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Vorwort       Filmdaten bis 1920       Filmdaten ab 1920       Filmdaten noch nicht hier       Nicht-Filmdaten

Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Kinematographie I, 1962

Inhalt
Vorwort
Der Film als Objekt der Volkskunde
Filmanalyse
Methodik zur Erschliessung der Quellen
Alfred Hugenberg
Notwendigkeit, Ziel und Weg einer speziellen Betriebswirtschaftslehre
Volkstanzkunde - Der Film
Gedanken über eine "Geschichte Films"
Der Film - Werden und Wesen einer neuen Kunst


Vorwort

Zu seinem zehnjährigen Bestehen gibt das Filmstudio ein Sonderheft in mehreren Teilen heraus. Der erste gibt in einigen Artikeln Anregungen für eine nähere Beschäftigung mit dem Film als wissenschaftlichem Objekt. Die Auswahl wurde stark von den Möglichkeiten beeinflusst, Autoren zu finden. Der zweite Teil ist eine Bibliographie der deutschsprachigen Filmliteratur von 1940-1960 (sodass mit einiger Unvollständigkeit - nicht zuletzt in der Zeit bis 1940 - die gesamte Filmliteratur Deutschlands bibliographisch vorliegt.

Wir wollen keine unnützen Manifeste an die Adresse der Filmkundler herausgeben. "Papas Filmkunde" braucht nicht zu sterben, aber wir warnen eindringlich davor, die Filmwissenschaft, die es zu gründen und zu entwickeln gilt, so einseitig und schmalspurhaft zu betreiben, wie jene es ist.

Es gibt gegenwärtig eine Reihe von Gruppen, die eine Filmforschung etablieren wollen, doch stehen hinter den Diskussionen artfremde Ansprüche. Wenn wir ernstgenommen werden wollen, ist es nötig, eine Filmwissenschaft zu fördern, die "Wissenschaft" gleich den Natur- oder Geisteswissenschaften werden kann - eine sich selbst begreifende und sich selbst kontrollierende umfassende Wissenschaft, die den Film mit allen seinen Fragestellungen als Forschungsobjekt erfasst. Und es darf keine Möglichkeit, ihn unter irgendeinem Gesichtspunkt zu sehen, als nebensächlich beiseitegeschoben werden.

Wir wehren uns gegen die Überbetonung der Soziologie, der Psychologie und der Filmwirkungsforschung, wie gegen die Unterordung der Filmwissenschaft unter eine auf artfremden Grundlagen beruhende wissenschaftliche Weltanschauung. Es ist zwar nicht möglich, eine wissenschaftliche Theorie ohne ein allgemeines Weltbild aufzubauen, es ist aber mit der Freiheit der Forschung nicht vereinbar, wenn durch dieses Weltbild alles Forschen auf den einen passenden Weg gelenkt und alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen werden; ebenso schädlich ist es allerdings, theoretische Betrachtungen ohne genügende empirische Grundlagen anzustellen.

Es gibt in Ostberlin das Zentralinstitut für Filmforschung. Im Westen fehlt leider ein Institut, das alle wissenschaftlichen Bestrebungen in sich koordiniert oder wenigstens sammelt und - als Wichtigstes: Grundlagenforschung betreibt. (Warum z. B. nicht als ein Max-Planck-Institut?) Wir müssen aber auf die Gefahren hinweisen, die in der heute nur allzuweit verbreiteten Diktatur der Bürokratie liegen. Wie überall steht auch hier der Mensch an erster Stelle, der seine schöpferische Phantasie rationaler Kritik unterwirft und der bei aller Spezialität seiner Überlegungen und Forschungen nicht im engen Fachdenken befangen bleibt, sondern zu einer Gesamtschau vorstösst.

Wir möchten mit aller Entschiedenheit betonen, dass zur Zeit praktisch nirgends Filmwissenschaft betrieben wird - höchstens Alchimie. Auch dieses Heft kann weder filmwissenschaftliche Arbeit noch Grundlagenforschung hervorzaubern. Es wird nur veröffentlicht, um Anregungen zu geben und um Wege zu zeigen, die nicht im allgemeinen Trend der gegenwärtigen Filmkunde liegen. Es soll zu Diskussionen anregen, neue Wege zu finden.       Herbert Birett
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Der Film als Objekt der Volkskunde       Dorothee Bayer

Dieser Titel könnte den Anschein erwecken, als handle es sich um den zwar redlich gemeinten, aber am Ende doch unfruchtbaren Versuch, die Gattung Film auch unter den entlegensten Gesichtspunkten zu betrachten. Film - das ist moderne Technik, ist Massenkultur (Gefahr der Verflachung und Verwässerung der Gefühle). Volkskunde aber - so heisst es -hat sich zu befassen mit dem Alten und Bodenständigen, mit "echten" Werten und Gefühlen und mit ehrwürdiger Tradition. Es wäre jedoch in der heutigen Zeit grundfalsch, den Film als gefährlichen Gegner des "ehrwürdigen Alten" abzutun. Der Abstand zwischen den wirklichen Gegebenheiten der Welt des Volksmenschen und dem wehmütig-sentimentalen Rückblick auf die gute alte Zeit "wahren Volkstums" würde dadurch - niemand zum Nutzen - immer grösser. Eine Erstarrung der volkskundlichen Disziplin wäre das Endergebnis einer solchen Haltung. Es ist wichtig, auf die Struktur und die Erscheinungsformen der Volkskultur im Bereich der heutigen Arbeits- und Lebenswelt zu achten.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Volkskunde ist die Erforschung der volkstümlichen Kultur schlechthin, der Geistesart des Volksmenschen oder - wie man auch sagen kann - der Grundschicht. Mit diesem Begriff wird eher der Gefahr vorgebeugt, dass dem Wort "volkstümlich" romantische Klänge und Vorstellungen beigemischt werden, die Assoziationen von musealer feiertäglicher Schönheit hervorrufen könnten. Der heutige Mensch lebt in der modernen Industriewelt, die den Tanz unter der Dorflinde nicht mehr kennt. In dieser Welt müssen sein Verhalten und seine Wesensart untersucht werden, wenn es einem um Ergebnisse zu tun ist, die für das 20. Jahrhundert relevant sind. Hier ist nicht der Ort, auf Grund ästhetischer Wertungen eine Klage über den Verlust des Vergangenen anzustimmen. Es ist nun einmal so, dass heute oft die Musikbox an die Stelle des gesungenen Volksliedes, der Reihenroman an die des Geschichtenerzählers getreten ist - nicht anders als die modernen Landmaschinen an die Stelle der Ackergeräte, die heute in den Heimatmuseen zu sehen sind. Ob das immer gut ist - das wäre eine weitere Frage. Wichtig ist es zunächst, dass diese Dinge überhaupt gesehen werden und dass man beginnt, die Erzeugnisse und Formen des modernen Lebens auch als Erscheinungsformen volkstümlichen - oder grundschichtigen - Lebens zu sehen und sie somit auch als Objekt der volkskundlichen Forschung in Betracht zu ziehen.

Zu diesen Untersuchungsobjekten kann nicht nur, sondern muss notwendig auch der Film gehören. In ihm wird volkstümliche Kultur sichtbar, von ihm lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die Geistesart und die Bedürfnisse des Volkes. Dabei geht es freilich nicht um das Volksleben, das Gegenstand vieler sentimentaler Heimatfilme ist. Kostümiertes Landvolk, das in einer idealisierten Klischeelandschaft in operettenhafter Manier Bergtragödien und Dorfgeschichten agiert, dient nur einer Verfälschung des Bildes im obengenannten Sinne. "Der Förster vom Silberwald" ohne die Anforderungen des modernen Fremdenverkehrs, "Grün ist die Heide" ohne die Frage des Landschaftsschutzes oder der landwirtschaftlichen Nutzung, "Schwarzwaldmädel" ohne das Problem der Industrie auf dem Lande - all das kann nur falsche Vorstellungen wecken, nicht aber ein echtes Bild von der Realität volkstümlicher Kultur vermitteln.

Volkskundlich interessant aber wird selbst diese Filmgattung, wenn man sie nicht gleichsam als volkskundliche Quelle wertet, sondern an ihr die Bedürfnisse des Publikums misst. Dabei erweist sich die Volkskunde wie so oft als "Grenzwissenschaft" zwischen verschiedenen Disziplinen; sie berührt sich hier besonders nah mit den Gebieten der Soziologie und Psychologie, doch ist das Ziel ihrer Forschungen ein anderes. Bei der Frage: was wird im Film gewünscht, was kommt an? hat sie stets die Haltung des Volkes im Auge. Nun könnte man einwenden, der Film sei ja kein Erzeugnis des Volkes und lasse deshalb nur bedingt Rückschlüsse auf dessen Wesensart zu. Doch verhält es sich genau so mit den meisten Gütern der Volkskultur - dem Lied, dem Spruch, der Erzählung -, die auch nicht das Produkt einer anonymen Gesamtheit des Volkes, sondern das vom Volk aufgenommene Werk eines - allerdings oft namenlos gebliebenen - Einzelnen sind. Es bedarf keiner Beweise dafür, dass der Film vom Volk aufgenommen wird. Und eine ganze Reihe von Erfolgsfilmen und Kassenschlagern sprechen für die Beliebtheit bestimmter Inhalte und Genres beim Volk. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch eine Wechselwirkung im Sinne des Gesetzes von Angebot und Nachfrage. Dass sich durch die Möglichkeiten der modernen Wirtschaft und ihrer Werbungsmethoden der Geschmack und die Bedürfnisse der Konsumenten weitgehend lenken lassen, ist eine bekannte Tatsache. Deshalb ist der Film nicht nur ein Ort der Befriedigung volkstümlicher Bedürfnisse, sondern umgekehrt ist auch die Volkskultur durch Vorstellungen genormt und geprägt, die der Film an sie herangetragen hat. Diese reichen vom Italienklischee aus blauem Meer und Mandolinen, Chianti und Spaghetti bis zu den Lebenserwartungen, die vom Liebes- oder Abenteuerfilm geprägt sind. Der Film macht sein Publikum mit neuen Ländern und neuen Milieus bekannt, die als geprägte Münze, als feste Klischees ins Volk dringen und seine Vorstellungswelt stark beeinflussen und erweitern. Bei aller Exotik und bizarren Problematik ist jedoch zu beachten, dass gewisse Schemata, Typen und Konstellationen häufig wiederkehren. Sie stellen das Kriterium dar für die Konstanz gewisser Bedürfnisse, seelischer Wunsch- und Triebregungen des Publikums. Es wünscht Spannung und daneben doch die Gewähr eines befriedigenden Schlusses. Auch magisches Denken kommt im Film zum Ausdruck. Diesen Gedanken vertritt u. a. Hans Arnold in seiner Arbeit über "Das Magische des Films" (Mschr. Diss. München 1949). - Ein Sondergebiet, nämlich "Das Bild der Familie im deutschen Film", hat Martha Cehak in einer volkskundlich-soziologischen Studie behandelt (Hamburger Beiträge 2/3, 1958). Dem Verlangen nach mannigfachen Abenteuern und nach Buntheit des Geschehens steht das Bedürfnis des Volksmenschen nach vertrauten Typen und Situationen gegenüber, die ihm die Identifikation erleichtern und somit Wunschträume zu befriedigen vermögen. Zu einfach wäre es, den Film allein auf den Nenner "Traumfabrik" zu reduzieren, doch scheinen seine derartigen Funktionen - vom Standpunkt des Volkskundlers aus - nicht unwesentlich zu sein. Das ursprüngliche Märchenbedürfnis des Volkes wird heute weitgehend vom Film befriedigt.

Der Film kann also - von den pflegerischen Möglichkeiten des Kulturfilms abgesehen -keine unmittelbaren Aufschlüsse über volkstümliche Kulturgüter und Lebensformen geben, aber er ist indirekt auszuwerten als Gegenstand, an dem die Gesinnung und die Wünsche des "Volksmenschen" abzulesen sind. So gesehen bietet der Film als Objekt der Gegenwartsvolkskunde manchen fruchtbaren Ansatzpunkt zu weiteren Erkenntnissen, die mit Gewinn von der Forschung genutzt werden könnten.
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Filmanalyse       Hartmut Birett

Wer von Filmanalyse spricht, denkt in erster Linie an inhaltliche und ästhetische Grundsätze, nach denen ein Film betrachtet werden soll. Analysen zum Thema Film können sich mit einem Film nach vielen Gesichtspunkten, aber auch mit einem Problem innerhalb vieler Filme befassen. Im Folgenden wird eine kurze Übersicht über die vorhandenen Schemata und über weitere Betrachtungsweisen gegeben.

Am bekanntesten und umfangreichsten dürften wohl das Schema des IDHEC sein, das hier
nach Esnault geschildert wird:
A Dokumentation (so umfangreich wie möglich) über Film und Herstellergruppe (Regisseur, Produzent, Schauspieler u. ä.)

B Absichten der Hersteller (mit historisch-geschichtlichem Hintergrund; wichtig bei unbekannten Filmländern).

C Inhaltsanalyse: Inhalt (mit historischem Hintergrund); Ideen; Personen _...; Aufbau des Films; Adaptation; Filmdramaturgie.

D Formanalyse: Montage, Bildaufbau, Dekor, Architektur u. ä.; Interpretation der Darsteller; Ton (Musik, Geräusch, Text).

E Originalität bzw. basierend auf _...; Wert des Werkes; Wirksamkeit - jeweils für Inhalt und Form.

F Bibliographie, Fotos u. ä.

Besonders weist Esnault auf die Unterscheidung folgender Begriffspaare hin: Gegenstand - Darstellung; filmische Sprache - Stil; wichtiges - erfolgreiches Werk; für wertvoll halten - lieben. Das Schema der vorhandenen IDHEC-Analysen weicht etwas ab und lässt sich zusammenfassen in

A informativen Teil

B dramaturgischer Teil

C filmische Analyse

D Vergleiche (Filmhistorie, Soziologie, andere Kunstgattungen, persönliche Eindrücke, Diskussionsthemen).

Bei Analysen in "Image et son" und anderen französischen Zeitschriften liegt - je nach der Aufgabe, die sich die Zeitschrift stellt - der Schwerpunkt auf bestimmten Aussagen, während die übrigen knapper gehalten bzw. nicht berücksichtigt sind. So betrachtet "Image et son" - hinter der eine unserer VHS ähnliche Institution steht - vor allem den pädagogischen Wert eines Films.

In Deutschland erscheinen im EFB und KFD vereinzelt Filmanalysen, die, ihrem Zweck gemäss, ebenfalls das Pädagogische betonen und vorwiegend Inhaltsanalysen darstellen. Die Form wird nur am Rande erwähnt, da der Kreis, für den sie bestimmt sind, darauf nur in zweiter Linie achtet, meist dafür auch keine entsprechende Vorbildung hat. Im selben Sinn sind die Analysen des beim KFD erschienenen Buches "Filmanalysen" angelegt. Ein umfangreicheres Analysenschema hat Albrecht (FIAG/Bonn) zusammengestellt, das in einigen Punkten vom IDHEC-Schema abweicht. (Ausführlich im Heft "Wintersemester 61/62" des Bonner Filmclubs und beim Verband der deutschen Filmclubs erschienen):

A Filmische Gestalt
  Historie (Dokumentation)

  Filmische Mittel (Formanalyse) Inhalt

B Filmische Absicht (Vergleiche; Produktion und Konsumentation)

C Filmische Welt (Weltbild des Films)

D Sozialpsychologische Bedeutung.

Das Lexikon der "Autoren und Werke" des Centro Sperimentale kann man zur eigentlichen Filmanalyse nicht rechnen, obwohl es im zweiten Teil - sachliche und zeitbezügliche Dokumentation möglichst vieler Filme - an das Grenzgebiet der Analyse reicht.

Neben Filmanalysen in der geschilderten Form gibt es weitere Themenstellungen, die nicht einen speziellen Film, sondern eine Gruppe Filme oder allgemein den Film betreffen und zu denen man ebenfalls Rahmenpläne aufstellen kann. Beispiele derartiger Analysen sind:

A Nationale Produktionen

B Filmgattungen (z. B. Wildwestfilm)

C Filmstil (z. B. Verismus) und das damit häufig verbundene Generationenproblem (z. B. Neue Welle), das allerdings z. T. mehr den Inhalt als die Form betrifft.

D Stilelemente. Etwa gemäss der Literaturanalyse von Fucks (Aachen) werden die Einstellungen nach Art, Dauer, Anzahl je Sequenz und Intervalle zwischen zwei Einstellungen, sowie Ton und Farbe statistisch erfasst. Entsprechend ist die Auswertung nach Stil, Gattung, Regisseur u. ä. möglich. Hierher gehören auch Untersuchungen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Regisseur, Kameramann, Cutter u.a.in gleichen und verschiedenen Filmen, Filmgattungen und Zeiten.

E Filmwirkung

~ ~ a) der Einstellungen d. h. das Verhältnis ihrer Art zu ihrer Dauer, sowie die gegenseitige Beeinflussung der einzelnen Gestaltungsmittel während einer Einstellung.

~ ~ b) der Spannungskurve von Filmen gleicher Regisseure und Filmgattungen.

~ ~ c) des Gesamtfilms. Zu ihrer Ermittlung könnte man einen Film sowohl gleich -als auch verschiedenartigem Publikum, bei gleicher und verschiedener, bewusster und unbewusster Vorbereitung auf Inhalt und Form vorführen und bei Wiederholungen unveränderte, gekürzte, erweiterte, sowie mit Umstellungen versehene Streifen verwenden.

F Filmtechnik sowohl in dokumentarischer Form als auch künstlerische Probleme, die bei der Anwendung neuer technischer Möglichkeiten, z. B. die Auflösung des starren Stummfilmbildes durch die Montage, die entfesselte Kamera, sowie durch (zuweilen kontinuierliche) Veränderung des Bildformates.

G Inhaltsanalyse gemäss derjenigen der Zeitungswissenschaft (siehe "Publizistik 1962") (auch: Krakauer). Dabei müssen allerdings nicht ausgewählte, sondern auch wirklich alle zum Themenkreis gehörende Filme in Betracht gezogen werden (die ausgelassenen wenn möglich angeben).

H Wiederverfilmungen (Vergleich)

J Andere Phänomene im Film wie Gags, Symbolsprache in verschiedenen Kulturkreisen u.a..

Bei all diesen Analysen ist es wichtig, nicht nur die Werke für Filmbesucher, sondern auch die viel zahlreicheren für Kinogänger zu berücksichtigen.

Diese Schemata können nur Rahmenpläne sein, die je nach dem betrachteten Film in verschiedener Richtung modifiziert werden müssen, da es nicht möglich ist, z. B. "Nacht und Nebel" und "Die Kinder des Olymp" nach exakt dem gleichem Schema zu analysieren. Noch weniger passen sich rein wissenschaftliche Filme z. B. Üntersuchungen über Wasserdampfblasen" an Schemata an, die für Spielfilme aufgestellt wurden. Die Analyse derartiger Filme liegt den sogenannten "Filmwissenschaftlern" noch recht fern. Es müssen hierfür andere Kategorien der Beurteilung gefunden werden. Aber auch schon Wochenschauen, Industrie- und Werbefilme fallen selten in den Gesichtskreis jener "Filmanalytiker".

Es sei hier ein Beispiel für eine statistische Stiluntersuchung gegeben. Es war ein erster, noch unzulänglicher Versuch: Eine, für das laufende Bild!, genügend genaue Definition der Einstellungen fehlt; die Längen der Szenen wurden nach der Stoppuhr ermittelt; die "Louisianalegende" wurde von einem anderen Bearbeiter zu einem anderen Zweck getestet; Fahrten und Schwenks wurden bei einer Änderung der Einstellung, Anfangs- und Endetitel überhaupt weggelassen. Die Auswahl der Filme erfolgte aus der Überlegung, verschiedenartige Spielfilme könnten Unterschiede am ehesten aufzeigen. So wurden von gerade greifbaren Filmen drei benutzt:

Louisianalegende ("L") (Louisiana Story) : dokumentarischer Spielfilm ( Louisianalegende ;

Eduard und Caroline ("EC") (Edouard et Caroline) : langsam geschnittener Spielfilm ( Eduard und Caroline ;

Jeanne d' Arc ("J") (Passion de Jeanne d' Arc, La) : rasch geschnittener Stummfilm ( Jeanne d' Arc ;

Die Interpretation der Ergebnisse kann in diesem Stadium wohl mehr intuitiv als empirisch wissenschaftlich sein.

1. Es scheinen als Kriterium des langsamen und raschen Schnittes weniger die kurzen Szenen wichtig, als die Anzahl und Dauer der langen (etwa ab 15 sec; Masszahl = T - mittlere Einstellungsdauer)

2. Das absolute Maximum (tmax) liegt bei allen drei Filmen bei 2 sec; sind die anderen (10 und 13 sec) typisch oder nur hier zufällig?

3. Um die Kurve zu beschreiben, gibt es mehrere Möglichkeiten, von denen eine angegeben wird. Eine geschlossene analytische Formel zu finden, dürfte schwierig sein.

Die Asymmetrie a = (tmax - 1) / (T - tmax), je unsymmetrischer die Kurve ist, dh. je länger geschnitten wurde, desto kleiner ist a.

4. Teilt man die zeitliche Verteilung auf die einzelnen Einstellungen auf, kann man obige Rechnungen auch für diese Teilgruppen durchführen.

5. Die Verteilung der Szenenhäufigkeit (Anzahl und Gesamtdauer ergeben keine nennenswerten Unterschiede) zeigt einige bemerkenswerte Züge:

Die Extremeinstellungen sind in "L" und "EC" nur in geringem Masse vorhanden, in "J" sind die nahen Einstellungen bevorzugt. Der reine Spielfilm zeigt die Personen meist in HN, der dokumentarische Film muss näher an sein Objekt heran, um die Spannung zu erhalten (mehr N).

6. Aus der Informationstheorie entnehmen wir die Feststellung, dass aus einem Material die Elemente, die mit etwa 36,4%) vorkommen (Der Goldene Schnitt weist ein Verhältnis von 38 zu 62 auf; bei einem Bild wird es als harmonisch empfunden, wenn der Horizont oder auch eine Person sich im ersten Drittel des Bildes befindet.), am stärksten beachtet werden (mit steigender Häufigkeit eines Elementes nimmt nicht nur die Auffälligkeit zu, sondern auch die Ermüdung der menschlichen Aufnahmefähigkeit gegenüber diesem Element). Der Film "J", der vor allem wegen seiner Grossaufnahmen berühmt ist, sollte daraufhin untersucht werden.

Ob man hiernach sagen kann, dass "L" ausgewogener ist, als "EC", da einmal N 34%, das andere Mal HN 55% - weitaus zuviel - erhält? (Analyse v. Herbert Birett) [Weitere Entwicklung s. www.kinematographie.de/ZEITBG.HTM]
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Methodik zur Erschliessung der Quellen       Herbert Birett

A.

Sowenig heute noch die genaue Einordnung und Abgrenzung einer Wissenschaft möglich ist - wie sie das Ideal des vorigen Jahrhunderts war -, da jede Wissenschaft sich mit zu vielen anderen überschneidet, sowenig liegt es uns auch, diese Abgrenzung zu wollen. Da für manche Zwecke aber eine Klassifizierung notwendig ist, ordnet man nicht mehr eine "Sache" einer Wissenschaft zu, sondern die "Fragestellung", mit der man an diese Sache herantritt. Somit ist leicht zu verstehen, dass jede der "klassischen" wissenschaftlichen Disziplinen in das Gebiet der Filmkunde fallen oder eine Hilfswissenschaft werden kann. Es ist notwendig, nicht nur den jeweils interessierenden Gegenstand zu betrachten, sondern ihn in seinen Zeit- und Sachbezügen zu sehen. Hier soll nicht irgendeines der möglichen Sachgebiete behandelt werden, sondern die Methodik, wie man zu Quellenmaterial gelangt und wie man es zu beurteilen hat. Dieser Artikel bedeutet nur eine knappste Zusammenfassung dessen, was man darüber schreiben könnte; so wurden mit wenigen Ausnahmen nur deutsche Quellen genannt, während auf die ebensowichtigen fremdsprachigen nur verwiesen werden kann. Wer sich weiter mit diesem Thema beschäftigen will, der sei auf das Vorbild dieses Artikels

    Artelt: Einführung in die Medizinhistorik. Stuttgart: Enke 1949

und weiter auf

    Totok und Weitzel: Handbuch der bibliographischen Nachschlagwerke. Frankfurt/M: Klostermann 1954 verwiesen.

B.

Wenn auch eine Sammlung aller Quellen für die Filmkunde notwendig ist, so kann es nicht unsere Aufgabe sein, den "Monumentae Historiae Germaniae" ein Werk an die Seite zu stellen, in der alle schriftliche Überlieferung, und sei es auch nur wie dort aus den Anfängen, zum Thema Film abgedruckt wird - so nutzbringend es auch wäre -. Notwendig ist aber ein Dokumentationsdienst, nach der Art der chemischen Dokumentation, bei der von allen Artikeln und Büchern kurzgefasste Inhaltsangaben veröffentlicht werden. Man sage nicht, das sei unnötig. Im Jahre 1960 erschienen in Deutschland in etwa 200 Zeitschriften (ausser "Filmblätter" und "Filmwoche") fast 1 000 Artikel zum Thema Film.

Seit dem 50. Jahrestag des Films mehren sich die "Filmgeschichten", wenn man sie aber näher betrachtet, so sind es meist aneinandergereihte Filmtitel mit ein bisschen Inhalt, Histörchen drumherum und den einen oder anderen irgendwo abgeschriebenen Allgemeinplatz über Expressionismus, Neorealismus oder sonstwas im Film. Nur wenige gehen über Materialsammlungen - die für die Forschung oft wertlos sind, da sie keine genauen Quellenangaben aufweisen - hinaus und geben Einblick in die wirkliche Historie, die auch andere Problemkreise als nur Filmgeschichte aufweist. Die Filmkunde ist nicht mit Filmhistorie gleichzusetzen, sie hängt aber in starkem Masse mit ihr zusammen und von ihr ab, da sie hier das Material ihres Forschungsobjektes findet.

Wenn jeder Arzt alle Methoden seiner medizinischen Wissenschaft neu ausprobieren wollte, würde sich ein Sturm der Entrüstung erheben, beim Film ist es aber bei uns und in vielen anderen Ländern nicht anders: man sehe sich nur alte und neue Filme der Durchschnittsproduktion an. Sollte es wirklich in Deutschland unmöglich sein, aus der Geschichte zu lernen.

C.

Zu den Quellen gehören in erster Linie natürlich die Filme, weiter aber auch jegliche überlieferte Fakten, die etwas zur Geschichte der Kinematographie aussagen. Dabei muss man zwei verschiedene Arten unterscheiden: 1. die unmittelbaren, die selbst dieser Geschichte angehören: Filme, Geräte, Plakate, schriftliche Dokumente u. a. und 2. die mittelbaren, die über die Geschichte berichten: meist schriftliche oder mündliche Überlieferung. Jede Quelle muss, bevor man sie in die Forschung einbezieht, auf ihre Echtheit und Vertrauenswürdigkeit geprüft werden (siehe E).

In diesem Artikel wird kein Unterschied zwischen den unmittelbaren und mittelbaren Quellen gemacht, da dieser Unterschied mit der Fragestellung an ein Objekt wechseln kann. Es gibt eine Fülle von schriftlichen Arbeiten zum Thema Film, dass es praktisch nicht mehr möglich ist, alle in einer Bibliographie zusammenzufassen. Leider gibt es noch nicht einmal für die wichtigsten Länder Filmbibliographien (oder Standortverzeichnisse von Filmliteratur). Bei der Angabe im Anhang eines Werkes sollte man nicht in den Ehrgeiz verfallen, möglichst viel Literatur aufzuführen - dabei kann man nur Fehler weiterverbreiten -, man sollte sich besser darauf beschränken, nur Literatur anzugeben, die man selbst eingesehen hat. Bei der Suche nach Literatur zu einem gewählten Thema kann man einerseits in eine Filmfachbibliothek gehen und in den Bibliothekskatalogen erste Anhalte finden. In den meisten Büchern ist dann eine weitergehende Bibliographie zu diesem Thema vorhanden oder es sind zumindest im Text Hinweise auf andere Werke vorhanden. Solche Filmfachbibliotheken sind meist den Filmmuseen angeschlossen, aber auch andere Bibliotheken können Filmliteratur besitzen. In erster Linie die Nationalbibliotheken (bei denen man aber nicht ausleihen kann!), in zweiter Linie jene Bibliotheken, in deren Sondersammelgebiet das spezielle Forschungsprogramm fällt. Diese sind im

    Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken Leipzig (sp.Wiesbaden): Harrassowitz 1902ff verzeichnet, das in grösseren Bibliotheken einzusehen ist.

Die zweite Möglichkeit, sich Literatur zu erschliessen, besteht über die Bibliographien; allerdings muss man dann noch feststellen, wo diese Bücher einzusehen sind. (Näheres über die Beschaffung siehe D). In Deutschland besitzen wir zwei Nationalbibliographien

    Deutsches Bücherverzeichnis Leipzig: V. f. Buch- u. Bibliothekswesen 1911 ff

    Deutsche Bibliographie mit Österreich und Schweiz Frankfurt/M.: Buchhändlervereinigung 1945 ff. Literatur früherer Zeit findet man in

    Hinrichs fünfjährigem Bücherkatalog. Leipzig: Hinrichsche Buchhdlg. bis 1913

    Kaysers vollständiges Bücherlexikon. Leipzig: Tauchnitz bis 1910.

Für andere Länder gibt es ebenfalls Nationalbibliographien. Ein schwieriges Kapitel ist die Bibliographie der Zeitschriften.

    Gesamt-Zeitschriften-Verzeichnis (GZV) und Gesamtverzeichnis der ausländischen Zeitschriften (GAZ). Berlin: Auskunftsbureau der deutschen Bibliotheken 1914 bzw. 1929 (Fortsetzung in Arbeit: Marburg/L.)

    Standortskatalog wichtiger Zeitungsbestände in deutschen Bibliotheken. Leipzig: Deutsches Institut für Zeitungskunde 1933 (Fortsetzung in Arbeit: Bremen)

Auskünfte kann man auch über das Nordrhein-Westfälische Institut für Zeitungsforschung in Dortmund erhalten.

Nicht nur in Filmfachzeitschriften erscheinen Artikel über Film, sondern, wie wohl jeder weiss, kann jede Zeitung und Zeitschrift gleich welcher Richtung Beiträge zu diesem Thema liefern. Eine grosse Anzahl Zeitschriften und einige Zeitungen werden in

Bibliographie der Zeitschriften, Osnabrück: Dietrich

    A: Deutsche Zeitschriften, 1960, I = 120

    B: Fremdsprachige Zeitschriften, 58/59 (Neue Folge) = Bd. 45

    C: Rezensionen, bis 1943 = Bd. 76

ausgewertet.

Der "Dietrich" gibt unter Schlagworten zusammengefasst an: Überschrift, mittels Sigel den Namen der Zeitschrift und die Nummer, in welcher der betreffende Artikel erschienen ist (eventuell auch die Seite).

Die Dissertationen an den deutschen Hochschulen findet man im

    Verzeichnis der deutschen Hochschulschriften Leipzig 1959 = 75. Jahrgang.

Während Lebensbeschreibungen schon klassischer Berühmtheiten der Vorgeschichte des Films in Biographiensammlungen (etwa "Biographien grosser Deutscher") zu finden sind, kann man jüngere höchstens in modernen Nachschlagewerken finden. Diese Lexika bieten in ihren einschlägigen Artikeln auch sonst viel Material. Es sei hier nur auf den Brockhaus, Herder und Meyer, aber auch auf Zedlers Universallexikon (1733 bis 1750) verwiesen, ebenso auf die verschiedenen Enzyklopädien der einzelnen Ländern, die man auch für deutsche Probleme mit Nutzen heranziehen kann.

Über die allgemeinen Bibliographien und Lexika hinaus, gibt es weitere, die sich speziell

mit dem Film beschäftigen. Wieder nur eine kleine Auswahl:

    Traub-Lavies: Das deutsche Filmschrifttum. Leipzig: Hiersemann 1940

    Filmstudio: Das deutsche Filmschrifttum 1940-1960. Frankfurt: 1962

    Ch. Reinert: Kleines Filmlexikon. Einsiedeln-Zürich: Benziger 246

    G. Sadoul: Histoire général du cinéma. Paris: Ed. Flammarion 47 ff

    Répertoire mondial des périodiques cinématographiques. World List of Film Periodicals And Serials (mit einem Supplement). Brüssel 1955/7

Ein besonders geartetes Werk muss hier noch genannt werden:

    Filmhandbuch Berlin. Neuwied: Luchterhand 1938-1945; 1951 ff mit Dokumentationen aller Art (Gesetzestexte, Filmproduktionsangaben u. a. m.).

Filmlisten ihrer Filme geben viele Organisationen heraus.

Landesfilmdienste, Stadtbildstellen, das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU), das Institut für den wissenschaftlichen Film, Filmarchive. Filme, die im öffentlichen Verleih sind oder von der Zensurstelle geprüft wurden, findet man in den

    Zensurlisten (hauptsächlich von Berlin und München)

    Filmjahrbuch der Film-Bild-Bühne. Berlin 1922 ff

    Verleih-Katalog. Wiesbaden: Film-Echo 1948 ff

    Library of Congress Catalog. Motion Pictures And Filmstrips. Washington 53 ff

Schliesslich findet man Filmtitel in vielen Büchern und Zeitschriften zusammengestellt, doch gibt es noch keine umfassenderen Filmographien, sei es für den Nachweis der Filme selbst, sei es der für Produktionsangaben oder Literatur (im "Lexikon der Autoren und Werke" Rom: Centro Sperimentale. In Arbeit).

Über Sachgegenstände, wie Apparate oder Plakate usw., gibt es keinerlei Kataloge - will man von Reklameschriften der verschiedenen Firmen absehen.

D.

Hat man in der Literatur eine Quelle gefunden und möchte sie selber einsehen, wird man sich wohl erst einmal überlegen müssen, wo man sie am ehesten findet und am leichtesten erhält.

Stellt man fest, dass ein Film nicht mehr über den offiziellen Verleih zu bekommen ist, wendet man sich am besten an das nächste Filmarchiv. Unter normalen Umständen besitzt jedes Land mindestens ein offizielles Filmarchiv, das dem internationalen Verband der Filmarchive (FIAF) angeschlossen ist. Über diese Organisation ist es möglich, Filme aus anderen Ländern für Studienzwecke zu beschaffen. In Deutschland muss für jeden eingeführten Film eine Kaution hinterlegt werden, die bei der Ausfuhr wieder zurückgezahlt wird, sofern sie binnen dreier Monate erfolgt. Für Filme aus Ländern mit kommunistischen Regierungen besteht unter allen Umständen ein Prüfzwang, da man uns noch nicht für mündig hält.

Neben den Filmen findet man in Museen auch viele andere Quellen für die Filmforschung: Geräte (auch: Kinotechnische Gesellschaft-Berlin); alte und neue Filmplakate (Deutsches Institut für Filmkunde, Wallraff Richartz-Museum-Köln); Drehbücher u. ä. (Deutsches Institut für Filmkunde); bei den entsprechenden Firmen, Druckereien, Verleihern, Exportorganisationen, der Polizei, den Steuerämtern usw. liegt noch viel ungenutztes, unentdecktes Material. Bei den Rundfunkgesellschaften wird man Unterlagen über Sendungen erhalten können. Jede grosse Produktionsfirma hat einen grossen Fundus, der oft wichtige Materialien zur Geschichte des Films enthält. Bilder aus Filmen oder über Personen und Dreharbeiten findet man ebenfalls in den Archiven, bei Presseagenturen, Zeitungs- und Zeitschriftenarchiven, bei Verleihern, Produzenten und Filmwerbeunternehmen.

Noten wird man neben den genannten Stellen wohl am ehesten bei ehemaligen Filmmusikern oder in Filmbibliotheken suchen.

Nicht vergessen bei dieser Aufzählung seien die Erzählungen von Ältmeistern" oder anderen älteren Leuten und die Baudenkmäler wie Kinos, Ateliers u. ä. Die Nationalbibiiotheken sammeln zwar die gesamte Literatur des Landes, doch da sie kein Werk ausleihen, wird man sich, wo es geht, an andere Bibliotheken wenden. In Deutschland besitzen Literatur über den Film besonders:

    Deutsches Institut für Filmkunde / Wiesbaden-Biebrich : alle Gebiete

    Deutsches Museum / München : Technik

    Institut für Weltwirtschaft / Kiel : Wirtschaft, Recht

    Stadtbibliothek Bochum : Sondersammelgebiet Film

    Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M. : Sondersammelgebiet Theater

    Technische Hochschule Hannover : Technik

    Westdeutsche Bibliothek / Marburg : ältere Literatur

    Zentralstelle für Filmforschung / Berlin : alle Gebiete

Leider gibt es keinen Zentralkatalog für Filmliteratur mit Standortangaben. Bei den Bibliotheken ist es notwendig, Bestellzettel auszufüllen, da es nur wenige Freihandbibliotheken gibt. Wo diese vorhanden sind, muss man sich die Ordnungsprinzipien genau ansehen. Vor allem in Amerikahäusern wird die Dezimalklassifikation nach Dewey angewandt. Filmliteratur steht dort unter der Ziffer: 791.4 (bei speziellen Problemen auch unter anderen Nummern).

Andere Bibliotheken ordnen ihre Bücher sehr oft unter Buchstaben an. Meist steht der Film mit Kunst, Theater, Musik usw. zusammen. Kennt man von einem Werk den Verfasser, so kann man gleich den Älphabetischen Katalog" benutzen. Ist ein Buch bei einer Bibliothek nicht vorhanden, kann man es über den auswärtigen Leihverkehr bestellen (Roter Bestellschein). Die Standorte kann man über Zentralkataloge, die es für einzelne Bundesländer schon gibt, oder über die Sondersammelgebiete direkt finden. Sonst läuft diese Bestellung an alle infrage kommenden Bibliotheken, was naturgemäss recht lange dauern kann. In Zweifelsfällen wird die örtliche Bibliothek gerne weiterhelfen.

E.

Bevor man eine Quelle auch als Grundlage seiner Forschung anerkennt, ist es nötig, ihre Glaubwürdigkeit sowie ihre genaue Datierung zu bestimmen. Zur Datierung gehört nicht nur die Angabe, wann das Werk entstanden ist, sondern auch wo und von wem, weiterhin warum es geschaffen wurde; die Abhängigkeit von früheren Werken führt schon weiter zur Prüfung der Glaubwürdigkeit. Hat der Verfasser eine Absicht mit der Abfassung verbunden? Hat er es wirklich und so geschaffen oder sind spätere Überarbeitungen vorgenommen worden - wenn ja: warum, wann, von wem und in welcher Richtung? Mithin hat man eine Spezialgeschichte für jede Quelle aufzustellen.

In unserem Bereiche werden wohl hauptsächlich nur zwei Möglichkeiten der Verfälschungen bestehen. Grund für beide ist tendenziöse Darstellung. In einem Film können Szenen, die nachträglich gedreht wurden und gestellt sein können, eingefügt worden sein - sei es schon in der Originalausgabe, sei es später. Sie können eine "echte" Fälschung bedeuten, wenn sie im öriginalen" Stil verfasst und nicht als gestellt gekennzeichnet sind. Die andere Möglichkeit, mehr in Spielfilmen und in Literatur, besteht in der einseitigen Auswahl. Eine objektive dh. unvoreingenommene Darstellung ist zwar prinzipiell nicht möglich, man sollte sie aber doch anstreben. Die Behauptung eines Autors, eine objektive Schilderung läge vor, ist sehr verdächtig. In diesem Falle hat nämlich der Autor allen Grund, seinen Standpunkt zu verbergen. So besteht leider die Pflicht und Notwendigkeit einer genaueren Untersuchung über die Richtlinien bei der Auswahl. Selbstverständlich wird man die eigenen Richtlinien und den eigenen Standpunkt klar herausstellen, so dass sie von weiteren Bearbeitern leicht überprüft werden können.

Verfälschungen sind zum Beispiel auch alle Schnitte beim Film, gleichgültig von wem sie nach der Fertigstellung des Film vorgenommen werden. Auch bei der Bekanntgabe der Richtlinien, nach welchen geschnitten wurde (sei es "Straffung", seien es politische oder religiöse Motive), ist es eine Verfälschung des unmittelbaren Dokuments - gleichzeitig aber ist dieser Schnitt ein mittelbares über die "schneidende" Instanz.

Ein Forscher muss also stets das gesamte Zeitbild im Kopfe (oder im Karteikasten) haben, um von Fall zu Fall alle möglichen Aspekte nachprüfen zu können. Bei der Beurteilung einer Quelle - gleich welcher Herkunft - können fast alle Wissenschaften Hilfestellung leisten, wie auch deshalb alle Fakten auf dem Gebiet des Films Gegenstände der Forschung werden müssen. Es seien hier nur einige wissenschaftliche Disziplinen genannt, die man auf den Film anwenden kann - die Reihe ist beliebig zu verlängern: Architektur, Chemie, Geschichte, Graphik, Kulturgeschichte, Kybernetik, Mode, Montage, Musik, Physik, Stilkunde, Technik, Wirtschaft.

In Deutschland beherrscht vor allem die Soziologie, Juristerei, Psychologie und Pädagogik die Filmarbeit.

Gewisse Kenntnisse auf dem Gebiet des Films sollten vorhanden sein, ehe man sich mit der Forschung beschäftigt. Es genügt aber nicht, oft ins Kino zu gehen - wer viele Kirchen gesehen hat, ist noch lange kein Fachmann auf dem Gebiet der Kirchenbaukunst -, es gehört das stete Wechselspiel von Generalisation und Hypothesenbildung und ihrer Überprüfung und Korrektur anhand der Beispiele dazu, wie es für die exakten Wissenschaften selbstverständlich ist. Es ist besser, eine Quelle gründlich und nach allen Seiten hin auszuwerten, als zehn nur oberflächlich.

F.

Ist die Stellung einer Quelle klargestellt, kommt man zu den eigentlichen Ergebnissen. Bei der Zugrundelegung des Quellenmaterials mag man noch Folgendes bedenken: Ein Film sagt zum Beispiel nicht nur etwas über die Periode aus, die er schildert, sondern auch über die, in der er entstanden ist; so sind alle Filme es wert, aufgehoben zu werden. Ein Werk bietet nicht nur das, was der Autor absichtlich hineinlegt, sondern oft ist der Stil oder von ihm unreflektierte Nebenereignisse für die Aussage und Beurteilung in späterer Zeit viel wichtiger.

Die Darstellung der Ergebnisse kann in vielerlei Formen geschehen. Es kann zwar wieder ein Film, in den meisten Fällen dürfte es aber in schriftlicher Form sein. Es können Biographien, Beiträge zur Lokalgeschichte, zur Politik, Darstellungen bestimmter Perioden oder Schulen, Monographien zu einem bestimmten Thema usw. sein, immer ist es notwendig, alle benutzten Quellen mit anzugeben.

Das Zitieren geschieht entweder als Fussnote oder am Schluss des Werkes mit entsprechenden Verweisungen im Text. Bei der bibliographischen Aufnahme für Bibliotheksverzeichnisse, Besprechungen usw. sind der genaue Titel, Verfasser, Verlag, Auflage und Erscheinungsjahr, eventuell der Übersetzer anzugeben; möglichst auch noch Format, Standort und Seitenzahl. Meist genügen aber Kurzzitierungen mit: Verfasser, Titel, Ort, Jahr, Verlag - dh. Angaben, die nötig sind, um ein Buch bei einer Bibliothek zu finden und zu bestellen.

Wird aus einem Werk eine kurze Stelle angeführt (als Zitat, im Gegensatz zum Zitieren!), so muss die Seite angegeben werden, auf der das Zitat steht. Es muss ferner klar sein, von wo bis wohin das Zitat geht, was eventuell im Zitat schon in Parenthese steht oder ausgelassen wurde und was erst vom Bearbeiter hinzugegeben oder fortgenommen wurde. Kommentare innerhalb des Zitates stehen in Klammern mit dem Vermerk: d. Red. (die Redaktion), d. Ü. (der Übersetzer) usw. Erklärungen, die in den Verlauf des Textes nur schlecht passen, kann man in Anmerkungen an den Fuss der Seite stellen, möglich ist auch ihre Sammlung am Schluss des Werkes. Welche Form vorzuziehen ist, hängt vom Bearbeiter und vom Aufbau des Werkes ab.

Einige Tips noch für den Druck: Wenn man sein Manuskript vorher sauber noch einmal abschreiben lässt, sodass keine Korrekturen mehr nötig sind, spart man viel Geld, da ein Setzer weit mehr kostet als eine Stenotypistin. Aus einem ähnlichen Grund lässt man die Anmerkungen, die in kleiner Schrift am Fusse jeder Seite stehen sollen, vorteilhafter am Ende zusammengefasst setzen und bringt sie erst beim Umbruch an die richtige Stelle.

Ein schwieriges Kapitel bildet auch das Zitieren von Zeitungen und Zeitschriften. Gerade bei der Fülle der Titel kommt es auf eine genaue Angabe des Titels an, um Verwechslungen zu vermeiden. Abkürzungen sind ebenfalls weitgehendst zu vermeiden, sofern sie nicht eindeutig klar sind (etwa Ztg. = Zeitung, J(ournal), Abh(andlung)). Es ist aber zu empfehlen, ein Sigelverzeichnis beizufügen.

Filmen sollte man stets ihren Originaltitel beigeben.

G.

Es werden zum Thema Film Tagungen und Kongresse abgehalten, doch scheint es für die meisten eine Ehrensache zu sein, die dort gehaltenen Vorträge bzw. die Ergebnisse der dort vorgetragenen Forschungen (etwa FIAF-Tagungen) geheimzuhalten.

Ein Verzeichnis der Tagungen und anderer Treffen sowie der veranstaltenden Organisationen findet man in

    Calendrier des événements internationeaux du cinéma. (26, Av. de Segur) Paris.

Hierin stehen eine grosse Anzahl Organisationen und Vereinigungen, die sich mit der Filmforschung beschäftigen, sodass wir uns auf einige deutsche beschränken können:

    Deutsche Gesellschaft für Filmforschung, Bad Godesberg

    Deutsches Institut für Film und Fernsehen, München

    Deutsches Institut für Filmkunde, Wiesbaden-Biebrich [jetzt: Frankfurt/Main]

    Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, München

    Institut für den wissenschaftlichen Film, Göttingen

    Kinotechnische Gesellschaft, Berlin

    Zentralstelle für Filmforschung, Berlin

An einigen Universitäten (Berlin, Hamburg, München und Münster) gibt es Institute, die sich im Rahmen der Publizistik, der Pädagogik, Psychologie und Technik mit dem Film beschäftigen. Daneben gibt es eine Anzahl Privatpersonen, die sich dem Film - sammelnd und forschend - widmen.

Von den studentischen Filmclubs, die bis auf wenige Ausnahmen von den Universitäten wissenschaftlich nicht unterstützt werden (Bonn und Freiburg/B.: Studium generale) zeigen die meisten nur Filme mit anschliessenden Diskussionen, drehen Filme und lassen von Gästen Vorträge halten. Filmforschung wird praktisch nirgends betrieben.

H.

Wir dürfen wohl ohne Übertreibung sagen, dass wir, in Deutschland zumindest, den Film noch nicht zum Objekt einer strengen Wissenschaft erhoben haben. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis es soweit ist. Eine der vielen Grundbedingungen ist eine veränderte Geisteshaltung zum Film - bei Produzenten wie bei Konsumenten -, eine andere ein Institut, in dem unter der Aufsicht von Wissenschaftlern, die die Methodik ihrer Disziplin beherrschen, Filmkundler herangebildet werden, die diese Methodik an das Gebiet der Filmwissenschaft anpassen und eventuell arteigene ausbilden können.
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Alfred Hugenberg       Valeska Dietrich

"_... Nach einer nochmaligen Überprüfung der vorgelegten Unterlagen beschliesst der Entnazifizierungs-Ausschuss für den Regierungsbezirk Detmold Alfred Hugenberg in die Kategorie 5 - Entlastete - einzustufen. Der Betroffene ist ein hochbetagter Mann im Alter von 85 Jahren. Ihm politische Beschränkungen aufzuerlegen, auch von dem Gesichtspunkt der Vorbeugungstheorie aus, hat die Kammer nicht für erforderlich gehalten, abgesehen davon, dass man den Betroffenen doch nicht hindern könnte, wenn er noch über politischen Einfluss verfügt, diesen auch geltend zu machen, und es wäre grundverkehrt, wenn man ihm ein öffentliches politisches Auftreten verbieten wollte, um ihm, wenn er überhaupt dazu Neigung hätte, den Anreiz zu geben, diesen Einfluss im Geheimen auszuüben. Das wäre, staatspolitisch gesehen, das Ungeeignetste, was man überhaupt tun könnte. Aber die Kammer hat auch die Überzeugung, dass der Betroffene gar nicht das Bedürfnis hat, in seinem Alter und nach dem, was er durchgemacht hat, sich im politischen Leben aktiv zu beteiligen."

Zu diesem Beschluss kam am 1. Juli 1950 der Entnazifizierungs-Ausschuss für den Regierungsbezirk Detmold. Zum ersten Mal hatte Alfred Hugenberg 1947 vor einer Spruchkammer gestanden. In endlosen Verhandlungen versuchte man damals, die Hintergründe der politischen Ereignisse vor 1933 zu erhellen. Es gelang nur unvollständig. Die Spruchkammer stufte Alfred Hugenberg als "Minderbelasteten" ein. Er verlor dadurch jedes Anrecht auf Pension, ausserdem wurde ihm nicht gestattet, noch einmal eine politisch einflussreiche Stellung zu bekleiden. Mit der ihm eigenen Zähigkeit legte der damals 83jährige Berufung ein. In einer Dachkammer in Bad Meinigen - die britische Militärregierung hatte Alfred Hugenberg von seinem Familiengut Rohbraken gewiesen - verfasste er Schriftsätze, Widerlegungen und verhandelte mit seinem Rechtsanwalt. Seine Bemühungen hatten Erfolg. Im Jahre 1949 gibt man seiner Berufung statt. Der Berufungsausschuss Detmold stuft ihn in die Kategorie 4, das heisst als Mitläufer ein. Allerdings wurde in dem Entscheid betont:

"_... Alfred Hugenberg war auf keinen Fall nur ein Mitläufer. Nur mit Rücksicht auf sein hohes Alter hat die Kammer seiner Berufung stattgegeben."

Hugenberg aber legt erneut Berufung ein und hat wieder Erfolg: Fünf Jahre nach Kriegsende kommt es zu dem Spruch "entlastet". Drei so verschiedene Urteile über einen Mann - und das letzte bescheinigte ihm sogar, er sei unschuldig daran, dass Adolf Hitler an die Macht kam und am Abend des 30. Januar 1933 als neuernannter Reichskanzler vom Balkon der Reichskanzlei den Fackelzug abnehmen konnte, den ihm seine Sturmabteilungen zum Zeichen des Sieges darbrachten.

Andere hingegen haben Alfred Hugenberg den Steigbügelhalter Hitlers genannt. Sie sahen in ihm einen Vertreter jener Finanz- und Grossindustriellen-Kreise, die dem "böhmischen Gefreiten" in den entscheidenden Monaten des Zusammenbruchs der Weimarer Republik halfen, die Macht an sich zu reissen. Und die Anhänger Hugenbergs wiederum erklärten und erklären, er sei ein Patriot und ein aufrechter Deutscher gewesen und selbst ja ein Opfer des Nationalsozialismus geworden. Keines von diesen Urteilen wird der zwiespältigen Person Hugenbergs und seinem Einfluss tatsächlich gerecht. Denn gründliche Untersuchungen darüber gab es bisher nicht. Es soll in diesem Artikel nun aufgezeigt werden, weiche Macht Hugenberg wirklich innehatte und wieweit man ihn schuldig sprechen muss.

Am 16. Juni 1865 wird dem Königlich-Hannoverschen Schatzrat Hugenberg ein Sohn geboren, der den Namen Alfred erhält. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Hannover studiert der junge Mann in Göttingen, Heidelberg und Berlin Rechtswissenschaft, obwohl ihm eigentlich das Jurastudium verhasst ist. 1886 besteht Alfred Hugenberg das Referendarexamen und geht dann nach Strassburg, um Volkswirtschaft zu studieren. Dort promoviert er zwei Jahre später zum Doktor rer. pol. Nach Absolvierung des Militärdienstes tritt er in den preussischen Staatsdienst ein.

Einer der entscheidenden Abschnitte im Leben des späteren "Herrn über Presse und Film", Parteiführers und Ministers, beginnt jedoch, als Alfred Hugenberg 1894 zur sogenannten Ansiedlungskommission nach Posen versetzt wird. Dort findet sich der Freundeskreis, dessen Ideen später im Hugenberg-Konzern Früchte tragen sollten. Vor allem aber zeichnet sich in dieser Zeit eine Begabung Hugenbergs ab, die ihm überhaupt erst später seine Stellung als Konzernbeherrscher und Politiker ermöglicht: sein Talent zum Manager.

Nach vorübergehendem Ausscheiden aus dem Staatsdienst wird Hugenberg 1903 Geheimer und Vortragender Rat im preussischen Finanzministerium. Auch in dieser Position reisst die Verbindung zu dem Posener Freundeskreis nicht ab, im Gegenteil. In seinem Buch "Der Hugenberg-Konzern" schildert einer der engsten Freunde Hugenbergs, der Staatsrechtler an der Berliner Universität Ludwig Bernhard:

Ünd dann begann die ,Operation mit verteilten Rollen'. Schwerin war Dezernent im Ministerium des Inneren, Hugenberg Dezernent im Finanzministerium, Wahnschaffe Dezernent im Landwirtschaftsministerium. Die drei warfen einander die Bälle zu, beeinflussten die Unterstaatssekretäre und die Minister. Zugleich bereiteten Leo Wegener, Gänse, Kette und Meydenbauer in der Provinz den Boden für den von den Freunden entworfenen Plan. Weit über ihre formelle Zuständigkeit hinaus griffen diese Männer in die amtlichen Geschäfte ein und riskierten manchmal ihre Stellung, indem sie ohne Wissen, sogar gegen die Beschlüsse der zuständigen Instanzen handelten."

Diese Arbeitsweise hat Hugenberg beibehalten - von den Jahren seiner Posener Tätigkeit führt eine klare Linie bis hin zum Beherrscher des grossen Pressekonzerns, zum Politiker, Parteiführer und schliesslich zum Verbündeten Adolf Hitlers. Stets bleibt Hugenberg der Mann im Hintergrund, von den meisten in seiner Bedeutung unterschätzt. Aber in seiner Hand liegen die Fäden des bürokratischen Apparates. Er weiss, wie er sie im gegebenen Augenblick ziehen muss. Es sind seine Pläne, die verwirklicht werden, wenn auch oft ein anderer der Öffentlichkeit gegenüber verantwortlich zeichnet.

Der Aufstieg des nun 44jährigen Geheimrats beginnt, als die Friedrich Krupp A. G. ihn 1909 zum Ersten Vorsitzenden ihres Direktoriums in Essen beruft. In kurzer Zeit macht sich Alfred Hugenberg mit den Problemen der Zechen und Stahlwerke bekannt. Bereits 1912 ernennt man ihn zum Vorsitzenden des Bergbau-Vereins, in dem sich alle grossen Werke des Ruhrgebietes zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben. Der Vorsitzende einer derartigen Institution besass eine Schlüsselstellung; denn sie ermöglichte ihm einen weitreichenden Überblick über alle Vorgänge innerhalb der Schwerindustrie. Aber nicht nur dadurch gewann er Einfluss. Er hatte ausserdem zu entscheiden über Spendengesuche der vaterländischen, gemeinnützigen oder sonstigen Organisationen und Vereine, die sich ständig an die Ruhrindustrie wandten, da sie samt und sonders unter chronischem Geldmangel litten. Hugenberg wusste das zu nutzen. Ihm, der grösste Sparsamkeit aus dem preussischen Staatsdienst gewöhnt war, und der jede Sache nur nach ihrem Nutzeffekt beurteilte, fiel es auf, dass hier Millionenbeträge vertan wurden, ohne dass eine Wirkung im Interesse der Spender - der Ruhrindustrie - festzustellen war. Deshalb gliederte er seinem Büro eine Kontrollinstanz an, die von sofort an alle Spendenanforderungen zu bearbeiten hatte. Sehr bald spürten die Bittsteller, dass sich ein unauffällig gelenktes "Büro" zwischen sie und die früher so gebefreudige Ruhrindustrie geschoben hatte. Der Einfluss, den Alfred Hugenberg durch diese Kontrollinstanz gewinnt, sollte sich in späteren Jahren in einem Masse auswirken, das zur damaligen Zeit keiner voraussehen konnte. Für die Beteiligten fast unmerklich, von ihm aber intensiv ausgebaut, wird dieses kleine Büro - und dadurch Hugenberg - ein Macht im Hintergrund. Nicht nur die Sammelnden gewöhnen sich daran, dass er der massgebliche Mann ist, sondern auch die Ruhr-Industriellen holen seinen Rat ein, wenn sie die Absicht haben, sich an irgendeiner politischen oder gemeinnützigen Sache finanziell zu beteiligen. Es sind nicht nur "vaterländische Gesichtspunkte", die Hugenberg veranlassen, eine Sache gutzuheissen oder abzulehnen, sondern die "Zweckmässigkeit" der verteilten Gelder ist für seine Entscheidungen ausschlaggebend. Stets wird gefragt, ob die Unterstützung heischenden Vereinigungen in ihrer Wirkung der schon aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten verständlichen nationalen Einstellung der Ruhrindustrie nützlich sein könnten.

Das ganz besondere Interesse Hugenbergs aber gilt in dieser Zeit einem Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, über das schon der Posener Freundeskreis heftig diskutiert hatte: Es sind die Zeitungen. Schon lange vor der Tätigkeit Hugenbergs im Bergbau-Verein hatten verschiedene Ruhrindustrielle Zeitungen aufgekauft, um ihre Interessen zu propagieren, aber stets Misserfolge erlitten. Denn deutlich erkennbare rein wirtschaftliche, interessengebundene Absichten und das Wesen einer Zeitung sind Gegensätze, zwischen denen es keine Verbindung gibt. Das hatte Hugenberg erkannt. Er erklärte:

"Es wird auf die Dauer in Deutschland keine grosse Presse geben können, die Eigentum eines industriellen Werkes oder einer Gruppe von Werken (Industriekonzern) oder eines Verbandes von Interessenten ist, denn keine grosse deutsche Zeitung kann auf die Dauer Eigentum oder Interessenvertreterin einer solchen Gruppe oder eines solchen Verbandes sein, aus dem einfachen Grunde, weil ihr die Leser weglaufen würden. Eine grosse Zeitung kann auf die Dauer ihren Kristallisationspunkt nur in einer Idee finden. Denn eine Zeitung ist etwas anderes als ein Walzwerk oder eine Stickstoffabrik. An der Zeitung darf kein Geschäftsinteresse kleben!"

Um Einfluss auf die öffentliche Meinung zu gewinnen, schien der indirekte Weg viel mehr Erfolg zu versprechen. Hugenberg begann zunächst damit, seinen Einfluss auf das Anzeigenwesen auszudehnen. Die Schwerindustrie vergab ständig Anzeigen an die verschiedensten Zeitungen, vor allem an ausländische Blätter. Auch hier ein ähnliches Bild wie bei der Spendenvergabe: niemand überprüfte, ob die investierten Summen an der richtigen Stelle verwendet wurden und die gewünschte Wirkung erzielten. So wird dann am 6. März 1914 die Äusland G.m.b.H " in Essen gegründet. An der Gründung sind neben Alfred Hugenberg Emil Kirdorf, Hugo Stinnes und andere wichtige Personen des Ruhrgebietes beteiligt. Diese Äusland G.m.b.H." entwickelt Hugenberg in den folgenden Jahren zu einem Unternehmen, das dann in der Weimarer Zeit zu der grössten Anonncenagentur Deutschlands wird, der Äla".

Anzeigen sind einer der wichtigsten Faktoren für das wirtschaftliche Bestehen einer Zeitung, ober sie kann man infolgedessen einen grossen Einfluss auf die geistige Linie ausüben. Zunächst war die Äusland G.m.b.H." zur Einwirkung auf ausländische Blätter gedacht. Für einen Mann wie Alfred Hugenberg musste es beinahe selbstverständlich sein, möglichst bald einen ähnlichen Vorstoss auf die inländische Presse zu versuchen. Dieser Vorstoss beginnt 1915. In vertraulichen Briefen wendet sich im Dezember 1915 der Landwirtschaftsminister Freiherr von Schorlemer an die Ruhrindustriellen Kirdorf und Beukenburg. Zugleich wird Krupp von Bohlen und Halbach gebeten, auf den Ersten Vorsitzenden seines Kuratoriums, Geheimrat Alfred Hugenberg, einzuwirken. Der Grund für diesen Schriftwechsel unter dem Siegel strengster Geheimhaltung ist der Ankauf der August-Scherl-G.m.b.H. in Berlin. Bei den Verhandlungen verzichtete man nach Möglichkeit auf Briefe, in den Aktennotizen erschienen nur Decknamen, und um die notwendigen juristischen Formalitäten durchführen zu können, wurde eine juristische Person geschaffen, deren Name nichts vermuten liess und deren Sitz vom wirklichen Mittelpunkt des Geschehens entfernt war: die "Hanseatische Treuhand G.m.b.H." in Lübeck.

Im Jahre 1883 hatte August Scherl, der bedeutende Generalanzeiger-Verleger, in Berlin den "Lokal-Anzeiger" gegründet. In ganz kurzer Zeit wurde diese für die Generalanzeiger-Presse typische Zeitung zu einer publizistischen Macht. Weitere Verlagsorgane folgten. 1914 zog sich August Scherl zurück; der sogenannte Deutsche Verlags-Verein, ein Gremium von 59 Mitgliedern, trat an seine Stelle, geriet nach kurzer Zeit in Schulden, da keiner der Verantwortlichen in der Lage war, ein so differenziertes Unternehmen wie diesen Zeitungsverlag zu leiten. Der Deutsche Verlags-Verein bat die Regierung um Unterstützung. Vor allem wegen der höfisch-konservativen Grundlinie des "Lokal-Anzeigers" hatte die Regierung grosses Interesse am Weiterbestehen der August-Scherl G.m.b.H.. Aber sie konnte die notwendigen Millionenbeträge nicht beschaffen und verhandelte deshalb mit der Ruhrindustrie. Die Hugenberg-Gruppe tilgte mit 6,1 Millionen Mark die Schulden des Deutschen Verlags-Vereins, dazu kam eine von Ünbekannt" gegebene Summe in Höhe von einer Million Mark. Durch eine Satzungsänderung erhielt die Hugenberg-Gruppe das doppelte Stimmrecht und damit die Herrschaft über den Scherl-Verlag. Alfred Hugenberg übernimmt den Vorsitz im Aufsichtsrat und hat damit entscheidenden Einfluss, ohne finanziell beteiligt zu sein. Wie stark seine Position in den Kreisen der Schwerindustrie ist, beweisen seine Worte vor dem Ankauf:

"Ich kann die Verantwortung für eine so kostspielige und auch für mein persönliches Ansehen so folgenschwere Sanierung nur dann übernehmen, wenn ich die Möglichkeit erhalte, unbehindert durch Seiteneinflüsse zu handeln."

Am 1. Januar 1919 scheidet Alfred Hugenberg endgültig aus dem Direktorium Krupp aus, um sich ganz seiner neuen Aufgabe zu widmen. Er wird zum Manager in der Publizistik -eine neue Erscheinung in der Geschichte der deutschen Presse.

Der amerikanische Soziologe James Burnham hat in seinem 1941 veröffentlichten Buch "Das Regime der Manager" das Auftreten einer neuen sozialen Schicht behandelt, die die alten Autoritäten in der Gesellschaft ablöst. Die herrschende Klasse, sagt Burnham, ist immer diejenige, von der die Kontrolle über die Produktionsmittel ausgeübt wird; herrschend seien heute also nicht mehr die Kapitalisten, sondern die Manager. Auch andere Soziologen haben sich inzwischen mit dieser Problematik beschäftigt. Fest steht, dass das Phänomen des Managements erst auftreten konnte, als das Kapital mit dem Aufkommen der Aktiengesellschaften nach Eigentum und Funktion getrennt wurde. Es bildeten sich neue wirtschaftliche Führungsgruppen oder Schichten heraus, die die Funktionen der Eigentümer-Unternehmer im Produktionsprozess übernommen haben. Sie üben die faktische Kontrolle über die Produktionsmittel aus, ohne Eigentümer zu sein. Auch in der Publizistik konnte der Typ des Managers erst wirksam werden, nachdem sich Betriebskonzentrationen, also Grossverlage, gebildet hatten. Die ideale Form für das Wirken eines Managers war die Organisation des Hugenberg-Konzerns. Nachdem die Äla" und die August-Scherl G. m. b. H. dank der Finanzmittel der Ruhrindustrie von Alfred Hugenberg bereits beherrscht wurden, kommt nun noch die Telegraphen-Union - neben dem offiziösen Wolffschen Telegraphen-Büro das grösste Nachrichtenzentrum in Deutschland - hinzu.

Noch komplizierter und verschachtelter gestaltet Alfred Hugenberg den weiteren Ausbau des Konzerns nach dem Ersten Weltkrieg. Im Jahre 1919 konstituiert sich die sogenannte "Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen Wiederaufbaukräfte". Aufgabe dieser Wirtschaftsvereinigung ist es, den Hugenberg-Konzern zu kontrollieren. Der gesamte Komplex des Konzerns wird als sogenanntes "Zweckvermögen" bezeichnet. Die zwölf Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung, darunter etliche Ruhrindustrielle und Freunde Hugenbergs aus dem Posener Kreis, galten als Eigentümer. Es war ihnen jedoch nicht gestattet, das Zweckvermögen zu veräussern.

In der Satzung hiess es:

"Der Zweck des Vereins ist nicht auf Gewinn seiner Mitglieder gerichtet, sondern gemeinnützig. Der Ertrag des Vereins soll ausschliesslich dazu dienen, von Jahr zu Jahr ohne Eingehen von dauernden Verpflichtungen gemeinnützige, im Sinne der Vereinsaufgaben liegende Zwecke zu unterstützen. Eine Verteilung von Gewinn ist also ausgeschlossen. Eine Verteilung des Vereinsvermögens an die Mitglieder ist ausgeschlossen. Der Gesellschaft oder Korporation, der im Falle der Auflösung das Vereinsvermögen anfällt, ist vor der Übertragung des Vereinsvermögens die vertragliche Verpflichtung aufzuerlegen, das angefallene Vermögen dauernd zu gleichen oder ähnlichen gemeinnützigen Zwecken zu verwenden, wie der aufgelöste Verein."

Es gab also keine juristische oder physische Person, die einen Anspruch auf das riesige Vermögen der Wirtschaftsvereinigung erheben konnte. Der bestimmende Mann der Wirtschaftsvereinigung ist wiederum Alfred Hugenberg. Professor Ludwig Bernhard, selbst Mitglied dieser Vereinigung, schrieb darüber:

"Die Vereinigung der zwölf Männer ist keineswegs als ein kollegiales Verwaltungsorgan gedacht. Im Gegenteil herrscht Übereinstimmung, dass nur ein einzelner fähig sein kann, ein solches Unternehmen zu leiten. Die Leitung durch einen hervorragend geeigneten Mann ist daher nach Ansicht des Zwölf-Männer-Kollegiums die ideale Lösung, und es besteht Übereinstimmung, dass Hugenberg ein solcher Mann sei."

Die Kontrolle über den Hugenberg-Konzern übt die Wirtschaftsvereinigung über eine Holdinggesellschaft, die Östdeutsche Privatbank", aus, die jeweils die Aktienmehrheit der verschiedenen Unternehmen besass. Vorsitzender des Aufsichtsrates auch dieser Bank ist Alfred Hugenberg. Nachdem mit dem Scherl-Verlag, der Äla" und der Telegraphen-Union die Grundpfeiler seines Konzerns standen, beginnt er den Vorstoss auf die Provinzpresse.

Er gründet die "Vera-Verlagsanstalt G. m b. H."; sie ist gedacht als eine Art kaufmännische Beratungsstelle und Treuhandfirma für Provinzzeitungen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Im Inflationsjahr 1922 entsteht die "Mutuum Darlehns A. G.", eine Art Zeitungsbank, die den notleidenden Provinzzeitungen Papier als Darlehn vorschoss. Ähnliche Aufgaben hatte die Älterum Kredit A. G.", die etwas später gegründet wurde. Es gab aber noch einen anderen Weg, um die Provinz zu beeinflussen. Über die "Wirtschaftsstelle für die Provinzpresse" lieferte der Hugenberg-Konzern fertige Zeitungsseiten in Maternform in die Provinz. Dort brauchten nur noch die Seiten ausgegossen, gedruckt und mit einem eigenen lokalen Teil ergänzt zu werden.

Wie weit die Macht des Hugenberg-Konzern-Beherrschers reichte, beweist der Ankauf der UFA im Jahre 1927. Das im Ersten Weltkrieg von Ludendorff gegründete grösste deutsche Filmunternehmen war in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Man bot die UFA verschiedenen Stellen, darunter dem Ullstein-, dem Mosse- und auch dem Hugenberg-Konzern, zum Kauf an. Aber sogar Hugenbergs Vertrauter, der Generaldirektor des Scherl-Verlages, Ludwig Klitzsch, riet Hugenberg ab. Dieser jedoch betonte:

"Ich empfinde es als nationale Pflicht, das grosse Wagnis der UFA-Sanierung auf mich zu nehmen."

Neben der Hugenberg-Gruppe traten einige am Weiterbestehen der UFA interessierte Unternehmen, z. B. die IG-Farbenindustrie, als Käufer auf Aber Hugenberg sicherte sich auch hier die führende Position. Er stellte die Bedingung, dass dieselbe Gruppe, die den Hugenberg-Konzern leite, auch den ausschlaggebenden Einfluss auf die Leitung der UFA haben müsse. So geschah es. Hugenberg übernahm den Vorsitz im Verwaltungsrat der UFA. Jetzt war er Herrscher über Presse und Film. Aufschlussreich ist die Tatsache, dass die Mittel zum Ankauf des Millionenunternehmens UFA vom Hugenberg-Konzern ohne Zuschüsse der Ruhrindustrie aufgebracht worden sind. Nach einem wohldurchdachten Prinzip hatten sich 1922 die grössten Hugenberg-Gesellschaften zu einer "Werbegemeinschaft" zusammengeschlossen. Diese Werbegemeinschaft glich das finanzielle Risiko zwischen den einzelnen Teilen des Konzern aus und stand notleidenden Gesellschaften des Unternehmens bei. Sie war praktisch die "politische Reservekasse des Konzerns", über die Hugenberg verfügte. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Hugenberg auch - allerdings ohne Erfolg - versuchte hat, seinen Einfluss auf den Rundfunk auszudehnen.

Was Hugenberg mit dieser Zusammenballung publizistischer Mittel erreichen wollte, lässt sich mit dem Begriff "geistige Rentabilität" bezeichnen. Der Konzern war kein wirtschaftliches, auf Ertrag hinarbeitendes Unternehmen. Für seine Leitung galten folgende Richtlinien 007 "Für die Entscheidung über Beteiligung oder über Begründung oder den Ausbau der verschiedenen Unternehmen ist in erster Linie die voraussichtliche politische Wirkung massgebend und erst in zweiter Linie das geschäftliche Ergebnis. Für die Gesamtleitung des Trusts hingegen ist die Überzeugung massgebend, dass der Konzern ein positives geschäftliches Ergebnis zeitigen müsse, welches ihn finanziell unabhängig macht."

Wir wissen heute, welche zum Teil verheerende Meinungsbeeinflussung von diesem Konzern in der Weimarer Zeit ausgeübt worden ist. Die Veröffentlichungen der Zeitungen, Zeitschriften, die verbreiteten Nachrichten, der Einfluss über die Anzeigenvergabe, das Riesenunternehmen UFA - trugen nicht unwesentlich zur Zerstörung der Weimarer Republik bei. Bei den Entnazifizierungsverhandlungen über Alfred Hugenberg fiel darüber kaum ein Wort. Man untersuchte die Schuld des Partei-Politikers Hugenberg. Dabei hätte er als Politiker ohne den von ihm errichteten Meinungskonzern gar nicht solchen Einfluss haben können. Vielleicht liegt der Grund für die bis heute herrschende Unklarheit über Schuld, aber auch über die Tragik Hugenbergs darin, dass die äusseren Ereignisse ohne die Untersuchung dieses Hintergrunds ein nur unvollständiges Bild ergeben können.

Politisch betätigt sich Alfred Hugenberg zum ersten Mal zu der Zeit, als er gerade die Universität verlassen hat. Er liest am 24. Juni 1890 einen Aufruf in der "Kölnischen Zeitung", mit dem gegen das deutsch-englische Abkommen über den Austausch von Helgoland und Sansibar protestiert wird. Die Schluss-Sätze dieser Erklärung lauteten:

"Wir sind bereit, auf den Ruf unseres Kaisers in Reih und Glied zu treten, und uns stumm und gehorsam den feindlichen Geschossen entgegenführen zu lassen. Aber wir können dafür auch verlangen, dass uns ein Preis zufalle, der des Opfers wert ist, und dieser Preis ist: einem Herrenvolk anzugehören, das seinen Anteil an der Welt sich selber nimmt und nicht von der Gnade und dem Wohlwollen eines anderen Volkes zu empfangen sucht. Deutschland, wach' auf!"

Hugenberg erklärt spontan in einem Brief seine Zustimmung und schlägt vor, eine völkische Vereinigung in Deutschland ins Leben zu rufen. Er selbst übernimmt diese Aufgabe und wird damit zum Mitbegründer des ,Alldeutschen Verbandes', an dessen Ideen - Grossdeutsches Reich, Kolonien, Siedlungsland im Osten - er Zeit seines Lebens festhält.

Nach dem Ersten Weltkrieg ist Alfred Hugenberg einer der Mitbegründer der Deutschnationalen Volkspartei, der DNVP. Er kandidiert für die Nationalversammlung in dem ihm sicheren Wahlkreis Posen und zieht mit weiteren 41 Deutschnationalen in die Nationalversammlung ein. Auch in den Reichstagen ist er dann immer wieder vertreten. Allerdings muss bereits hier darauf hingewiesen werden, dass Alfred Hugenberg niemals das demokratische Staatsgefüge noch die Vormachtstellung des Parlaments anerkannte. Vielmehr bezog er von Anfang an Front gegen die Weimarer Republik, weil sie - davon war er überzeugt - Deutschland noch weiter in den Abgrund treiben würde. Der Politiker Hugenberg ging deshalb sofort in die uneingeschränkte Opposition nicht nur gegen die jeweilige Regierung, sondern gegen das System an sich. Er meinte:

"Ein Deutschnationaler, der innerlich Parlamentarier geworden ist, der ist genau dasselbe wie ein deutscher Demokrat."

_...was Hugenberg beides für unmöglich hielt. Auch die Deutschnationale Volkspartei macht in den ersten Jahren der Weimarer Republik die Opposition zur Grundlage ihres Programms. Damit war sie von Anfang an mit einer schweren Hypothek belastet. Denn mit einem ausschliesslich oppositionellen Programm kann man nicht konstruktiv arbeiten - was auf die Dauer negative Auswirkungen auf die Wähler haben muss. So ist es nicht erstaunlich, dass nach kurzer Zeit ein Streit in der DNVP entsteht. Man diskutiert die Frage: Soll Opposition um der Opposition willen betrieben werden, um auf diese Weise die Weimarer Republik dem Zusammenbruch näherzutreiben und eine Änderung der Staatsgrundlage zu erreichen? Je mehr sich die Verhältnisse normalisieren, um so mehr erscheint das ursprüngliche Programm vielen Deutschnationalen als revisionsbedürftig. Alfred Hugenberg jedoch bleibt der Vertreter der radikalen Opposition, wie die spätere Entwicklung zeigt. Die erste grosse Krise erschüttert die Deutschnationale Volkspartei im Jahre 1924. Bei der Abstimmung über den Dawes-Plan, das erste Abkommen zur Regelung der Reparationszahlungen, kommt die sogenannte "Mampe-Abstimmung" (halb und halb) zustande: die Hälfte der deutschnationalen Reichstags-Fraktion stimmt für den Plan, während die andere Hälfte, voran Alfred Hugenberg, ihn erbittert bekämpft. Der Dawes-Plan wird vom Reichstag angenommen. Dafür erringt Alfred Hugenberg wenig später einen Sieg. Es gelingt ihm, Hindenburg als Kandidaten der Nationalen Rechten für die Reichspräsidentenwahl im Jahre 1925 zu gewinnen. Im zweiten Wahlgang wird der Generalfeldmarschall gewählt. Inzwischen hatte sich die DNVP im Januar 1925 auch zum erstenmal an einer Regierung, dem Kabinett Luther, beteiligt. Wegen des Locarno-Vertrages treten die deutschnationalen Minister jedoch zurück. Alles lässt darauf schliessen, dass sie unter dem Druck ihrer Partei so handeln mussten. Unter dem zunehmenden Einfluss Hugenbergs und seiner Anhänger hatte sich nämlich die Deutschnationale Volkspartei gegen den Vertrag von Locarno entschieden, weil darin ein Verzicht auf deutsches Gebiet ausgesprochen werde. Der damalige Aussenminister Stresemann schildert in seinen Erinnerungen die Abschiedsszene:

"Gestern verabschiedeten sich die deutschnationalen Mitglieder von dem Kabinett. Schiele (Reichsminister des Innern) wollte eine Abschiedsrede halten, kam aber nicht dazu, da er nach den ersten Sätzen stockte und mit Mühe einen Weinkrampf unterdrückte. Minutenlang konnte er vor Schluchzen nicht sprechen. Als er sich wieder gefasst hatte, sagte er, er und seine Freunde seien von einer Sturmflut überrannt worden. Von irgendeiner festen Oppositions- oder gar Siegesstimmung war keine Rede, vielmehr von einem Gefühl des Schmerzes und tiefster Enttäuschung über die blödsinnige Haltung der Partei."

Noch einmal beteiligt sich die DNVP im Jahre 1927 an einem Kabinett. Alfred Hugenberg aber, der schliesslich zum Führungsstab der DNVP gehörte, erklärte sich niemals bereit, ein Ressort oder gar die Regierungsbildung zu übernehmen. Er betonte einmal:

"In der Tat und im Ernst; das habe ich im parlamentarischen Getriebe immer als einen inneren Vorsprung empfunden, dass ich mich vom ministeriellen Ehrgeiz frei wusste. Bei den Erörterungen über das ,rein in die Regierung' ,raus aus der Regierung' ist es mir immer als ein befreiendes, das Vertrauen zum eigenen Urteil stärkendes Gefühl erschienen, selbst innerlich und äusserlich nicht beteiligt zu sein."

Die Haltung sollte Hugenberg erst ablegen, als das letzte Kabinett der Weimarer Republik, das Kabinett Hitler, gebildet wurde.

Die nie ganz überwundene Krise innerhalb der Deutschnationalen Volkspartei erreichte nach den Wahlen vom 20. Mai 1928 erneut einen Höhepunkt. Die Partei hatte 25 Sitze im Reichstag verloren. Der rechtsradikale Parteiflügel, mit Hugenberg an der Spitze, hielt nun seine Stunde für gekommen. Im Oktober 1928 wird Hugenberg zum Vorsitzenden gewählt. Nach einem vielzitierten Wort zieht er sich vom "Brei auf den Block" zurück und gibt der Partei eine scharfe ideologische Ausrichtung. Schon Monate vorher hatte er in einem Brief an den damaligen Parteivorsitzenden, Graf Westarp, betont:

"Der Zwiespalt, dass unsere Partei oder zumindest die ,Weltanschauung', die man immer als ihre eigentliche Grundlage bezeichnet hat, im innersten Wesen eine antiparlamentarische ist, und dass sie trotzdem in einem parlamentarischen Staate mitarbeiten muss, ist im Augenblick als eine Tatsache zu würdigen und darf nicht vergessen werden. Die innere Unbequemlichkeit dieses Zustandes führt heute offenbar manchen, wenigstens im Parlament, zu der Neigung, sich mit dem heutigen parlamentarischen Staat überhaupt abzufinden." Sofort nachdem der neue Parteivorsitzende Hugenberg seine Auffassung konsequent durchzusetzen beginnt, fallen mehr und mehr Gruppen von der DNVP ab. Zum Teil gerät Hugenberg sogar in Gegensatz zu den Gruppen, als deren Vertreter er bisher angesehen wurde. Die Schwerindustrie ist nicht mehr bereit, ihm politisch blindlings zu folgen. Die Industriellen sind mehr am wirtschaftlichen Aufstieg interessiert und möchten nicht die nach der Normalisierung der Verhältnisse erzielten Erfolge durch einen kompromisslosen Kampf gegen das Regierungssystem gefährden. Aber ebenso konsequent, wie er seinen Mammutkonzern aufbaute, vertritt Hugenberg seine politische Auffassung. Er hat sich selbst ja einmal als einen "sturen Bock" bezeichnet. Unnachgiebig, wenn er von einer Sache überzeugt ist, geht er seinen Weg. Er ist unempfänglich für neue Impulse und - wie sich jetzt zum ersten Mal zeigt - blind gegenüber den drohenden Anzeichen.

Der äussere Anlass zum endgültigen Wechsel Hugenbergs in das radikale Lager ist der Young-Plan. Hugenberg will bei politischen Entscheidungen keine Kompromisse mehr schliessen. Und so begeht er den Kardinalfehler seiner politischen Laufbahn, der sich später auch auf sein Lebenswerk, den Hugenberg-Konzern, vernichtend auswirken sollte - er verbündet sich mit dem Nationalsozialismus.

Unter Hugenbergs Führung konstituiert sich im Juli 1929 der "Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren". Damit ist die sogenannte Nationale Front entstanden. Die Repräsentanten der vier grossen Gruppen, die sich hier vereinigt haben, sind: Alfred Hugenberg (Deutschnationale Volkspartei), Adolf Hitler (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei), Duesterberg und Seldte für den ,Stahlhelm' und Class für die ,Alldeutschen'. In ihrem Gesetzentwurf für das Volksbegehren "gegen die Kriegsschuld und den Young-Plan" ist durch den Paragraphen 4 ein lebensgefährlicher Angriff nicht nur gegen das augenblickliche Kabinett, sondern auch gegen das demokratische System an sich enthalten. Es wird gefordert:

"Diejenigen Minister und Bevollmächtigten des Deutschen Reiches, die entgegen den Bestimmungen des Gesetzentwurfes neue, aus der Anerkennung der Kriegsschuld entstehende Lasten und Verpflichtungen übernehmen, machen sich des Landesverrates schuldig. Sie sollen dann den in Paragraph 92 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Zuchthausstrafen unterliegen."

Sofort nach Bekanntwerden des Planes für dieses Volksbegehren bricht Reichsaussenminister Stresemann seinen Urlaub ab und erlässt mit dem Reichsausschuss der Deutschen Volkspartei einen Gegenaufruf, in dem es unter anderem heisst:

"Das Hugenberg-Volksbegehren rennt somit, wenn es zum Kampf gegen die Schuldlüge auffordert, offene Türen ein. Soweit es aber Anschein hervorrufen will, als ob durch ein deutsches Gesetz internationale Verträge ausser Wirksamkeit gesetzt werden können, spiegelt es dem deutschen Volk eine Möglichkeit vor, die, wie die Urheber des Begehrens selbst wissen, leider nicht besteht. Es ist eine Infamie, die Männer, die unter Einsatz ihrer ganzen Kraft und unter Aufopferung ihrer Gesundheit diesen Befreiungskampf führen, mit dem Landesverrat zu bedrohen."

Am Goldenen Sonntag des Jahres 1929 wird das Volksbegehren entschieden - nur 5,8 Millionen Wähler bejahen den Hitler-Hugenberg-Gesetzentwurf, und damit ist er nach den Bestimmungen der Verfassung hinfällig.

Nun mehren sich auch die Anzeichen dafür, dass sich der innere Zwiespalt und der Zweifel in den Reihen der DNVP und in der nationalen Bewegung ausbreiten. Der "Jungnationale Ring", eine den rechtsgerichteten Parteien nahestehende Jugendorganisation, veröffentlicht eine Schrift mit dem Titel "Niedergang der nationalen Opposition", in der es heisst: "Der alternde Mann, der soviel Macht gehäuft hatte, ohne je ihres Genusses begnadet zu sein, der geschickte Organisator, der einen Meinungsapparat von ungeahnten Dimensionen neu aufgezogen hatte, der Beherrscher gewaltiger Mittel an Geld, Wirtschaftseinflüssen, Menschen und Maschinen sah das, wofür er sein Leben lang gewirkt hatte, in Gefahr. Da fasste er einen Entschluss, sich selber in die Waagschale zu werfen, solange es die Zeit noch gestatte. Und so gliederte er die ganze Deutschnationale Partei dem Konzern seiner Zeitungen und Filme ein, um die Gesamtheit der verfügbaren Mittel für das gefährliche Ziel einzusetzen. Wie dieses beschaffen ist, wer vermag es zu sagen? Vielleicht Herr Geheimrat Hugenberg selbst?"

Der Reichstag nimmt am 12. März 1930 den Young-Plan an. Aber Hugenberg betreibt seine Oppositionspolitik mit verstärkter Energie weiter. Das hat zur Folge, dass im April 1930 wieder eine starke Gruppe - unter Führung von Graf Westarp - die Deutschnationale Partei verlässt. Hugenberg selbst erklärte einmal zu diesen Vorgängen:

"Ich habe um der Sache, um des politischen Zieles willen, in einem kritischen Augenblick meine Partei aufs Spiel gesetzt."

Durch die Zersplitterung verlieren die Deutschnationalen in der Septemberwahl 1930 1,9 Millionen Wählerstimmen. Die Nationalsozialisten dagegen ziehen als zweitstärkste Partei mit 107 Mandaten in den Reichstag ein. Hugenberg jedoch hielt an dem Bündnis mit Hitler fest, den er im Grunde seines Herzens verachtete. Er wollte den Nationalsozialismus als Machtfaktor in seiner politischen Kalkulation benutzen. Dass er dabei Gewinn auf sein Konto zu buchen beabsichtigte, war sein Grundfehler. Denn Hitler will alle Macht in seiner Hand vereinigen. Schon in seinem Buch "Mein Kampf" schrieb er:

"Durch die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft werden schwache Verbände niemals in kräftige verwandelt, wohl aber kann und wird ein kräftiger Verband durch sie nicht selten eine Schwächung erleiden _... Es sind also derartige Zusammenschlüsse Feinde der natürlichen Entwicklung, denn meist hindern sie die Lösung des Problems, für das gekämpft wird, weit mehr, als sie es fördern. Es kann vorkommen, dass aus rein taktischen Erwägungen heraus die oberste Leitung einer Bewegung, die in die Zukunft sieht, dennoch mit ähnlichen Verbänden über die Behandlung bestimmter Fragen auf ganz kurze Zeit eine Einigung eingeht und vielleicht auch gemeinsame Schritte unternimmt. Allein dies darf nie zur Verewigung eines solchen Zustandes führen, will nicht die Bewegung selbst damit auf ihre erlösende Mission Verzicht leisten _... So wird auch vor allem der völkische Staat niemals geschaffen werden durch das kompromisshafte Wollen einer völkischen Arbeitsgemeinschaft, sondern nur durch den stahlharten Willen einer einzigen Bewegung, die sich durchgerungen hat gegen alle."

So treffen am 11. Oktober 1931 in Harzburg zwei Verbündete zusammen, die unter einer dünnen Decke gemeinsamer Interessen grosse Gegensätze verbergen. Hier in Harzburg will man sich auf einen gemeinsamen nationalen Kandidaten für die Anfang des kommenden Jahres stattfindende Reichspräsidentenwahl einigen. Aber entgegen seiner Zusage lässt sich Adolf Hitler doch als Kandidat aufstellen. Die Deutschnationalen antworten mit der Nominierung des zweiten Stahlhelm-Vorsitzenden Duesterberg. Im ersten Wahlgang kommt es zu keiner klaren Entscheidung. Erst der zweite Wahlgang ergibt die absolute Mehrheit für Hindenburg. Trotz des Fiaskos der Harzburger Front erkennt Alfred Hugenberg noch immer nicht, wie gefährlich der Partner ist, mit dem er sich verbündete. Dabei hatte er schon im Jahre 1926 in seinem Buch "Streiflichter aus Vergangenheit und Gegenwart" weitblickend geschrieben:

"Es ist nach allen geschichtlichen Erfahrungen nur eine Frage kurzer Zeit, wann und wo der Machthaber sich findet, unter welchen Umständen und mit welchen Erfolgen. Im Zweifel ist aber leider in Deutschland zu vermuten, dass es kein ehrlicher Machthaber sein wird, denn der Deutsche hat den politischen Fehler, dass meistens die ehrlichen Leute die Macht nicht lieben, wenn sie ihnen nicht von Gott verordnet ist. Und der unehrliche Machthaber würde das Letzte verspielen."

In der Endphase der Weimarer Republik überstürzen sich dann die Ereignisse. Das Kabinett Brüning muss gehen. Das Kabinett Papen kann sich ebenso wenig halten wie das Kabinett Schleicher. Am 30. Januar 1933 leistete Adolf Hitler als neuer Reichskanzler den Eid auf die Verfassung. Sein Kabinett der "Nationalen Erneuerung" hat nur drei nationalsozialistische Minister und acht "nationale" Minister anderer Parteien - an der Spitze Alfred Hugenberg, der das Wirtschafts- und Ernährungsministerium übernimmt.

"Ich habe die mir übertragenen Ämter in der Reichsregierung übernommen, um zu arbeiten, zu helfen und zu handeln. Durch Reden ist noch kein Volk gerettet worden. Meine Sorge gilt der deutschen Wirtschaft in ihrer Gesamtheit, vom Bauernhof, vom kleinen Laden, vom Arbeitsplatz in Werkstatt und Büro bis zur Schiffahrt. Nur wenn die Wirtschaft als Ganzes gesundet, steht auch der Bau des Staates fest. Allein dann ist auch der Beamte in seinen Rechten gesichert. Ein Erfolg meiner Arbeit ist aber nur möglich, wenn das nationale Deutschland mir sein Vertrauen schenkt. Dann schaffen wir es."

Aber Hugenberg schaffte es nicht. In der Hand Hitlers werden die Notverordnungen zu einer gefährlichen antidemokratischen Waffe. Die Not-"Verordnung zum Schütze von Volk und Staat" - erlassen nach dem Reichstagsbrand - setzt die wichtigsten Grundgesetze der Weimarer Verfassung ausser Kraft. Hitler dringt ausserdem darauf, eine neue Reichstagswahl stattfinden zu lassen. Nun beginnt Alfred Hugenberg die Gefahr zu begreifen. Hermann Göring hat vor dem Nürnberger Gerichtshof berichtet, Hugenberg habe der Förde rung nach einer neuen Reichstagswahl zu diesem Zeitpunkt in der richtigen Erkenntnis widersprochen, dass seine Partei mehr oder minder bei dieser Wahl verschwinden würde. Das Ergebnis der Neuwahlen beweist, wie begründet Hugenbergs Befürchtungen waren. 288 Mandate erhält die NSDAP, die DNVP nur 53. Es kommt zu den verhängnisvollen Prozentzahlen im Reichstag: 44 Prozent Nationalsozialisten und 8 Prozent Deutschnationale. Erst mit den Stimmen der Hugenberg-Fraktion hat Hitler die absolute Mehrheit. Aber noch immer ist Adolf Hitler der Sieg nicht vollkommen genug. Am 23. März 1933 nimmt der Reichstag das auf vier Jahre befristete Ermächtigungsgesetz an, das auch Hugenberg und seine Fraktion befürworten. Hugenberg geht von der Überlegung aus, dass die Nationalsozialisten zwar im Reichstag eine Mehrheit besitzen, im Kabinett jedoch die Stimmen der nicht-nationalistischen Minister überwiegen. Und das Ermächtigungsgesetz ist ausdrücklich an die gegenwärtige Regierung gebunden.

Eine aussenpolitische "Panne" gibt dann den Anstoss für Hugenbergs Rücktritt. Hugenberg hatte als Mitglied der deutschen Delegation einer Wirtschaftskonferenz in London eine von ihm verfasste Denkschrift vorgelegt, in der unter anderem für Deutschland Kolonien und "Lebensraum im Osten" gefordert wurden. Die deutschen Delegierten, auf aussenpolitische Reputation bedacht, hatten sich distanziert. Als Hugenberg Hitler über sein Rücktrittsgesuch unterrichtet, bittet ihn der Reichskanzler zwar, im Amt zu bleiben, aber seine Partei aufzulösen. Hugenberg besteht auf seinem Entschluss, vor allem deshalb, weil das Ermächtigungsgesetz an das augenblickliche Kabinett gebunden ist und dieses Kabinett nach seinem Rücktritt eigentlich aufgelöst werden müsste. Hitler durchschaut den Schachzug und droht:

"Ich werde diesen Rücktritt als eine Kampfansage auffassen. Es wird sich ein Kampf gegen die DNVP anschliessen, der in wenigen Tagen entschieden sein wird. Ich werde Tausenden von deutschnationalen Parteimitgliedern, im besonderen Beamten, die Existenz vernichten." In einem Brief an den Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg bittet Hugenberg 1933, einen Tag nach seiner offiziellen Rücktrittserklärung:

"Hochzuverehrender Herr Reichspräsident! _... Ganz gleichgültig, wie die von meinen Freunden geführten Verhandlungen über eine Auflösung der Partei auslaufen: Mein Austritt aus der Regierung darf nicht den Vorwand zu einer Verfolgung gutgesinnter, Ihnen und Ihrer Regierung ergebener Deutscher bilden. Andererseits darf mir durch solche Hinweise nicht die Freiheit genommen werden, auf meine Mitarbeit in der Regierung zu verzichten, wenn sie unter Bedingungen und einer Lage erfolgen soll, die für mich untragbar und so, wie die Dinge zur Zeit aussehen, für das Land nutzlos sein würde. Ich glaube, diese menschliche Freiheit und Sicherheit derjenigen, die meiner Führung bislang anvertraut sind, von Eurer Exzellenz als den Schirmherrn der gesamten nationalen Bewegung in Deutschland um so mehr erbitten zu dürfen, als unter Ihrem Segen doch eigentlich der Bund vom 30. Januar geschlossen ist. Ich kann auf der mir zugemuteten Grundlage nicht mitarbeiten - kann es auch als evangelischer Christ nicht."

Das ist das Ende des Politikers Hugenberg, der entscheidend dazu beitrug, demjenigen die Tore zur Macht zu öffnen, der dann das von Hugenberg ohne Zweifel sehr geliebte Deutschland dem Chaos und der völligen Vernichtung entgegenführte. Alles, was der einst so mächtige Manager noch unternehmen konnte, war der Versuch, sein Lebenswerk, den Hugenberg-Konzern, zu retten. Aber auch das misslingt ihm. Einen Stein nach dem anderen reissen die Nationalsozialisten aus dem Gefüge. Sie zwingen Hugenberg zum Verkauf der Äla", der Telegraphen-Union, der Verlagsanstalten für die Provinz, der UFA und zum Schluss zum Verkauf des Scherl-Verlags.

Minderbelastet - Mitläufer - Entlastet? Die Rolle, die Alfred Hugenberg in jener für Deutschland so verhängnisvollen Zeit tatsächlich gespielt hat, ist durch die Entscheidungen der Entnazifizierungs-Ausschüsse nicht erfasst worden. Hugenberg repräsentierte eine Macht, und objektiv gesehen hat er sie zum Schaden des deutschen Volkes und der ganzen Welt missbraucht.

Zwar sollte man nicht an der Ehrlichkeit seiner Gesinnung zweifeln, aber sicherlich muss man sich den Worten anschliessen, die er selbst einmal schrieb:

"_... wir haben dieses Schicksal mitgestaltet und sind dafür mitverantwortlich. Das Urteil, das die Geschichte auf Grund des Erfolges oder Misserfolges der Gesamtheit spricht, erhebt oder vernichtet auch den Einzelnen, der zu dieser Gesamtheit gehört."
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Notwendigkeit, Ziel und Weg einer speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films       Ekhardt Gercke

Die bisherigen Veröffentlichungen des "Institut de Filmologie" an der Pariser Sorbonne sowie der filmwissenschaftlichen Gesellschaften Deutschlands (Der Film als Beeinflussungsmittel. - Vorträge und Berichte der 2. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Filmwissenschaft. Herausgegeben Erich Feldmann und Walter Hagemann, Emsdetten 1955.) und Österreichs (Filmkunst, Zeitschrift für Filmkultur und Filmwissenschaft, 5. Heft 1953/54, Wien 1954) beweisen, dass das Phänomen Film - ähnlich wie Presse, Hörfunk und Sehfunk - unter verschiedensten wissenschaftlichen Aspekten betrachtet werden kann. Wenn nachstehend der Film als eigentümliche Drei-Einheit von Technik, Kunst und Wirtschaft ausschliesslich wirtschaftlich und vor allem betriebswirtschaftlich gesehen wird, dann muss über folgendes Klarheit bestehen:

1. Die Lebenswirklichkeit ist allein mit wirtschaftswissenschaftlichen Kategorien keinesfalls umfassend oder gar erschöpfend in den Griff zu bekommen. - Die Filmbetrachtung unter bewusst einseitig mikro-ökonomischem und gelegentlich makro-ökonomischem Blickfeld erfolgt unter dem Gesichtspunkt wissenschaftlicher Arbeitsteilung in der Absicht, deren Ergebnisse einer umfassenderen Filmwissenschaft und der Filmwirtschaftspraxis dienstbar zu machen.

2. Die Behandlung des Films unter allein wirtschaftlichen Gesichtspunkten bedeutet keinerlei Werturteil gegenüber irgendwelchen anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Im Gegenteil: Wir sind mit Friedrich v. Gottl-Ottlilienfeld (Wirtschaft und Wissenschaft, Jena 1931) und Oswald von Nell-Breuning (Wirtschaftliche Grundbegriffe und ihre Beziehung zur Seelsorge. In "Bausteine der Gegenwart", Heft 3, Köln 1946) der Ansicht, dass unter allen Kultursachbereichen die Wirtschaft die unterste, d. h. allen übrigen dienende Stellung einnimmt-und dass deshalb jegliche wirtschaftswissenschaftliche Forschung, die diese Dienerstellung der Wirtschaft im Sein der Menschen leugnet, irgendwann in Ausweglosigkeit enden muss.

A.

Die Frage nach der Notwendigkeit einer speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films mag nun von folgenden Gesichtspunkten beleuchtet werden:

1. Unter dem Aspekt der bisherigen filmwissenschaftlichen Forschungen.

2. Im Blickfeld des "filmfreundlichen" oder "filmfeindlichen" öffentlichen Interesses sowie einer ihm entsprechenden Filmpolitik und Filmkritik.

3. Von den Bedürfnissen der Filmwirtschaftspraxis her.

4. Von der Ebene der Forschung und Lehre betriebswirtschaftlicher Art, wie sie gegenwärtig an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes vertreten wird.

Wenn man mit Hagemann der Ansicht ist, dass "im Mittelpunkt der Filmforschung der Film selbst zu stehen hat", dann ergibt sich hinsichtlich der vorgenannten Gesichtspunkte etwa folgendes Schema der Betrachtungszusammenhänge: (Walter Hagemann: Filmkunde oder Filmwissenschaft? In: Der Film als Beeinflussungsmittel (s.o.), S. 5 ff)

Diese ( Skizze ) - bei der im Interesse der Vereinfachung auf alle hier unwesentlichen Beziehungslinien verzichtet ist - besagt u. a. folgendes:

a) Man kann den einzelnen Film allein und für sich sehen (mit und ohne Würdigung der Zusammenhänge dieses komplizierten Insgesamt von Einzel- und Kollektiv-Leistungen) und zwar als Publikum, Kritiker, Staatsfunktionär, Wissenschaftler, Filmwirtschaftler oder -techniker usw.

b) Man kann aber auch sowohl vom Einzelfilm als auch allen filmischen Zusammenhängen absehen und - wie etwa unsere Finanzwissenschaft als Teilgebiet der älten" Geisteswissenschaften - z. B. staatliche Filmpolitik und filmwirtschaftliches Geschehen aus den Budgets der öffentlichen Haushalte ablesen.

Diese Selbstverständlichkeiten sind für unsere Frage-Beantwortung bedeutsam.

Zu 1.: Filmwissenschaft ist als reine Filmästhetik, Filmaturgie, Stillehre oder Filmwirkungsforschung zunächst möglich. Die Ergebnisse derartigen Forschens werden für Filmpraxis, Filmpolitik und Filmkritik jedenfalls interessant und auf die Dauer nicht missachtbar sein. Eines ist jedoch offenbar: Eine in diesen Species verharrende Filmwissenschaft würde sich selbst untreu werden und sich gegenüber der Filmwirtschaft und der Filmpolitik in der Rolle des Scholastikers Thomas v. Aquino befinden, der durch seine moralphilosophisch einwandfreie Begründung des kanonischen Zinsverbotes die sittlich guten Kräfte lange von wirtschaftlich wirksamer Betätigung abhielt, wodurch ungewollt fragwürdigen Elementen der Weg hierzu geöffnet wurde. Allein um dieses tragische Kapitel der abendländischen Kulturgeschichte auf dem engen Sektor Film nicht zu wiederholen, ist es notwendig, dass die junge Filmwissenschaft in ihr Forschungsfeld die Betriebswirtschaft des Films als Lehre bestimmter Motive und Verfahrensweisen miteinbezieht. Hinzu kommt, dass ein Filmwissenschaftler, der nur in Seinswerten (bonum ontologicum) und sittlichen Werten (bonum ethicum) zu denken vermag, in unserer so überaus materialistischen Welt mit ihren rein wirtschaftlichen Werten (bonum oeconomicum) von der Mehrzahl der Filmpraktiker, -politiker und -kritiker kaum verstanden wird. Man muss (um hier ein Wort Luthers zu zitieren) "den Leuten auf's Maul sehen", wenn man ihre Rede- und Denkweise verstehen und ihnen die eigenen filmwissenschaftlichen Erkenntnisse nahebringen will.

Zu 2: Das Filminteresse der Öffentlichkeit beschränkte sich bis 1945 auf die Filmwerke selbst und die in ihnen mitwirkenden Hauptdarsteller; filmwirtschaftliche Probleme waren der Öffentlichkeit bis dahin kaum bekannt. In der Nachkriegszeit (insbesondere aber seit der Sitzung des Bundestags vom 31. März 1950, in der über die Gewährung von Ausfallbürgschaften für Filmproduktions-Kredite beraten wurde) dehnte sich das Filminteresse der Öffentlichkeit auch auf wirtschaftliche Fragen aus. Meist reichte es jedoch nur soweit, dass man glaubte, mit Hilfe der Bürgschaften zu einer gesunden Filmwirtschaft und durch sie zu einer aussagefähigen Filmkunst zu gelangen. Dieser filmfreundliche, aber äusserst naive Glaube schlägt jedesmal erneut in peinliches Befremden oder gar Film-Feindschaft um, wenn Konkurse von Filmwirtschafts-Unternehmen oder die Veröffentlichung von Bürgschaftsberichten Verluste von mehreren Millionen DM offenbaren.

Aus einem aus Enttäuschung und echter Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler geborenen Ressentiment werden dann so scharfe Urteile wie dieses gefällt: Gewisse Filmwirtschaftler seien allein bestrebt, ihre Gewinne zu privatisieren und ihre Verluste zu sozialisieren. Derartige Vorwürfe mögen im Einzelfall berechtigt sein - man sollte sie jedoch nie erheben, ohne sie zugleich mit exakten betriebswirtschaftlichen Beweisen fundieren zu können! Die Öffentlichkeit und vor allem der Staat als deren Willensvollstrecker brauchen also für die leidenschaftslose und treffsichere Beurteilung von Subventionswünschen der Filmpraxis sowie die Fällung exakter Werturteile eine allein der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichtete Betriebswirtschaftslehre des Films.

Zu 3.: Die Filmwirtschaftspraxis hat wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig eine absolut diskontinuierliche Entwicklung durchgemacht. Immer dann, wenn sich eine Konsolidierung ihrer Verhältnisse gerade anbahnte oder erste Früchte zeitigte, wurde die Stetigkeit ihrer Entwicklung durch technische oder politische Umwälzungen gestört: 1929/31 Umstellung vom Stumm- auf den Tonfilm; 1933/34 Reichsfilmkammer-Gesetzgebung; 1941/42 wegen der Kriegserfordernisse Konzernierung von Produktions- und Verleihunternehmen in reichseigenen Filmgesellschaften; 1945 Zusammenbruch der staatlichen Filmpolitik und -Wirtschaft; seit 1952 Umstellung auf 3-D-, Cinemascope-, Plastorama- usw. -Verfahren. Dass der Film sich überhaupt immer wieder von diesen ökonomisch folgenschweren Umwälzungen erholen konnte, ist das unbestreitbare Verdienst alter und junger Pioniere der Praxis, die unbeschadet wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erwägungen als echte Pioniere nach immer neuen, praktisch gangbaren Wegen suchten und diese auch fanden. Wenn hierbei von jedem einzelnen Praktiker unschätzbare (aber teuer genug erkaufte) Erfahrungen gesammelt wurden, so ist doch heute erkennbar: diese individuellen Erfahrungen reichen allein nicht aus, um sämtliche wirtschaftlichen und supra-ökonomischen Zusammenhänge zu erkennen und die Organisation der Betriebe rationell zu gestalten und all' die gesetzlichen Bestimmungen und steuerlichen Vorschriften sinnvoll im Betriebsgeschehen zu berücksichtigen. Es wiederholt sich hier im engen Sektor Film das, was um die Jahrhundertwende nach Gründerkrach und Konsolidierung in der gesamten damaligen Wirtschaft geschah: das Bedürfnis, die vielfältigen Erfahrungen zu sammeln und zu systematisieren, zu isolieren und zu analysieren, um von daher zu zeitlos gültigen (weil geläuterten Erkenntnissen durchzudringen. Um 1900 führte dieses Bedürfnis der Wirtschaftspraxis zur Gründung von Handels- und Wirtschaftshochschulen, der später die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten folgen. Die Praxis aller Wirtschaftszweige hat davon profitiert. Nicht anders ist es heute mit der Filmpraxis. Wenn dennoch ein bestimmter Teil der Filmpraktiker der Wissenschaft ganz allgemein und einer Betriebswirtschaftslehre des Films im besonderen skeptisch gegenübersteht, so ist hierzu zu sagen:

Auch der wissenschaftsfeindlichste Praktiker arbeitet heute tagtäglich mit den Ergebnissen früherer Forschungen und zwar in einem Grade, der ihm überhaupt nicht bewusst ist. In unserem engen Zusammenhang sei nur an folgendes erinnert: Der "Erfinder" der doppelten Buchhaltung war der Franziskanermönch Luca Pacioli, der als Professor der Mathematik seit 1475 an den Universitäten Rom und Florenz lehrte. (B. Penndorf: Entwicklungsgeschichte des Betriebslebens. In: Die Handels-Hochschule, Band III, Kapitel 4, Potsdam 1938/39, S. 55 ff) Der "Erfinder" des Kontenrahmens, der in einer für die Bedürfnisse der Filmproduktion abgewandelten Form seit 1951/52 von allen bundesdeutschen Filmproduktionsunternehmen angewandt wird, ist der Kölner Universitätsprofessor Eugen Schmalenbach, der mit seiner Lehre von der "Dynamischen Bilanz" bereits 1923 die geistigen Grundlagen für die erfolgreichen Einwendungen der Filmwirtschaft gegen die weiter unten behandelten Notstandsgesetze schuf. (Eugen Schmaienbach: Dynamische Bilanz, 3. Aufl. Leipzig 1931) Diese Beispiele liessen sich bei entsprechendem Raum beliebig allein unter wirtschaftlichem Aspekt erweitern.

Die häufig zu verzeichnenden Reibungen der "reinen" Praktiker und der akademisch ausgebildeten Betriebswirte und Steuerberater folgen letztlich daraus: erstere haben allein das wirtschaftswissenschaftlich keineswegs erforschte Phänomen Film im Auge; letzteren dagegen wurde während ihres Studiums alles andere, nur nicht die wissenschaftlich begründbare Eigenart der Filmwirtschaft gelehrt.

Aber noch aus einem anderen Grund liegt eine spezielle Betriebswirtschaftslehre des Films im Eigeninteresse der Filmwirtschaft: die betrieblich atomisierte Filmwirtschaft sieht sich einerseits eingespannt in das oft divergierende (nicht immer filmfreundliche) Interesse starker ausser-filmischer Kräfte; andererseits ist sie wirtschaftlich zu ohnmächtig und durch voraufgegangene, aus aktuellen Alltagsnotwendigkeiten geborene Auslassungen zu weitgehend präjudiziert, um gewissen oft ihre Existenz bedrohenden Strömungen sachlich klar und überzeugend begegnen zu können. Hierfür gibt es ein Beispiel aus jüngster Zeit: Das für steuerliche Filmfragen für die Bundesrepublik derzeit federführende Finanzamt für Körperschaften in München hat im Oktober 1955 einen "Entwurf für Richtlinien zur Bewertung der Filmaufführungsrechte der Filmproduzenten" herausgegeben. In diesem bisher unwidersprochen gebliebenen Exposé werden unter rein fiskalischer Sicht eine Reihe von Thesen aufgestellt, die gegenteilige Ergebnisse sehr ernster einschlägiger Einzelforschungen einfach ignorieren und sich - jedenfalls für mich erkennbar - in Kürze für die Mehrzahl der Filmproduktionsunternehmen steuerlich ruinös auswirken müssen. Eine allein der Wahrheit verpflichtete Betriebswirtschaftslehre des Films könnte hier (und nicht nur hier!) segensreich für die Filmwirtschaftspraxis wirken.

Und schliesslich hat die Filmwirtschaftspraxis anlässlich des Erlasses einzelner Notstandsgesetze (z. B. des Soforthilfegesetzes, des Investitionshilfegesetzes und des Lastenausgleichgesetzes) mit keineswegs bestreitbarer Überzeugungskraft den Nachweis für folgende Thesen geführt:

(a) Diese Notstandsgesetze beruhen ausschliesslich auf (nur) vermeintlich gesicherten Erkenntnissen der "klassischen" Betriebswirtschaftslehre.

(b) Filmvermögen als immaterieller Wert ganz besonderer Art lässt sich mit den Begriffsbestimmungen der Betriebswirtschaftslehre nicht annähernd wirklichkeitsentsprechend charakterisieren. Deshalb ist es verfehlt, bei seiner Bilanzierung sich solchen handels- und steuerrechtlichen Normen zu unterwerfen, die auf vermeintlich gesicherten Erkenntnissen der Betriebswirtschaftslehre beruhen.

(c) Die Imponderabilität der den Filmertrag bestimmenden Faktoren macht es unmöglich, bei Anwendung der derzeit geltenden Bilanzierungsvorschriften zu Wertansätzen zu gelangen, die in jedem Einzelfall "richtig" sind, d. h. der Besonderheit eines jeden Films Rechnung tragen.

Aus diesen bewiesenen Thesen leitete die Filmwirtschaft die Forderung ab, entweder für den Film Sondergesetze zu erlassen (etwa wie die jeweiligen Sonderbestimmungen des Gesetzgebers zu Gunsten der Landwirtschaft) oder aber dem Filmwirtschaftsunternehmer bei der Anwendung dieser und eventuell weiterer Gesetze eine Handlungsfreiheit zu belassen, die dem Charakter dieser Gesetze und der Schicksalsgemeinschaft der gesamten Wirtschaft die Grundlagen entzogen hätte.

Eine so ungeheuerliche und zwar schlüssig bewiesene Behauptung wie die, dass der Denk- und Begriffsapparat unserer offiziellen Betriebswirtschaftslehre für einen so wesentlichen Zweig unserer Wirtschaft (wie es die Filmwirtschaft als ehemals drittgrösster Devisenbringer unstrittig ist) einfach nicht passt, sollte für den Staat und die Wissenschaft ein keineswegs übersehbares Alarmsignal sein. (Walter Heinz: Zur betriebswirtschaftlichen Seife des Films - insbesondere zur Bewertung kommerzieller Rechte am Film, München 1953)

Zu 4: Ein Blick auf die offizielle Betriebswirtschaftslehre innerhalb des deutschen Sprachgebietes erhärtet leider diese Feststellungen der Filmwirtschaft:

Die aus den Studienplänen unserer Universitäten nicht mehr wegdenkbare Betriebswirtschaftslehre wird derzeit in folgender Systematik gelehrt (Konrad Mellerowicz: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Berlin 1948, Bd. I, S. 29 ff):

(a) Als allgemeine Betriebswirtschaftslehre und zwar

~ ~ I. als theoretische Betriebswirtschaftslehre (z. B. der Wirtschaftsformen, Betriebszusammenhänge usw.) und

~ ~ II. als praktische Betriebs- und Verkehrslehre (= Betriebspolitik) z. B. des Rechnungswesens oder der Konsum- und Marktforschung usw.

(b) Als besondere Betriebswirtschaftslehre (und zwar theoretische und praktische) #I. der Industrie, des Handwerkes und der Versorgungsbetriebe;

~ ~ II. der Verkehrsbetriebe;

~ ~ III. des Handels;

~ ~ IV. der Banken;

~ ~ V. der Versicherungsbetriebe usw.

(c) Als betriebswirtschaftliche Technik (Buchhaltung und Bilanz usw.).

(d) Als Geschichte der Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftslehre.

Versuchen wir, die Betriebswirtschaften des untrennbaren Sach- und Zweckzusammenhanges Filmproduktion - Filmverleih - Filmtheater in die genannten speziellen Betriebswirtschaftslehren einzuordnen, dann kommen wir in Verlegenheit: Filmverleih und Filmtheater können keinesfalls mit den Kategorien der Industriebetriebslehre erkenntnistheoretisch durchdrungen werden, denn hier liegen eher (Gross- und Einzel-) Handels- als Industriefunktionen vor. In beiden Sparten der Filmwirtschaft wird aber nicht gehandelt. Eher könnte man von Dienstleistungen (Kopienvermietung, Filmvorführung) sprechen. Diese würden in den Bereich einer speziellen Betriebswirtschaftslehre der Verkehrsbetriebe und zwar im engen Sinne der Unterhaltungsbetriebe (wie Theater, Konzerte usw.) gehören. In diese Verkehrsbetriebslehre aber ist die Filmproduktion nicht einzuordnen, deren Zweck die Herstellung von im Filmnegativ niedergeschlagenen Filmrechten ist. Und es wäre völlig abwegig, die betriebswirtschaftlichen Probleme der typischen Verkehrsunternehmen (wie der Bahn, der Post usw.) im Zusammenhang mit den Erwägungen der Lieferbetriebe (etwa von Fahrzeugen, Telefonkabeln usw.) zu sehen. Filmbetriebswirtschaftslehre aber kann nur im Allzusammenhang von Filmproduktion-Filmverleih-Filmtheater betrieben werden.

Karl Oberparleiter, dessen "Funktionen- und Risikenlehre" zu Recht noch heute als betriebswirtschaftliches Standardwerk gilt, klammert jegliches Risiko immaterieller Werte - und damit auch des immateriellen Filmrechtes - aus seinen Untersuchungen aus, weil sich seiner Ansicht nach diese immateriellen Werte im Einzelfall der ziffernmässigen, exakten Erfassung und damit der betriebswirtschaftlichen Forschung entziehen. (Karl Oberparieiter: Funktionen- und Risikenlehre des Warenhandels, Wien 1930, S. 97 ff)

Man darf insoweit von einer "Heimatlosigkeit" des Films in der offiziellen Betriebswirtschaftslehre sprechen. (Landau-Waldeck: Der Film - das Stiefkind der Betriebswirtschaftslehre. In: Film-Telegramm Nr. 36/1953) Und es scheint kein Zufall, dass die 1940 erschienene Bibliographie von Traub und Lavies "Das deutsche Filmschrifttum" nur drei Dissertationen betriebswirtschaftlichen Inhaltes verzeichnet, die 1924, 1935 und 1938 erschienen sind. Mit den vier Abhandlungen, mit denen zwischen 1945 und 1955 in Wien, München, Köln und Hamburg (man bedenke: in zehn Jahren an vier Universitären nur vier Arbeiten!) Betriebswirte zum Doktor der Wirtschaftswissenschaft promovierten, gibt es m. W. insgesamt also sieben Dissertationen filmbetriebswirtschaftlichen Inhaltes - ausserordentlich wenig, wenn berücksichtigt wird, dass im deutschsprachigen Gebiet insgesamt rund 500 auf den Film bezügliche Doktorarbeiten verfasst und anerkannt worden sind.

Die 2ahl der Filmwirtschaftsunternehmen, die sich einschliesslich der Filmtheater allein in der Bundesrepublik auf 5 810 beläuft, die filmwirtschaftlichen Umsätze, die in der Theatersparte der westdeutschen Filmwirtschaft jährlich 600 Millionen DM betragen, und die Investitionen der Filmproduktion mit jährlich etwa 90 Millionen DM rechtfertigen eine spezielle Betriebswirtschaftslehre des Films ebenso wie die Eigenart des immateriellen Wirtschaftsgutes Filmrecht. Da z. B. der Buchhandel an zahlreichen Universitäten über eine spezielle Betriebswirtschaftslehre verfügt, zu dem Sinne dieser Lehre als Forschungsobjekte auch der Buchdruck und der ihm voraufgehende geistige Schöpfungsakt gehören, muss für den Film ebenso eine Speziallehre gefordert werden, denn: Film und Buch beruhen allein auf kulturabhängigen Herstellungs- und Vertriebsbedingungen, die einem besonderen internationalen Rechtsschutz durch urheberrechtliche Vereinbarungen und aus ihnen folgende Staatsgesetze unterliegen. (Gerhard Menz: "Buchhandel" im "Handwörterbuch der Betriebswirtschaft", Band 1, S. 1321 ff., 2. Aufl., Stuttgart 1938)

B.

Vor Behandlung der Ziele einer speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films sei ein

Vergleich erlaubt: Ein Arzt kann nicht auf die Dauer erfolgreich tätig sein, ohne den menschlichen Körper bis hin zu den letzten Zellen und ihren Funktionen zu kennen und den Ganzheitszusammenhang Körper-Geist-Seele bei jeder Diagnose und Anordnung zu berücksichtigen.

Der Film als Ganzes und jeder einzelne Film als gesellschaftsgestaltender und (oft) -entstaltender Faktor sind in ihrer Vielschichtigkeit und Zwielichtigkeit, in Macht und Ohnmacht dem Menschen vergleichbar. Die Betriebswirtschaftslehre des Films wäre dann die Lehre vom strukturellen Aufbau der Filmzellen (= Betriebe), ihren Funktionen und Beziehungen sowohl untereinander als auch zur Aussenwelt und schliesslich die Offenlegung all dieser Zusammenhänge und Abhängigkeiten in Grund und Folge, Ursache und Wirkung.

In Ansehung der damit zugleich angedeuteten Möglichkeiten und Grenzen hat die Betriebswirtschaftslehre des Films folgende Doppelaufgabe zu erfüllen:

1. Für den Filmpraktiker hat sie die Lehre von der rationalen Führung der Produktion, des Verleihs und Lichtspielhauses zu sein. Sie soll Mittel und Wege richtiger Betriebsgründung und -finanzierung, sinnvoller Beschaffung der Produktionsmittel und Nutzung vorhandener Kapazitäten, zweckgerechten Absatzes und kostensparender Organisation der inner- und zwischenbetrieblichen Arbeitsabläufe sowie die optimale Erfassung aller dieser Vorgänge im Rechnungswesen aufzeigen. Sie soll eine Lehre sein vom Werten und Wählen, Planen und Disponieren, um das Betriebsgeschehen zweckvoll zu gestalten, um in allem filmwirtschaftlichem Handeln auch wirklich dem ökonomischen Prinzip zu entsprechen: Leistungsvollzug mit vergleichsweise geringstem Aufwand - ein Ziel, von dem die meisten westdeutschen Filmwirtschaftsbetriebe (und zwar vornehmlich die mit Staatsbürgschaften arbeitenden!) noch meilenweit entfernt sind.

2. Für die umfassendere Filmwissenschaft, die Filmpolitik und Filmkritik hat die Betriebswirtschaftslehre des Films hinsichtlich aller filmwirtschaftlichen Fragen gangbare Wege aufzuzeigen und Massstäbe zu ermitteln, die es den Funktionären dieser Kultursachbereiche ermöglichen, exakt fundierte Werturteile auch aus supra-ökonomischer Sicht zu fällen. In Würdigung übergeordneter Staats- und anderer Gemeinschaftsziele könnte dann, wo nötig, darüber befunden werden, in welchen Fällen und wie dem Film wirksam geholfen werden kann - d. h. fern jenes naiven Glaubens, der der Gewährung staatlicher Ausfallbürgschaften zu Grunde lag.

C.

Die Frage nach dem Weg der speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films beinhaltet drei Teilfragen, nämlich:

1. Welche Quellen stehen für ernsthafte Forschungen zur Verfügung?

2. Welche wissenschaftlichen Methoden sind für ihre Ausschöpfung anwendbar?

3. Welche Möglichkeiten einer Gliederung bieten sich, um diese filmwissenschaftlichen Species dereinst zu einem in sich geschlossenen, auch dem Laien verständlichen Lehrgebäude werden zu lassen?

Zu 1.: An Quellen bietet sich Material in einer Fülle und teilweise schon klaren Systematik, wie dies bisher wohl bei keiner jungen Wissenschaft der Fall war. Im Einzelnen kommen in Betracht:

(a) Die Prüfungsberichte der für die Verwaltung der Staatsbürgerschaften kompetenten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Diese bieten hinsichtlich einzelner Filme sowie der Bürgschafts- und Kreditwürdigkeit ganzer Filmproduktions- und -verleihbetriebe ein ganz ausgezeichnetes Material, das nur der Systematisierung, entsprechender Aufbereitung und vergleichender Analysen bedarf.

(b) Umfangreiches, allerdings historisches Material, das aber immerhin zur Erhärtung grundsätzlicher Erkenntnisse beitragen könnte, bietet das Rechnungswesen der früheren zum alten UFA-Konzern gehörigen Deutschen Filmvertriebsgesellschaft mbH. (DFV), das ausnahmslos auf Hollerith-Maschinen-Buchhaltung basiert. Diese Hollerith-Buchhaltung wurde 1941/42 mit dem ausdrücklichen Ziel aufgebaut, aus ihren Ergebnissen filmbetriebswirtschaftliche Erkenntnisse von zeitloser Gültigkeit zu gewinnen. Krieg, Zusammenbruch der reichseigenen Filmwirtschaft und Neuaufbau des Films unter Verzicht auf diese ausgezeichneten Grundlagen haben bewirkt, dass dieses wohl beste, weil für drei Jahre und kraft des DFV-Wochenschau-Monopols für die gesamte damalige Filmwirtschaft lückenlose Material nie ausgewertet worden ist.

(c) Aktueller, aber vergleichsweise sehr lückenhaft und meist verbandszweckpolitisch aufbereitet ist das Material der bestehenden Filmfachverbände. In dem Zusammenhang sei erinnert an die auf ihm aufbauenden Arbeiten von Theo Aulich und die marktstatistischen Untersuchungen Götz von Pestalozzas, der damit im bescheidenerem Rahmen an die verdienstvollen Arbeiten Alexander Jason's anknüpft.

(d) Als weitere Quellen kommen (allerdings das ausdrückliche Einverständnis der jeweils betroffenen Unternehmen vorausgesetzt) die Prüfungsberichte der Finanzämter in Betracht. Diese haben den Vorzug, in ihrer Systematik auf einem für alle Betriebsprüfungen bei Filmbetrieben einheitlichen "Erlass des Reichsministers der Finanzen über die Prüfung von Betrieben des Lichtspielgewerbes" aus dem Jahre 1934 zu beruhen. - Ohne das Einverständnis der betroffenen Betriebe könnten die Unterlagen der Handelsgerichte und Handelskammern über Insolvenzen bei Filmunternehmen erschlossen werden; ebenso die Akten der Finanz- und ordentlichen Gerichtsbarkeit (insbesondere der Kammern für Filmsachen bei einzelnen Landgerichten).

(e) Ferner sind als m. E. sehr weitreichende Ausgangspunkte filmbetriebswirtschaftlicher Forschungen die erwähnten sieben deutschsprachigen Dissertationen vorhanden, die ihrerseits ausnahmslos das Ergebnis ungewöhnlich gründlicher, z. T. jahrelanger Forschungen in verschiedenen Filmwirtschaftsbetrieben sind. Dieser Ausgangspunkt wird ergänzt einmal durch etwa 50 mehr oder weniger gute betriebswirtschaftliche Diplomarbeiten in deutscher Sprache und zum anderen durch ein hinsichtlich des Kostenwesens sowie rationeller Fertigung und Absatzmethoden besonders gutes Fachschrifttum der USA. Diese Forschungsquellen erfahren eine nicht zu unterschätzende Untermauerung durch meist zwar zweckbestimmte, z. T. aber doch qualitativ sehr hochstehende Aufsätze profilierter Filmwirtschaftler in der Filmfachpresse, zu deren Auswertung allerdings eine spezifische Kenntnis film-interner Zusammenhänge erforderlich ist, über die ein nicht in der Praxis stehender Forscher einfach nicht verfügen kann.

(f) Die wichtigste Forschungsquelle aber wird immer das in den Filmwirtschaftsunternehmen vorhandene oder aus Vorhandenem zu erstellende Material sein. Hierbei nutzen drei Umstände einer filmbetriebswirtschaftlichen Forschung ganz erheblich:

(1) Das Rechnungswesen fast aller Filmwirtschaftsunternehmen ist von freiberuflichen oder gar hauptamtlichen Betriebswirten organisiert worden, die ausnahmslos jener Generation angehören, die im Denken Schmalenbach's erzogen worden ist. Dadurch ist eine Einheitlichkeit des betrieblichen Quellenmaterials wenigstens hinsichtlich seiner Grundordnung gegeben, die sich in dieser Prägnanz in älteren Wirtschaftszweigen kaum finden dürfte.

(2) Diese Grundtendenz ist in Filmproduktionsunternehmen besonders stark. Diese haben sich nämlich zur einheitlichen Anwendung des von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft "Betriebswirtschaft im Film" entwickelten Einheits-Kontenrahmens bekannt und wenden fast ausnahmslos das Merkblatt dieser Arbeitsgemeinschaft über den "Inhalt des Begriffes der Filmherstellungskosten" an.

(3) Die Einheitlichkeit der Bezugsbedingungen, zu denen die Filmverleiher die Filmtheater beliefern, sowie die Formularstrenge im Abrechnungsverkehr zwischen Verleih und Lichtspielhaus haben in Verbindung mit dem unter "Der Einfluss als Beeinflussungsmittel" gesagten bewirkt, dass auch das Rechnungswesen der Filmtheater untereinander ungewöhnliche Gemeinsamkeiten aufweist.

Zu 2.: Die Methoden filmbetriebswirtschaftlicher Forschung werden in drei Entwicklungsstufen den dieser Hilfswissenschaft von der Filmwirtschaftskunde zur Filmwirtschaftswissenschaft charakterisieren:

(a) In der ersten Phase kann die Filmbetriebswirtschaftslehre nur eine beschreibende Lehre sein. Induktion, Vergleich induktiver gewonnener Ergebnisse (durch Zeitraum- und Zeitpunktvergleich innerhalb eines Betriebes und Betriebsvergleiche für gleichartige Perioden), Sammlung und statistische Erhärtung von Massenerscheinungen und Absonderung des Einmaligen vom stets Wiederkehrenden sind die Methoden dieser Phase.

(b) In der zweiten Phase hätten wir dann eine ordnende Filmbetriebswirtschaftslehre, die Gleichartiges und Vergleichbares zusammenbringt und Unterschiedliches trennt.

(c) In der dritten Phase schliesslich wird die Filmbetriebswirtschaftslehre durch Analyse und zunehmende Abstraktion den Weg zu einer eigentlich wissenschaftlichen Betriebslehre ebnen.

In allen drei Phasen aber bieten die (aus anderen Forschungsgebieten) vorhandenen Ergebnisse der "klassischen" allgemeinen und besonderen Betriebswirtschaftslehren, wie sie gegenwärtig an unseren Universitäten dargeboten werden, die Möglichkeit, durch Deduktion und Verifikation die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der Filmwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen aufzuzeigen.

Zu 3.: An Möglichkeiten der Gliederung einer speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films bieten sich

(a) in Anlehnung an die "klassische" Betriebswirtschaftslehre die nach Funktionen, wobei der einzelnen Film-Betriebsart zur besseren Unterscheidung von anderen Betriebsarten die jeweiligen betriebswirtschaftlichen Hauptinteressen zuzuordnen wären; oder

(b) die nach dem filmwirtschaftlichen Wertumlauf.

Das ergibt (a) nach den Funktionen:

(1) Die filmtechnischen Betriebe wie Ateliers und Kopieranstalten sind kostenstellenorientiert, d. h. ihr erkenntnis- und betriebspolitisches Anliegen zielt darauf ab, für jede einzelne Kostenstelle (z. B. die einzelne Aufnahmehalle, einen Schneideraum, die Tischlerei, Tonmeisterei usw. - oder eine Kopiermaschine, eine Trocken-Anlage usw.) den Punkt (!) minimaler Kosten bei maximalen Erträgen zu ermitteln.

(2) Die Filmproduktion in dem engen Sinne der Herstellung von Spiel-, Kultur-, Dokumentar- und Werbefilmen ist kostenträgerorientiert, d. h. ihr Anliegen ist es, jeden einzelnen Film mit vergleichsweise geringstem Aufwand bei gleichzeitig maximalen Erlösen zu erstellen.

(3) Die Filmverleihunternehmen sind staffelorientiert. Ihr erkenntnis- und betriebspolitisches Anliegen sind die Zusammenstellung und der Absatz einer Staffel mehrerer Filme innerhalb einer Periode (z. B eines Verleihjahres), die als Saldo aller Betriebs-Aufwendungen und Erlöse ein Nettoertragsmaximum erbringt.

(4) Die Filmtheater schliesslich sind kapazitätsorientiert. Ihr Anliegen ist es eine Spielplangestaltung und Vorführungsfolge zu ermitteln, die auf das Jahresganze und die einzelne Filmvorführung bezogen die maximale Nutzung der vorhandenen Sitzplatzkapazität gewährleistet.

M. E. ist eine derartige an Betriebsaufgaben und -anliegen ausgerichtete Gliederung der speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films gut und bedenklich zugleich. Sie ist gut, weil sie verdeutlicht, dass bei Durchlauf des gleichen Produktes - nämlich des Films - für jeden Betrieb eine jeweils ganz andere Interessenlage besteht. (Letztere übrigens sind Ursachen für die dem Aussenstehenden nur schwer verständlichen, dauernden Reibungen zwischen den einzelnen Sparten der Filmwirtschaft!) Die Gliederung aber ist bedenklich, weil sie durch die gleichzeitige Hervorhebung unterschiedlicher Betriebsanliegen im Ansatz bereits den Blick für entscheidende andere betriebswirtschaftliche Fragen versperrt. Wenn z. B. die Staffel-Orientiertheit des Verleihs betont wird, dann kann die kostenentscheidende Frage im Ansatz paralysiert werden, wie durch rationelle Gestaltung der Verleihtechnik der Perioden-Ertrag unabhängig von der Staffel-Ergiebigkeit günstig bzw. ungünstig zu beeinflussen ist.

(b): Eine m. E. bessere Gliederung der Filmbetriebswirtschaftslehre wäre z. B. (b) die nach dem Wertumlauf:

(1) Lehre vom zwischenbetrieblichen Wertumlauf, die den Hinweg des immateriellen Eignungswertes Filmrecht von der Filmproduktion bis zur Dienstleistung Vorführung vor dem Kinobesucher sowie den Rückweg geldwerter Gegenwerte von der Kinokasse bis zur Bereitstellung der Mittel für neue Filmvorhaben nach folgendem groben Schema zu ergründen hätte: .um - $6 Tabelle Umlauf der Eignungswerte

Rücklauf der Gegenwerte

Film- Produktion

I

Urheber- recht

Einspiel- Erlös

Film- Verleih

Film- Theater

Kino- Besucher

II

Lizenz- recht

Lizenz- Abrechnung

III IV

Aufführungs- Film- recht Vorführung

Filmmieten- Abrechnung

Barkauf der Eintrittskarte .um + IV

(2) Lehre vom innerbetrieblichen Wertumlauf und Leistungsvollzug

(aa) der Filmproduktion;

(bb) der Atelierbetriebe;

(cc) der Kopieranstalten;

(dd) der Verleihunternehmer;

(ee) der Filmtheater,

(3) Da zwischen- und innerbetrieblicher Wertumlauf - auf das jeweilige Betriebsganze und den einzelnen (künstlerischen, technischen und kaufmännischen) Mitarbeiter bezogen - funktionenbestimmt sind, ergibt sich aus (1) und (2) eine filmbetriebswirtschaftliche Funktionslehre.

Diese kann im Endziel (bei selbstverständlicher Achtung vor der Personwürde des arbeitenden Menschen bis zur Ermittlung von Arbeits-Bestverfahren für jede Einzel- und Kollektivleistung führen. (Nell-Breuning: Wirtschaftliche Grundbegriffe _...) Notwendigkeit und Wert einer solchen Funktionslehre ergeben sich u. a. daraus, dass nach meinen Feststellungen die monatlichen Fixkosten zweier durchaus gleichintakter Verleihunternehmen der Bundesrepublik zwischen DM 200000,- und unter DM 3000,- liegen.

(4) Korrelat der zwischen- und innerbetrieblichen Funktionenlehre ist die Risikenlehre, wobei unter Funktion die Leistung zwecks Gewinnerzielung und unter Risiko die potentielle Möglichkeit des Misslingens, d. h. das dem Positiv der Leistung gegenüberstehende Negativ verstanden wird.

(5) Funktionen und Risiken finden ihren ziffernmässigen Niederschlag im betrieblichen Rechnungswesen. Das letzte und wichtigste Glied der speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films ist deshalb die Lehre des filmbetrieblichen Rechnungswesens, die für jede der unter (2) genannten Betriebsarten je eine besondere

(aa) Buchhaltungs- und Bilanzierungslehre; (bb) Kosten-Erfassungs-, Verteilungs- und Kalkulationslehre; (cc) Betriebs- und Absatzstatistik und (dd) Budgetlehre

zum Inhalt hat.

D. Nach Behandlung von Notwendigkeit, Ziel und Weg einer speziellen Betriebswirtschaftslehre des Films ist abschliessend zu fragen:

Welche Hauptergebnisse erbrachten die bisherigen auf den Film bezüglichen Forschungen - soweit diese sich exakter betriebswirtschaftlicher Methoden bedienten? Nahezu übereinstimmend wurde bislang ermittelt:

1. Leistungsvollzug, Leistungsergebnis, Bilanz-Einordnung und bilanzielle Bewertung sind n der Filmwirtschaft anders als in der gesamten übrigen Wirtschaft.

2. Auch die filmtypischen Herstellungs- und Absatz-Risiken weichen erheblich von denen der übrigen Wirtschaft ab.

3. Trotz 1) und 2) sind - von imponderabil bleibenden Ausnahmen abgesehen - die meisten Filmwirtschafts-Vorgänge durchaus exakt messbar und keineswegs so unwägbar wie in Verallgemeinerung von Gelegenheits-Erkenntnissen weithin angenommen wird.

4. Hinsichtlich sehr vieler - für Filmwirtschaftspraxis, Filmpolitik und Filmwissenschaft Entscheidender Teilfragen ist der Film betriebswirtschaftlich "Grünland der Forschung".

In Würdigung der Dienerstellung der Filmbetriebswirtschaftslehre gegenüber allen höheren Cultursachbereichen

~ ~ die exakte Messung (wo immer sie anwendbar ist) bis zur Perfektion zu betreiben und

~ ~ das bisherige Grünland der Forschung zu einem erkenntnisergiebigen Acker umzugestalten -

dürfte ein kulturelles Anliegen unserer Zeit sein.
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Volkstanzkunde - Der Film       Felix Hoerberger

(Die Kapitel, die in dem Buch "Volkstanzkunde" diesem hier vorangehen, behandeln die schriftliche, photographische und akustische Aufnahme der Volkstänze. (D. Red.))

Es braucht nicht besonders nachgewiesen zu werden, dass der Schmalfilm ein fast unentbehrliches technisches Hilfsmittel für Volkstanzsammlung, Volkstanzforschung und Volkstanzpflege ist. Für den Beobachter ist die choreographische Seite des Tanzes ein bewegtes Bild, und wir haben keine Möglichkeit, diese Bewegungen so genau mit allen Imponderabilien festzuhalten, wie durch den Schmalfilm.

Es gibt eine ganze Reihe von sehr guten Schmalfilmschulen, und wir werden, wenn wir uns ernsthaft mit diesem technischen Mittel abgeben wollen, nicht umhinkönnen, uns mit einer solchen Schule zu befassen. Es ist völlig unsinnig, zu glauben, dass man mit ein paar Anweisungen, die man von dem Photohändler bekommt, oder mit den Erfahrungen, die man als Photograph gemacht hat, auskommt.

Noch besser wäre für den Filmamateur, als der sich der Volkstanzkundler nun einmal zu betätigen hat, die Lehre bei einem Kameramann, oder die Beteiligung an einem Kurs, wie sie z. B. das Göttinger "Institut für den wissenschaftlichen Film" durchführt. Es gibt aber über die Kenntnisse, die man hierbei erwerben kann, einige Eigentümlichkeiten zu berücksichtigen, in denen unsere spezielle Praxis von der allgemeinen Praxis des wissenschaftlichen Filmes abweicht. Die folgenden Erwägungen betreffen also nicht die allgemeinen Prinzipe des Filmes, auch nicht des wissenschaftlichen Filmes, sondern die besonderen Belange der Volkstanzkunde. (Vergleiche hierzu die sehr instruktiven Ausführungen von Günther Spannaus "Theoretische und praktische Probleme des wissenschaftlichen Filmes" in: Von fremden Völkern und Kulturen, Hans Plischke zum 65. Geburtstag, Düsseldorf 1955, Seite 85 ff.)

Zunächst haben wir uns zu überlegen, welchen Zweck wir bei der Verfilmung eines Volkstanzes zu verfolgen beabsichtigen. Und da gibt es fürs erste zwei Möglichkeiten: Wir können beabsichtigen, ein allgemeines folkloristisches Bild zu geben. Man kann sich z. B. denken, dass man ein Landschaftsbild oder das Bild eines Volkes verfilmen möchte und zur Charakterisierung dieser Landschaft oder dieses Volkes einen kurzen Streifen Volkstanz einblendet. Es ist das die Art, wie man sie in professionellen Kulturfilmen, Wochenschauen, wohl auch in Spielfilmen häufig antreffen kann. Aber auch für uns ist diese Art nicht ohne weiteres abzulehnen. Man könnte sich z. B. denken, dass wir einen Überblick über den europäischen Volkstanz geben wollen. Dann werden wir nicht ins Einzelne gehen, wir werden nicht Dokumente einzelner Tänze vorzeigen wollen, sondern es würde genügen, allgemeine Charakteristiken für die Bewegungsart bei den einzelnen Völkern Europas vorzulegen.

Etwas ganz anderes ist es jedoch mit dem Film als Dokument. Und diese zweite Art wird es in erster Linie sein, die für uns in Frage kommt. Wir werden uns deshalb besonders mit dieser beschäftigen müssen. Hierbei werden Probleme auftauchen, die weder der durchschnittliche Volkstanzfreund, der mit der Technik des Filmes nicht vertraut ist, noch der versierte Filmoperateur, der mit den Erfordernissen der Volkstanzforschung nicht vertraut ist, kennt.

Der technisch unausgebildete Volkstanzsammler wird es als selbstverständlich ansehen, dass man einen Volkstanz, um ihn dokumentarisch festzuhalten, einfach von Anfang bis zum Ende durchdrehen wird. Einer solchen Praktik stehen jedoch zwei sehr entscheidende Momente entgegen.

Wir setzen voraus, dass der Volkstanzsammler normalerweise keine Apparatur hat, welche mit einem elektrischen Antrieb versehen ist Es gibt zwar auch heute schon kleinere Kameras, die mit Taschenlampenbatterien betrieben werden, doch haben im allgemeinen die Schmalfilmkameras, die dem Amateur zur Verfügung stehen, einen Federaufzug, der es gestattet, nur einen beschränkten Zeitablauf ohne neuen Aufzug durchzufilmen. Aber selbst bei ungehindertem Durchzug sind Grenzen gesetzt, da die zur Verfügung stehenden Spulen im pausenlosen Ablauf in der Regel nur für etwa zwei Minuten reichen.

Viel entscheidender jedoch als dieser erste Punkt ist ein zweiter. Jeder Filmamateur im ersten Anfangsstadium seiner filmischen Tätigkeit weiss um die Grundregel des Filmens, dass eine Kameraeinstellung, dass heisst, eine Szene, eine bestimmte Laufzeit nicht überschreiten darf. Man rechnet im allgemeinen mit einer durchschnittlichen Szenenlänge von 5 bis 6 Sekunden, etwa um das dramatische Tempo zu vergrössern, um inhaltlich leicht zu überblickende Szenen nicht unnötig auszudehnen, wird man kürzer, bis zu 3 Sekunden drehen, zuweilen, für bestimmte kontemplative Szenen länger, 10 oder 20 Sekunden, aber nicht mehr. Denn eine solche verlängerte Szene würde die Langeweile des Beschauers zur Folge haben. Die Psychologie des Filmes fordert kategorisch, längere Szenen aufzuteilen in Einzeleinstellungen, sie fordert weiterhin, manchmal grosse Zeitsprünge zu machen, oder umgekehrt Szenen, die gleichzeitig vor sich gehen, hintereinander zu zeigen. Sie kann z. B. fordern, dass man eine Szene, die man soeben in der Totale gesehen hat, noch einmal zur näheren Erläuterung in der Naheinstellung zeigt. Insofern also ist die erste Forderung, der erste Wunsch des Volkstanzsammlers nach einer dokumentarischen Gesamtaufnahme eines Tanzes zurückzustellen.

Und doch werden wir nach der gewissenhaften Erwähnung dieses allgemeinen Filmgesetzes auch wiederum dem Filmpraktiker entgegentreten müssen. Wenn wir vielleicht doch einzelne Einstellungen über längere Zeit hin ausdehnen, als es die allgemeine Filmpraxis zu erlauben scheint, so entspricht das letzten Endes doch wieder ganz dem Grundgesetz, dem sich die Praktik des Filmoperateurs zu unterziehen hat. Das heisst, wir müssen so filmen, dass der Beschauer keinen Augenblick das Interesse und die Aufmerksamkeit an dem verliert, was wir ihm zeigen. Da heisst es weiter, unser Volkstanzdokumentarfilm ist wohl von vornherein nur für einen Beschauer bestimmt, der sich in irgendeiner Weise, als Tänzer, als Folklorist, als Musikologe usw. speziell für den Volkstanz interessiert, wir können also von ihm eine gewisse Bereitschaft für das von uns Gezeigte fordern, eine Bereitschaft, die über diejenige des durchschnittlichen Filmbeschauers hinausgeht.

Es bedarf ganz besonderer Erfahrungen auf diesem Gebiet, um zu einem geeigneten Massstab für die einzelne Szenenlänge zu kommen: Sie muss so lange sein, dass es dem Beschauer möglich ist, die Gesamtheit eines Bewegungsmotives zu erfassen, ja, es sogar analysieren zu können. Aber sie darf nicht länger sein, um die ohnehin höchstbeanspruchte Aufmerksamkeit des Beschauers nicht zu überfordern. G. Spannaus fordert z. B. für die Darstellung eines Webereivorganges bei Verwendung von 16 mm Film eine Szenenlänge von 2 bis 5 m (I), während er die durchschnittliche Szenenlänge bei Kulturfilmen mit 25 bis 50 cm angibt.

Um das Gesagte näher zu erläutern, gebe ich folgendes Beispiel. Das typische Bild der Volkstänze des Balkans ist der Tanz im Kreis, der Reigen, Kolo, Choro, Hora oder wie man sonst sagt. Das Charakteristische aber, die spezielle Eigentümlichkeit des einzelnen Tanzes ist die oft sehr komplizierte Form der Fussbewegungen. Auf die Praxis des Filmens angewendet heisst das: Der volkstänzerisch nicht interessierte Filmoperateur wird vielleicht einmal kurz eine Grossaufnahme von jeder Fussbewegung einblenden, sozusagen als eine Arabeske in seiner Komposition, die beim Zuschauer mancherlei Gefühle erwecken kann, vielleicht das der Bewunderung für die Behendigkeit, vielleicht auch das der Heiterkeit über das Kuriose dieser Bewegung. Ganz anders jedoch wird der tänzerisch interessierte Beschauer reagieren. Er wird, da ihm die Bedeutung und die Wichtigkeit der Fussbewegung in diesem Zusammenhang bekannt ist, sofort mit grösster Spannung sich dem Studium, der Entzifferung dieser Fussbewegung widmen, wird versuchen, sie im Geiste nachzutanzen oder aufzuzeichnen und wird eine grössere Ausdehnung dieses Streifens möglichst sogar eine Zeitlupenaufnahme wünschen. Was dem durchschnittlichen Filmbeschauer das Interesse an dem Film nehmen würde, wird ihm eine grössere Spannung abfordern und ihn nicht aus der interessierten Verfolgung der Bewegung entlassen.

Wir sehen, dass wir bei der Erstellung eines Volkstanzfilmes in einen gewissen Widerstreit der Forderungen geraten. Auf der einen Seite verlangt die Sammlung, Archivierung, Forschung eine treue Dokumentation des Gesamtablaufes. Auf der anderen Seite fordert die filmische Gestaltung auf Grund psychologischer Gesetze, die wir nicht übersehen dürfen, einen Wechsel in der Einstellung und eine Überspringung einzelner Bewegungsabläufe, die den Fortschritt der Handlung zu sehr hinauszögern und dem Betrachter die Spannung und die Aufmerksamkeit nehmen würden.

Wenn wir zu einem geeigneten Ergebnis gelangen wollen, müssen wir uns in jedem einzelnen Fall überlegen, was für diesen speziellen Fall am günstigsten sein wird, ja, wir müssen es uns das Lehrgeld kosten lassen, zu probieren.

Für die einwandfreie dokumentarische Festhaltung eines Volkstanzes wird man trotz aller Bedenken möglicherweise an das Durchfilmen des gesamten Ablaufes denken. Es ist dabei empfehlenswert - vorausgesetzt, dass die Möglichkeit dazu besteht, das heisst, dass man der tanzenden Gruppe entsprechende Regieanweisungen geben kann, ohne dem Prinzip der Echtheit zu schaden -, etwaige Wiederholungen wegzulassen. Bei komplizierten Gruppentänzen, wie etwa bei mehrpaarigen Kolonnen- oder Kontratänzen, oder bei Schwert- und Reiftänzen, empfiehlt es sich durchaus, auch im Interesse der Dokumentation, die Handlung in einzelne Bilder aufzuteilen. Man wird also etwa, um den Gesamtablauf überblicken zu können, erst eine Totale drehen, dann Einzelteile in Nahaufnahme. So wird man etwa beim Münchener Schäffler-Tanz, der aus verschiedenen Teilen besteht, jeden Teil erst einmal in der Totale filmen, um den Lauf der Kette, das heisst, die Gesamtstruktur des Gruppentanzes verfolgen zu können, dann nahe herangehen, um dieselben Stücke nun im einzelnen erkennen zu können.

Besonders wichtig für die dokumentarische Verfilmung und entfernt von der Möglichkeit einer Auswertung als Kulturfilm ist das Festhalten von einzelnen Bewegungen, wie etwa Schrittarten, oder Klatschen, Paschen, Schuhplatteln und dergleichen mehr. Gerade solche Bewegungselemente, bei denen es nicht nur auf das schreib- und beschreibbare "Was", sondern vor allem auch auf das unbeschreibliche "Wie" ankommt, sind mit besonderer Sorgfalt zu behandeln, möglichst unter Einsatz der Zeitlupe. Die Aufmerksamkeit des fachlich nicht speziell interessierten Beschauers wird dadurch natürlich auf das höchste belastet.

Erschwert wird die Verfilmung des Volkstanzes in dieser dokumentarischen Form durch die eventuelle Heranziehung des Tonfilmes, also der Synchronisation. Gerade hier beginnt diejenige Schwierigkeit, die sonst im wissenschaftlichen Film keine Rolle spielt, da man dort mit Absicht, um die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Objekt der Betrachtung nicht abzulenken, den Ton weglässt.

In diesem Punkt nun zeigt es sich, dass Ton und Bild verschiedenen Gesetzen unterliegen. Das Bild fordert den Wechsel der Einstellung. Bei der Musik jedoch wird der unvermittelte Wechsel von einem Abschnitt der Musik auf einen anderen, soweit er nicht der Intention der Komposition entspricht, als höchst störend empfunden. Ganz unabhängig von den technischen Schwierigkeiten der Synchronisation, über die wir hier nicht weiter sprechen wollen, müssen wir zusehen, dass wir aus dieser Entgegengesetztheit eine Art Ausgleich finden. Das heisst, wir werden für den Film den Wechsel der Einstellung weitmöglichst zurückstellen und für die Musik ein langsames Überblenden wählen müssen, indem man vielleicht einige erklärende Worte einfügt.

Am besten wird es jedoch sein, wenn man die Musik durchlaufen lassen kann, die tänzerische Gestaltung der Form a b c d _... ebenfalls ohne Pause und ohne Lücke, jedoch in der Weise, dass man für jeden Abschnitt a b c d _... des Tanzes eine neue Einstellung wählt. Die Verwendung der Zeitlupe ist im Falle der Synchronisierung natürlich unmöglich gemacht.

Im übrigen ist die Notwendigkeit der Lippensynchronisation nicht in jedem Fall gegeben. Man muss vielmehr für jeden einzelnen Film neu entscheiden, inwieweit die genaue Übereinstimmung von Bild und Ton gefordert werden muss oder nicht. Entscheidend dabei ist die Art des Tanzes selber. Es gibt Tänze, und ich nenne hierfür gerade wieder als Beispiel den Münchener Schäffler-Tanz und den Rotenburger Schäfertanz, bei dem das ganze Schwergewicht des optischen Interesses auf die Gruppenformation gelegt ist, während die Schrittfolge, die sich immer gleich bleibt, geradezu nebensächlich ist (ganz im Gegensatz zu jenen oben genannten Reigentänzen des Balkans, bei denen das Umgekehrte der Fall ist). Der analysierende Beschauer will die Entwicklung der einzelnen Figuren - Mühle, Schnecke, Kette usw. - verfolgen. Diese Entwicklung ist taktmässig nicht gebunden, höchstens periodisch. Und die Beziehung der immer gleichbleibenden Schritte zu dem ebenfalls immer gleichbleibenden Takt der Musik bildet kein Problem, das der speziellen Analyse und damit der tonfilmischen Synchronisierung wert wäre. Es erübrigt sich also in solchen Fällen die genaue Lippensynchronisation, man kann die Musik nebenher laufen lassen.

Aus allen diesen Gründen ist auch hier, wie ja bei der Filmgestaltung allgemein, dringend zu fordern, dass man sich vor Beginn der Dreharbeiten eingehend mit der Materie beschäftigt, um zu wissen, was und wie. Die vorhergehende Erstellung einer "Motivliste", ja, wenn möglich, eines Drehbuches, ist unerlässlich. Natürlich ist es im einzelnen nicht vorauszusehen, welche Möglichkeiten sich im Arbeitsgebiet für die Filmung von Volkstänzen ergeben werden, es sei denn, dass der Aufnahmereise eine Erkundungsfahrt voraufgegangen ist, so dass jede Einzelheit im voraus festgelegt werden kann. Aber die ohnehin unentbehrliche Vorbereitung auf die Sammelarbeit wird es in jedem Falle möglich machen, eine allgemeine Planung der Dreharbeiten durchzuführen. Völlig wertlos ist dagegen der nur zufällig gemachte Schnappschuss, der mit seinesgleichen zum "Potpourrifilm" zusammengeschnitten wird. Dass jeder einzelnen Szene, ebenso wie der Tonaufnahme, dem Foto und der handschriftlichen Aufzeichnung genaue protokollarische Notizen über Art und Umstand der Aufnahme beigegeben werden müssen, versteht sich von selber.

Wir wollen zum Schluss noch vier spezielle Vorschläge für die Gestaltung des dokumentarischen Volkstanzfilmes machen:

1. Der primäre Zweck des Filmes, das geht wohl aus allem hervor, was wir schon früher besprochen haben, ist die Darstellung dessen, was nicht aufgeschrieben werden kann: das "Wie" der Tanzbewegung. Die Forderung, die in seinem Interesse zu erfüllen wäre, ist die möglichst klare Hervorhebung des Tänzers oder der sich bewegenden Gruppe im Bild und die möglichst lange Ausdehnung der Szene, in der die Bewegung zu erkennen ist. In der Regel lässt" sich gerade das "Wie" nicht analysieren, sondern nur intuitiv erfassen. Es ist also notwendig, dass man sich lange und ununterbrochen in die Bewegungsart hinein vertiefen kann.

2. Als Bewegungskonserve ist dann weiterhin der einzelne Tanz im Ganzen festzuhalten. Es versteht sich, dass eine sehr sorgfältige durchdachte Tanzbeschreibung durch den Film nicht zu ersetzen ist. Und wir haben schon einmal darauf hingewiesen, worin die Gegensätzlichkeit der beiden Dokumentierungsmittel liegt. Die Ideallösung ist unter allen Umständen die Kombination von Beschreibung und Film, beziehungsweise Kinetogramm und Film (von "was" und "wie"). Die Hauptrolle spielt dabei also auch hier der Gesichtspunkt, der im vorhergehenden Abschnitt 1 zum Ausdruck gebracht wurde.

Zu diesen beiden Primäranliegen kommen nun zwei weitere Möglichkeiten, die bereits fertig ausgeführt sind, zur Weitergabe und dort die Aufgabe der Belehrung (nicht nur die wissenschaftliche Analyse und Einfühlung) erfüllen können. In diesem Sinne entsprechen sie etwa dem, was G. Spannaus allgemein für den wissenschaftlichen Film als Forderung erhoben hat.

3. Das eine ist die filmische Monographie, in der beispielsweise das Volkstanzgut einer Landschaft oder eines Volkes zusammenfassend dargestellt und vor allem der einheitliche Charakter dieser Landschaft oder dieses Volkes dargestellt wird. Es handelt sich hier wohl vor allem um eine geeignete Zusammenstellung von einzelnen Teilen, welche den unter 2 angeführten Gesichtspunkten entsprechen, und die dem charakterisierenden Gesamtzweck des Filmes untergeordnet werden.

4. Besonders aber sollte man eine vierte Möglichkeit bedenken, mit der wir auch wieder zum ersten Gesichtspunkt zurückblicken, der uns ja immer am meisten ans Herz wachsen muss. Wir wissen, dass viele Volkstänze einer Mehrzahl von Völkern und Stämmen angehören und dass sie sich oft nur in der Ausführung unterscheiden, also wieder in dem, was nicht beschrieben, sondern nur in natura gesehen und gehört und auf diesem Wege intuitiv erfühlt werden kann. Solche Tänze, von verschiedenen Völkern getanzt, möglichst nahe beieinander zu erleben, etwa Wechselhupftänze von Deutschen, Franzosen, Westslawen, Skandinaviern, oder Zwiefache von Bayern und Böhmen und dergleichen mehr, ist einer der wünschenswertesten Umstände, die sich der Volkstanzforscher denken kann.

Und dieser Forderung im besonderen soll sich der Volkstanzfilm annehmen. Normalerweise wird man es so machen, dass man mehrere Streifen aneinanderhängt, in denen derselbe Tanz von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen gezeigt wird. Daneben aber wäre sogar daran zu denken, die Bilder der Tänze synchron ablaufen zu lassen, auf zwei nebeneinander hängenden Projektionswänden, von zwei Projektoren gleichzeitig geworfen. Voraussetzung für diesen wohl recht instruktiven Versuch wäre allerdings das Fortlassen des Tones (zwei verschiedene musikalische Vorgänge lassen sich nicht, wie zwei Bilder, oder auch nur zwei Notenbilder in der synoptischen Tafel, synchronisieren) und ein Schnitt des Filmes, bei dem gewährleistet ist, dass tatsächlich die beiden tänzerischen Vorgänge in allen Einzelheiten synchron laufen.
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Gedanken über eine "Geschichte Films" von Liam O'Laoghaire

(Liam O'Laoghaire ist Mitglied der Auswahlkommission des "National Film Archive" in England. Wie würde er wohl jammern, wenn er in Deutschland lebte.)

Viele Leute glauben, die Geschichte des Filmes sei schon erschöpfend geschrieben, und es käme nur noch wenig Unbekanntes hinzu. Es ist allgemein bekannt, dass es seit über zwanzig Jahren Filmarchive gibt, dass viele Bücher und "Geschichten" über den Film geschrieben wurden. Alles dies verleitet zu einer gewissen Selbstgefälligkeit und zu den oben erwähnten Annahmen.

Das erste Filmarchiv wurde vierzig Jahre nach der Erfindung des Films gegründet. Sie sind aus finanziellen und anderen Gründen für die Aufbewahrung von Filmen und ähnlichen Aufzeichnungen erforderlich. Sie retteten, was sie aus der vergangenen Epoche erreichen konnten, aber die Zugänglichkeit zu diesem bruchstückhaften Material war auch dann noch in Frage gestellt, soweit sich ein Forscher dafür interessierte. Film ist kein billiger und leicht zu verteilender Gegenstand. Es ist ein schlechter Trost für einen Forscher in Patagonien, wenn er den Film, den er gerade braucht, in einem Archiv in Bessarabien weiss. Wahrlich, die Filmgeschichte kann nur sehr langsam und mühsam zusammengesetzt werden, und zu geringe wissenschaftliche Erfahrung kann zu jener Einschätzung der Abgeschlossenheit dieses Gebietes führen.

Die Lage wird überdies durch die Bücher über die Geschichte des Films oder Biographien von Regisseuren usw. kompliziert. Viele dieser Bücher waren nutzbringend und Pioniere auf ihrem Gebiet, aber allzuoft waren ihre Autoren mit den Tendenzen und Vorurteilen ihrer Zeit belastet, und die Bücher leiden unter einer schreckenerregenden Unvollkommenheit, die nicht etwa den Wert der Forschungen des Autors widerspiegelt, sondern nur die Grenzen aufweist, innerhalb deren er zu dieser Zeit arbeitete.

Für den Filmwissenschaftler sind die Grenzen heute noch eng genug, aber sicher weiter als vor zwanzig Jahren. Irrtümer, sowohl in der Auffassung wie auch bei den Fakten, sind inzwischen in den Filmbüchern leichter erkennbar geworden. Studien über die zeitgenössischen Filmschaffenden sind überlegter und sicherlich besser belegt. Offensichtlich weil dies ein vergleichsweise einfaches Forschungsgebiet ist.

Sich mit der Komödie René Clairs, de Sicas Realismus oder dem "Free Cinema" Vigos oder sogar allgemein mit dem italienischen Neorealismus, der französischen Avantgarde oder ähnlichen Bewegungen zu befassen, zieht sehr leicht den Vorwurf nach sich, dass man eine Mode mitmachen und ausnützen wolle. So gibt es kein Anzeichen einer zuverlässigen Bildung oder hingebungsvollen Forschung, die man gerne bezüglich der Filmwissenschaft sehen möchte. Das Schlagwort "Zeitgeist" erhebt sein niederträchtiges Haupt auch hier und wir können nur misstrauisch die Ergebnisse betrachten. Allzuviele Bücher über den Film sind heute von anderen abgeschrieben und erzeugen das unbehagliche Gefühl, dass die Geschichte des Films ihres Inhaltes beraubt worden ist.

In Wirklichkeit muss das grundlegende Quellenmaterial des Films bearbeitet und seine Geschichte noch geschrieben werden. Wir haben zum Beispiel kein Werk, das wir mit der "Geschichte des Britischen Films" von Rachael Low vergleichen könnten. Das Feld der Filmgeschichte von 1895 bis in die mittleren Zwanziger muss noch in vergleichbarer Weise erforscht werden. Und welch ein Feld! Es birgt die Geburt einer neuen Kunst zu einer Zeit, als die wirtschaftliche Auswertung noch ziemlich hemmungslos betrieben wurde. Filme herzustellen war damals ein Wagnis, das von einem Einzelnen, wenn er nur Begeisterung und Mut besass, unternommen werden konnte. Zu glauben, die Geschichte des Filmes könnte mit den Begriffen, die ein halbes Dutzend Fachleute geprägt haben, geschrieben werden, ist der grosse Irrtum, dem wir gegenwärtig verfallen sind.

II

Es ist nicht einfach, die Energien jeden Schreibers, Sammlers oder blossen Liebhabers in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die ursprüngliche Begeisterung, die ihn ein Vorhaben beginnen lässt, kann aus einer Anzahl tiefgründiger persönlicher Empfindungen oder Gründe aufspringen. Ein kurioser Name, der Reiz eines Gesichtes, eine beiläufige Anerkennung oder Beschuldigung kann eines Menschen Leben bestimmen. Wie soll man Mauriacs Vorurteil gegenüber rothaarigen Heroinen erklären? Hat aber einmal eine Idee Wurzeln geschlagen, wird sie wachsen und gedeihen. Daher ist es nötig, den Forscher auf ein umgrenztes Gebiet anzusetzen, und dann es seiner Begeisterung und seinen Fähigkeiten überlassen, sich zu entwickeln und auszudrücken. Jetzt haben wir es besonders nötig, die Filmwissenschaftler auf die Anfänge besonders der englischen Geschichte des Filmes zu lenken. Es ist begreiflich, dass in England der Forscher sehr leicht ein unmittelbares Feld für seine Arbeit findet. Eine grosse Anzahl britischer Filme liegt entweder im "National Archive" oder bei privaten Sammlern. Die Wirkungsstätten ihrer Filmschöpfer sind erreichbar, diese selbst oder ihre Mitarbeiter leben noch. Zeitschriften und Zeitungen bewahren ihre Lebensgeschichte; Aufzeichnungen und Dokumente aller Art sind reichlich vorhanden.

In ähnlicher Weise muss auch der amerikanische Stummfilm bis ins Einzelne studiert werden. Diese arg verleumdete und überschattete Phase des Films ist nicht mit Studien über D. W. Griffith oder Erich von Stroheim, von dem es, nebenbei gesagt, keine anständige oder gar endgültige Biographie gibt, geschrieben. James Cruze, John S. Robertson, Rex Ingram oder Maurice Tourneur, um nur einige wenige Regisseure zu nennen, sind wenig mehr als Namen, die mit einem Film oder auch zweien verknüpft sind, die wir noch besitzen. Hier muss die Arbeit des Forschers wie des Archivars ansetzen. Das Auffinden neuer Filme und ihre Bearbeitung muss sich unvermeidlich gegenseitig bedingen. Ein anregendes Werk über einen Regisseur muss zu einer Suche nach seinen Filmen oder die Entdeckung von Filmen und ihre Verfügbarkeit zu ihrer Bearbeitung anreizen.

III

Die Herstellung von Filmen ist eine menschliche Tätigkeit und kann nicht ohne die Berücksichtigung der Zeit und Umstände völlig gewürdigt werden. Und dies erfordert eine umfassende biographische Dokumentation.

Für jede Arbeit über einen Filmmann sollte der augenfälligste und angenehmste Ausgangspunkt der direkte Zugang zu allen oder möglichst vielen seiner Filme sein. Ein vollständiges Verzeichnis mit allen Produktionsangaben muss aus zeitgenössischen Programmheften, Jahrbüchern und Illustrierten zusammengestellt werden (und es ist nur billig, darauf hinzuweisen, dass keine noch so bescheidene Quelle vernachlässigt werden sollte). Manchmal wird einem das Material zufliegen, ein anderes Mal wird man die Angaben nur durch ausdauerndes Bohren finden. Es liegen etwa für einen Film die Namen der Darsteller vor, aber nicht die Rollenverteilung. Oder man kennt den Regisseur, findet aber den Namen des Kameramannes erst einige Monate später. So ist das Leben. Und wenn man schliesslich fast alle Angaben beisammen hat, findet man plötzlich alle und genaue Daten in einer Quelle, die man schon zu Beginn der Arbeit erhalten hätte, wenn man nur von dem Vorhandensein dieser speziellen Fundgrube Kenntnis gehabt hätte.

Abgesehen von dem auf der Hand liegenden Quellenmaterial darf man die Tagespresse nicht vernachlässigen. Hat die Persönlichkeit, deren Werk man gerade erforscht, irgendetwas Wissenwertes getan, wird man möglicherweise in der "Times" oder anderen Zeitungen Berichte darüber lesen können. In London etwa kann die "Times" in der "Westminster Central Library" als Mikrofilm bestellt werden; es gibt dort jährliche Register, in die auch Filmbesprechungen aufgenommen werden.

Nehmen wir an, ein Forscher interessiert sich für einen Verstorbenen. Eine Überprüfung der Leute, die mit ihm (oder ihr) zusammen gearbeitet haben, mag ergeben, dass einige noch aktiv im Beruf stehen und entweder über die Firma, bei der sie arbeiten, erreichbar sind, oder durch ein Filmzentrum, das ihren Aufenthaltsort kennt, aufgespürt werden können. Hier muss eine Warnung ausgesprochen werden. Es ist äusserst wichtig, dass der grösstmögliche Takt beachtet werden muss, wenn man von irgendjemandem Auskünfte über seine frühere Tätigkeit einholen möchte. Mancher grosse Star von Gestern muss sich heute mühsam durchschlagen. Ja, seine Vergangenheit kann ihm eine Behinderung im täglichen Kampf sein. Sie mag das Letzte sein, über das er zu sprechen wünscht. Der empfindsame und oft neurotische Schauspieler mag zurückgezogen und wenig mitteilsam, ja selbst feindselig sein. Die glanzvolle Laufbahn, von der wir "wissen", mag vieles enthalten, was wir nicht kennen: Kummer, Enttäuschung und tiefe Bitterkeit. Ein falsches Wort und man hat einen Brunnen für immer verschüttet. Derartige Erkundigungen sollten also taktvoll und rücksichtsvoll sein. Es erfordert in der Tat grosse Kenntnis der menschlichen Psychologie, um zu wissen, was man wann fragen darf. In jedem Fall ist ein Forscher, der für diese menschliche Seite kein Verständnis besitzt, für diesen Teil seiner Aufgabe ungeeignet.

Sehr oft ist eine Quelle möglicher Information sehr fesselnd und ansprechend und absolut ohne informativen Wertes. Grosse Künstler und gewisse Schauspieler sind oft nicht gerade intelligent. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass viele recht unangenehme Zeitgenossen sind.

Informationen, die von einem Mitarbeiter gewonnen wurden, müssen sorgfältig auf dem Untergrund seiner Eigenart geprüft werden. Die Daten müssen immer und immer wieder kontrolliert und mögliche Vorurteile berücksichtigt werden. Es ist eine verwirrende Beigabe für die Biographen, dass unter den verschiedenen Zeitbedingtheiten der menschlichen Gesellschaft sich auch das Bild der Persönlichkeiten wandelt.

Das öffentliche Wirken eines Filmherstellers mag gut zugänglich und leicht niederzulegen sein, aber sein Werdegang ist nicht vollständig ohne die vorangegangenen und nachfolgenden Abschnitte seine Lebens. Hier können örtliche Vereinigungen, Schülervereine und andere Unterlagen, die weitab seines Arbeitsfeldes liegen, sich als überraschend hilfreich erweisen.

Den Forschenden sollte nachdrücklich gesagt werden, dass eine mit aller Sorgfalt ausgewertete Quelle in den meisten Fällen verschiedene andere Anhaltspunkte für das Puzzlespiel liefert, das diese Forschung nun einmal darstellt.

Jeder Forscher sollte seine Ehre dareinsetzen, entliehenes Material - es ist stets von grossem persönlichen und oft auch absolutem Wert - nur so kurz wie möglich zu behalten, es mit aller Sorgfalt zu behandeln und es in gutem Zustande dem Eigentümer zurückzugeben,

Im Verlauf jeder Forschung werden viele nutzbringende Verbindungen angeknüpft und " es ist auch wünschenswert, eine umfassende Zusammenarbeit anzustreben. Einzelne und Organisationen haben Informationen verschiedenster Forschungsrichtungen gesammelt und es sollte keine in Frage kommende Quelle unberücksichtigt bleiben. Wie diese Verbindungen hergestellt werden, hängt in weitgehendem Masse von den einzelnen Personen ab.

So weit ich weiss, gibt nur eine Zeitschrift, die sich um die Vergangenheit des Filmes bemüht und zwar "Films in Review". Alle Artikel und Nachrichten durchzieht ein lebendiges Interesse an Blickrichtungen auf den Film, wie man sie sonst kaum finden wird. Sie ist sowohl eine Fundgrube wie auch ein steter Ansporn.

Verfasser von Filmgeschichten vom Range Georges Sadouls, René Jeannes oder Charles Fords haben das nahezu Unmögliche unternommen. Sie mussten sich, wollten sie unter den gegenwärtigen Bedingungen Ungenauigkeiten vermeiden, oft auf dünnstem Eis bewegen. Aber hundert Fachkräfte, die geduldig schürfen, abwägen und uns eine so ins Einzelne gehende Lebensbeschreibung von hundert Filmherstellern vorlegen, wie sie Marie Seton über Eisenstein geliefert hat, würden das Fundament für einen Sadoul der Zukunft legen.
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Der Film - Werden und Wesen einer neuen Kunst Ein wesentliches Filmbuch in Neuauflage       Werner Zurbuch

Der Mangel an Filmbüchern, die sich ernsthaft mit dem Phänomen auseinandersetzen, wurde immer wieder in den vergangenen Jahren beklagt. Nach der erstmaligen Veröffentlichung von Eisensteins Schriften in deutscher Sprache, nach der Neuauflage von Ernst Iros' "Wesen und Dramaturgie des Films", nach der Veröffentlichung von Kracauers "Von Caligari bis Hitler" wurde erstmals wieder eines der wesentlichsten Werke auf filmästhetischem und filmtheoretischem Gebiet, Béla Balázs' "Der Film - Werden und Wesen einer neuen Kunst", in einem österreichischen Verlag neuaufgelegt. In einer Schweizer Reihe sollen nun auch Pudowskins Schriften folgen.

Wie gross das Bedürfnis nach dem Buch von Balázs war, geht daraus hervor, dass Ausgaben von "Der Film" (1949 erstmals in deutsch erschienen) in allen Sprachen in allen Auflagen schnell vergriffen waren. Balázs, 1884 in Ungarn geboren, wurde in folgenden Sprachen übersetzt: Englisch, Spanisch, Polnisch, Japanisch, Ungarisch, Slowakisch, Italienisch. E. Th. Kauer besorgte die erweiterte und überarbeitete Neuauflage des Werkes, in dem Balázs die Quintessenz der Erkenntnisse und seiner Gedanken niederlegte. Wie Kauer im Nachwort sagt, wirkte Balázs in den dreissiger Jahren in der Sowjetunion und sein Einfluss auf die Regisseurgeneration dieser Zeit sei von uns kaum einzuschätzen. "Künftige Historiker werden ihn, wenn die aktuellen Entwicklungen abgeschlossen sind, durchforschen und feststellen."

In 25 Kapiteln wird das grosse Gebiet des Films allseitig behandelt und die vorliegende erweiterte Ausgabe enthält zusätzlich einige brillante Proben aus dem Schaffen dieses allzufrüh verstorbenen einzigartigen Ästhetikers und Essayisten - so einige Abschnitte aus dem Ungarischen (aus dem Buch "Filmkultura"), aus dem Buch "Der Geist des Films" (1930) und "Der sichtbare Mensch" (oder "Die Kultur des Films"; 1924).

Natürlich stand für Balázs noch in einigen Filmen die Bildkunst des Stummfilms im Vordergrund und wie hoch er sie einschätzte, das beweisen Sätze wie: "Der Film ist die Kunst des Sehens". Vollendet in der Sprache muss man die Beschreibung einzelner Stummfilmszenen und ihrer Wirkungsweise nennen, die der Autor hier gibt: "Ein Bild zeigt den Helden, als die Tür des Aufzugs hinter ihm zufällt und er im gleichen Augenblick seinen Rivalen erspäht, der sich gerade hinter seiner - des Helden Frau - hermacht. Einer wildgewordenen Bestie gleich starrt der Mann durch das Gitter. Wie ein Gefangener, jeder Handlungsfreiheit beraubt, eingesperrt in die vergitterte Zelle der Arbeit, die mit ihm zu sinken beginnt - unaufhaltsam. Diese Einstellung ist uns ein klares und tiefes Symbol." Mit dem Beispiel aus einem Bergarbeiterstummfilm von Karl Grüne gibt der Autor ein treffendes Beispiel der Stummfilmtechnik und Ästhetik.

Aber Béla Balázs bedenkt nicht nur die Möglichkeiten, die dem Film als Kunst offenstehen, er sieht im Film auch Möglichkeiten, kunstphilosophisch, psychologisch und geisteswissenschaftlich von Nutzen zu sein. Er konstatiert: "Die Mikrophysiognomik des Films unterscheidet feiner und genauer als das genaueste Wort, und damit hat sie nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine wichtige wissenschaftliche Berufung. Sie kann der Anthropologie und der Psychologie unentbehrliches Material liefern." Er führt weiter aus, dass der Film "wie der Geist der Umgangssprache, ein Gegenstand der Soziologie" sei. "So wie es eine vergleichende Sprachwissenschaft gibt, so hätte schon lange mit Hilfe des Films eine vergleichende Bewegungs- und Mimikwissenschaft entstehen müssen, damit die gemeinsamen Urformen der Ausdrucksbewegungen gefunden werden." Und: "Noch ein paar Jahrzehnte Filmkunst, und die Gelehrten werden erkennen, dass man mit Hilfe der Kinomatographie ebenso Lexika der Mimik, der Bewegungen und der Gesten wird herstellen müssen."

Legt der erste Teil des Buches klar, auf welche Weise sich aus der Technik der Kinematographie die Filmkunst entwickelt, so befasst sich der zweite Teil mit Einzelheiten, wie: die Avantgarde, Trickfilm, plastischer Film, den Held und den Star im Film.

Als Ausdrucksmittel der Filmkunst lernt man kennen: Die Auflösung der totalen Szene in Detailbilder; die innerhalb der Szene wechselnde Einstellung (Blickwinkel) und Identifizierung; das Nahbild und den Schnitt. Daraus folgert Balázs nun nicht, dass die Filmkunst ausser diesen nicht auch noch andere Charakteristika hätte, oder dass der Wert einer Filmschöpfung ausschliesslich an diese Ausdrucksmittel gebunden wäre. Was uns der heutige Film an Neuem bietet, hat Balázs schon vor Jahren vorausgesehen: den erzählten Film, "in welchem der unsichtbare Autor-Erzähler uns die Handlung (wie im Filmgedicht die Verse vorgetragen werden) erzählt." Betrachten wir Filme wie "Hiroshima mon Amour", "Noch nach Jahr und Tag", "Letztes Jahr in Marienbad" oder gar "Die Nacht", in der Antonioni dem Stil des handlungsarmen, psychologisierenden Romans eines Proust oder Joyce nahekommt, so erscheinen uns die prophetischen Sätze Balázs' von einer geisteswissenschaftlichen Bedeutung wie die keines anderen Theoretikers des Films. Der ungarische Autor, aufgewachsen in der Tradition der ungarischen Literaten, hat noch ganz andere Vorstellungen vom zukünftigen Film: "Ich kann mir auch eine Kunstform der Filmlyrik ganz konkret vorstellen und möchte hier dazu anregen. Sie wäre die eigentliche Synthese von Sprech- und Stummfilm. Inhalt des Films wäre nicht die Story, sondern das Gedicht. Der Text des Gedichtes wäre hörbar, und die Gesichte des inzwischen abrollenden Bildstreifens würden den Text stumm begleiten und zwar nicht als Illustration, sondern als freie Assoziationen. Sie würden einander in kontrapunktischer Gleichzeitigkeit gegenseitig einen Sinn geben, so wie im Lied Melodie und Begleitung den Text des Gedichtes ergänzen." Dem Drehbuch misst er aber ebensogrosse Bedeutung zu: "Die meisten Kinobesucher sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie den Vortrag eines Drehbuches sehen, so wie sie im Theater den Vortrag eines Dramas sehen."

Seine Gedanken nennt er mitunter "kunstphilosophisch" und man kann ihm nur beipflichten, der Film ist in Ansätzen schon damals und heute erst recht durch Äutorenfilme" wie die von Andrzej Wajda, Bergman, Antonioni, Bardem, Satyajit Raiy, Resnais u. a. in ein Stadium getreten, das sich vor drei Jahren noch niemand träumen liess.

Das Neue am Film gegenüber den Künsten mit althergebrachter Tradition ist eben, dass "die Kamera unseren Blick mit sich fort in die Räume der Filmhandlung, des Filmbildes" reisst. Der Film reproduziert seine Bilder nicht, er produziert sie. Balázs meint, "dass der Film nicht allein anderes, sondern dass er es auch anders zeigte, dass er im Bewusstsein des Zuschauers das ständige Entrücktsein des Werkes und damit jene innere Distanz aufhob, die bis dahin zum Wesen des Kunsterlebnisses gehört hatte."

Dem Schnitt misst er die höchste Bedeutung zu: "Der Schnitt ist der epische Stil des Films, sein Tempo, sein Rhythmus."

Wenn Balázs am Schluss zu etwas sehr voreiligen Schlüssen kommt, dann ist das vielleicht in seiner Einstellung begründet. Er schliesst: "Der Geist des Films, den ich in diesem Buch zu beschreiben versucht habe, ist der Geist des Fortschritts. Trotz alledem! Dieser Geist bestimmt den Film dazu, die Kunst des Volkes, des Weltvolkes zu werden. Und wenn es dieses einmal geben wird, so wird es für seinen Geist den Film, als adäquate Ausdruckstechnik, fertig vorfinden." - Natürlich, die Sprache des Films soll allgemeinverständlich sein, amerikanische Filme können heute dank ihrer Synchronisation in allen Ländern der Erde gezeigt werden, japanische Filmkunstwerke können bei uns verstanden werden, aber der Schluss ist dann etwas verfrüht, wenn auch gut gemeint. 1

Es tut dem Buch in seinem Wert keinen Abbruch. Jeder ernsthafte Filmfreund sollte es lesen.

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Béla Balázs: "Der Film" - Werden und Wesen einer neuen Kunst. Globus-Verlag, Wien, 1961. 360 Seiten, Anhang, Namen-, Filmtitel- und Sachverzeichnis. DM 21,- Zurück zum Anfang