Vorwort | Filmdaten bis 1920 | Filmdaten ab 1920 | Filmdaten noch nicht hier | Nicht-Filmdaten |
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Filmstudio Heft 18, August-Oktober 1956
Inhalt
Jean Renoir
Les vacances de M. Hulot (Die Ferien des Herrn Ülo)
Trois Femmes (Drei Töchter Evas)
The Man in the White Suit (Der Hann im weissen Anzug)
Come Back, Little Sheba (Kehr zurück, kleine Sheba)
La kermesse heroique (Die klugen Frauen von Flandern)
O'Henrys Full House (Vier Perlen)
The Dark Eyes of London (Der Würger)
Le lit (Dürfen Frauen so sein)
La poison (Das Scheusal)
La nuit fantastique
Edouard et Caroline
Anni difficili (Mitgerissen)
Les bas fonds (Nachtasyl)
Porträt eines Regisseurs
Jean Renoir wurde am 15. September 1894 in Paris geboren als Sohn Auguste Renoirs, der seine künstlerische Begabung, die auch hier wieder ganz aus dem Impressionismus lebt, an seine drei Söhne weitergab: Pierre Renoir ist ein bekannter Schauspieler und Claude Bildhauer, Regisseur und Kameramann.
Im Jahre 1902 hatte Jean Renoir als "Darsteller" seine erste Begegnung mit dem Film. 1924 führte er zum erstenmal Regie: Üne vie sans joie" mit seiner ersten Frau Catherine Hessling als Hauptdarstellerin. Doch dieser Film war weder künstlerisch noch finanziell ein Erfolg. Entscheidende Impulse erhielt Renoir erst durch Stroheims "Foolish Wives". Er selbst schreibt über dieses Erlebnis:
" _... Dieser Film warf mich um. Ich habe ihn mir mindestens zehnmal angesehen. Ich verbrannte, was ich bis dahin angebetet hatte, und ich begriff, wie sehr ich bis jetzt in die Irre gegangen war. Ich ahnte, welche Möglichkeit darin lag, das Publikum durch die Wiedergabe lebenswahrer Stoffe im Geiste des überlieferten französischen Realismus zu rühren _..."
Diese Eindrücke spiegeln sich in seinen ersten grossen Filmerfolgen wider: "Nana" (1926, nach Zola, mit Catherine Hessling und Werner Kraus), " _... a mixture of can-can, Lautrec back-stage and Offenbach _..." (Paul Rotha). Doch zwischen "Nana" und "Les Bas Fonds" (Nachtasyl, 1936), seinem nächsten grossen Erfolg, lag noch ein langer Weg, voll von Enttäuschungen und Misserfolgen.
Im Gegensatz zu René Clair, der dank seines surrealistisch-geistvollen Stils schnell Unterstützung bei der Pariser TOBIS fand, hatte Jean Renoir fortwährend mit materiellen und stilistischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wenn er auch während dieser zehn Jahre, der Übergangszeit der französischen Filmproduktion, fast sein ganzes Vermögen in enttäuschende Produktionen steckte, drei Ereignisse waren ausschlaggebend für sein ganzes späteres Schaffen: Die Auseinandersetzung mit Zola, Balzac, Hugo, Claudel, Rabelais und der französischen "Tradition", seine Verbindung mit den linksgerichteten Kreisen der Pariser Intelligenz und schliesslich seine Bekanntschaft mit Eisenstein. Diese Einflüsse machten sich schnell bemerkbar. Gegen Ende dieses Zeitraums (1934) entstand unter seiner Regie ein Filmwerk, das Vergleiche mit den grössten klassischen Werken der Filmkunst standhält: "Toni", eine Alltagsgeschichte aus der Provinz.
Renoir wusste die toten Gegenstände mitspielen zu lassen, er hatte gelernt, mit der Kamera die Darsteller in einer Weise zu beobachten, wie man sie sonst nur bei Murnau, Vidor oder Sjöström kannte. " _... Toni was a piece of cinematic composition in the most precise sense of that term _..." (Paul Rotha). Bald darauf folgte "La Partie de Campagne" ("Eine Landpartie", 1937), Bruchstücke eines einfachen, menschlichen und zarten Films, die während der Dreharbeiten an "La Grande Illusion" liegenblieben und erst 1946 zu einem kurzen, aber liebenswürdigen Streifen montiert wurden.
"La Grande Illusion" schliesslich war sein öffizielles Meisterwerk". Eine der schärfsten Absagen an den Krieg, bewies es die Unsinnigkeit des Krieges, der Metzelei am "kleinen Mann". Den materiellen Erfolg verdankte er nicht zuletzt seiner Aktualität, denn man schrieb das Jahr 1937, das Jahr von München. Stilistisch war "La Grande Illusion" das genaue Gegenteil von "Toni". Die "cinematic composition" trat zurück zugunsten des Dialogs und der Schauspieler, ein Ensemble, dem man allerdings handlungstragende Funktionen überlassen konnte: Erich von Stroheim, Jean Gabin und Pierre Fresnay. Alles, was Jean Renoir später gedreht hat, erreichte nicht mehr die Aussagekraft von "Toni" und "La Grande Illusion".
Während der Besetzung Frankreichs im Jahre 1940 gelingt es Jean Renoir, mit Hilfe Flahertys und anderer Freunde, nach Amerika zu entkommen. In Hollywood erhält er sofort neue Aufträge. "Swamp Water" (1941) mit erstaunlichen Anklängen an die Technik von "Toni", und "The Diary of a Chambermaid" (1945), ein Remake von "La Chienne". Als sein bester amerikanischer Film wird allgemein "The Southerner" (1945) angesehen, eine starke sozialkritische Geschichte über die Erntearbeiter der Südstaaten.
Sein Aufenthalt in den Staaten hat seinen Stil grundlegend verändert, ja er scheint sogar "ein anderer Mensch" geworden zu sein. Vergleichend mit seinen früheren Filmen sagt er:
"Vor dem Krieg war ich stets bemüht, meine Stimme zum Protest gegen die allzu offenkundigen Unzulänglichkeiten auf der Welt zu erheben. Ich glaube nicht, dass meine Kritik immer nur beissend, immer nur ätzend scharf oder gar zerstörend gewesen ist. War nicht mein Sarkasmus irgendwo von einem Funken Zärtlichkeit angewärmt? Heute, da ich ein anderer, neuer Mensch bin, weiss ich, dass Sarkasmus das falsche Rezept war, diese unlogische, grausame, unmündige Welt zu heilen, Liebe und nochmals Liebe muss in grossen Buchstaben am Anfang und am Ende eines solchen Beginnens stehen."
Verzeichnis aller von Jean Renoir inszenierten Filme:
1924: Une vie sans joie; La Fille de l' eau;
1926: Nana;
1927: Charleston; Marquita;
1928: La Petite Marchande d' allumettes;
1929: Tire au flanc; Le Tournoi; Le Bled;
1931: On purge Bébé ("100 % parlant"); La Chienne; La Nuit du Carrefour; Boudu
sauve des eaux;
1933: Choutard et Compagnie;
1934: Madame Bovary; Toni;
1935: Le crime de M. Lange;
1936: La vie est à nous; Les Bas Fonds; La Partie de campagne;
1937: La Grande Illusion; La Marseillaise;
1938: La Bête Humaine;
1939: La Règle du jeu; La Tosca;
1941: Swamp Water;
1943: This Land is mine;
1944: Salute to France;
1945: The Southerner; The Diary of a Chambermaid;
1947: The Woman on the Beaeh;
1950: The River;
1951: La Carrosse d' Or.
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Les vacances de M. Hulot (Die Ferien des Herrn Ülo) [später: Hulot]
Produktion: Cady-Films und Discina (Frankreich, 1953)
Regie: Jacques Tati
Buch: Jacques Tati und Henri Marquet
Kamera: J. Mercanton und J. Mousselle
Musik: Alain Romans
Personen:
Ülo: Jacques Tati
Fred: Louis Perrault
Der Ex-Kommandeur: André Dubois
Der Hotelier: Lucien Fregis
Der Spaziergänger: René Lacourt
Der Kellner: Raymond Carl
Martine: Natalie Pascaud
Die Tante: Michèle Rollo
Die Engländerin: Valentine Camax
Das Leben und Treiben des Titelhelden inmitten der Badegäste während der
Ferientage in einem bescheidenen Seebad steht im Mittelpunkt dieses
Films. An einen lockeren Handlungsfaden reihen sich bezaubernd
hingetupfte Episoden, und jedes der kleinen Abenteuer wird zu einem
chaplinesken Gag in dieser liebenswerten Schilderung des Menschlichen
und Allzumenschlichen. Das Bemerkenswerte aber ist die groteske
Geräuschkulisse, es gibt kaum ein Dialog, die Akustik ist ganz in die
Pantomime einbezogen. Weder Komödie noch Lustspiel, auch keine Posse
oder Burleske, schildert der Film teils mit beissendem Spott Menschen,
Ereignisse und Situationen und entdeckt an den unscheinbarsten Objekten
noch dankbare Ziele, deren amüsante Komik niemals ins Geschmacklose
abgleitet.
"Film ist ein eigenes Ausdrucksmittel. Die Komik muss sich aus dem Bild
formen. Dem Ton, nicht dem Wort, sind die erheiternden Momente
abzugewinnen. Deshalb habe ich der Geräuschkulisse in den ,Ferien des
Herrn Ülo' besondere Beachtung geschenkt. Die moderne Filmgroteske kann
nicht einfach dort anknüpfen, wo der Stummfilm aufgehört hat."
"Ich will in erster Linie die in Ernsthaftigkeit verklemmte Welt wieder
zum Lachen bringen, zum befreienden, natürlichen Lachen. Zum Lachen über
die vielen Widrigkeiten des Lebens und zum lachenden Verstehen der
vielen Käuze, die gottlob noch existieren. Ein solcher Kauz begegnet uns
in Herrn Ülo. Herr Ülo ist international! Er könnte ebenso Herr Maier
oder Herr Schulze heissen." Jacques Tati
Preis des Verbandes der internationalen Filmkritiker in Cannes 1953
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Trois Femmes (Drei Töchter Evas) (Zurück zu
Produktion: Silver Films (Frankreich, 1952)
Regie: Andre Michel
Buch: Claude Accursi (CoralieJ und J. Ferry (Zora und Mouche) nach drei
Novellen von Guy de Maupassant
Kamera: Henri Alekan (Zora); Maurice Barry (Coralie); André Bac (Mouche)
Musik: Georges van Parys
Bauten und Ausstattung: Mayo und Hinkis
"Zora"
Zora: Moune de Rivel
Antoine Boitelle: Jacques Duby
Vater Boitelle: Julien Verdier
Mutter Boitelie: Maryse Martin
Kapitän: Lupovici
"Coralie"
Coralie: Agnes Delahaye
Eugene Lesable: Michel Bouquet
Vater Cachelin: René Lefèvre
Maze: Bernard Noel
Tante Charlotte: Betty Daussmond
M.Torcheboeuf: Palau
"Mouche"
Mouche: Catherine Erard
Albert: Jacques Fabry
Horace: Jacques Francois
Julien: Raymond Pellegrin
Petit Bleu: Pierre Olaf
Raoul: Marcel Mouloudji
Nicht durch Zufall haben die Werke Maupassants den Filmschöpfern den
Stoff zu einer bereits ansehnlichen Zahl von vorzüglichen Filmen
geliefert. Es sei hier erinnert an den Willi-Forst-Film "Bei Ami", an
Pierre und Jean" von Andre Cayatte und an Liebeneiners "Yvette"; schon
zweimal verfilmt wurden "Die Rosen der Madame Husson", einmal mit
Fernandel, einmal mit Bourvil. Christian-Jaques hat kurz nach dem Kriege
in "Boule de Suif" ein aktuelles Thema gefunden, und schliesslich hat
Jean Renoir mit "Partie de Campagne" ("Eine Landpartie") eine Skizze von
einer unbefangenen und tiefen Zärtlichkeit gegeben, in der man die ganze
Empfindsamkeit eines Vaters wiederfindet, des Malers Auguste Renoir.
Weiterhin wurden sechs Erzählungen von Maupassant verfilmt, drei davon
in "Plaisir" von Max Ophüls, drei andere in "Trois Femmes". Ophüls
wählte "Maison Tellier" oder das Plaisir und die Reinheit, "Die Maske"
oder das Plaisir und die Liebe, und "Das Modell". Schon mit dem Film
"Der Reigen" hat Ophüls bewiesen, dass man gewagte Themen behandeln
kann, ohne den Takt zu verletzen. In "Trois Femmes" zeichnete Andre
Michel drei Frauenbildnisse oder drei Gesichter der Liebe, was dasselbe
ist. Moucho, der Spottvogel, die Geliebte von fünf Freunden, deren
Geschichte Maupassant in "Miss Harriett" erzählt; Zora, die Negerin, die
Heldin der Novelle "Boitelle"; und Coralie, die Erbin in der Erzählung
"Die Erbschaft".
Maupassant-Stoffe reizen die Regisseure deshalb immer wieder zur
Verfilmung, weil seine Werke den Erfordernissen des Films sehr
entgegenkommen: durch die Kürze seiner Form, die mehr erzählt, als der
Leinwand sonst mit weitschweifigen Romanen erreichbar ist, durch seine
Atmosphäre und seine Epoche, die uns beide gleichermassen nah und fern
sind, und schliesslich durch seinen Stil selbst. Maupassant ist der Typ
des Novellisten, dessen Erzählungen ganz aus Handlung, aus Situationen
und Impressionen bestehen. Er zeigt die Wesen und die Dinge, ohne zu
urteilen oder zu philosophieren. Er malt ohne Nachsicht, aber auch ohne
Bösartigkeit, und das ist der Grund, weshalb seine Personen mit solcher
Intensität leben. Gibt es bessere Gründe für die Verfilmung seiner
Erzählungen?
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The Man in the White Suit (Der Hann im weissen Anzug)
Produktion: Michael Balcon-Ealing Studios (England, 1951)
Regie: Alexander Mackendrick
Buch: Roger Mac Dougall; John Dighton und A.
Mackendrick nach einem Bühnenstück von R. Mac Dougall
Kamera: Douglas Slocombe
Musik: Benjamin Frankel
Bauten: Jim Morahan
Darsteller:
Sidney Strafton: Alec Guinness
Daphne Birnley: Joan Grennwood
Alan Birnley: Cecil Parker
Michael Corland: Michael Gough
Sir John Kierlaw: Ernest Thesiger
Cranford: Howard M. Crawford
Bertha: Vida Hope
Hoskins: Henry Mollison
Die englische Filmkomödie ist in den letzten Jahren zu einem festen
Begriff innerhalb der verschiedenen Filmgattungen geworden. Zu den
besten Beispielen zählen "Passport to Pimlico", "Whisky Gallore" ("Freut
euch des Lebens", "Hobsons Choice", "Herr im Hause bin ich") mit Charles
Laughton und eine ganze Serie Alec-Guinness-Filme: "Kind Hearts and
Coronets", "The Gard", "The Lavender Hill Mob" ("Einmal Millionär
sein"), "The Captains Paradise" ("Schlüssel zum Paradies") "Father
Brown" ("Die seltsamen Wege des Pater Brown". Einen besonderen Platz
nimmt der Film "Der Mann im weissen Anzug" ein. Das ausgezeichnete
Drehbuch mit unvorhergesehenen Handlungssprüngen wurde von dem
Regisseur, dessen Erstlingswerk "Whisky Gallore" ein grosser Erfolg war,
mit Feingefühl für die Ausdruckskraft alltäglicher Gesten und Ereignisse
vollendet in Szene gesetzt. Der konsequente Verzicht auf jede
Überbetonung in Mimik und Dialog erzeugt Echtheit und ruft die schönsten
Wirkungen hervor. Die filmbildliche Spannung wird unterstützt durch die
besondere Anwendung des Tons: das Glucksen eines phantastischen
Apparates des Erfinders ist als Leitmotiv den ganzen Film hindurch zu
hören und verstärkt die komischen Effekte. Die eigentliche Komik des
Films besteht darin, mit Humor (mit "englischem Humor") eine soziale
Wirklichkeit und das Leben in der Gemeinschaft zu betrachten. In allen
Abwandlungen der Komik, von Plautus bis Fernandel, war es die
Gesellschaft, die recht hatte: die Zentralfigur ist komisch, weil sie
sich nicht den sozialen Forderungen beugt. In der "englischen Komik" ist
es umgekehrt: die Gesellschaft ist komisch, die Gesellschaft
widerspricht sich selbst. Scheinbar wird denen recht gegeben, die im
Unrecht sind, um ihren Irrtum deutlicher zu machen. Alec Guinness
unterstützt die stilistische Absicht des Regisseurs durch seine
ausdrucksvolle Nüchternheit und Zurückhaltung. Joan Greenwood, die
charmante Darstellerin aus "Freut euch des Lebens", "Mit
Küchenbenutzung" und "Ernst sein ist alles", zeigt in einigen
typisierten Szenen ihr ganzes Können.
Die stilistischen Vorzüge des Films sind in einer sinnerfüllten Handlung
verankert: Einem jungen Chemiker gelingt es, seine verstohlenen
Experimente zu Ende zu führen und einen Stoff zu erfinden, der sich
niemals abnutzt und der auch nicht schmutzt. Aber seine Erfindung wird
von zwei Seiten bedrängt: die Textilfabrikanten fühlen sich in ihrer
Existenz ebenso bedroht wie die Arbeiter. Die geschickte Pointe, die
dieses Dilemma schliesslich löst, möchten wir nicht vorwegnehmen.
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Come Back, Little Sheba (Kehr zurück, kleine Sheba)
Produktion: Paramount (USA, 1952)
Regie: Daniel Mann
Buch: Ketti Frings nach dem Theaterstück von William Inge
Kamera: James Wong Howe
Musik: Franz Waxman
Darsteller:
Mrs. Delaney: Shirley Booth
Doc Delaney: Buri Lancaster
Mary: Terry Moore
Turk Fisher: Richard Jaeckel
Ed Anderson: Philip Ober
Der Boden, auf dem sich die Handlung entwickelt, ist längst bereitet,
bevor der Vorhang zur Seite geht und uns in das Leben des
kleinbürgerlichen Ehepaares Delaney Einblick nehmen lässt. Doc Delaney
hat den Fehler begangen, sich mit einem Mädchen einzulassen, das man
nicht "notfalls" auch heiraten könnte. Als jedoch die Konsequenzen sich
andeuteten, beugte er sich ihnen, gab seine Karriere als Arzt auf und
heiratete Lola. Dann zeigte sich, dass alles ganz umsonst war: das
erwartete Kind lebte nicht. Der Film sieht die leise Tragik einer Ehe,
in der zwei Menschen aneinander gefesselt sind, die einander nichts zu
sagen haben. Lola sucht den Trost für ihre vertane Jugend in der Liebe
zu dem Hündchen Sheba. Als es ' eines Tages verschwindet und nicht
Wiederkehrt, wird es zum Symbol für die Vergangenheit, und die
Enttäuschung an dieser verwandelt sich in die beständige Klage um den
Verlust des Hundes. Um der Einöde seines Lebens zu entgehen, sucht Doc
Zuflucht beim Alkohol, aber seit einem Jahr ist er geheilt und glaubt
sich vor neuen Anfechtungen sicher. Als ständigen Anreiz seine Haltung
zu bekräftigen, verwahrt er in der Küche eine Flasche Whisky. Diese, als
böses Ohmen in die Exposition des Filmes gesetzt, spielt dann doch ihre
Rolle, als eine Studentin in die Wohnung als Untermieterin einzieht und
eine neue Sturmflut über die Ehe der Delaney's hereinbricht.
Manches an diesem Film ist uns als übliches Requisit amerikanischer
Schauspielverfilmungen vertraut: die Demonstration leicht abwegiger
Charaktere; das Kleben am Schauplatz "Wohnung" und das prompte
Nachlassen der atmosphärischen Dichte auf den wenigen Nebenschauplätzen
(z. B. bei der Abstinenzlerfeier); der etwas grobkörnige
Eisschrankrealismus; der "junge Mann", der wie aus der Luft gegriffen
auftaucht (während man vom Film erwartet, dass auch die Lebenssphäre der
anderen handelnden Personen verdeutlicht wird).
Dass dieser Film trotzdem eine eigenartig tiefgehende Wirkung ausübt,
liegt an einigen nicht ganz alltäglichen Qualitäten. Da ist die zutiefst
echte, in allen Nuancen durchgespielte Stimmung der stummen, nur selten
durchbrochenen Entsagung, die zum Modus vivendi dieser Ehe geworden ist.
Es ist weiter zu nennen die gründliche Zeichnung von Charakteren, die in
ihrem Lebensgang verstanden sind. Und dann die schauspielerische
Leistung von Shirley Booth - wenn sie, allein im Hause, ihrem Traum von
der Jugend rhythmischen Ausdruck verleiht und im Tanzschritt
umherspringt, oder wenn sie, ein fettes, altes Weib, die Treppe
herabgewuchtet kommt -, das ist ein solches optisches Ereignis, dass der
ganze Film in der Erinnerung auf diese eine Gestalt der Lola
zusammenzuschrumpfen neigt.
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La kermesse heroique (Die klugen Frauen von Flandern)
Produktion: Tobis-Sonores - Europa (Deutschland-Frankreich, 1935)
Regie: Jaques Feyder
Buch: R. A. Stemmle und Bernard Zimmer nach einer
Novelle von Charles Spaak
Musik: Louis Beydts
Deutsche Dialogregie: A. M. Rabenalt
Darsteller:
Bürgermeisterin: Francoise Rosay
Herzog von Olivarez: Paul Hartmann
Bürgermeister: Will Dohm
Siska: Charloft Daudert
Johann Brueghel: Albert Lieven
Schlächtermeister: Paul Westermeier
Kaplan: Wilhelm Holsboer
Von dieser deutsch-französischen Gemeinschaftsproduktion wurden je eine
deutsche und eine französische Version hergestellt. Die deutsche wurde
1939 verboten, die meisten Kopien verbrannt. Erst mehrere Jahre nach dem
Kriege fand man in einem Keller eine Kopie wieder.
Die Geschichte spielt im Jahre 1616 in Flandern. Um eine Ortschaft vor
der spanischen Besetzung zu retten, kommen die Bürger auf folgende
geniale Einfälle: Der Bürgermeister stellt sich tot und veranlasst so
die taktvollen Spanier zur Rücksichtnahme und bewegt dadurch sogar den
Kommandanten dazu, an seiner Bahre einen Kranz niederzulegen.
Gleichzeitig treten die Frauen des Dorfes auf das kluge Anraten der
Bürgermeisterin hin den Spaniern freundlich entgegen, um so jeder
Gewalttat von vornherein die Spitze abzubrechen. Situationen, die Anlass
zu den komischsten Verwicklungen geben.
Jaques Feyder, 1888 in Ixelles in Belgien geboren und schon 1912 als
Darsteller beim Film, gehört neben Abel Gance, Marcel L' Herbier und
René Clair zur älten Garde" des französischen Films. Bei ihm paart sich
ein humorvoller Geist mit einem starken Sinn für Bildhaftigkeit. Aber
obwohl er seine besten Filme in Frankreich drehte ("L' Atalantide",
1921; "Visages d'enf ants", 1922; "Le grand jeu", 1934; "Pension mimosa
s", 1936), gehört er zu den grossen Internationalen der Filmkunst.
Deutschland verdankt ihm mit "Den klugen Frauen" und "Fahrendes Volk"
zwei seiner besten Filme, und in Amerika verhalf er Greta Garbo mit
ihrem ersten Tonfilm Änne Christie" zum eigentlichen Weltruhm. Sein
grosser Nachkriegserfolg war "Macadam" mit seiner Frau Frangoise Rosay,
die neben vielen Gastspielen an allen europäischen Bühnen in fast allen
seinen Filmen eine Hauptrolle spielte. Jaques Feyder starb am 25. Mai
1948 in der Schweiz.
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O'Henrys Full House (Vier Perlen)
Produktion: Centfox (USA, 1952)
Musik: Alfed Newman
Kommentator: John Steinbeck;
Buch: nach vier Novellen von O'Henry
"Das Geschenk der Liebe" (The Gift of the Magi)
Regie: Henry King;
Kamera: Joe McDonald
Darsteller: Jeanne Crain; Farley Cranger
"Die alte Schuld" (The Clairion Call)
Regie: Henry Hathaway
Kamera: Lucien Ballard
Darsteller: Richard Widmark; Dale Robertson
"Der Vagabund und die Gerechtigkeit" (The Cop and the Anthem)
Regie: Henry Koster
Kamera: Lloyd Ashern
Darsteller: Charles Laughton; Marilyn Monroe
"Das letzte Blatt" (The Last Leaf)
Regie: Jean Negulesco
Kamera: Milfon Krassner
Darsteller: Anne Baxter
O'Henry gilt in Amerika als der Vater der short-story. Während seines
äusserst turbulenten Lebens und vor allem während seiner dreijährigen
Gefängniszeit schrieb er eine Unmenge Kurzgeschichten, Märchen aus dem
New Yorker Alltagsleben, mit denen er die Sonntagsbeilagen der
amerikanischen Zeitungen füllte. Er ist "seit fünfzig Jahren der
meistbestohlene Feuilletonist der Welt". Sein Stil war vorbildlich für
Hemingway, Wolfe und Steinbeck, die der short-story literarischen Rang
gaben. In diesem Sinne dürfte auch der Kommentator Steinbeck zu
verstehen sein, wenn er sagt: "Mein alter Freund O'Henry", da er
schliesslich erst acht Jahre alt war, als jener starb.
Schauspielerisch und in der Regie am besten "gekonnt" erscheint uns "The
Cop and the Anthem"; vor allem durch die grossartige Leistung Charles
Laughtons, der einen Vagabunden darstellt, der uns von Anfang bis Ende
unsere ganze Aufmerksamkeit abgewinnt. Optisch reizvoll, wenn auch in
der Gesamtkonzeption nicht ganz so zügig ist "The Last Leaf". Das immer
wiederkehrende Thema der fallenden Blätter gibt diesem Stück einen
Anklang reiner Filmdichtung.
Der Zusammenhang dieser vier kurzen Filme liegt nur darin, dass die
Geschichten von O'Henry sind. Ein sehr lockerer Zusammenhang. Darüber
kann uns auch nicht- die interessante Tatsache hinwegtäuschen, dass John
Steinbeck hier als Kommentator in Erscheinung tritt. Aber warum sollte
man sich nicht an einem Abend vier verschiedene gute Kurzfilme ansehen?
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The Dark Eyes of London (Der Würger)
Produktion: Associated British Pafhe Pictures (England, 1948)
Buch: nach Edgar Wallace
Regie: Walter Summers
Darsteller:
Dr. Orloff: Bela Lugosi
Inspektor Holt: Hugh Williams
Diana Stuart: Greta Gynt
Ein Film-Club kann es sich erlauben, einen reisserischen Kriminalfilm zu
zeigen, ohne Gefahr zu laufen, mit irgendwelchen moralhütenden Verbänden
in Konflikt zu geraten.
In Konflikte kamen die öffentlichen Kinos wegen dieses Films. Es gab
Proteste, Skandale, lange Abhandlungen in der Tagespresse über das Für
und Wider. Man sah die Jugend in Gefahr. Der Verleih gab eine
umfangreiche Druckschrift heraus, in der ein namhafter Münchner Jurist
bezeugte, dass es in den letzten 50 Jahren nur zwei Straftaten gegeben
habe, die direkt auf den Film zurückzuführen seien. Davon sei sogar eine
von einem 36jährigen Kunstmaler, also einem reifen und urteilsfähigen
Menschen, begangen worden. Weiter stand in dieser Druckschrift zu lesen,
dass eine 105jährige Witwe in ihrem Testament niedergelegt habe, ihr
langes Leben (in geistiger und körperlicher Frische) hätte sie nur der
Lektüre von mindestens drei Kriminalromanen wöchentlich zu verdanken
gehabt.
(Wie man sich erzählt, soll auch Konrad Adenauer [80, Bundeskanzler] in
seiner Freizeit Kriminalromane lesen.)
Dieser Film hat nichts mit den realistischen Kriminalfilmen aus den USA
gemeinsam. Er ist vielmehr durchdrungen von jenem gut Teil
Jahrmarktssensation, die seit Anbeginn dem Film anhaftet. Aber es ist
alles in allem ein aussergewöhnlicher Film. Und deshalb wollen wir uns
diesen skandalumwitterten Streifen einmal ansehen, wollen das Geschehen
auf der Leinwand ernst nehmen oder nicht, ganz wie es uns beliebt. Und
wenn die Spannung "überschnappt", die Handlung den soliden Boden der
Glaubwürdigkeit verlässt, dann dürfen wir befreit lachen.
"Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein!" - Dieser
Werbe-Slogan, unter dem die Bücher von Edgar Wallace angekündigt werden,
dürfte auch für diesen Film gelten.
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Le lit (Dürfen Frauen so sein)
Produktion: Terra / Cormoran / ICS (Frankreich, 1953)
Buch: Maurice Auberge; Roland Laudenbach; Antoine Blondine u. a.
Musik: Georges Van Parys
"Einquartierung"
Regie: Henri Decoin
Kamera: Christian Matras
Darsteller: Jeanne Moreau; Richard Todd
"Das Bett der Pompadour"
Regie: Jean Delannoy
Kamera: Christian Matras
Darsteller: Martine Carol; Francois Perier; Bernard Blier
"Riviera-Express"
Regie: Ralph Habib
Kamera: Henri Burel
Darsteller: Francoise Arnoul; Mouloudji
"Die Scheidung"
Regie: Gianni Franciolini
Kamera: Enzo Serafin
Darsteller: Vittorio de Sica; Dawn Adams
Die Geschichte seines Titels ist interessant und bezeichnend für diesen
französischen Film. Am Anfang lautete er schlicht und eindeutig "Le Lit"
(Das Bett). Doch das war selbst den sonst nicht prüden Franzosen etwas
zu stark und sie fanden - phantasiebegabt - einen Titel, der zwar ernst
und beinahe wissenschaftlich klingt, aber im Grunde dasselbe besagt: "Le
Secret d' Alcove" (Das Geheimnis des Alkoven). Der deutsche Titel nun
ist reichlich vorsichtig und etwas farblos und lässt mit seinem
Fragezeichen immer noch die Möglichkeit offen, dass Frauen nicht so sein
dürfen.
Aber so unmoralisch sind diese vier Filme gar nicht. Es sind vier
saubere kleine Geschichten, mit glücklicher Hand inszeniert, charmant,
ironisch und geistreich.
Vier kleine Kostbarkeiten vom Genre der Anekdote, der short-story oder
der Novelle. Literarische Gattungen, die normalerweise von der
Verfilmung ausgeschlossen sind, weil sie die abendfüllende Länge nicht
besitzen. Stellt man mehrere solcher Filme zu einem Programm von
normaler Länge zusammen, so werden diese Ömnibus-Filme", wie man sie in
Amerika nennt, mit einem Rahmen versehen, um eine Verbindung zwischen
den einzelnen Gliedern herzustellen. Das geschieht mehr oder weniger
geschickt, und in den meisten Fällen dürfte ein Zwischenvorhang (ähnlich
wie bei einem Einakter-Abend im Theater) weit bessere Dienste leisten.
Dies wäre jedoch für unseren derzeitigen Kinobetrieb etwas zu
ungewöhnlich, und so setzt man verbindende Zwischenstücke ein, die in
den meisten Fällen der einzelnen Anekdote mehr schaden als nützen.
Wenn wir derartige Filme zeigen, dann nur deshalb, weil sich in einem
Film von nur 20 Minuten Dauer oft mehr an wahrhafter Filmkunst entdecken
lässt und weil in dieser gedrängten Form der Regisseur oft mehr an
Genialität und Können zeigen kann, als in einem Streifen, der die
vorgeschriebenen 90 Minuten Laufzeit erreichen muss.
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La poison (Das Scheusal)
Produktion: Paul Wagner - S.N.E.G. (Frankreich, 1951)
Buch und Regie: Sacha Guitry
Kamera: Jean Bachelet
Musik: Louiguy
Ton: Fernand Janisse
Schnitt: Raymond Lamy
Bauten: Robert Dumnesil
Darsteller:
Paul Braconnier: Michel Simon
Blondine: Germaine Reuver
Aubanel: Jean Debucourt
Es ist die reizvolle Geschichte von dem erbärmlichen Tod einer allen
Vettel. Sacha Guitry zelebriert hier als Autor und Regisseur die
wirklich Sitten- und moralwidrige Moritat, lies Mordtat, eines bis auf
das Blut gereizten und gequälten ältlichen Ehemannes.
In seiner Wirkung kann man "La Poison" vergleichen mit Filmen wie "L'
Auberge rouge" und Ärsenic and Old Lace". Obgleich Guitry im Film
selbst nicht auftritt, er stellt nur in Abänderung des
kinokonventionellen Titelvorspannes zu Beginn seine Schauspieler vor, so
ist er doch an jeder Stelle des Filmes da. Wenn Michel Simon im Film
seine angetraute Megäre mit düsterem Blick, verfolgt, wie sie unwirsch
schmutzige Töpfe auf dem Herd rasselnd durcheinanderschiebt,
schliesslich vor ihrem traurig an einem Tisch wartenden Ehegespons einen
Teller voll unappetitlicher Nudeln auftischt, dann ist das eben "Sacha
Guitry". Im Grund ist dieses kümmerliche Ehepaar aber gar nicht so
wichtig, worum es sich nämlich hier dreht, das ist der Regisseur, der
das alles mit souveräner Meisterschaft ausspielen lässt.
Gleichberechtigt neben diesen so voller Liebe komponierten Bildern
häuslicher Trostlosigkeit steht der, nach moralischen Kategorien
betrachtet, unverantwortlich blasphemische Dialog. In sophistischen
Wortschlenkereien, messerscharfen Formulierungen, einem ästhetischen
Wortgefecht, das auf den Degenspitzen sprachlicher Brillanz ausgetragen
wird, rechtfertigt Guitry die Handlungsweise seines geschundenen Helden.
Damit bleibt aber der Film Theater trotz Einsatzes filmischer Mittel zur
Durchbrechung des Zeitkontinuums. Dafür aber grossartiges Theater. Ja,
die stellenweise filmische Sichtbarmachung (Wechselschnitt) parallel
verlaufender Vorgänge wirkt sogar als Fremdkörper.
Was man aber trotz aller geheimen Freude über das ekelhafte Los des
schlampigen Hausdrachens nicht vergessen darf, während sich ihr
Schicksal gleich einer Schlinge um ihren faltigen ungewaschenen Hals
legt, ist, dass der Film letztlich seine Wirkung aus den allgemeinen
Vorstellungen von Gut und Böse bezieht, aus dem, was man tut und was
nicht. Es ergötzt sich eben der "verworfene Bürger" an der nonchalanten
Hinwegsetzung über anerkannte Spielregeln. In der Gerichtsverhandlung
lässt Guitry sein liebenswertes Scheusal freisprechen. Die kleine
Gemeinde freut sich über die durch das scheussliche Verbrechen erlangte
Berühmtheit, was endlich den ersehnten Fremdenstrom bringen wird, und
holt ihren lieben Sohn im Triumphzug ins Dorf ein. Nur an das alte
Scheusal, die alte Vettel, die dumme, denkt niemand mehr. Die liegt
irgendwo auf einem Friedhof und wartet auf eine jenseitige
Gerechtigkeit.
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La nuit fantastique
Produktion: UTC (Frankreich, 1942)
Buch: Louis Chavance und Maurice Henry
Regie: Marcel L' Herbier
Kamera: Pierre Montazel
Musik: Maurice Thieriet
Bauten: René Moulaert
Darsteller:
Irene: Micheline Presle
Denis: Fernand Cravey
Sein Freund: Bernard Blier
Thales, ein Magier: Saturnin Fabre
Cadet, sein Assistent: Jean Raredes
Dieser Avantgardefilm ist die erste Flucht des französischen Films äus
der traurigen Wirklichkeit der Besatzungszeit in das Reich der Phantasie
und des Märchens. Er stellt sich in Gegensatz zu unserer Zeit, wo
angeblich nüchterner Verstand das Leben regiert. Nur wenig Aufwand
benötigt der Regisseur: ein paar wehende Tüllschleier, ein wenig Rauch,
ein paar dürftige Kulissen und eine Handvoll billiger
Jahrmarktzauberrequisiten. Das genügt für den sehnsüchtigen
Kolportagetraum eines armen Studenten, der ständig übermüdet auf dem
Boden einer Markthalle einschläft und beim Erwachen die Wirklichkeit
nicht mehr findet, weil er die seltsame Gabe oder das seltene Glück hat,
dass sich in ihm Traum und Realität miteinander unlöslich verbinden. So
bietet sich ihm das Leben als schillernde Traumwirklichkeit, die mit
Ironie und Persiflagen durchsetzt ist.
Marcel L' Herbier (heute Präsident der Pariser Filmhochschule) hat
diesen Film mit allen Tricks versehen, die er als Angehöriger der
französischen Avantgarde der zwanziger Jahre für die Filmkunst entdeckt
hat. In ihrer ersten grossen Filmrolle vollzieht Micheline Presle
überzeugend die Verwandlung einer schemenhaften Traumfigur in ein
liebendes junges Mädchen, das der Bonvivant Fernand Gravey, der den
schläfrigen, schüchternen Studenten verkörpert, der zu ungeahnten
Heldentaten fähig ist, für ein Leben in der Wirklichkeit gewinnt.
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Edouard et Caroline
Produktion: UGC - CICC (Frankreich, 1950)
Regie: Jacques Becker
Buch: Anette Wadement und Jacques Becker
Kamera: Robert Le Febvre
Musik: Jean-Jacques Grunenwald
Dekorationen: Jacques Colombler
Darsteller:
Caroline: Anne Vernon
Edouard: Daniel Gélin
Alain: Jacques François
M. Beauchamp: Jean Galland
Mme. Barville: Betty Stockfield
Portiersfrau: Yvette Lucas
Mister Borch: William Tubbs
M. Barville: Jean Toulout
M. Foucart: Jean Marsac
Florence Borch: Elina Labourdette
Jaques Beckers immer wiederkehrendes Thema ist der Mensch, die Liebe und
-- Paris, die Stadt, die für ihn Menschlichkeit und Liebe am
sinnvollsten verkörpert. Mit Robert Bresson und Henri-Georges Clouzot
ist er eine der grossen Entdeckungen des französischen Films aus den
Kriegsjahren und ebenso wie sie meist selbst Drehbuchautor seiner Filme.
In Äntoine et Antoinette" (1947), dem Film aus der Welt der kleinen
Leute, klingt zum ersten Male sein Grundthema auf; ebenso in "Rendezvouz
de Juillet" (1949), dem Film der französischen Nachkriegsjugend, deren
Lebensgefühl sich im Existenzialismus manifestiert. "Edouard und
Caroline", die Geschichte einer jungen Ehe, ist gleichsam ein Pendant zu
Äntoine et Antoinette". Dieses Mal macht der Regisseur die versnobte
High Society zur Zielscheibe seines leisen Spottes. Mit geschickter
Ironie karikiert er jene sich so wichtig vorkommende Gesellschaft, ohne
jedoch ins aufdringlich Burleske oder Klassenkämpferische abzugleiten.
Er vereinigt Ausgelassenheit und Zurückhaltung, Komik, Parodie und
ernstere Töne und erweist sich als ein Künstler der Nuance, der es
versteht, pikant ohne anzüglich, erotisch ohne frivol und witzig ohne
aufdringlich-humorig zu sein.
So strömt dem Film jene heitere und gelöste Menschlichkeit aus, die
Jacques Beckers Glaubensbekenntnis darstellt: "Ich glaube an die
Möglichkeit, die Freundschaft zu pflegen, an die Schwierigkeit, die
Liebe zu erhalten. Und ich glaube vor allem an Paris. In meinen Werken
will ich nichts beweisen, es sei denn, dass das Leben stärker ist als
alle andere."
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Anni difficili (Mitgerissen)
Produktion: Breguglio-Film (Italien, 1948);
Buch: Sergeo Amadei nach
dem Roman "Der Mann mit den Stiefeln" von Vitaliano Bracati
Musik: France Casarola
Kamera: Carlo Monuori
Regie: Luigi Zampa
Darsteller:
Piscitello: Umberto Spadaro
Rosina: Ave Minchi
Elena: Delia Scala
Giovanni: Massimo Girroti
Maria: Milly Vitale
Bürgermeister: Enco Biliotti
Die deutschen Nachkriegsfilme, die sich mit dem Problem des Widerstandes
und des Nazismus auseinandersetzen, unterscheiden sich sehr deutlich von
italienischen Filmen gleichen Themas. Bei ihnen spielt sich die
Geschichte in allen Fällen zwischen den "Grossen", den führenden
Persönlichkeiten ab; dem "kleinen Mann auf der Strasse" fehlt jede
Identifikationsmöglichkeit mit dem Geschehen auf der Leinwand.
In Änni difficili" erleben wir die Odyssee des kleinen Mannes durch,
den lrrgarten der Politik, voll Heiterkeit und Tragik, voll Ironie und
warmer Menschlichkeit. Ein deutscher Journalist prägte den Satz: "Ein
Film, den man in Deutschland zu drehen vergass."
"Mitgerissen" stellt genau das dar, was uns fehlt und was uns für
unseren Film vorbildlich sein könnte: Zeitnah, erklärend auf eine humane
Weise, wohltätig in seiner tiefmenschlichen Substanz, entfilmt in jedem
Sinne, die Welt künstlerisch spiegelnd in einem klugen Realismus. Ein
Film wie Butter. Dieser Film - gradlinig, heiter durchaus auch noch in
den heikelsten Situationen, ist kein Lehrfilm ist auch kein Film, mit
dem sich eine Gruppe weisswaschen will Es ist eine saubere und in ihrer
Genauigkeit fast wieder humoristische Fixierung der heiklen Jahre, der
schwierigen Jahre der Anni Difficili. So, dass man davor sitzt und immer
nur mit dem Finger auf die Leinwand zeigen möchte und rufen: Ja, stimmt!
So war es! So ist es! Dies endlich erklärt das Ganze nicht aus einem
späteren Besserwissen heraus! Es stimmt aus dem leidigen Ablauf von Jahr
zu Jahr. Ein ausgezeichneter Film, einer von denen, den alle sehen
müssten. Friedrich Luft
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Les bas fonds (Nachtasyl)
Produktion: Albatros-Film (Frankreich, 1936)
Regie: Jean Renoir
Buch: Spaak nach Maxim Gorki
Musik: Jean Wiene
Darsteller:
Kostylew: Wladimir Sokoloff
Pepel: Jean Gabin
Der Baron: Louis Jouvet
Wassilissa: Suzy Prim
Natascha: June Astor
Maxim Gorki zählt zu jenen geistigen Kräften, die um die
Jahrhundertwende kritisierend auf die gesellschaftlichen Gegebenheiten
Russlands hingewiesen und damit den Boden für die grosse Revolution
vorbereitet haben.
Auch Jean Renoir gehört oder gehörte wenigstens in den dreissiger Jahren
zur intellektuellen Linken Frankreichs. Politische Ideen und
Gesellschaftskritik bestimmten sein damaliges Schaffen. Aber er ist
ebenso der Sohn des Malers Auguste Renoir und hat von diesem eine nicht
unbedeutende geistige Erbschaft übernommen: den Hang zur poesievollen
Erzählung und zur visionellen Schönheit. Ist es ein Wunder, dass sich
Gorkis düsteres Stück unter seiner Hand einige gründliche Änderungen
gefallenlassen musste?
Die Revolution, die bei Gorki als stumme Forderung im Hintergrund steht,
kommt bei Renoir zur Vollendung durch den betont hervorgehobenen
Niedergang des Barons und durch das "happy end" der "Guten". Die Umwelt,
bei Gorki schicksalsträchtig die Handlung der Personen beeinflussend,
wird bei Renoir zum interessant gefärbten Milieu.
Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Renoir bei der Herstellung dieses
Films mit den russischen Montagefilmen vertraut war, und man erkennt an
einigen Sequenzen das Bemühen um Zeichnung russischer Atmosphäre. Aber
dieser Film hat nichts von Pudovkin und nichts von Eisenstein, er
erinnert vielmehr an das Paris René Clairs, an die Bilder des "Sous les
toits de Paris".
Wer also eine Verfilmung des Bühnenstückes von Gorki erwartet, kommt
nicht auf seine Kosten. Wer sich aber ein filmisches Meisterwerk
erhofft, wird nicht enttäuscht sein. Das sollte uns eigentlich genügen.
Die Kunst der Interpretation ist dem Theater eigen, der Film aber ist
selbstschöpferisch.
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