceinture« von René Fallet;
Kamera: Robert Le Febvre; Musik: Georges Brassens; Darsteller: Pierre
Brasseur, Georges Brassens, Henri Vidal, Dany Carrel. ,
Weit draussen vor den Toren von Paris, dort wo aus unbebauten Flächen,
Industrie- und Bahnanlagen, ärmlichen kleinen Häuschen und vorwitzig
vorgeschobenen
Wohnblocks die triste Landschaft des Grossstadtrandes entstanden ist,
dort wohnt in einer kleinen Hütte der »Artiste« (Georges Brassens). Er
arbeitet so gut wie gar nicht, und wenn er etwas Geld braucht, singt er
in den kleinen Bistros dieser Gegend ein paar Chansons.
Sein Freund ist »Juju« (Pierre Brasseur), ein harmloser, kleiner Gauner
und Herumtreiber. Wenn ihn seine Familie wegen seiner Faulheit vor die
Tür setzt, übernachtet er eben bei seinem Freunde, dem »Artisten«.
Eines Tages versteckt sich ausgerechnet in dieser Hütte der von der
Polizei verfolgte Schwerverbrecher Pierre (Henri Vidal). Aus
Ganovensolidarität helfen ihm die beiden zunächst. Als sich aber der
Aufenthalt ihres »Gastes« immer länger ausdehnt, wird die ganze Sache
unangenehm. Zu allem Übel entdeckt Maria (Dany Carrel), die Tochter des
Gastwirts von nebenan, das Versteck und verliebt sich in den Verfolgten.
Pierre nutzt ihre Liebe aus und versucht mit ihrer Hilfe seine Flucht
fortzusetzen, nimmt sie aber nicht mit, wie er ihr versprochen hatte.
»Juju« stellt ihn zur Rede und erschiesst ihn.
Der Gedanke, diesen Stoff zu verfilmen, kam nicht von René Clair
selbst, sondern von Pierre Brasseur und Georges Brassens, die gern die
beiden Rollen zusammen in irgendeiner Form gespielt hätten und René
Clair um Unterstützung bei der Dramatisierung dieses Stoffes baten. René
Clair, der wahrscheinlich schon lange auf der Suche nach einem
geeigneten Thema war, erkannte bald die vielen filmischen Möglichkeiten,
die diese Geschichte in sich trug. Und so entstand nach langer,
gemeinsamer Vorbereitung schliesslich das Drehbuch.
»Ich wollte ganz einfach zeigen, wie ein bisher völlig in seinem
eigenen, triebhaften Ich befangenes Wesen dazu kommt, an andere zu
denken. Es ist eine Geschichte, die in ihrer Form, in ihrem Ablauf und
ihrem Stil -wenn man so will - die Gesetze der antiken Tragödie befolgt
und doch ein simples Geschehen aus dem Alltag der Gegenwart ist, wie es
der Romancier René Fallet selbst erlebt hat.« (René Clair.) Von dem
Roman blieb allerdings nicht viel übrig, beinahe nicht mehr als die
Situation der beiden Faulenzer, denen die Hilfe an dem flüchtigen
Verbrecher zu einem neuen Lebensinhalt wird. Mehr als solch eine kleine
Fabel braucht ein künstlerischer Filmregisseur nicht. All die Dinge, die
zur Vertiefung der Charaktere und zur Verdichtung der Handlung führen,
sind bei der Gestaltung eines Films Leistungen des Regisseurs oder
sollten es wenigstens sein. Die Filmregie beschränkt sich nicht auf die
Führung der Darsteller vor der Kamera, sondern sie beginnt schon beim
Entwurf des Drehbuches.
Wie denn allerdings aus dieser kleinen Geschichte ein so grossartiger
Film entstanden ist, das ist eine wahre Meisterleistung René Clairs. Die
ärmlich-heitere Kleine-Leute-Atmosphäre der Pariser Vorstadt, die
saubere Konsequenz der Handlungsführung, das Einfügen zweier so
prächtiger Männergestalten wie Pierre Brasseur und Georges Brassens, der
übrigens in diesem Film zum erstenmal vor der Kamera steht, die filmisch
bewegte Führung der Kamera, das Mitspielen unbelebter Gegenstände, all
das ist in selten erreichter Prägnanz und Eindrucksstärke auf das
Zelluloid gebracht worden. we
»Was Film heisst, kann nicht erzählt werden. Aber mach' einer von uns das mal den Leuten klar, verdorben wie sie sind durch drei Jahrhunderte Geschwätz: Lyrik, Theater, Roman.« (René Clair)
»Der Filmapparat ist heute derartig überorganisiert, dass er
desorganisiert werden müsste, um besser zu funktionieren.« (René Clair)
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Der rote Ballon (Le ballon rouge)
Produktion: Films Montsouris Paris, Frankreich 1955; Regie und Buch:
Albert Lamorisse; Kamera: Edmond Séchan; Musik: Paurice Le Roux;
Darsteller: Pascal Lamorisse.
»Einfach süss« lautete das Prädikat einer jungen Dame, die
Filmbewertungsstelle fand den Film »besonders wertvoll«, und ein
Kritiker schreibt dazu: »Zauberhaft farbige und gemütstiefe Dichtung,
die jede Altersstufe zwingend anspricht.«
Zweifellos haben alle drei Stimmen recht. Albert Lamorisse, der schon
früher sein' Publikum mit dem Film »Crin blanc« (Der weisse Hengst)
begeisterte, hat diesmal ein Pariser Märchen in den schönsten Farben auf
die Leinwand gemalt. Man glaubt, im Jardin du Luxembourg oder in einem
der anderen Parks von Paris in der Frühlingssonne zu sitzen und den
Kindern beim Spielen zuzusehen. Der kleine Pascal Lamorisse, der mit
seinem roten Ballon durch die Strassen von Montmartre schlendert, steht
seinen Freunden vom Spielplatz in nichts nach, er »spielt« mit demselben
natürlichen Charme und derselben ansteckenden Lebensfreude - scheinbar
ohne zu merken, dass sein berühmter Vater ständig mit der ganzen
Filmmaschinerie dabei ist. Der Film ist ein Gedicht aus Farbe, Bewegung
und photographierter Atmosphäre. In seiner unkomplizierten Grösse und
seiner heiteren Menschlichkeit erinnert er an Saint-Exupérys Buch »Der
kleine Prinz«. Auch der kleine Pascal lebt in einer eigenen Welt, die
die Erwachsenen nicht verstehen; seine Zuneigung gilt einem roten
Ballon, der ihm ein treuer Freund und Spielkamerad ist. Als der Neid der
anderen dieses Glück zerstört, trösten ihn alle Ballons von Paris und
entführen ihn in den dunkelblauen Himmel.
In dem Kriegsfilm-Programm für dieses Semester leuchtet der rote Ballon
wie ein ermutigendes Symbol durch die Dummheit und den Hass des Krieges
und regt so gleichermassen zum Nachdenken an. mjr
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Der Untertan
Produktion: DEFA, Deutschland 1951; Regie: Wolfgang Staudte; Drehbuch:
Wolfgang Staudte und Fritz Staudte nach dem Roman von Heinrich Mann;
Kamera: Robert Baberske; Darsteller: Werner Peters, Renate Fischer,
Sabine Thalbach, Peter Esser, Eduard von Winterstein.
Heinrich Manns gleichnamiger Roman, geschrieben 1911, ist eine bittere
Anklage gegen die Zustände des wilhelminischen Reiches, eine Satire ohne
Erbarmen. Er demonstriert die Denk- und Anschauungsweise, das hohle
Pathos dieser Epoche unserer Geschichte an einem Menschen, der unfähig
ist, seine engstirnige Bürgerlichkeit, seinen blinden und hirnlosen
Untertanengeist und den stupiden Gehorsam seinem Kaiser gegenüber zu
überwinden.
Diederich Hesslings Devise: Nach oben buckeln und nach unten treten,
seine mehr als zweifelhafte vom Korpsethos geprägte Moralauffassung - du
kannst alles tun, was du willst, nur die Ehrenfassade deiner Verbindung
darf nicht beschmutzt werden -, sein Drückebergertum - das Militär ist
der Glanz der Nation, nur nicht für mich - und seine Grausamkeit anderen
Menschen gegenüber treiben ihn nach »oben«, in die »high society« einer
märkischen Kleinstadt, die durchwuchert ist von Neid, Missgunst, Gewäsch
und dem üblen Spülicht einer sich selbst gerechten Religionsauffassung.
Aus dieser Romanvorlage hat der sehr begabte, damals noch unbekannte
Regisseur Wolfgang Staudte einen grossen Film gemacht. Seine Karikatur
der ausgehenden Gründerzeit - es ist nicht uninteressant, dass der
Streifen von der ostzonalen DEFA gedreht und produziert, sein Drehbuch
vorher parteiamtlich durchsiebt wurde - erweist sich als härter, wenn
auch zuweilen weniger überzeugend, als Manns Buch, dessen Inhalt einige
Male von der Bitterkeit in den Hass und in ein Gefühl des Ekels verkehrt
wird.
Die symbolistische Kameraführung, hervorragend erkennbar in der Szene,
in der Hessling dem Kaiser in Rom begegnet, die straff eingesetzten
Schauspieler, die nur nach typenhaften Gesichtspunkten ausgewählt
wurden, die sehr guten Kulissen und die witzigen und sarkastischen
Dialoge schweissen den Film zu einer Einheit zusammen, die aus den
sonstigen filmischen Produkten des »Sozialistischen Realismus« weit
herausragt.
Dieser Film spielt vor 50 Jahren, und dennoch beschleicht den Zuschauer
ein Gefühl, hier ein Kunstwerk voll brennender Aktualität vor sich zu
haben, die Parallelen zu unserer wirtschaftswunderlichen Gesellschaft
sind offenkundig, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass es den
westdeutschen Hesslings gelang, diesen Film 6 Jahre vor uns zu verbergen.
wv
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Der weisse Hengst (Crin blanc)
Produktion: Schonger-Monsouris, Frankreich/Deutschland 1952; Regie und
Buch: Albert Lamorisse; Kamera: E. Séchan; Musik: Maurice le Roux;
Darsteller: Alain Emery, Pascal Lamorisse.
»Im Süden Frankreichs, dort, wo sich die Rhone in das Meer ergiesst,
liegt eine Landschaft - fast wie eine Wüste, so einsam und menschenleer
- sie heisst Camargue _...!« Mit diesen Worten beginnt eines der
wunderbarsten Filmmärchen, die Geschichte von Folco, dem Fischerjungen,
und Crin blanc, dem König der Wildpferde. Folco lebt in einer einsamen
Kate, umgeben von Sonne, Wasser, Wind, dem gleichmässigen, wie aus der
Urzeit herdringenden Geräusch der Brandung und umgeben von wilden
Pferden, die in grossen Herden die einsame Steppe durchstreifen. Als alle
Versuche des Viehzüchters und seiner Hirten, Crin blanc zu zähmen,
misslingen, erklärt dieser den weissen Hengst für vogelfrei: Jeder, der
ihn fängt, darf ihn behalten. Da reift in Folco ein Plan, gross und
wunderbar: Er wird den weissen Hengst zähmen, zähmen, um seine
Freundschaft zu gewinnen. Er versucht dies und das und ist
überglücklich, als sich Crin blanc entschliesst, sein Freund zu werden.
Mit Neid sieht der grosse Viehzüchter den Erfolg des kleinen
Fischerjungen. Die Guardians hetzen ihn auf ihren schnellen Pferden. Für
Folco und seinen Freund, den Hengst, gibt es am Ende nur den Tod. Sie
reiten dorthin, »wo das Meer den Horizont berührt, in ein Land, wo es
nur Kinder und Pferde gibt«.
Hier haben wir einen Film, in dem man vergisst, dass irgendwo die Kamera
surrte, um diese phantastischen Bildfolgen von Tieren, Landschaft und
Pferdekämpfen aufzunehmen. Albert Lamorisses Geschichte vom weissen
Hengst, dieses Abenteuer voll heimlicher Poesie rührt in uns eine Saite
an, die noch frei ist von allen Überzüchtungen unseres so »kulturellen«
Daseins. wv
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Das Komplott (Trial)
Produktion: MGM, USA, 1956; Regie: Mark Robson; Buch: Don M.
Mankiewicz; Kamera: Robert Surtees; Darsteller: Glenn Ford, Dorothy
McGuiere, Arthur Kennedy, Raffael Campos, Juan Hernandez.
Von den guten Filmen, die in den letzten Jahrzehnten aus Hollywood
kamen, sind die meisten von stark betonter gesellschaftskritischer
Prägung. Fragt man nach den Ursachen dieser kritischen Serie, so
begegnet man oft der optimistischen These, dass die überaus grosse
Freiheit der Vereinigten Staaten es jedem freistelle, ungeschoren heisse
Eisen anzufassen. Diese Argumentation will uns allerdings nicht recht
einleuchten, gibt es doch in den USA eine grosse Anzahl mächtiger
Interessenverbände, die sich jeder Kritik an einer ihrer Institutionen
oder Persönlichkeiten mit Nachdruck - wie auch ebendieser Film zeigt -
erwehren können. Ausserdem besteht diese Freiheit in vielen anderen
Ländern der Welt in gleichem Masse.
Mag es nun daran liegen, dass in Hollywood viele Regisseure zwar eine
Vorliebe für den »harten« Film haben, sich aber nicht zu den üblichen
Western- und Krimiklischees bereitfinden können, oder daran, dass diese
Regisseure glauben, dass ein guter Film ein Zeitdokument sein solle, und
sich deshalb ein aktuelles Thema auswählen oder daran, dass es an dem
viel gelobten »american-way-of-life« wirklich allerhand zu kritisieren
gibt, oder auch daran, dass geschäftstüchtige Produzenten diesen
Bestrebungen gern entgegenkommen, nicht nur um ihr kommerzialisiertes
Gewissen zu erleichtern, sondern auch, weil »Aktuelles« bekanntlich
»immer geht«, Tatsache bleibt, dass wir dieser seit etwa 25 Jahren
existierenden Richtung eine Reihe künstlerisch hervorragender Streifen
zu verdanken haben.
»Das Komplott« behandelt die Geschichte eines Jungen mexikanischer
Abstammung, der in den Verdacht gerät, einen Sexualmord begangen zu
haben. Eine politische Partei entdeckt nun ihr Interesse am Ausgang des
Prozesses und spannt der Fall für ihre Zwecke ein. Dadurch gerät das
Schicksal des Jungen in einen Strudel politischer Machenschaften, die
mit allen Mitteln moderner Demagogie betrieben werden. Der Film weist
deutlich darauf hin, wie ein durchaus ehrbares Gericht in die
Abhängigkeit der »öffentlichen Meinung« geraten kann.
»Jeder Politiker wird sich nach dem Genuss dieses Films wie ein
Dynamitfahrer vorkommen, jeder Anwalt wie Prinz Eisenherz und jeder
Richter wie Lukas auf dem Juxplatz.« (Abendpost, 14.12. 57.)
Inhaltlich ist dieser Film scharf anklagend, formal hervorragend, nur
zwei Dinge gefallen uns nicht: die etwas primitive Polemik gegen die
Kommunisten und das etwas reichlich gute Ende. we.
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18/15
Produktion: Divina, Deutschland 1954; Regie: Paul May; Buch: Ernst von
Saloman n. d. Roman von Hans Hellmut Kirst; Darsteller: Joachim
Fuchsberger, Eva Ingeborg Scholz, Paul Bösinger, Hans Christian Blech,
Wilfried Seyferth.
Hans Hellmut Kirst, der Autor des Romans 08/15, schreibt als »Kritiker«
in den »Frankfurter Heften« (10/55):
»Kaum jemand weiss besser als ich, wie gross die Schwierigkeiten waren,
die sich bei der Verfilmung des engverzahnten, ausjonglierten Buches
ergaben. Es sind auch viel mehr wunderbare als bedenkliche Stellen in
diesem Film. Aber in seiner Gesamtkomposition erscheint er mir zu laut -
und zu unruhig; sein Atem geht stossweise, er brüllt gern und springt zu
hastig von einer Phase in die andere. Wenn es jedoch jetzt so scheinen
will, als sei hier ein Autor gründlich missverstanden worden, - bleibt
immer noch eine Möglichkeit übrig: Der Autor war nicht deutlich genug!
Schon möglich; der Filmkritiker hat jedoch den Ehrgeiz, es zu sein.«
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Kinder, Mütter und ein General
Produktion: Eric Pommer - Intercontinental. Deutschland 1954; Regie:
Laszlo Benedek; Buch: Herbert Reinecker nach seinem Roman »Haun Sie ab
mit Heldentum«; Kamera: Günter Rittau; Musik: Werner Eisbrenner; Bauten:
Erich Kettelhut; Darsteller: Therese Giehse, Ursula Herking, Hilde
Krahl, Ewald Baiser, Bernhard Wicki.
Wichtig bei der Produktion eines Filmes sind nicht nur der Regisseur
und Autor, sondern auch der Produzent, der meist noch unbekannter ist
als der Regisseur. Eric Pommer, der der alten Ufa zu ihrem Ruhme
verhalf, drehte, als er nach langer Zeit wieder nach Deutschland
zurückkam, als zweiten Film »Kinder, Mütter und ein General«. Eric
Pommer holte sich als Regisseur Laszlo Benedek (Tod eines
Handlungsreisenden), der für seine feine psychologische
Schauspielerführung bekannt ist. Er gewann namhafte Darsteller und
Jungen, die zum Teil nicht minder gute Leistungen geben. So wurde der
Film besser als das Buch und sticht auch günstig gegen die übrigen
Kriegsfilme der damaligen Zeit ab, ja er kann sogar als einer der
Vorläufer der neueren Richtung, die sich ernsthafter mit diesem Thema
beschäftigt, bezeichnet werden.
15 Jungen melden sich, von den Lehrern ihres Internates bei Stettin
angefeuert, an die nahe Front. Als ihre Mütter davon erfahren, machen
sie sich auf, sie zurückzuholen. In fast dokumentarischen Aufnahmen
sehen wir ihre Wanderung. In der deutschen Fassung gelingt den Müttern
ihr Vorhaben, die »ausländische« zeigt das wahrscheinlichere Versagen.
Besonders bei den Szenen an der Front kommen die Schwächen des Filmes
zum Vorschein: eine zu glatte Aufnahmetechnik, die alles nur durch den
Bildinhalt sagen lässt; die leider unvermeidliche Liebesszene. Von den
Darstellern ist besonders Therese Giehse hervorzuheben, die scharf gegen
Soldatentum und Krieg spricht und die Wünsche der Hersteller in Worte
fasst, die sie in der Gesamtheit des Filmes nicht ausdrücken konnten.
HBi
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Im Westen nichts Neues (All quiet on the western Front)
Produktion: Universal Pictures, USA 1930; Regie: Lewis Milestone; Buch:
George Abott, Del Andrews, Maxwell Anderson nach dem Roman von Erich
Maria Remarque; Darsteller: Louis Wolheim, Lewis Ayres, John Wray,
Arnold Lucy.
Der Inhalt dieses Films, die Geschichte einer Abiturientenklasse, die
man mit verstaubtem Bierstubenpatriotismus anfüllt, sie »freiwillig« in
den Krieg hetzt und die dort, ernüchtert und verzweifelt, einen
sinnlosen Tod stirbt, berührt uns heute in einem besonderen Masse. Er
dürfte der von amtlicher Stelle propagierten »Wehrfreudigkeit« und dem
von gewissen Rechtskreisen in Verbindung mit der deutschen
Groschenheftproduktion verbreiteten Mythos vom deutschen Soldaten durch
seine nackte Darstellung der Realität den Boden entziehen; dürfte - denn
in Wahrheit tut er es nicht. Die Masse der Kinobesucher ist für die
wahren Tatsachen nicht empfänglich, man lebt, soweit man selbst
Kriegsteilnehmer aus einem oder zwei Weltkriegen ist, lieber mit seinen
eigenen Erlebnissen, die, von dem Zucker der Erinnerung überdeckt, nun
in einem allzu positiven Licht schimmern.
Die Mission dieses Filmes, die schonungslose Geisselung alles dessen,
was man mit preussischem Militarismus, spiesserisch patriotischer
Kasernenhofgeistigkeit zu bezeichnen pflegt, hatte kaum einen Erfolg.
Als der Streifen 1930 zum ersten Mal gespielt wurde, kapitulierte die
Weimarer Republik vor der Goebbelsschen Terrormaschine, die nur von
einem »vernegerten jüdischen Machwerk« sprach, das den »deutschen
Menschen besudele«. Die Wiederaufführung 1932 wurde sehr bald durch die
NS-Machtergreifung beendet, seiner Wiederverbreitung im Jahre 1952
setzte die Bequemlichkeit schnell ein Ende.
Milestone zeigt in breitangelegten Szenen, nie stossen wir dabei auf
Massenentfaltung oder Materialaufwand, dass er fähig ist, alles, Kamera,
Kulissen und die Schauspieler, seiner Idee von der verlorenen Generation
unterzuordnen. Dies geschieht mit einer Kraft des Ausdrucks, die auch
heute noch, nach 30 Jahren und nach den Leiden eines neuen Weltkrieges,
im Zuschauer ein Gefühl der Erschütterung und der Bestürzung hervorruft.
wv
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Das Spiel ist aus (Les jeux sont faits) (Zurück zu Heft 29)
Produktion: Pathé, Frankreich 1947; Regie: Jean Delannoy; Buch: Jean
Delannoy und Pierre Bost nach Jean-Paul Sartre; Kamera: Christian
Matras; Musik: Georges Auric; Darsteller: Micheline Presle, Marcel
Pagliero, Fernand Fabre, Charles Dullin, Paul Olivier.
» _... Das hier vorliegende, erzählende Filmdrehbuch gab die Basis für
ein filmisches Meisterwerk Jean Delannoys, das in der ganzen Welt
Aufsehen erregte. Auch hier wieder, ähnlich wie in seinem Stück »Bei
geschlossenen Türen«, projeziert Sartre den Schatten des Lebens über den
Tod hinaus in eine transzendente Region. Zwei scharf entgegengesetzte
Gestalten, Mann und Frau, Rebell und Aktivistengattin, Revolutionär und
Dame der Gesellschaft, sterben zu gleicher Stunde durch Gewalt, begegnen
sich in einer Welt der Schatten, verlieben sich bis zu dem gewagten
Ausspruch »lch gäbe meine Seele, wenn ich um deinetwillen noch einmal
leben dürften Sie dürfen leben. Die Uhr des Schicksals wird
zurückgestellt unter der Bedingung, dass sie sich vorbehaltlos der Liebe
ergeben, um deretwillen ihnen das Leben wieder verliehen wurde. Aber die
Vergangenheit stellt ihre Forderungen, und sie verlieren das zweite
Leben an der Unfreiheit des ersten.« (rororo, Bd. 59.)
Les jeux sont faits - die Einsätze sind gemacht - » _... im vorigen
Leben nämlich. Der philosophische Sinn von der Unwiederholbarkeit einmal
im Leben getroffener Entscheidungen und einmal gegebener Seinslagen des
Menschen, das heisst also die unauflösbare Verwobenheit von Schicksal und
Freiheit, ist mit solcher Meisterschaft in eine allegorische Fabel
versteckt und eingebettet, dass dieser Film _... ein ganz ungewöhnliches
Ereignis darstellt.« (Karl Korn, FAZ, 16.6.50.) we
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Fanfan der Husar (Fanfan la tulipe)
Produktion: Films Ariane/Filmsonor, Italien/Frankreich 1951; Regie:
Christian Jacque; Buch: R. Wheeler und R. Fallet; Kamera: Christian
Matras; Darsteller: Gerard Philipe, Gina Lollobrigida, Oliver Hussenot,
Nerio Bernardi.
Das ist die Geschichte von Fanfan, der Tulpe, dem geweissagt wird, dass
er bei den Husaren General werden wird und die Königstochter zur Frau
bekommen soll, der ganz allein dem König die Schlacht gewinnt und damit
das Reich rettet und der schliesslich doch eine Königstochter -
allerdings nur eine adoptierte - um des happy endings willen mit nach
Hause nehmen darf. Eine Geschichte, teils Märchen, teils Sage, teils
Wirklichkeit.
Das alles läuft ab, mit einer Fülle von Abenteuerchen, Duellen und
rasselnden Säbelgefechten, mit amourösem Geplänkel, mit
halsbrecherischen Klettereien an steilen Burgmauern und verwegenen
Sprüngen auf galoppierende Pferde. Eine Räuberpistole also? Oder eine
Parodie darauf? Es ist noch mehr: Es ist die augenzwinkernde Erfüllung
jedermanns Jugendträume. Hier bist du Held, hier darfst du's sein! Eine
rokokokeske Eddie-Constantiniade!
Da ist viel Ironie dabei. Die ewigen Landsknechte und die
professionellen Duellanten, die Kasernenhofsergeanten und die bezopften
Spitzenkragengenerale und der König, der aus lauter
Menschenfreundlichkeit die Äste vorher ansägen lässt, an denen er seine
Widersacher aufhängen will; sie alle werden mit heiterem Spott oder
beissender Satire bedacht.
Die Dialoge sind witzig, schlagfertig, geistreich wie selten in einem
Film. Christian Jacque führt Regie mit einem Feuerwerk brillianter
Einfälle, so dass es sich Gerard Philipe - nach einem Kritiker - »in
diesem Film leisten kann, seine eigene Intelligenz unter den Tisch zu
spielen und nur mit Degen und Frauenbrüsten zu hantieren«. we
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