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Quellen zur Filmgeschichte ab 1920

Texte der Hefte des studentischen Filmclubs der Uni Frankfurt/Main: Filmstudio

Einführungsseite

Filmstudio Heft 49, April-Juni 1966

Inhalt
Filmförderung
Kurzfilmtage in Oberhausen
Die Unruhe eines Moralisten
Filmographie Andrzej Munk
Gespräch mit Andrzej Munk
Richard Lesters Kniffe
Filmliteratur
Rückumschlag
Strange Bedfellows (Fremde Bettgesellen)
How To Murder Your Wife (Wie bringt man seine Frau um)
ES
Filmtext: Rotation ===

Filmförderung

Gut ein Jahr ist es her, dass ein kleiner, sorgfältig ausgewählter Personenkreis sich in Bonn - dies nur aus rein technischen Gründen - versammelte, um das "Kuratorium Junger Deutscher Film" ins Leben zu rufen, einen Verein mit Sitz in München, dessen Zweck laut Satzung darin besteht, "zur Förderung des deutschen Filmschaffens und um eine künstlerische Erneuerung des deutschen Films anzuregen, einen Fonds zu unterhalten, aus welchem Mittel für Erstlingsfilme von Regisseuren gegeben werden können, sowie Massnahmen durchzuführen, die für diese Art der Nachwuchsförderung notwendig sind." Die Pläne zu einer solchen Gründung waren an sich alt. Nachdem über sie von den damals noch sowohl jungen als unbekannten Regisseuren im internen Münchner Zirkel geraume Zeit beraten worden war, trug man sie anlässlich des "Oberhausener Manifestes" Bonn und der Öffentlichkeit vor. Dann allerdings wurde es wieder still, und alle Bemühungen um Verwirklichung waren zunächst vergeblich, bis die Initiatoren Kluge, Strobel und Senft angesichts des drohenden Martinplans bei einem erneuten Vorstoss überraschende Zustimmung fanden.

Dann ging alles relativ schnell. Schon im Juni - vier Monate nach der Gründung des Vereins - erhielten die achtzehn Mitglieder des Auswahlausschusses für förderungswürdige Filme ihr Berufungsschreiben. Anfang Oktober trat der Ausschuss - wiederum in Bonn - erstmalig zusammen. Das Verfahren wurde für den Ausnahmefall abweichend von den Richtlinien verkürzt, d. h. man pochte nicht auf einzuhaltende Einreichungstermine der vorgelegten Projekte, verlangte keine perfekten Produktionsverträge und stellte die wirtschaftliche Vorprüfung hinter die Entscheidung. Nach zweitägiger Sitzung vergab man die ersten anderthalb Millionen.

Dem geschäftsführenden Vorsitzenden Kückelmann, einem den Oberhausenern auch persönlich verbundenen Münchner Rechtsanwalt, waren insgesamt etwa dreissig Projekte zugegangen, von denen nach Prüfung durch die Geschäftsführung vierundzwanzig dem Ausschuss vorgelegt wurden. Nicht alle diese Projekte waren völlig neu, sondern hatten mit ihren Autoren auf die irgendwann zu erwartende Gründung des Vereins gewartet. Unter den Autoren befanden sich jedoch nicht nur Namen schon bekannter und im Umgang mit Prämienausschüssen bewanderter Film- und Fernsehregisseure, sondern auch solche, die offenbar ihr erstes Drehbuch verfasst hatten oder die man bislang nur mit anderen Sparten des kulturellen Lebens in Verbindung zu bringen gewohnt war.

Inhaltlich gesehen gab es, wie man hört, einiges Ernstzunehmende, etwas Kolportage, wenig Schnulzen, und schliesslich auch die unvermeidlichen Filmverbesserer, die nun die Gelegenheit für gekommen hielten, endlich irgendwelche ganz privaten Theorien anzubringen.

Sechs Projekten sprach der Ausschuss eine Förderung zu. Der erste dieser Filme, "Abschied von gestern" von Alexander Kluge, nach seinem Buch "Lebensläufe", der schon eine Drehbuchprämie von DM 200000 erhalten hatte, bevor das Kuratorium die bis zur Förderungsgrenze fehlenden DM 100000 beisteuerte, wird Mitte März abgedreht. Im Anschluss daran beginnt Edgar Reitz, der als Kluges Kameramann fungiert, seinen eigenen Film "Mahlzeiten". Hans Rolf Strobel und Heinz Tichawsky arbeiten an ihrem Spielfilmdebut "Ehescheidung", der auch eine Drehbuchprämie erhalten hatte; Haro Senft beginnt voraussichtlich im Sommer mit den Dreharbeiten zu "Karriere", ebenso Vlado Kristl, nachdem er für "Der Brief" einen Produzenten gefunden zu haben scheint. Wann Pohland und Grass mit "Katz und Maus", dem ncch von dem verstorbenen Walter Henn vorbereiteten Film in Produktion gehen können, steht wohl - auch wegen der Frage der Danziger Originalschauplätze - noch nicht fest. Bislang ist also keiner der ersten sechs Filme, die in den Genuss der Förderung kamen, öffentlich vorgeführt worden. Eben aus diesem Grund scheint der gegenwärtige Zeitpunkt, zu dem man zwar die Auswahl, nicht aber die Resultate kennt, besonders geeignet für eine möglichst unbefangene grundsätzliche Auseinandersetzung mit der nunmehr ein Jahr existierenden Institution "Kuratorium Junger Deutscher Film".

Die wichtigste Instanz des Kuratoriums ist zweifellos der Ausschuss, der über die Vergabe der finanziellen Mittel entscheidet. Ihn einer genaueren Prüfung zu unterziehen, scheint deshalb nur natürlich. Dafür ist nicht zuletzt das Klima interessant, das im Ausschuss herrscht, denn es sagt so oder so manches über ihn aus. Die Atmosphäre der Sitzungen, hört man, sei äusserst freundlich. Muss man konstatieren, dass dies im gegebenen Fall zumindest ungewöhnlich ist? Die Lösung liegt nahe: der Ausschuss setzt sich - bis auf eine Ausnahme, von der noch die Rede sein wird - derart paritätisch zusammen, dass ein einzelnes Mitglied, so extrem es auch sein mag, mit seiner ungefilterten Meinung gegen die anderen nicht ins Gewicht fallen kann. Um zumindest Teilziele zu erreichen, sieht sich somit jeder zur Vereinigung mit anderen gezwungen, d. h. zum Kompromiss oder - negativer - zur Nivellierung der Meinungen. Wenn von ständig wechselnden Konstellationen berichtet wird und nicht von festen Gruppen, dann bestätigt das genau die Vermutungen. Ein zweiter Schritt zur Freundlichkeit ist die erforderliche Dreiviertelmehrheit bei Entscheidungen, die direkte Kampfabstimmungen verhindert.

Warum diese Bedenken gegen die Parität? Weil das Ergebnis fast zwangsläufig ein undefinierbares Konglomerat von Meinungen ist, das erfahrungsgemäss zu künstlerischer Mittelmässigkeit führt, und weil deshalb ein Bewerber sich leicht ausrechnen kann, dass er die meisten Chancen hat, wenn er es allen recht macht, weil aber gute Filme es gemeinhin nicht allen rechtmachen. Daraus kann sich etwas wie eine automatische Vorzensur ergeben. Soweit der erste Einwand.

Der nächste richtet sich gegen die scheinbare Parität. Sie ist, wie gesagt, in einem Fall gestört. In diesem Punkt darf man sich wiederum nicht auf die Atmosphäre verlassen, sondern allein auf die Satzung. Nach der Satzung ist das Bundesinnenministerium eindeutig im Vorteil, denn es ist doppelt im Kuratorium vertreten. Zu Auseinandersetzungen wird das allerdings erst in Konfliktsituationen führen. Imgrunde ist diese Vorrangstellung des Innenministeriums im Kuratorium ohnehin jedem klar. Deutlich heisst es in § 4 der Förderungsrichtlinien: "Die Mitgliederversammlung des Vereins erlässt Richtlinien über die Durchführung von Massnahmen im Sinne des Vereinszweckes. Diese Richtlinien sind, soweit sie auflagegebundene öffentliche Mittel betreffen, vom Bundesminister des Innern zu genehmigen." Da das Kuratorium theoretisch zwar auch Gelder von Stiftungen annehmen kann, bislang jedoch das Innenministerium der alleinige Geldgeber ist, liegen die Verhältnisse klar zutage. Nun, man hat sich schon daran gewöhnt, dass der Geldgeber auch den Ton angibt; die Bedenken richten sich auch nicht gegen diese Tatsache, sondern dagegen, dass ein Verein gegründet wird, der unabhängig scheint, es im Ernstfall aber nicht sein könnte. Der dritte Einwand betrifft die indirekte Verquickung der Förderung des Kuratoriums mit den Prämien des Bundes. Immerhin soll es bereits Hinweise an die Mitglieder des Ausschusses dahingehend geben, dass ein Auseinanderlaufen der Praxis des Drehbuchprämienausschusses und der des Ausschusses des Kuratoriums zu vermeiden sei, zumal dem auch durch Personalunion einiger Mitglieder vorgebeugt sei; andererseits sei der Auswahlausschuss des Kuratoriums an positive oder negative Entscheidungen des Vorschlagsausschusses für Drehbuchprämien nicht gebunden; folglich müsse im Falle einer negativen Entscheidung des Vorschlagsausschusses für Drehbuchprämien der Auswahlausschuss des Kuratoriums aufgrund der ganz anderen Zweckrichtung des Kuratoriums unabhängig nochmals entscheiden. Als ob letzteres nicht selbstverständlich wäre. Und wozu soll eigentlich ein Auseinanderlaufen der Praxis des Drehbuchprämienausschusses und der des Ausschusses des Kuratoriums vermieden werden? Wäre nicht genau das Gegenteil zu wünschen? Wozu dann überhaupt ein eigenes Kuratorium?

Von dieser Verquickung hängt der Punkt ab, gegen den sich der vierte Einwand richtet. In den Bedingungen für die Teilnahme am Auswahlverfahren für Filmprämien heisst es: "Politische Propagandafilme und Filme, die gegen Strafbestimmungen verstossen, nehmen an der Auswahl nicht teil. Das gleiche gilt für Filme, die in ihrer Gesamtheit oder in einzelnen Szenen auf das sittliche und religiöse Empfinden nicht angemessene Rücksicht nehmen." Diese Bestimmung lässt sich ja wohl weit genug interpretieren. Wäre es da verwunderlich, wenn die Autoren bei ihren Projekten eine eigene Vorzensur üben würden, da sie wissen, dass ihre Drehbücher von teilweise denselben Leuten begutachtet werden, die über Filmprämien entscheiden, und dass obendrein die Entscheidungen beider Auswahlausschüsse möglichst übereinstimmen sollen? Damit käme zu der schon erwähnten Versuchung, es allen rechtzumachen, noch ein ratsames Umgehen von sozial oder politisch missliebigen Themen.

Schliesslich hört man oft den Einwand, die Anforderungen, die das Kuratorium an die Projekte stelle, seien allzusehr auf die Oberhausener zugeschnitten. Dazu liesse sich zwar sagen, dass die Oberhausener immerhin die entscheidenden Initiatoren bei der Gründung des Kuratoriums waren, aber der Einwand ist ohnehin entkräftet, wenn man .Oberhausener' nicht nur als eine Gruppe versteht, sondern als Vertreter einer Produktionsart, die sich zu Recht durchzusetzen beginnt. Dadurch sind sie gegenüber unerfahreneren Autoren augenblicklich noch im Vorteil - die Förderungen beweisen es unter Umständen -, aber über kurz oder lang wird sich jeder Autor, der heute Filme machen will, diese Fähigkeiten aneignen müssen.

Wie gross der Nutzen des Kuratoriums ist - als Hilfe für junge Regisseure oder als Stimulans für andere, die es, wie gerade Ulrich Schamoni mit ES, allein versuchen - lässt sich im Augenblick noch nicht beurteilen. Als nächstes bleibt erst einmal die zweite Sitzung des Ausschusses abzuwarten, die Ende März - in Bonn - stattfindet. Etwa sechzehn Drehbücher liegen vor.       Barbara Bernauer
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Kurzfilmtage in Oberhausen

Ein grosser Fisch frisst einen kleineren, der grosse Fisch wird von einem grösseren verschlungen, in ein geöffnetes Fischmaul schwimmen Fische. Bis sich zwei gleichgrosse begegnen, die ihr Maul zwar aufsperren, sich aber nicht verschlingen können. Aus ihnen schwimmen zwei ganz kleine Fische und küssen sich. Mit diesem kleinen Trickfilm zum Motto der Oberhausener Festspiele: "Weg zum Nachbarn" eröffnete die CSSR ihr Kurzfilmprogramm.

Nicht die Sowjetunion, nicht Polen oder Ungarn setzten den Kurzfilmen aus dem Osten den politischen Akzent, sondern die CSSR. Mit dem Dokumentarfilm "Der grösste Wunsch" leistete sie einen Beitrag, der vor allem als Information über den Grad der Liberalisierung wichtig ist. Der Regisseur, der einen Film über das Denken der Jugend drehen wollte, nahm Mikrofon und Kamera und stellte den Jugendlichen, wo er sie traf, überraschend die Frage: Was ist Ihr grösster Wunsch? So konnte zwar kein wissenschaftlich fundierter Film entstehen, aber eines gelang ihm: die Antworten waren spontan. Diese Antworten zeigen eine aller staatlichen Reglementierung sehr kritisch gegenüberstehende Jugend, die ihrer Meinung offen Ausdruck gibt. Die tschechische Delegation wunderte sich darüber, dass in Oberhausen diese Offenheit der Kritik als erstaunlich angesehen wurde. Für sie ist der Film nur ein Beitrag unter anderen - und nicht einmal der kritischste - zur augenblicklich in der CSSR bedeutsamen Diskussion über die Jugend. Der Film, der in der CSSR mit grossem Erfolg als Beiprogramm in allen Kinos läuft, erhielt in Oberhausen einen Hauptpreis. Ein anderer Beitrag aus der CSSR, "Die Hand" von Trnka, ein Puppentrickfilm, erzählt in der Figur des Kasperle die Geschichte eines Künstlers, der sich autoritärer Gewalt - symbolisiert durch eine Hand - widersetzt, bis er in diesem Kampf unterliegt. Die ihn besiegten, geben ihm ein Staatsbegräbnis. Ein anderer, sehr interessanter Trickfilm, "Wie bekommt man ein braves Kind", der die Unfähigkeit der Erwachsenen, die Ungezwungenheit der Kinder anders als unter der Kategorie Unart zu sehen, ironisch glossiert, erhielt ebenfalls einen Hauptpreis.

Verglichen mit dem tschechischen war das Programm der anderen Länder aus dem Osten in seiner Themenwahl relativ unverbindlich. Es gab viel Sportliches, viel Folklore. Einzelnes nur bleibt im Gedächtnis: etwa der polnische Trickfilm "Standarte", in dem zwölf Personen demonstrieren. Sie durchsuchen den Kopf eines Teilnehmers, der seine Fahne nicht finden kann und fördern altmodische Gegenstände zutage, mit denen zu vergnügen sich mehr lohnt als zu demonstrieren. Schliesslich findet sich am Grunde des Schädels die Fahne, die Demonstration geht weiter. Oder der polnische Dokumentarfilm "Ich habe ein Ei", der eine Unterrichtsstunde in einer Blindenschule verfolgt und streckenweise vorzüglich das Tasten der blinden Kinder für den Zuschauer als Sehen erschliesst. Dieser Film erhielt den Preis der katholischen Filmarbeit, während die evangelische Kirche ihren Preis dem russischen Film "Zwei" gab, der Liebesgeschichte eines tauben Mädchens und eines Musikstudenten (Dazu der Regisseur von "Ich habe ein Ei": "Mit Blinden und Tauben haben wir es leicht.") Aus dem ungarischen Programm ist "Die Frau" zu erwähnen, ein zwar nicht gerade progressiver, aber doch witzig frecher Film über das Thema Frau. Aus der Sowjetunion kam der Film eines kirgisischen Hochschulabsolventen MANASTSCHY, der die von einem Sänger vorgetragene alte kirgisische Manas-Sage mit den Ereignissen der Oktoberrevolution verflicht.

Unter den westlichen Programmbeiträgen ist an erster Stelle Chris Markers LE MYSTERE KOUMIKO zu nennen, der den Grossen Preis für den besten Dokumentarfilm erhielt. Chris Marker drehte in der für die Olympischen Spiele geschmückten Stadt Tokio einen farbigen Filmessay über die Gedanken des Mädchens Koumiko, das zu sich selbst als Japanerin ein Verhältnis zu gewinnen sucht. Diese Einzelstudie über die Probleme einer japanischen Frau, die europäisch gebildet und doch Japanerin ist, verschränkt Marker mit Bildern der Stadt Tokio und der Olympischen Spiele. Dieser Film ist nicht nur informativ, er ist auch poetisch, einer der ganz wenigen in Oberhausen, der als Film hohen ästhetischen Rang hatte. - Ästhetisch interessant war auch das amerikanische Phantasiestück "Time Piece", das einen Hauptpreis erhielt. Dieser Film besitzt zwei Strukturelemente: eine Geräuschskala im Sekundenrhythmus und Bildassoziationen. Das sieht z. B. so aus: eine Uhr tickt, das Herz eines Mannes wird abgehört, er entflieht, geht über eine Strassenkreuzung im Pyjama, noch einmal über die Kreuzung im Smoking; rhythmisch genau sind alle Bewegungen, rhythmisch genau alle Geräusche. Der Witz entsteht durch überraschende Bildassoziationen und Tonfolgen.

Da sich nun auch ein deutscher Filmfrühling ankündigen soll, erwartete man mit Spannung das deutsche Programm. Auch hier, wie in allen Länderprogrammen, fand sich Gutes neben Unverbindlichem. "Wahlkampf - Made in Germany", ein Film von Jürgen Hilgert, analysierte den Wahlkampf unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten und bezeichnete damit treffsicher die heutigen werbepsychologisch am Konsumenten orientierten Wahlkampfmethoden. Helmut Herbst zeigte "Der Hut", den er in Zusammenarbeit mit dem Literarischen Colloquium, Berlin, drehte. Helmut Herbst über seinen Film: "Eine Kulturfilmkomödie über Eier und einen Damenhut. Die Situation auf dem bundesrepublikanischen Frisch-Ei- Markt wird eingehend gewürdigt, einige markante Stationen der Welt-Ei-Geschichte ziehen an unserem geistigen Auge vorüber _..., aber auch aktuelle Probleme der Schädlingsbekämpfung werden nicht ausgespart. Eine kleine Spielhandlung sorgt für die notwendigen Verknüpfungen und den Bezug zum täglichen Leben." Dieser Film könnte tatsächlich ein ironischer Essay werden, wenn Herbst seine Zeichnungen zum Wesentlichen machen und sie nicht in eine belanglose Spielhandlung einbauen würde, mit der er kostbare Filmmeter verschwendet, überzeugender wäre, er brauchte für die notwendigen Verknüpfungen keinen äusseren Rahmen, sondern fände sie im Thema selbst. Von Horst Bienek sah man einen Film über Ezra Pound: einen alten, schweigsamen Mann mit einem schönen weissen Bart. Vielleicht kann man über Ezra Pound keinen Film drehen. Wenn aber doch, so müsste er etwas von der Sprachfähigkeit des Dichters erfassen. Vielleicht ist es möglich, die Bildlichkeit der Sprache in einen Film zu verwandeln, sicher aber wird solch ein Versuch ohne schöpferische, eigene Bildsprache immer in Banalitäten versanden.

Wenn man einen Film aus dem deutschen Programm nennen will, der vom Bild ausgeht, es zum Sprechen bringt, dann Vlado Kristls "Prometheus". Das Thema des Films: "Prometheus brachte das Feuer den Menschen, um ihnen zu helfen. Er hatte riskiert, sich gegen die Götter aufzulehnen. Die Menschen gebrauchen das Feuer aber, um sich zu erschiessen." Der Film erhielt in Oberhausen - unter Protest eines Teiles des Publikums - einen Hauptpreis. Ob dieser Film gut ist, kann man beim einmaligen Sehen noch nicht sagen, wichtig und interessant ist er auf jeden Fall, denn er beschreitet einen Weg, der erstaunlicherweise sonst im Film kaum beschriften wird: er geht von Bild und Bildrhythmus aus und ordnet auch den Ton dem Bild unter. Diese Art des Films muss man sehen lernen wie man Musik hat hören lernen müssen. Sowie man erst ein Gedächtnis für Tonfolgen und Strukturen, die sich nicht sofort durch ihren emotioneilen Gehalt einprägen, ausbilden musste, so ist das analog auch für das Bild in der Zeit nötig.

Es gibt einen Film, der in diesem Sinne "Avantgarde" ist: LES JEUX DES ANGES (Engelsspiele) von Borowczyk, der im letzten Jahr in Oberhausen gezeigt wurde und in diesem Jahr im Rahmen einer sehr sinnvollen und guten Kurzfilmretrospektive zu sehen war. Surreale Bilder in düsteren Farben, leere Kammern durchsetzt von Röhren, aus denen eine schwarze Flüssigkeit fliesst, gleiten vorüber. Räume und Geräusche steigern sich zu Attributen der Mordstätten. Orgeltöne; eine graue Masse, in den Umrissen erkenntlich als ein Engel der Sixtinischen Madonna, verendet; Manets Olympia schaut starr vor einem schwarzen Hintergrund Kämpfenden zu; abgeschlagene Köpfe rollen eine schräge Ebene hinunter, man hört ihr Aufschlagen - dies sind nur sehr wenige Elemente. Der Surrealismus der Bilder erfasst mehr vom Wesen der Gewalt als es alle realistischen Beschreibungen vermögen. Weder durch pathetische Musik oder Redepathos noch durch realistisches Nachzeichnen vermittelt dieser Film das Unheimliche der Gewalt. Borowczyk verwendet abstrakte Bilder, die vieldeutig und voll eigener Spannung sind; der Ton entspricht genau dem Bild. Diese Art Filme entfernt sich endlich vom Anekdotischen, von der schlechten Musikkulisse, vom platten Realismus, vom plumpen Trickfilmwitz und beginnt mit den Bildern der Phantasie die Realität zu deuten. Die meisten der in Oberhausen gezeigten Filme waren hiervon weit entfernt.       Dietlind Reck
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Die Unruhe eines Moralisten Anmerkungen zu Andrzej Munk

"Andrzej Munk hat die Arbeiten an diesem Film nicht beendet; er kam am 20. September 1961 bei einem Autounfall ums Leben. Wir haben nicht die Absicht, das auszusprechen, wozu er selbst nicht mehr die Zeit fand. Wir suchen keine Lösungen, von denen wir nicht wissen, ob es auch seine Lösungen gewesen wären. Wir bemühen uns nicht, die Fäden aufzunehmen, die durch den plötzlichen Tod des Regisseurs verwirrt wurden. Wir wollen lediglich das vorlegen, was wirklich gedreht wurde, und zwar mit allen Lücken und allem Unausgesprochenen, und versuchen, nur den Sinn dieser Erzählung zu erfassen und das zu sagen, was in ihr lebendig und wichtig ist. Andrzej Munk war unser Zeitgenosse, seine Unruhe bleibt uns nahe, und wenn wir auch nicht die Antworten zu erraten versuchen werden, auf die er abzielte, so werden wir doch vielleicht in der Lage sein, die Fragen zu wiederholen, die er sich gestellt hat _..."

Mit diesen Worten beginnt der filmische Torso PASAZERKA (Die Passagierin). Der jüngere Freund und langjährige Mitarbeiter Munks, Witold Lesiewicz, hatte es unternommen, dieses Filmfragment zur Aufführung zu bringen, indem er für die noch von Munk selbst gedrehten Sequenzen einen aus Prolog, Epilog und starren Aufnahmen bestehenden Rahmen schuf. Das unfertig gebliebene Opus - es gibt begründeten Anlass zu der Vermutung, dass es Munks reifstes Werk geworden wäre - offenbart noch einmal die spezifischen Fragestellungen des Moralisten unter den polnischen Filmregisseuren. Munk war ohne Zweifel weder der begabteste noch der filmisch versierteste unter Polens Cineasten, aber er war ihr unruhigster Kopf. Es gibt im schmalen Oeuvre Munks keine artistischen Paukenschläge zu bewundern, dafür sind die entscheidenden thematischen Umbrüche im polnischen Nachkriegsfilm ohne sein Wirken nicht denkbar.

Munks erste Begegnung mit dem Film geschah als Filmpublizist. Angesichts seines spezifischen Talents war dies alles andere als zufällig. Seine Dokumentarfilme widersprachen den bestehenden Konventionen. Der Dokumentarfilm hatte in der stalinistischen Endphase das Individuum weitgehend aufgehoben, den Menschen zum blossen Funktionsträger degradiert. Menschliche Schicksale blieben anonym, bzw. wurden zweckbestimmt gedeutet. Die Anonymität des Kollektivs beherrschte die Leinwand. Munk interessierte sich in seinen wichtigsten Dokumentarfilmen, so in KOLEJARSKIE SLOWO (Das Wort eines Eisenbahners) und in GWIAZDY MUSZA PLONAC (Sterne müssen leuchten) nicht für die anonyme Masse, ihn interessierte der einzelne. Er wurde nicht müde, sich diesen Fragen zu stellen: Wie geht etwas vor sich? Was sind die einen Vorgang auslösenden und bestimmenden Momente? Munk war dabei keineswegs ängstlich darauf bedacht, dokumentarisch "rein" zu bleiben. Es gibt in seinen Dokumentarfilmen mehrfach Versuche, die Psychologie seiner Protagonisten zu erfassen. Die noch so authentische Beobachtung der Oberfläche allein erschien ihm zu fragmentarisch, liess ihn letztlich unbefriedigt. Der Schritt zum Spielfilm bahnt sich hier schon an, nicht erst in dem eigentlichen Zwischenglied BLEKITNY KRZYZ (Die Männer vom blauen Kreuz), wo die Evakuierung eines Partisanenlazarettes durch die polnische Bergwacht gezeigt wurde.

Munk bringt andererseits in den Spielfilm die besondere Methode seiner Behandlung der Realität ein: sein Vertrauen zur Tatsache, zur empirisch gewonnenen Erfahrung, sein Misstrauen gegenüber leichtfertigen Beurteilungen und vorgefassten Festlegungen. Munks Betrachtungsweise ist distanzierend, "objektiv" - frei von der expressiven Art eines Wajda, aber auch vom intellektuellen Kalkül eines Kawalerowicz und der subtilen Versponnenheit eines Has. Munks nüchterne, fast asketische Art des Erzählens verweist gleichfalls auf den dokumentarischen Ursprung.

1956 erzählt Munk in seinem ersten eigentlichen Spielfilm die Geschichte des Lokführers Orzechowski: CLOWIEK NA TORZE. "Der Mann auf den Schienen" wurde exemplarisch für den polnischen Film, war jedoch zugleich auch symptomatisch für die Wende zum problem- und konfliktreicheren Sujet in der sozialistischen Kinematographie überhaupt. Der Film markiert das Ende der unter stalinistischen Vorzeichen stehenden Nachkriegsära, wird zum Ausdruck des "polnischen Oktober". Trotzdem besitzt Munks Erstling nicht nur historischen Wert. Nach zehn Jahren hat dieser Streifen von seiner Frische wenig eingebüsst. Das wichtigste Motiv dieses Films ist sein bei aller Sachlichkeit emotionsgeladener Protest gegen Intoleranz, gegen den Kult des Götzen Vorurteil.

Die Geschichte eines Falles

Die Hauptfigur Orzechowski ist dabei keine Märtyrergestalt; nicht um ein Denkmal für ein unschuldiges Opfer ging es Munk. Das anzunehmen, hiesse diesen intelligenten Film verkennen. Orzechowski ist ein widersprüchlicher Charakter. Stark der Vergangenheit verhaftet, steht er zunächst allen Äusserungen des Neuen argwöhnisch, im besten Falle abwartend gegenüber. Ein stark ausgeprägtes Selbstgefühl bringt ihn in zusätzliche Konflikte. Eigensinnig bis zur Selbstzerstörung, lebt er in einem egozentrischen Lebenskreis, den er eifersüchtig zu wahren trachtet. Ein Typus mit dem Etikett "stockkonservativ" also? Dies wäre nur die halbe Wahrheit über den Mann Orzechowski. Da ist seine Liebe zum Beruf, eine pedantisch anmutende Sorgfalt, ein verborgenes Bedürfnis sich mitzuteilen, den Zustand der "Entfremdung" zu beenden.

Die Wahrheitssuche "Wer war Orzechowski?" wird durch seinen tragischen Tod ausgelöst. Sabotage, Rache, Selbstmord oder - Pflichterfüllung? Die Zeugenaussagen demonstrieren eine Reihe von möglichen, sich untereinander widersprechenden und ausschliessenden Gründen. Die Filmszene wird zum Gerichtssaal. Da wuchert zunächst der Verdacht. Der Mensch Orzechowski wird zum "Fall Orzechowski". Die Verdachtsmomente sind von platter Eindeutigkeit, infiziert von ätzendem Misstrauen. Erst nach und nach weicht diese bequeme Wahrheit, wird das Bild vielschichtiger, vieldeutiger. Es kommt zur Lösung, zur Rehabilitierung. Doch auch hier kann das kriminalistische happy-end wohl kaum zu Missverständnissen provozieren. Die moralische Intention des Films erledigt sich nicht mit der Ehrenrettung Orzechowskis. Munks moralische Anstalt fragt nach den Gründen, wie es möglich wurde, einen Menschen wie ein lästig gewordenes Bündel abzuwerfen. Der Film ist so von den Schlussworten des Vorstehers Tuszka her konzipiert: "Wie war es möglich, sich so zu irren?".

Munk hat dafür keine Pauschalantwort parat. Er gibt jedoch durch die Aussagen der Zeugen, durch die Auseinandersetzung innerhalb der Untersuchungskommission genügend Anhaltspunkte zum Weiterdenken des Films. Dabei macht er es dem Betrachter nicht zu leicht; dies zeigt sich schon in der Konstruktion des Films. Er setzt sich aus individuellen Aussagen, Meinungen und Reflexionen zusammen, die durchaus subjektive Fragmente der Wirklichkeit ergeben. Das Zusammensetzen zu einem Ganzen wird nicht ausführlich vorgeführt. Das Ergebnis, die Wahrheit des Films, ergibt sich erst aus einem Vergleich der Wertung aller gezeigten Mosaiksteine. Dieser Vergleich, das Werten, wird dem Betrachter nicht abgenommen; er soll sich selbst an dem Fall Orzechowski überprüfen, seine eigene Katharsis vollziehen.

Demgegenüber scheint der Regisseur und Autor in distanzierter, objektivierender Haltung zu verharren: ein Fall wird gezeigt. Munk hütet sich fast ängstlich, seine subjektiven Gefühle zu zeigen, sie zum Element der Fabel zu machen. Doch ist die Frage nach den Gründen des Irrtums, das humanistische Plädoyer für den Menschen unüberhörbar. Man fühlt das Munksche Ethos des Ringens um jeden einzelnen. Munk fällt auch über die, die irrten, kein vorschnelles Urteil. Bis zu einem gewissen Grad versteht er ihre Handlungsweise, ohne sie zu entschuldigen.

Stärker als in den nachfolgenden Filmen ist hier die Herkunft vom Dokumentarismus erkennbar. Munk gibt dem Film den strengen Zuschnitt einer Reportage. Die Geschichte entwickelt sich aus einem genau akzentuierten Milieu. Der Arbeitsrhythmus einer Lokbesatzung ist genau so echt eingefangen, wie die Atmosphäre eines Lokschuppens, einer Bahnhofshalle vor der Zugabfahrt, einer Betriebsversammlung. Munk vermeidet das Ungefähre einer Atmosphäre, Milieu ist bei ihm nicht beliebig austauschbare Kulisse, sondern Lebenselement seiner Geschichte. Gleichzeitig wird alles vermieden, was den dokumentarischen Stil beeinträchtigen könnte: sei es filmische Symbolik, sei es Filmmusik; nicht nur die Verwendung des Originaltons weist auf die filmische Publizistik hin.

Legenden im Zweifel

Zweifel an etablierten Thesen oder gesellschaftlichen Tabus bestimmen auch Munks nächsten Film EROICA. Hatte der "Mann auf den Schienen" Front gegen die Seelenlosigkeit eines bürokratischen Apparates bezogen, so ging Munk dieses Mal gegen nationale Ressentiments und Legendenbildungen an. EROICA ist ein Film des Misstrauens gegenüber nationalen Mythen, ein Essay über Heldendämmerung. Die zwei Filmteile stehen kontrapunktisch zueinander. Der erste Teil des Films "Scherzo alla polacca" - die Odyssee des Schiebers Dzidzius zwischen den Fronten des Warschauer Aufstandes - ist eine Farce auf Heldentod und Heldentum, während der zweite Teil "Ostinato lugubre" die Entstehung der Legende mit bitteren Akzenten analysiert. Wird in der ersten Episode die Legende von der trivialen Wirklichkeit widerlegt, so bekommt die Zähigkeit, mit der sich die gefangenen polnischen Offiziere der zweiten Episode an sie klammern, makabre Züge. Der Mythos wird nun völlig zum Realitätsersatz, er zerstört die menschliche Existenz. Munk versucht, hinter der äusseren Sicherheit und Geltungssucht die innere Nichtigkeit und Leere zu entdecken. Er zeigt die Sinnlosigkeit des Beharrens in einer Tradition voller Leerlauf. Das Sinnlose ist gefragt, das Sinnvolle zahlt sich nicht aus. Der notorische Zivilist Dzidzius tut eigentlich das Vernünftige, jedoch Kriegsreglementswidrige. Dieser Charakter ist mehr als der Prototyp eines Antihelden. Munk protestiert mit ihm gegen Umstände, die zur Sinnentleerung menschlicher Verhaltensweisen führen.

Die Haltung Munks seinen Gestalten gegenüber ist der konsequente Humanismus eines Aufklärers: schonungsloses Enthüllen der Kläglichkeit und Dürftigkeit von Lebensillusionen, um die Gestaltung vernünftigerer Vorstellungen zu erleichtern. Die Entblössung ist nicht Endzweck, sondern lediglich Methode, Veränderungen zu ermöglichen. Dabei wird jedoch nicht selten die Hoffnung auf die menschliche Vernunft von Bitternis und Pessimismus durchsetzt, am stärksten in ZEZOWATE SZCZESCIE (Das schielende Glück). Dieser Film zeigt die Antikarriere eines Opportunisten. Für Jan Piszczyk (zu deutsch: Hans Winselmann) ist nichts erstrebenswerter als sich anzupassen; er ist der Konformist par excellence. Seine Bemühungen schlagen ihm jedoch zu Schaden aus. Nicht weil er auf eine gegen Konformismus immune gesellschaftliche Struktur trifft, sondern weil er sich stets zum unrechten Zeitpunkt "engagiert". Munks These: die Gesellschaft braucht den Opportunisten der Stunde, sie verargt nichts mehr, als den konformistischen Anachronismus. Munk demonstriert das Walten dieses Gesetzes von der polnischen Vorkriegsgesellschaft bis in das sozialistische Polen. Selbst wenn eine gewisse mechanische Anwendung seiner These auf verschiedene soziale Formationen auffällt - die Sicherheit der Argumentation leidet darunter-, bleibt das "Schielende Glück" der erste wesentliche Versuch, Pervertierungen gesellschaftlichen Verhaltens auch unter den neuen sozialistischen Verhältnissen zu untersuchen. Munk erklärt und entschuldigt moralische Entartungen nicht einfach als Rudimente des "Alten", sondern fragt nach den gegenwärtigen Ursachen und nach den Momenten, die die Existenz solcher opportunistischer Verhaltensweisen begünstigen. Dieser direkte Bezug zur Gegenwart unterscheidet auch Munks letztes Werk von allen bis dato geschaffenen antifaschistischen Abrechnungsfilmen mit der Vergangenheit (an dieses Erbe Munks knüpften in der letzten Zeit die tschechoslowakischen Regisseure Brynych und Kadar/Klos an).

Die Aufseherin und der Häftling

Zwei Tage vor seinem Tode sprach Munk über die Intentionen seines Films PASAZERKA (Die Passagierin): "Die Hauptprobleme meines Films? Der Konflikt der Verantwortlichkeit des Gewissens und das Problem der Grenze dessen, was dem Menschen zugemutet werden kann". Die Grundstruktur der Fabel ist denkbar einfach: Die Geschichte der Begegnung zweier Frauen, der SS-Oberaufseherin Lisa und des Häftlings Marta. Lisa kehrt nach vielen Jahren Aufenthalt in Übersee mit ihrem Mann nach Deutschland zurück. Nach einem Zwischenaufenthalt glaubt sie in einer an Bord gegangenen Frau den ihr in Auschwitz unterstellten Häftling Marta zu erkennen. Diese Begegnung veranlasst sie, ihrem Mann ihre Stellung als Aufseherin zu gestehen und gleichzeitig die Geschichte der Beziehungen zu Marta zu erzählen. Lisa schildert sich als barmherzige Samariterin. Marta ist gleichsam die Kronzeugin für die barmherzige und mitleidende Lisa. Das Bild rundet sich zu einem Erinnerungsspiel "ohnmächtiger Menschlichkeit" mit Tränen, Selbstbemitleidung und schliesslicher moralischer Läuterung.

Die zweite Variante, die ein wenig anders ist, "erzählt" Lisa sich selbst. Die Motivierung der erneuten Rückkehr zur Auschwitzer Vergangenheit bleibt im vorliegenden Film etwas undeutlich. Weitere Begegnungen auf dem Schiff, die fehlende Gewissheit, ob es sich bei dieser Frau tatsächlich um Marta handelt oder ob nur eine täuschende Ähnlichkeit vorhanden ist, zermürben Lisa. Die innere Spannung wächst, es entstehen neue Erinnerungen. Dieses Mal jedoch authentischer, ungereinigt. Vor dem Betrachter wird die Statue der barmherzigen Samariterin Stück für Stück abgetragen, übrig bleibt ein absurd-makabres Spiel der Aufseherin mit dem ausgewählten weiblichen Häftling - ein Spiel ums "Vertrauen", ein psychologischer Test. Dieses Spiel ist in sich durchaus widersprüchlich. Neben eindeutigen Motiven (die menschliche. Demütigung und Erniedrigung, das Ausnützen des "Vertrauensverhältnisses" zur Denunzierung) stehen auch Elemente der Flucht in die Menschlichkeit, in eine menschliche Haltung, steht der Versuch, dem eigenen Gewissen ein moralisches Alibi zu verschaffen. Das Spiel endet mit der Niederlage der Aufseherin.

Auf dem Schiff kommt es weder zu einer Bestätigung noch zu einer etwaigen Widerlegung der Erinnerungen. Die Begegnung mit der Vergangenheit bricht jäh ab. Marta, oder auch eine Frau, die der längst nicht mehr lebenden Marta ähnlich sieht, geht an Land. Das Schiff ("eine Insel in der Zeit") fährt weiter.

Munk provozierten zu diesem Film bestimmte Verhaltensweisen der Gegenwart: einerseits die Gleichgültigkeit gegenüber der unbequemen Wahrheit (das eingeschlafene Bewusstsein), andererseits der Versuch des Engagements mit der Barbarei. Die KZ-Situation ist hier austauschbar. An die Stelle des Arrangements mit dem Faschismus könnte u. a. gleichfalls das Leben mit der Bombe treten. Damit verbunden war für Munk die Notwendigkeit, alle Versuche zu widerlegen, diese Verhaltensweisen "menschlich" zu motivieren. Munk lehnt es ab, eine menschliche Motivierung in Handlungen zu erblicken, die ihrem Wesen nach eine Negation des Menschlichen sind. Lisa hat für sich und für ihre Umwelt eine humanistische Version bereit, eine Version, der sie glauben möchte, die für sie zu einem Stück Wahrheit geworden ist. Diese Lebenslüge ermöglicht einen verstehenden und verzeihenden Rückblick. Der Gerichtstag findet nicht statt. Diese private Lüge der ehemaligen Aufseherin Lisa interessiert Munk nur soweit, wie sie Ausdruck umfassender gesellschaftlicher Phänomene ist: die Flucht auf eine Insel der privaten menschlichen Anständigkeit, die Flucht vor der gesellschaftlichen Verantwortung, die unbewältigt gebliebene Vergangenheit.

Die Schilderung von Auschwitz selbst ist für Munk die Fortsetzung seines moralischen Dialogs mit dem Zuschauer. Die Konsequenz aus dieser Negation jeder menschlichen Entwicklung, aller humanistischen Werte, ist für Munk eine kompromisslose gesellschaftliche und menschliche Alternative. Diese Alternative darf weder von Gleichgültigkeit, Vergessenwollen noch vom Vergessensuchen beeinträchtigt werden. Munk sieht in der Fluchtposition keine Garantie für die Unwiederholbarkeit.

"Die Passagierin" trägt völlig die Züge des Rationalisten und Aufklärers Andrzej Munk. Die Gestalt der Lisa liefert nur eine neue Variante opportunistischer Lebenshaltung. In EROICA lebten die Helden mit Illusionen und brüchigen Fiktionen. Jan Piszczyk im "Schielenden Glück" war bar jeder echten Verantwortung für sich selbst. Er flüchtete in die Anpassung. Die Aufseherin Lisa hat sich gleichfalls "angepasst". Für eine gleichgültig gewordene Umwelt hält sie das Märchen von der ohnmächtigen Menschlichkeit parat, von der menschlichen Beziehung im Zeichen des Krematoriums. Munks Hass gegen alle Nuancen des Opportunismus durchtränkte alle seine Filme mit sarkastischer Bitternis. Diese Töne sind auch in der "Passagierin" unüberhörbar, doch sind in der Haltung Martas schon Gegenpositionen aufgezeigt. Die Skepsis des Moralisten Munk ist in seinem letzten Film nicht aufgehoben, aber die Hoffnung ist stärker geworden.       Fred Gehler
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Filmographie Andrzej Munk [Leider ohne Haschek usw.]

Kurz- und Dokumentarfilme:
NAUKA BLIZEJ ZYCIA (Lebensnahe Wissenschaft), 1951
KIERUNEK NOWA HUTA (Richtung Nowa Huta), 1951
BAJKA W URSUSIE (,Bajka' in Ursus), 1952 PAMIETNIKI CHLOPOW (Tagebücher der Bauern), 1952
KOLEJARSKIE SLOWO (Das Wort eines Eisenbahners), 1953
GWIAZDY MUSZA PLONAC (Sterne sollen leuchten), 1954; Co-Regie: Witold Lesiewicz.
NIEDZIELNY PORANEK (Ein Sonntagmorgen in Warschau), 1955
BLEKITNY KRZYZ (Die Männer vom Blauen Kreuz), 1956
SPACEREK STAROMIEJSKI (Spaziergang durch die Altstadt), 1959

Spielfilme:
CZLOWIEK NA TORZE (Der Mann auf den Schienen), 1956; Produktion: Kadr; Drehbuch: Jerzy Stefan Stawinski und Andrzej Munk; Kamera: Romuald Kropat; Bauten: Roman Mann; Darsteller: Kasimierrz Opalinski, Zygmunt Maciejewski, Zygmunt Zintel, Zygmunt Listkiewicz, Roman Klosowski u. a.
EROICA, 1957; Produktion: Kadr; Drehbuch: Jerzy Stefan Stawinski; Kamera: Jerzy Wojcik; Musik: Jan Krenz; Darsteller: Edward Dziewonski, Barbara Polomska, Kazimierz Rudzki, Jozef Nowak, Roman Klosowski, Wojciech Siemion, Tadeusz Lomnicki u. a.
ZEZOWATE SZCZESCIE (Das schielende Glück), 1960; Produktion: Kamera; Drehbuch: Jerzy Staefan Stawinski; Kamera: Jerzy Lipman und Krzysztof Winiewicz; Musik: Jan Krenz; Bauten: Jan Grandys; Darsteller: Bogumil Kobiela, Aleksander Dzwonkowski, Mafaia Ciesielska, Barbara Kwiatkowski, Krystyna Karkowska, Jerzy Pichelski, Edward Dziewonski, Adam Pawlikowski u. a.
PASAZERKA (Die Passagierin), 1961/63 - Fragment; Produktion: Kamera; Regie: A. Munk; Montage: Witold Lesiewicz; Drehbuch: Zofia Posmysz und Andrzej Munk; Kamera: Krzysztof Winiewicz; Musik: Tadeusz Baird; Darsteller: Aleksandra Slaska, Anna Ciepielewska u. a.
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Gespräch mit Andrzej Munk

(Gesprächspartner: Stanislaw Janicki. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Interviewers und des Verlags Wydawnictwa Artystyczne i Filmowe aus dem 1962 in Warszawa erschienenen Sammelband Polscy tworcy filmowi o sobie. Übersetzung: Regine Dermitzel.)

Janicki: Viele unserer Filmschaffenden haben auf dem Gebiet des Dokumentarfilms debütiert. Die Mehrzahl sah in ihm jedoch nur eine Übergangsstufe. In Ihrem Fall scheinen Dokumentär- und Spielfilmphase eng, ja geradezu organisch miteinander verbunden zu sein, so dass sich die Realisierung Ihres ersten Spielfilms irgendwie als Notwendigkeit darstellt. Wie kam es dazu?

Munk: Lassen Sie mich ganz allgemein anfangen. Was versteht man unter einem Dokumentarfilm? Sein erstes und wesentliches Merkmal beinhaltet schon der Name. Er muss ein Film-Dokument sein. Dokumentarisch - unter dieser Bezeichnung versteht man meistens: echt. Wenn ich meine Dokumentarfilme unter diesem Aspekt betrachte, komme ich zu dem Ergebnis, dass auch nicht einer diesem Kriterium standhält. Fast alle waren inszeniert, fast immer waren die agierenden Personen sich der Gegenwart der Kamera, die ihre Gesten, Bewegungen und Verhaltensweisen registrierte, bewusst. Dokumentarisch waren da nur die Requisiten und Fakten. Dokumentarisch war, dass die Szenerie echt war, die Lokomotive eine echte Lokomotive, der Maschinist ein echter Maschinist. Der Rest war Inszenierung.

Warum also machte ich diese in gewissem Sinne unechten "Dokumente"? Sie waren die Antwort auf den offiziellen Ton des damaligen Dokumentarschaffens, auf seinen geschraubten, hurra-freudigen Ton.

Ich bemühte mich, Fragen anzuschneiden, die bislang banalisiert worden waren. Ich wollte Mühe, Aufopferung, Heldentum und die Schönheit der täglichen Arbeit zeigen. In KOLEJARSKIE SLOWO sagte ich - heute erscheint uns das banal, damals aber wurden die einfachsten Wahrheiten verschwiegen - dass die Arbeit des Eisenbahners schwer ist und einen hohen Krafteinsatz fordert. In GWIAZDY MUSZA PLONAC ging es darum, Gefahren, gleichzeitig aber auch Romantik und Schönheit der Arbeit aufzuzeigen. Wir sahen den Menschen in seiner schönsten Aufgabe - im Kampf mit der Natur. Dafür brauchte ich die Inszenierung, deshalb liegt jedem dieser Filme eine kleine Anekdote zugrunde. Daher diese schiefe Formel vom Dokumentarfilm. Heute stellen sich dem Dokumentaristen andere Probleme, und die Fragen, die ich anschnitt, wurden für den Spielfilm aktuell. Vielleicht hat sich übrigens auf diese Weise mein unterbewusster Wunsch, einen Spielfilm zu machen, verwirklicht.

Ich denke hier natürlich nicht an solche Filme wie SPACEREK STAROMIEJSKI oder NIEDZIELNY PORANEK. Sie waren weder Dokumentär- noch Spielfilme, sondern typische Kleinformen. Detaillierte Beobachtungen, die sich nicht in einen langen Spielfilm umsetzen liessen. Ich wollte heitere, kleine Geschichten erzählen.

Janicki: Für KOLEJARSKIE SLOWO und GWIAZDY MUSZA PLONAC gebrauchten Sie selbst die klassifizierende und charakterisierende Bezeichnung "dramatische Reportage".

Munk: Das war die exakte historische Bezeichnung. "Reportage" sollte anzeigen, dass wir uns in den Mitteln beschränkten, z. B. Dialoge wegfallen liessen und auf differenzierende Filmtechniken verzichteten, mit denen man sonst die Fabel ins Bild setzt. Wir wollten uns nicht mit dem inneren Erleben bestimmter Personen auseinandersetzen, sondern einige Phänomene äusserlichen Tuns gewisser Leute zeigen. Hinter solchen "dramatischen Reportagen" verbarg sich natürlich inneres Erleben, aber der Zuschauer konnte es nur ahnen.

Janicki: BLEKITNY KRZYZ ist wahrscheinlich auf ähnlichen Voraussetzungen aufgebaut?

Munk: Dieser Film war es, der mich endgültig davon überzeugte, dass man auf diesem Weg nicht weiter gehen kann. In BLEKITNY KRZYZ war von Heldentum, Aufopferung, Überwindung eigener Schwächen, Pflichtgefühl, den Gefahren der Natur etc. die Rede. Der ganze Reichtum menschlichen Erlebens wurde durch äusserliche Gesten, Fakten sichtbar gemacht. Der einzige Versuch, die Charaktere und Gefühle etwas klarer zu zeichnen, war der Kommentar, ein typisch subjektiver Kommentar, welcher in Momenten grosser Gefahr kalt berichtete und durch diesen Kontrast Beherrschung und Seelenstärke der Helden des Films zum Ausdruck brachte. BLEKITNY KRZYZ überzeugte mich von der Unmöglichkeit, mit Mitteln des Dokumentarfilms die Fülle menschlichen Erlebens aufzuzeigen. Hier war das Thema eines Spielfilms nach Methoden der dramatischen Reportage verarbeitet worden, und das stand im Widerspruch zu der alten Wahrheit - die man nicht zu leicht nehmen sollte - dass das Thema die Form bedingt.

Janicki: So brachte also der stufenweise Obergang zur Fabel die Bezeichnung "Dokumentarismus" ihrer Spielfilme hervor. Wie man auch immer diese Hypothese beurteilen mag, auf jeden Fall waren die Dokumentarfilmerfahrungen doch wohl ausschlaggebend für Ihr weiteres Schaffen?

Munk: Das, was man "Dokumentarismus" nennt, ist in einem Spielfilm nur Schmuck und nichts mehr! Der Unterschied zwischen einem Dokumentär- und einem Spielfilm besteht darin, dass das, was in der "Fabel" nur Schein ist, den Inhalt eines "Dokumentes" bildet. Den Spielfilm kann man sich ohne einen Rahmen von vorgegebenen Fakten vorstellen, den Dokumentarfilm nicht. Der Bereich des Spielfilms ist, wie ich schon erwähnt habe, das innere Erleben von Personen, der des Dokumentarfilms, Phänomene des gesellschaftlichen und individuellen Lebens. In CZLOWIEK NA TORZE ging es nur darum, ein neuzeitliches, aktuelles, sehr menschliches Problem vorzustellen, nicht aber "Dokumentarismus" und Wahrheitstreue anzustreben - was bedeutet hätte, Aufnahmen in einer echten Lokomotive zu machen, einen authentischen Bahnhof zu filmen. Das Problem könnte auch ohne diese Staffage existieren.

Eine wirklich wertvolle Erfahrung, welche ich dem "Dokument" verdanke und welche ich auch auf die Fabel übertragen habe, ist allerdings das Bemühen darum, dass die Handlung sich so abspielt, wie sie sich auch in Wirklichkeit zugetragen haben könnte. Unter Handlung verstehe ich hier alles, was diese konstituiert, also Dialog und Aktion der Schauspieler, Szenerie und Requisiten.

Janicki: Wir haben unsere Unterhaltung gleich mit sehr konkreten, speziellen Problemen begonnen und kennen noch gar nicht Ihre Ansichten über allgemeine Fragen - was sollte Ihrer Meinung nach ein Film sein, welche Aufgabe hat er zu erfüllen?

Munk: Ein Film sollte meiner Meinung nach Unterhaltung sein, kann aber auch zum tieferen Erlebnis werden. Er kann nur dann ein Kunstwerk genannt werden, wenn er den Zuschauer nicht nur emotional berührt, sondern auch rationale Spuren hinterlässt. Diese Definition ist natürlich roh und unvollständig.

Ich habe mich immer bemüht, einen Grundsatz einzuhalten - nämlich, dass die Schlüsse, die aus einem Film zu ziehen sind, Privateigentum des Zuschauers werden. Ich versuche ein so reiches Material für Betrachtung und Überlegung zu geben, dass der Zuschauer sich als Erfinder einer bestimmten Idee fühlen kann.

Janicki: Ihre Filme - dies ergibt sich ebenso aus Ihrer eben gegebenen Definition wie aus den Werken selbst - erfüllen eine doppelte Funktion und haben so etwas wie einen doppelschichtigen Aufbau.

Munk: Mir haben immer jene Kunstwerke imponiert, die ein gesundes Lachen hervorrufen. Ich erachte es als sehr viel schwieriger, Lachen als z. B. Angst hervorzurufen. In einem naturalistischen Film lässt sich das Gefühl der Angst unwahrscheinlich leicht erzeugen. Ich glaube, dass es kein Drama, kein tiefes Erlebnis ohne Lachen gibt. Um ein dramatisches Erlebnis beim Zuschauer zu erzielen, muss man ihn darauf vorbereiten, indem man der bewussten Szene eine völlig andersartige vorausschickt, z. B. mit fröhlicher Stimmung. Diese klassische Methode habe ich zum ersten Mal in CLOWIEK NA TORZE angewandt. Der konfliktgeladenen Szene, in der Orzechowski seinen Gehilfen ohrfeigt, liess ich die sehr komische Bahnhofsszene vorangehen. In EROICA variierte ich diese Methode ein wenig. Tragische und komische Elemente wurden miteinander verschmolzen. Die Art, wie Leutnant Szpakowski ein Päckchen Lebensmittel verschlingt, das brüllende Gelächter seiner Kameraden zwingen den Zuschauer zum Lachen. Gleichzeitig spürt man die wachsende Traurigkeit des Leutnant Zak, der in einem Kasten eingeschlossen ist. Er tut uns leid, aber wir werden immer wieder zum Lachen gebracht durch das idiotische Gehabe des Essenden. Ich habe das Publikum beobachtet, die Reaktion war Lachen, das plötzlich, gewaltsam abbrach. Durch die Steigerung dieser beiden Stimmungen liess sich ein tiefes Miterleben des Todes von Leutnant Zak hervorrufen. In ZEZOWATE SZCZESCIE versuchte ich diese Methode auf einen Grossteil der Szenen auszudehnen, welche gleichzeitig lustig und tragisch sind. Ich wollte beim Zuschauer Beschämung darüber erzeugen, dass er lacht, wo es sich doch eigentlich um Phänomene ausgesprochen tragischer Natur handelt. Dieser unruhige, envervierende Stimmungswechsel ist, so meine ich, eine interessante, formale Errungenschaft.

Janicki: Sie sagten vorhin bei der Definition des Films als Kunstwerk, dass er ausser emotionalen Eindrücken auch tiefere, geistige Spuren beim Zuschauer hinterlassen sollte. Ihr Bemühen um "tiefere, geistige Spuren" hat, so scheint es, dazu geführt, dass man Ihre Spielfilme oft als intellektuell bezeichnet.

Munk: Diese Trennung in intellektuelle und emotionale Filme, die die Kritiker eingeführt haben, betrübt mich etwas. Sowohl die eine als auch die andere Bezeichnung erscheint mir anmassend und zudem falsch.

Wenn ein Film den Zuschauer nicht emotional anspricht, ist es kein guter Film, regt er ihn nicht zum Nachdenken an, ist er ebenfalls wertlos. Wenn von "emotionalen Filmen" geredet wurde, dachte man wohl vor allem an das Werk A. Wajdas. In KANAL oder POPIOL I DIAMENT sehe ich aber eine grosse Fülle von rein intellektuellem, ja geradezu philosophischem Material, das der Zuschauer ganz allein verarbeiten muss (z. B. die Beurteilung der Fakten unserer Geschichte). Natürlich ist es in sehr dramatischer, mitreissender Weise in Szene gesetzt, was aber dem Reichtum der geistigen "Ebene" keinen Abbruch tut.

Janicki: Man redet und schreibt über Ihre Filme oft so, als seien sie ein Beitrag zur Diskussion um Wahrheit und Wesen unserer Geschichte und Gegenwart.

Munk: Der Künstler lebt das normale Leben der Gesellschaft. Er registriert Fakten und gelangt auf Grund dieser zur Formulierung gewisser Urteile, die teils schon ausgesprochen sind, teils erst im Entstehen begriffen sind und begründet wetden müssen. Es entsteht etwas Neues im Leben der Gesellschaft, Beurteilungen - z. B. einer geschichtlichen Epoche - werden revidiert, neue soziale Ziele, die nicht immer den erwarteten Widerhall finden, gilt es zu verwirklichen. Oft gelingt es dem Künstler nicht, eine absolute, erschöpfende Antwort auf all diese Fragen zu finden. Ich meine aber, dass der Autor das Recht hat, auch seine partiellen Überlegungen mitzuteilen, die nicht eine umfassende Antwort geben, sondern nur Beitrag sind (ein solcher Film hat als Grundfrage irgendein Ereignis oder Problem, auf dem er aufbaut). Auf diese Weise kann der Künstler die Gesellschaft für etwas Neues empfänglich machen, kann dazu beitragen, dass von einer aufgeblähten Problematik etwas abgetragen wird. Dies ist eine der schönsten Seiten der künstlerischen Tätigkeit. Ich wehre mich ganz entschieden gegen die Ansicht, dass der Künstler in seinem Werk Formeln, fertige Rezepte zu übermitteln habe. Schweigen wiederum - in Erwartung einer Synthese - lässt Komplexe entstehen. In allgemeinen, öffentlichen Fragen bedarf es eines klaren, entschiedenen Standpunktes.

Janicki: CLOWIEK NA TORZE war weder Beitrag noch Synthese?

Munk: Doch. Es ging mir hier darum, eine bestimmte, eigentlich sehr wichtige Frage anzuschneiden, um zu ihrer Lösung beizutragen. Die Klarheit, mit der sie gestellt wurde, resultiert aus der gleichgesinnten Haltung der Filmautoren zu diesem Problem. Wir wollten zeigen, wie es nur auf Grund eines schlechten Systems gesellschaftlicher Abhängigkeit zu einem grossen Unrecht kommen kann; diese allein, nicht die Menschen, sind die Urheber. Als Vorlage diente eine konkrete Situation. In jenen Tagen war es sehr leicht, irgend jemand zu beschuldigen. Oft aber handelte der, den man als den Schuldigen brandmarkte, aus ganz reinen Beweggründen. Jeder versucht, die Verantwortung für ein Übel auf einen Feind abzuwälzen. Ein Mann kommt um, und eigentlich ist niemand dafür verantwortlich.

Janicki: Man hat CLOWIEK NA TORZE doch aber, glaube ich, eine optimistische Tragödie genannt?

Munk: Wir wollten mit diesem Film eine bestimmte Diskussion aufgreifen, die sich zum Zeitpunkt der Premiere allerdings als nicht mehr aktuell erwies - darin liegt wohl der Optimismus dieses Films begründet. Der Zeitraum, den der Film behandelt, war schon historisch geworden. Auf Grund dessen verlor die gesellschaftliche Rolle des Films erheblich an Gewicht.

Ais ich vorhin über Synthese und Beitrag sprach, dachte ich mehr an einen späteren Film - EROICA. Stawinski und ich haben uns bemüht, ein Knäuel ziemlich trauriger Fakten unserer Vergangenheit zu zeigen und dabei vor allem die gewöhnlich verschwiegene, beschämende Seite zu beleuchten. Wir wollten helfen, gewisse Komplexe abzubauen, wollten die irrationale Seite des traditionellen Heldentums unseres Volkes zeigen.

Janicki: Das hat - um mich vorsichtig auszudrücken - zu vielen Missverständnissen geführt. Es wäre deshalb sehr von Nutzen, wenn Sie uns Ihren Standpunkt zur Frage des Heldentums (eines der Grundprobleme der sogenannten "Abrechnungsfilme") kurz darlegen würden.

Munk: Heldentum liegt immer ein Aufbegehren, tätige Manifestation gegen ein bestehendes Übel zugrunde. Ohne Überwindung des Schlechten gibt es keinen Fortschritt. Nur ein Schuft wird gegen das Heldentum angehen und diejenigen, die mir vorwerfen, dass ich in meinen Filmen Anti-Held-Tendenzen zum Ausdruck bringe, tun mir Unrecht. Ohne jeden Zynismus haben wir Heldentum als ein bestehendes Faktum betrachtet; es fällt kein böses Wort über Helden in EROICA, und selbst wenn ihre Taten irrational sind, haben wir sie mit Sympathie und Gefühl gezeigt. Wir haben nur die Untauglichkeit dieser Art von Manifestation in konkreten Situationen herausgestellt. Einige Kritiker sahen in Dzidzius die Verkörperung des "polnischen Dramas". Ich finde, man sollte in diese Person nicht etwas hineinsehen, was einfach nicht darin angelegt war. Diejenigen, die im ersten Teil von EROICA das Abbild des Aufstandes und zugleich die persönliche Meinung der Autoren des Films zum Aufstand erblickten, vergessen, dass alles, was sich auf der Leinwand abspielt, das Verhältnis eines konkreten Helden zu den Ereignissen widerspiegelt. Aber leider grassiert unter Zuschauern und Kritikern die Sucht zu verallgemeinern. EROICA sprach eine Teilwahrheit aus, beschäftigte sich nur mit einem Ausschnitt von Geschehnissen, und das in der Weise, wie sie jener pfiffige Rationalist Dzidzius sah.

Die Urteile über Dzidzius sind sehr widersprüchlich. Es ging uns darum, sichtbar zu machen, wie die allgemeine Atmosphäre des Heldentums selbst Personen beeinflusst, die nicht jene "Heldenkultur" haben und aus ihnen Helden macht. Dzidzius vollbringt Taten, die sehr viel Mut erfordern; gegen seinen eigenen Willen ist er ein Held. Sein Beitritt zum Aufstand am Ende des Films ist die Katharsis, ein Element der Reinigung. Für die Konzeption von EROICA war ein konkreter, historischer Fall ausschlaggebend - die Umformung des traditionellen, irrationalen Heldentums in ein rationales, kluges, kontrolliertes Heldentum. Ich denke dabei natürlich an die Ereignisse unseres "Septembers". Indem ich darauf baute, dass in der Erinnerung, im gesellschaftlichen Bewusstsein schon Elemente dieses neuen Typs von Heldentum stecken, dachte ich, dass man in dieser Situation sehr wohl das alte, kraftlose, manchmal aus negativen Beweggründen resultierende Heldentum zeigen kann, um damit eventuell zur Festigung des neuen beizutragen.

Janicki: Die Ereignisse unserer älteren und neueren Vergangenheit, die Themenkreise Heldentum, Rationalismus, Individuum und Gesellschaft lassen sich in geringerem oder stärkerem Masse auch in ZEZOWATE SZCZESCIE wiederfinden.

Munk: ZEZOWATE SZCZESCIE war vor allem Ausdruck einer rationalistischen, sogar etwas skeptischen Haltung. Die These dieses Films ist: Jeder sollte eher nach Massgabe seines eigenen Verstandes handeln, als kritiklos irgendwelche Ansichten übernehmen, die die zeitweise Unterstützung der Mehrheit haben oder zumindest gern gesehen sind. Ich wollte, dass der Zuschauer sich überlegt, was die Ursache für all das Unglück ist, das Pieszczyk widerfährt. Pieszczyk erklärt etwas metaphysisch, er sei vom Pech verfolgt, aber der intelligente Zuschauer erkennt, dass der Held das Unglück selbst herausfordert. Pieszczyk bemüht sich immer, irgendwelche Leute zu imitieren, um so aufzutreten, wie es den Machthabern genehm ist. Niemals überlegt er sich, wer er ist und was er zu tun hat. Immer sucht er jemandem zu schmeicheln, beurteilt sich selbst nur von aussen. Als er sich endlich bemüht, nach eigenem Ermessen zu handeln, ist es bereits zu spät, und er muss die Folgen seiner Vergangenheit tragen. Ich wäre glücklich, wenn so die kommentierenden Gedanken des Zuschauers zu diesem Film aussehen würden. Nirgends wird das alles eindeutig und klar im Film gesagt. Es war in diesem Film, dessen Verhältnis zu Helden und Ereignissen äusserst ironisch ist, einfach kein Platz für eine Person, die diese gewichtigen Wahrheiten hätte ernsthaft aussprechen können. All diese Vorkommnisse sollten die Zuschauer beunruhigen, einige von ihnen zur Selbstreflexion führen. Wir leben in bewegten Zeiten, und jeder von uns hat irgendwann einmal opportunistisch gehandelt. Vielleicht schämt er sich dessen heute, vielleicht berührt ihn der Film persönlich und vielleicht wird er gewisse Dinge in Ordnung bringen wollen. Ein Film berichtet Vorfälle, und durch ihre Selektion bringt er eine bestimmte Tendenz zum Ausdruck. In ZEZOWATE SZCZESCIE stellten wir eine Reihe objektiver Ereignisse aus dem Leben Pieszczyks vor, die sein Unglück und dessen Ursache zeigen. Der Film sollte zum Nachdenken über das eigene Leben, die eigene Haltung anregen, zu Schlüssen über die eigene Person führen.

Wesentlich in ZEZOWATE SZCZESCIE ist die Frage des Opportunismus, der heute zu einer Erscheinung von grossem Ausmass geworden ist und sich in allen Gesellschaften, die sich der neuzeitlichen Produktions- und Kommunikationsmittel bedienen, feststellen lässt.

Janicki: In welcher Weise beeinflusst Ihrer Meinung nach die Zeit der Stabilisierung unsere Kunst, in diesem Fall besonders die polnische Filmkunst?

Munk: Darüber kann man eigentlich nur im Vergleich zu anderen Gesellschaften, die seit langer Zeit einer Stabilisierung unterliegen, sprechen. Zwei Tendenzen sind am augenfälligsten: erstens - die Flucht in die Sphäre der Phantasie, zweitens - die Konzentrierung auf subjektive, persönliche Erlebnisse in der Themenwahl.

Auch deshalb können uns rationale Ansichten, das Streben nach einer objektiven Sicht der Welt, gegenüber diesen Extremen helfen und uns zu einem gewöhnlichen, normalen Leben zurückführen. Es müsste eine Art von Filmen entstehen, die man etwas ungenau als populistisch bezeichnen könnte. Ich habe das Gefühl, als erwarte uns eine neue Problematik - eine moralische, sittliche. Die Filme, die ich mit Stawinski gemacht habe, sind in einer ganz bestimmten Zeit und Atmosphäre entstanden. Damals war die Methode, derer wir uns bedienten, gut - heute nicht mehr. Der Film über Sobieski und Marisienka, den ich drehen möchte, ist natürlich nur ein Interludium. Neues Material, eine neue Problematik werden auch eine neue Methode erforderlich machen; noch weiss ich aber nicht welche. Unser Interesse verlagert sich häufig von der Gegenwart auf die grossen Erlebnisse früherer Tage, die Okkupationszeit, den Krieg. Dahinter steckt manchmal die Tendenz, sich die künstlerische Arbeit etwas zu erleichtern. Denn es ist viel schwieriger, die flüchtigen Wahrheiten oder ihre Spuren aufzudecken als grosse Erlebnisse eschatologischer Natur zu zeigen.

Um nicht missverstanden zu werden, möchte ich hinzufügen, dass Gegenwart für mich natürlich nicht der Begriff ist, der für eine historische Epoche steht, sondern eine bestimmte Problematik und ihre Exposition, die unmittelbar den modernen Menschen betrifft, umschreibt.

Janicki: Und was wird aus der "Polnischen Schule", wenn man Ihre Betrachtungen über "grosse Themen" und die Notwendigkeit einer neuen Problematik auf diese bezieht?

Munk: Nichts. Der grösste Vorzug der "Polnischen Schule" ist, dass in ihr die verschiedensten formalen Stilrichtungen zu finden sind (vergleichen Sie: Wajda, Kawalerowicz, Kutzl), dass der Inhalt, die ernste Thematik verbindend ist, nicht die Form. Der Zuschauer wird wie ein erwachsener Mensch behandelt, an den man mit wichtigen Fragen herantreten kann. Zeitweise behandelten die Filme der "Polnischen Schule" Heldentum und Selbstmord - in Zukunft werden sie sich anderer Probleme annehmen.

Janicki: Eine neue Problematik, neue Themen - das heisst neue, gute Drehbücher. Die Beziehung Regisseur-Drehbuchautor bringt - das liegt in der Natur der Dinge - eine Anzahl von Konfliktsituationen mit sich.

Munk: Um ganz allgemein zu sprechen: diese Verhältnisse werden durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage geregelt. Ich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass ein Regisseur sich nicht als Mitbesitzer der im Drehbuch enthaltenen Idee fühlen würde. Schon die Wahl des Themas zeigt an, welche Fragen, die dann später im Drehbuch ausgearbeitet werden, den Regisseur interessieren. Der Regisseur kann nicht nur inszenieren. Manchmal ist es schwer festzustellen, was in einem Film geistiges Eigentum des Regisseurs (ein Grossteil seines Beitrags bleibt unbenannt) und was Eigentum des Drehbuchautors ist.

Vergessen wir doch nicht, dass es in einem Film kein Gebiet gibt, für das der Regisseur nicht verantwortlich wäre; wenn ein Schauspieler schlecht spielt, hätte der Regisseur entweder die Rolle einem anderen Schauspieler anvertrauen oder aber besser mit ihm arbeiten müssen. Ich kenne keinen Regisseur, der nicht an der Ausarbeitung der ersten Phase des Drehbuchs teilgenommen hätte. Die zweite Phase hängt ausschliesslich von ihm ab. Man braucht z. B. nur die Szene zu vergleichen, in der das Mädchen zu Maciek kommt, wie sie sich im Roman von Andrzejewski findet und im Film von Wajda. Ich will nicht Andrzejewskis grosses Talent herabsetzen, aber um wieviel interessanter ist die "Filmversion"! Die Szene, in der Szczuki umgebracht wird, gehört zu den besten des Buches, aber um wieviel grossartiger ist sie im Film! Kann man da noch daran zweifeln, dass die Form eines Filmes das individuelle Eigentum des Regisseurs darstellt? Natürlich verstehe ich die Entrüstung eines Drehbuchautors, dem man den Gedanken des Drehbuchs verunstaltet. Natürlich hat er Recht, gegen den Regisseur vorzugehen, der ihm diesen oder jenen Gedanken entstellt oder bagatellisiert.

Janicki: In der Zusammenarbeit mit den Schauspielern oder dem Kameramann kommt es, glaube ich, nicht zu solchen Konfliktsituationen. Wie verläuft diese Zusammenarbeit bei Ihnen, nach welchen Prinzipien gestalten Sie sie?

Munk: Die Zusammenarbeit mit dem Schauspieler beginnt schon im Moment der Auswahl für die entsprechende Rolle. Diese Wahl unterliegt meiner Meinung nach zwei grundsätzlichen Faktoren. Der Regisseur muss den Gesamttext durchanalysieren und sich unter dem Gesichtspunkt der psychologischen und charakterlichen Elemente vergegenwärtigen, was für einen Helden er in der Rolle sieht. Es mag banal klingen, aber es ist unerhört wichtig, dass der Regisseur sich schon beim Lesen des Textes ein sehr konkretes Bild von dem Helden macht. Eventuell wird er dabei nach dem Grundsatz des Kontrastes verfahren und als Schauspieler genau den Gegentyp des im Text geschilderten Helden suchen. Das ändert aber nichts an der Methode. Ohne eine genaue Herauskristallisation des Bildes des Helden kann er nicht den Darsteller suchen.

Ein zweiter, eminent wichtiger Faktor ist die Notwendigkeit, sich von dem zu lösen, was der vorgeschlagene Schauspieler bis dato gemacht hat, welchen Typ er also dargestellt hat. Der Regisseur sollte die Person des Schauspielers nur mit seinem Helden vergleichen, prüfen, ob alle psychophysischen Züge des Schauspielers den imaginären Eigenschaften des Helden entsprechen. Wenn hier Übereinstimmung herrscht und der Schauspieler talentiert genug ist, kann man ihm die Rolle anvertrauen.

Mit der Wahl eines Schauspielers ist noch eine andere Frage verbunden, die wert ist, hier erwähnt zu werden, nämlich die Besetzung einer dramatischen Rolle mit einem Schauspieler, der im allgemeinen komische Rollen verkörpert oder als Komiker bekannt geworden ist und umgekehrt. Ich kann mir allerdings vorstellen - ohne verallgemeinern zu wollen -, dass es schwieriger ist, einen dramatischen Schauspieler in eine komische Rolle einzusetzen. Ein guter Komödiant hat im allgemeinen die grössere Ausdrucksskala, ist lebhafter in der Bewegung, und deshalb wird es ihm leichter fallen, sich in die verschiedensten Rollen zu finden. In EROICA gab ich Kazimierz Rudzki die tragische Rolle. Er war äusserlich und psychisch genau der Typ des Filmhelden. Sein sarkastischer Witz ist dem Zynismus der Filmgestalt verwandt. Der Fall war für mich so klar, dass ich ihm ohne Zögern, ja ohne jegliche Probeaufnahmen die Rolle anvertraute. Ähnliche Beweggründe veranlassten mich, für die Fernsehfassung von PASAZERKA Edward Dziewonski zu engagieren.

Der Regisseur sollte den Schauspieler zu eigener, erfinderischer Produktivität anregen, denn nur dann wird er gute schauspielerische Leistungen erzielen. Er sollte den Schauspieler in den Zustand schöpferischer Extase versetzen, um zusammen mit ihm aus der Fülle der gemachten Vorschläge die beste Realisationsmöglichkeit einer Szene herauszufinden. Diese Arbeitsmethode schliesst auch die Improvisation nicht aus, die ja sehr oft die Summe der gemachten Erfahrungen ist. Manchmal verwirft ein Schauspieler alle Lösungen und beginnt auf "leerem Terrain". Dann kommt es vor, dass eine Geste, eine Situation bestimmend wird für die endgültige Lösung.

Ähnlichen Kriterien unterliegt die Arbeit mit dem Kameramann. Hier ist es besonders wichtig, dass der Kameramann sich ganz als Künstler fühlt und nicht nur als Reproduzent der Vorstellungen des Regisseurs. Regisseur und Kameramann sollten durch Ideenaustausch ihre eigenen Vorstellungen bereichern, d. h. wie zwei Katalysatoren aufeinander wechselseitig wirken.

Die Wahl der Form hängt natürlich vom Thema ab. ZEZOWATE SZCZESCIE hatte eine sehr lebhafte Handlung, die keinen Raum liess, sich an der Poesie der Aufnahmen zu ergötzen. Wichtiger waren eine durchsichtige, geballte Erzählweise, sauber herausgearbeitete Details. Lipmann hatte keine Gelegenheit, seine bildnerischen Möglichkeiten zu demonstrieren. Die Handlung war immer vordergründig, es blieb kein Ruhemoment, keine Verschnaufpause, während derer man z. B. einen schönen Hintergrund hätte bewundern können.

Der erste Teil von EROICA wurde unter ähnlichen Gesichtspunkten realisiert, wogegen der zweite Teil ganz anders konzipiert war. Die zweite Novelle von EROICA hatte eine sehr verdichtete Atmosphäre. Die Enge der verabscheuten Stube musste mit fotografischen Mitteln hervorgehoben werden. Auch die Totalen (die Kriegsgefangenen gehen auf dem Platz spazieren) verbildlichen diese Atmosphäre. Diese grauen Bilder haben ihre ganz eigene Schönheit. Der Kameramann - in diesem Film Wöjcik - hatte hier ein weites Betätigungsfeld.

Grosse dramatische Spannung gestalteten wir durch unruhige Kompositionen. Die Bildfläche war mit Einzelheiten vollgestopft, die Köpfe bildeten eine Zickzacklinie. Die folgende Einstellung war ruhiger - sie zeigte einen vertikalen Aufbau -, welcher übrigens, wie man weiss, nur eine scheinbare Ruhe wiedergibt.

Die besten Einstellungen waren meiner Meinung nach die Szenen des Todes von Leutnant Zak. Der dunkle Flügel des Gebäudes nahm drei Viertel der Bildfläche ein; geöffneter, sehr heller Hintergrund, auf dem sich graphisch die Wachtürme abzeichneten; dort hineingestellt die Figur des Helden - nicht in der Bildmitte. Weiterentwicklung der Komposition: der Held kommt auf die Kamera zu, er wird erschossen, fällt mit dem Gesicht zur Kamera, dreht sich um - Grossaufnahme des Gesichtes, weit geöffnete, glasige Augen. Der Kameramann schuf hier Bilder von grosser künstlerischer Aussagekraft.

Auch in CZLOWIEK NA TORZE war die bildnerische Konzeption funktionell mit dem Thema verknüpft. Eine schöne Eisenbahnlandschaft - der gewaltige Lokomotivenkörper, in der Ferne blinkende Schienen - sollte in der Szene, in der Orzchowski nach seiner Entlassung davongeht, die Traurigkeit des Menschen ausdrücken, der Abschied nehmen muss. In diesem Film waren uns vor allem die Landschaftsaufnahmen wichtig.

Janicki: Gibt es Ihrer Meinung nach irgendwelche Regeln in der Filmtechnik, die heute aufgehört haben, bindend zu sein?

Munk: Nein. Es gibt überhaupt keine eisernen Gesetze, weil jede Regel in einem Film noch als ihre eigene Negation angewandt werden kann. Es gibt z. B. eine Regel, die besagt, dass in der Montage Achsensprünge untersagt sind. In GWIAZDY habe ich mich ganz bewusst dieser Technik bedient, um ein Gefühl von Unruhe wiederzugeben Ähnlich sieht die Sache bei der Schnittmontage und den sogenannten langen Einstellungen aus. In EROICA z. B. habe ich beide Methoden zur Anwendung gebracht. Da, wo es um die Wiedergabe des schläfrigen Lebens im Lager geht, wo die Zeit träge dahinfliesst, arbeitete ich mit langen Einstellungen.

In den unruhigen Szenen - z. B. der Fluchtversuch Leutnant Zaks - ging ich zur traditionellen Schnittmontage über. Die Methode der langen Einstellungen bedarf immer der unsichtbaren Einmischung des Regisseurs, welcher dauernd den Gesichtswinkel des Zuschauers im Auge behalten muss.

Janicki: Wir haben über Ihre Filmarbeit bis jetzt ganz Ihre Theater- und Fernseharbeit, die ebenfalls sehr interessante Resultate hervorgebracht hat, vergessen. Glauben Sie, dass ein Filmregisseur ohne spezielle Vorkenntnisse für das Fernsehen oder das Theater - letzteres ist noch häufiger - arbeiten kann?

Munk: Was ich jetzt sage, mag vielleicht wie beruflicher Grössenwahn klingen, aber ich finde, dass ein guter Filmregisseur auch gleichzeitig Theater- und Fernsehregisseur sein kann. Nicht aber umgekehrt. Der Theaterregisseur wird weit grössere Schwierigkeiten bei der Realisation eines Filmes haben als der Filmregisseur bei der Theaterarbeit. Um ein Theaterstück in Szene zu setzen, bedarf es eines grossem Wissens in Fragen der Inszenierung und vor allem Erfahrung im Umgang mit Schauspielern. Man muss ebenso mit den traditionellen Stilen und Theaterinszenierungen vertraut sein wie mit den modernen Richtungen. Der Filmregisseur bringt durch Szenenerfahrung und die Fähigkeit, mit Schauspielern arbeiten zu können, die wesentlichen Voraussetzungen mit. Man kann ebenfalls annehmen, dass er über neue Strömungen im Theater orientiert ist. Das ist natürlich individuell verschieden. Dagegen trifft der Theaterregisseur, der ein Filmatelier betritt, auf eine Menge technischer Mittel, die all sein Theaterwissen in entscheidendem Masse disqualifizieren. Nehmen wir als Beispiel eine solche Kleinigkeit wie das Verhältnis von Ausdruckskraft zur Entfernung des Gegenstandes von der Kamera. Der Filmregisseur hat ein geschultes Auge. Wenn er sich eine Szene anschaut, sieht er sie gleich in der Begrenzung des Bildausschnittes, er sieht, dass die Geste einer Hand unbeachtet bleiben wird, weil der Zuschauer eine andere Person beobachten wird, die deutliche Grimassen zieht. Diese Kenntnis hat der Theaterregisseur auch, aber es ist ihm fremd, immer den fixen Blickwinkel des Zuschauers einzukalkulieren, wie es der Filmregisseur tut.

Dazu kommt die Rhythmisierung durch die Montage und die später hinzugefügten Toneffekte, die zur Zeit der Realisation noch nicht vorhanden sind. Dies alles würde dem Theaterregisseur erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Das betrifft übrigens auch den Theaterschauspieler. Als ich einmal mit einem sehr bekannten Schauspieler zusammenarbeitete, konnte ich ihn nicht davon überzeugen, dass er verhaltener spielen musste, da die Dramatik dieser Szene durch ausser-schauspielerische Mittel erreicht werde; dass Bildkomposition, Beleuchtung, die fast unmerkliche Tonunterlage, die ganze Atmosphäre des Ortes ausreichen, um die beängstigende Stimmung zu vermitteln. Der Theaterregisseur kann die reale Bedeutung all dieser Elemente für den Film nicht ermessen und wird sein Hauptinteresse immer den Schauspielern zuwenden.

Janicki: Sie sprechen vom Theater. Gibt es nicht auch für das Fernsehen irgendwelche speziellen Bedingungen?

Munk: Das Fernsehen kann sich immer noch nicht zu einer ihm eigenen Sprache entscheiden. Es gibt bis jetzt nur Versuche in dieser Richtung. Als Kreuzung sozusagen zwischen Radio und Theater ist es ein eklektisches Gebilde. Vom Theater hat es die Begrenzung der Handlung auf einen Ort übernommen, vom Radio die Geschwätzigkeit.

Nach einer Erzählung von Pruszynski habe ich GENERALSKIE WIECZORY für das Fernsehen inszeniert. Einige Offiziere führen eine scherzhafte Diskussion über die Nationaleigenschaften der Polen. Kein Drama, nur eine Unterhaltung und die überraschenden Reaktionen der Teilnehmer - das entsprach genau dem Medium des Fernsehens. Man hätte dieses Stück weder im Theater noch auf der Leinwand zeigen können.

Janicki: Warum?

Munk: Weil die gesamte Diskussion lediglich vom Wort getragen wird. Der Fernsehzuschauer hört gerne Unterhaltungen mehrerer Personen zu (das ist ein Erbe des Radios). Zum anderen sind Stücke mit der Einheit von Ort und Handlung sehr günstig für das Fernsehen. Die Erzählung von Pruszynski erfüllte beide Bedingungen. Für den Film wäre sie zu monoton gewesen - der Kinozuschauer liebt es zu "schauen". Aus technischen Gründen ( die Grösse des Fernsehschirms) ist man ferner dazu gezwungen, auf die Totale zu verzichten. Im Film kann man sogar dramatische Szenen in der Totale filmen; im Fernsehen wären sie nicht mehr zu erkennen. Wenn die technischen Hindernisse überwunden sind, wird sich das Fernsehen dem Film annähern. Ob es dann zum Kino wird? Ich glaube nicht. Vielmehr wird sich dann eine eigene Fernsehsprache herausbilden. Vergessen wir nicht, dass eine Filmvorführung im allgemeinen von einem Kollektiv gesehen wird. Die Zuschauer beeinflussen sich gegenseitig in ihren Reaktionen. Vor dem Fernsehschirm sitzen immer nur kleine Gruppen. Meiner Meinung nach wird auch diese Tatsache die Entwicklung einer spezifischen Fernsehsprache beeinflussen müssen.
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Richard Lesters Kniffe

Noch ist sein Kopf, trotz lorbeergebietender Dreiviertelkahlheit, nicht ins Pantheon der Cinéasten-Handbücher eingegangen. Sadouls ,Dictionnaire des Cinéastes', vor knapp einem Jahr erschienen, weiss nichts von einem Lester, der damals schon, immerhin, neben zahlreichen Fernsehinszenierungen, drei Filme gedreht hatte, an denen Kenner heute - nachträglich - die Klaue des Löwen zu spüren meinen: den Kurzfilm THE RUNNING, JUMPING AND STANDING STILL FILM mit Peter Seilers sowie die Spielfilme THE MOUSE ON THE MOON und IT 'S TRAD, DAD.

A HARD DAY'S NIGHT (Yeah ! Yeah ! Yeah !, 1964), Dick Lesters erster Film mit den Beatles, war ein Überraschungserfolg, nicht so sehr deshalb, weil man es für unmöglich gehalten hatte, einem so angestaubten Genre, wie es der musikalische Unterhaltungsfilm nun einmal ist, noch einmal Glanz zu verleihen, sondern weil Lester sich als ein liebevoll-kritischer Kopf erwies, der in gefälliger Verpackung eine gesellschaftliche Deutung der Beat-Szene zu liefern unternahm, also einer jener spezifischen Jugendsubkulturen im Industriezeitalter, deren Impulse, Aufbegehren, Escapismus und manipulierter Konsumzwang sich zu einem für den Erwachsenen nur schwer entwirrbaren ideologischen Brei verquirlen und den Soziologen, je nach politischem Engagement, Gelegenheit zu larmoyanten oder optimistischen Kommentaren geben (wobei die linken und die rechten Spiesser in der gleichen Tonart singen). Lesters Methode ist dialektisch: er führt Pattems sozialen Verhaltens vor, die sich selbst ad absurdum führen und so ihre eigene Kritik liefern; und sie ist antikulinarisch: die sich häufenden, sich jagenden, sich überschlagenden Gags werden nicht ausgekostet, sondern heben sich gegenseitig auf und bringen so den Zuschauer um den Genuss, sich im befreienden Lachen bestätigt zu finden. Lachen in Lesters Filmen ist stets ersticktes Lachen.

A HARD DAY'S NIGHT: hier wird die Beat-Kultur als eine spielerische Revolution gefeiert, die, weit davon entfernt, sich im ohnmächtigen Protest gegen die Arbeitswelt der Erwachsenen zu erschöpfen, sich ihr Freizeitreich in den Lücken erobert, welche die Macht lässt, und dabei den Erwachsenen, jenen selbstquälerischen Fossilien der versteinerten Verhältnisse, die schuldige Respektlosigkeit zollt. Die Lesterschen Beatles, weit selbst von dem resignierten Pathos des Theaters der zornigen jungen Männer und der Richardson-Filme entfernt, sind revolutionäre Harlekine, die auf die traditionelle Eroberung der Macht, auf Besetzung von Radio, Telegraph und Zeitung, verzichten und deren Insurgenz sich darin erschöpft, die Autorität am Bart zu zupfen und dem sorgsam zementierten Dualismus der Geschlechter in der bürgerlichen Gesellschaft ein falsettierendes Krakeel entgegenzusetzen.

Erweist sich Lester in A HARD DAY'S NIGHT als Ideologe dieser escapistischen Jugendkultur, der sich - so scheint es - emphatisch, wenn auch augenzwinkernd auf die Seite der Jungen schlägt, so konfrontiert er in THE KNACK (Der gewisse Kniff, 1964) eine gelungene Revolution mit ihren eigenen Problemen. Die Popkultur hat sich etabliert, die Erwachsenen sind in die Rolle staunender oder dümmlich kommentierender Zuschauer abgedrängt, die Jungen - diesmal schwarzweiss und ohne die Beatles - sich selbst überlassen. Ihr Reich erweist sich noch immer dem der Erwachsenen überlegen: Spontaneität, Vitalität, "eine gewisse Noblesse, eine Atmosphäre, in der die Freiheit regiert, in der die Dinge sich entwickeln" (Lester), aber auch in Gefahr, an den gleichen Problemen zu scheitern: "A HARD DAY'S NIGHT ist eine Studie über die selbstverständliche Kommunikation zwischen vier Personen. Ich möchte damit sagen, dass die Beatles nicht einmal mehr miteinander zu sprechen brauchen, um sich zu verstehen. Dagegen ist THE KNACK ein Film über die Kommunikationslosigkeit der jungen Leute unter sich: sie sind in einem Zimmer, und jeder spricht für sich, jeder spricht von etwas anderem, ohne den anderen zuzuhören _..." (Lester). Diese Tragikomödie der Kommunikationslosigkeit enthüllt sich vor allem im Dialog. Lester hat ihn so angelegt, dass es unmöglich ist, den einzelnen Gesprächsträhnen zu folgen; aus den Gesprächsfetzen, die das Filmpublikum auffängt, und die, je nach der Aufmerksamkeit, die man einzelnen Personen im Film zollt, sehr verschieden sein werden, ergibt sich eine Art von Superdialog, "ein Strom von Absurditäten", aber zugleich mit einem neuen Sinn, der sich nicht um die Handlung schert und zu ihr einen fortlaufenden kritischen Kommentar gibt.

Vor allem aber ist THE KNACK eine in den Details möglicherweise surrealistische, in der Tendenz boshafte, aber im Ganzen keineswegs outrierte Studie über das erotische Verhalten junger Leute im geschlossenen Zirkel ihrer Popkultur: und so sind diese Jungen, in einem Salto mortale der Anpassung, genau wie die Alten. Das Leistungsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft hat sich, in einer schon in ihr wahrzunehmenden, wenn auch durch ihre Lustfeindlichkeit gebremsten Tendenz, aufs Gebiet des Sexuellen verlagert. Was Lester, der Interviewpartner, möglicherweise nicht durchschaut, sagt jedoch sein Film: auch seine Jungen entgehen nicht dem Verhältnis von Herr und Knecht. Ihre sexuellen Beziehungen sind, wie eh und je, auf Herrschaft ausgerichtet. Tolen, der Schlagzeuger, der He-man mit den Attributen der Männlichkeit, Lederkleidung und Motorrad, schwingt die Peitsche: seine Matratze ist ein feudales Imperium. Colin, der ,sexuelle Versager' (dieser Begriff hat eine Schlüsselstellung in diesem Film wie nur der Begriff des underdogs im amerikanischen, gelangt, am Schluss des Films, nur deshalb in den erotischen Sattel, weil Nancy, die Unschuld vom Lande, das nicht Geschehene und so heiss Ersehnte, nämlich die .Vergewaltigung', in einem begreiflichen Irrtum auf ihn projiziert. Tom, ein zweiter ,Versager', der die Geschehnisse reflektiert und kommentiert, ist auch in der Welt der Jungen ein Pinscher, nimmt in ihr nicht an der Macht teil; und in dieser Welt greift die Frau, auch hier nur Objekt, auch hier nur Unterdrückte, zur Waffe der Ratten: zur Erpressung, die das Jungfernhäutchen als Faustpfand benutzt. Die jungen Mädchen, die auf Tolens Treppe Schlange stehen, in bräutliches, opferbereites Weiss gekleidet, werden in fünf Jahren, dem erotischen Dunstkreis Tolens entgangen, dem Dunstkreis der Macht, der etablierten Verhältnisse verfallen und das konsumieren, was ihnen die Werbung, das wählen, was ihnen ihr ,Gatte' oder der Herr Pfarrer rät. Der Kalte Krieg zwischen Tolen und Roary McBride, den sexuellen Grossmächten, spielt sich in Kategorien ab, die uns aus der Tagesschau nur allzu bekannt sind. Und die Niederlage Tolens am Ende, eine glänzende komödiantische Interpretation der Situation, in der Sexualneid in Moral umschlägt, findet ihr perfektes Pendant in den von Krokodilstränen aufgelockerten Sonntagsreden unserer Politiker. Lesters komödiantische Revolution findet nicht nur nicht statt, sie ist schon am Ziel. Sie hat die glorreichen Errungenschaften der kapitalistischen Gesellschaft vorweggenommen. Es ist genauso, wie die kommentierenden Erwachsenen angesichts der durch die Strassen fegenden jungen Leute meinen: sie sehen fast aus wie Menschen, das heisst: wie sie selber.

Was äusserlich wie eine Serie intelligenter, die Realität ständig als Schein entlarvender Gags, in seiner kritischen Tendenz wie ein Thesenstück aussieht, ist in seinem dramatischen Aufbau ganz altmodisch, fast ,Commedia dell' Arte'; ein Rollenstück, in der sich die Handlung nicht konsequent aus sich selber, sondern aus dem Typencharakter der Personen entwickelt. Fast goldonihaft etwa die Szene (während einer Verfolgungsjagd), wo Verfolger und Verfolgte ständig aus einer (im Freien aufgebauten) Sequenz von Türen herauskommen und wieder in ihnen verschwinden, sich ständig verfehlen, Türen, die nirgendwo hinführen, und dann plötzlich die Zweckbestimmung einer Tür überraschend ad oculos demonstriert wird, wenn hinter einer von ihnen plötzlich ein Familienidyll erscheint. Diesem barocken Charakter der Komödie entspricht eine Kameraführung, die recht konventionell auf die Fassade ausgerichtet ist und sich nur gelegentlich selbst desavouiert, indem sie ihre Konventionen auf die Spitze treibt.

In HELP (Hi-Hi-Hilfe!, 1965) ist dann die Kamera wieder gezügelt losgelassen; distanzierter zwar als im ersten Beatle-Film, wo sie gewissermassen als ,fünfter Beatle' delirieren durfte, aber dafür umso mehr von ihren eigenen technischen Möglichkeiten berauscht, dem Spiel mit der Unscharfe, mit den Farben. Wurde schon in THE KNACK Wirklichkeit nur zitiert, hier wird sie, in einzelne Elemente zerstückelt, jubelnd als Versatzstück der Wirklichkeit, als glücksbringender Talisman der Jndustry of Human Happiness', als plakatierende Anpreisung ihrer selbst serviert. Insofern ist HELP!, viel konsequenter als etwa die Filme de Brocas, filmische Pop-art, verwirklicht auf dem Gebiete des Films das, was in Liverpool, der Heimat der Beatles, Maler wie Adrian Henri und Sam Walsh, Dichter wie Brian Patten, versuchen. Ganz deutlich wird dies dort, wo solchen Versatzstücken, aus ihrem funktionellen Zusammenhang gerissen (wie in den Gemälden und Gedichten der Pop-Artisten), neue Funktionen zugewiesen werden: die Umhüllung von Wrigley's Chewing Gum wird für den geschrumpften Paul McCartney zum Feigenblatt, der dem Automaten entströmende Orangensaft zum Waschwasser, der Aschenbesser zum Bassin. Hochspezialisierte Gadgets der Zivilisation verwandeln sich in reissende Wölfe: etwa der elektrische Handabtrockner, der Ringo die modischen Klamotten vom Leibe reisst; während die aufwendigen Konstruktionen der britischen Wissenschaft sich als ebenso unnütz erweisen wie die schönen Apparate des Monsieur Tinguely. Natürlich wird hier die schöne neue Welt Frank Tashlins und die weniger schöne der Bondfilme aufs Korn genommen. HELP! ist inhaltlich wie formal auf weite Strecken ganz offensichtlich als Bond-Parodie angelegt, wobei allerdings die sadistischen Pointen umfunktioniert werden: ein Ringo-Verfolger auf Skiern erwischt nach einem grossen Sprung zwar nicht das Opfer, aber er landet auf dem ersten Platz eines gerade stattfindenden Skisprungs.

In der gesellschaftlichen Interpretation der Beat-Kultur als einer Anpassung auf Umwegen geht Lester noch ein Stück weiter als in THE KNACK. Gab A HARD DAY'S NIGHT ihr eine optimistische Interpretation als dem gelungenen Versuch, sich dem Herrschaftsanspruch der Erwachsenenwelt und ihren selbstzerstörerischen Widersprüchen zu entziehen, indem man sie als antiquiert beiseiteschiebt; versuchte THE KNACK eine immanente Kritik dieser Jugendkultur, indem er ihren revolutionären Charakter als nur fingiert entlarvte (wobei Lester keinen Zweifel daran lässt, dass dieser ,Revolution' als der zur Zeit einzig möglichen seine ganze Sympathie gehört); so zeigt HELP! die gelungene Anpassung, den Aufstand der Kellerkinder am Zieh die Beatles als nationale Institution, als kostbare Devisenbringer und umworbene Bosse der Jndustry of Human Happiness'. Es ist also nur konsequent, wenn Richard Lester seinen Film formal als Parodie auf Filme des Abenteuer- und Kriminalgenres aufgezogen hat, also auf besonders affirmative Produkte der Bewusstseinsindustrie.

Er geht den Holzweg de Brocas und macht Fehler, wenn auch nicht die gleichen wie dieser. Die Story, gewiss nur Vorwand, steht dabei einer konsequenten Durchführung, die man THE KNACK immerhin zugutehalten muss, ebenso konsequent im Wege: Ringo Starr, der Schlagzeuger der Beatles, von mittelmässigen Geistes- und Trommlergaben, aber als Popularitätsfetisch der grossen Vier unersetzlich, wird von geheimnisvollen Mächten bedroht. Der Hohepriester einer exotischen Sekte vermisst den für seine Menschenopfer benötigten Ring, und natürlich findet er sich an Ringos juwelenfunkelnder Hand. Ohne Ring kein Opfer, ohne Opfer kein Hohepriester; der Ring muss her, das ist eine Frage kirchlicher Selbstbehauptung. Schon schwärmen die Agenten aus, das existenzsichernde Requisit, solo oder gleich mit anhängendem Ringo als gottgewolltem Opfer, wieder in ihren Besitz zu bringen. Anschläge, mit umständlicher Bond-Technik ins Werk gesetzt, misslingen; aber ebenso misslingen die nicht weniger umständlichen Versuche der Beatles, sich des gefährlichen Stückes zu entledigen: der Ring sitzt fest. Die Beatles wären nicht, was sie geworden sind, wenn sie nicht damit umgingen, ihren unbequem gewordenen Trommler zu opfern (George: "Du, ich kenn 'nen prima Schlagzeuger in Manchester") oder doch wenigstens seinen Arm, seine Hand, seinen Finger. Aber am Selbstbehauptungswillen des armen Ringo, der um so unüberwindlicher ist, als er sich gar nicht erst mit Verstandesargumenten tarnt, scheitert die sophistische Überredungskunst der beiden Beatle-Intellektuellen John und Paul. Die Beatles, die Devisenbilanz, die nationale Existenz sind bedroht: der Buckingham-Palast ist als Refugium, Scortland Yard als Schutzmacht gerade gut genug, und mit der Escalation der feindlichen Tricks wächst das Aufgebot der Nation. Unter dem schützenden Arm der Armee, mit schussbereiten Panzern, vollzieht sich eine Plattenaufnahme der Beatles auf freiem Felde, und um den armen Ringo aus dem Rachen des Bilderbuchtigers zu retten, singt die ganze Nation Beethovens ,Lied an die Freude', das somit zum Beruhigungsmittel wird. Der letzte Akt vollzieht sich, bondgleich, auf den Bahamas, wo sich die Agenten beider Seiten ihre Tricks liefern. Das Tempo des Ablaufs, die Turbulenz der Gags steigern sich, wie bei Stanley Kramer, gelegentlich zu völliger Windstille. Lester, weniger kritisch als seine Filme, ist ein Meister in der Kunst, ein Publikum um die Befriedigung zu bringen, sich und seine Erwartungen bestätigt zu finden. Er dreht der Gesellschaft eine Nase, indem er sich scheinbar auf ihre Seite stellt und seinen jugendlichen Pop-Fans, indem er ihnen den dritten und letzten Akt ihrer eigenen Auflehnung als das präsentiert, was er ist: Anpassung gleich Niederlage, verzuckert durch Konsum - Konsum an Automaten. Lester, im Feuerofen der TV-Werbefilmproduktion zu einem erfreulichen Talent mittlerer Güte gereift, aber doch besser als das meiste, was heutzutage als Meisterwerk herumgereicht wird, hat sich offenbar in eine Sackgasse verrannt.

Überzeugend sind seine Filme in der bildlichen Gestaltung sozialpsychologischer Begriffe, etwa in HELP! der des Narzissmus (eines Schlüsselbegriffs für die Beatkultur). Wenn nämlich John Lennon, anscheinend vom Wissenseros getrieben, auf eine Bücherwand voller Folianten zuschreitet, nach langem Suchen mit verklärtem Gesicht sein eigenes Werk ,A Spaniard in the Works' herausnimmt und sich damit auf seine Superknollschlafcouch zurückzieht (wo schon zwanzig Exemplare des gleichen Werkes herumstehen), dann dürfte auch der unbedarfteste Fan sein Aha-Erlebnis haben.       Gerold Dommermuth
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Filmliteratur

Filme 1962/64 - Kritische Notizen aus drei Kino- und Fernsehjahren; Handbuch VII der Katholischen Filmkritik. Verlag Haus Altenberg, Dusseldorf Seiten, DM 36,-.1965; 567

Im Anschluss an die bewährten Nachschlagewerke 6000 FILME und FILME 1959/61 erfasst das neue Handbuch der Katholischen Filmkommission nun die Filme, die in den Jahren 1962-1964 in unseren Kinos gezeigt oder von den Fernsehanstalten ausgestrahlt worden sind. Dieses einzigartige Lexikon, das wie gewohnt (vgl. und ) das gesamte Filmangebot der Berichtszeit mit ausführlichen Produktionsangaben, kurzen Charakteristiken und (problematischen) Bewertungen belegt, referiert ausserdem auch die Auszeichnungen und Prädikate, die internationale Festivals, staatliche, kirchliche und sonstige Institutionen zu vergeben hatten. Auf mehr oder minder erbauliche Beiträge - die noch den vorigen Band verunzierten - wurde jetzt zugunsten eines ausführlichen "Lexikons der Regisseure" verzichtet. Anhand der Querverweisungen dieses verdienstvollen 120-Seiten-Registers lassen sich mühelos Filmografien der Regisseure (gleich welchen Ranges auch immer) erstellen, deren Filme nach 1945 in Westdeutschland aufgeführt worden sind.       Vö.

Handbuch der Fototechnik - Herausgegeben von Gerhard Teichner, VEB Fotokinoverlag Halle. 2. Auflage 1963. 893 Seiten, 796 Bilder, 94 Tabellen.

Von 23 Autoren wurde der Versuch unternommen, einen Gesamtüberblick über Arbeitsmittel und -methoden der Fotografie, ihrer physiologischen, physikalisch-optischen und fotochemischen Grundlagen zu geben. Wohl alle in der Praxis auftretenden Methoden und Begriffe, aber auch viele spezielle Probleme wissenschaftlicher Fotografie sind z. T. recht ausführlich erläutert oder aber prospektartig erwähnt. Bei den Arbeitsgeräten werden hauptsächlich VEB-Geräte beschrieben, die teilweise nicht mehr von praktischer Bedeutung sind. Die Darstellung der Objektive und ihrer Fehler lässt die Behandlung der ällgemeinüblichen Vergütung, deren Existenz nur nebenbei angedeutet wird, vermissen. Weiterhin ist zu bedauern, dass das Kapitel über Stereofotografie lediglich die konventionellen Methoden beschreibt: so findet man z. B. nichts über zwei russische Verfahren, bei denen der Betrachter auf die sonst obligatorische Brille verzichten kann und sich trotzdem nicht in einem begrenzten Bereich aufhalten muss.

Inhaltsverzeichnis (25 Seiten) und Sachwortverzeichnis (50 Spalten) sind besser aufgeschlüsselt, als man es sonst gewohnt ist. Fehler der Seitenangabe (Reprotechnik 498 statt 489) und falsche Seitenauszeichnung (202 statt 302) sollten in einer zweiten Auflage wie dieser bereits berichtigt sein. Die Nummerierung der Einzelabschnitte des Inhaltsverzeichnisses stellt nicht, wie im Vorwort angegeben, eine Dezimalklassifikation dar, sondern ist eine sehr ausführliche nummerische Unterteilung der einzelnen Kapitel. Das kurze Literaturverzeichnis - wahrscheinlich ist es ein Quellennachweis - zu den einzelnen Kapiteln ist mehr als mangelhaft. Für Spezialfragen vermutet man gerade in einem so umfangreichen Werk Hinweise auf nicht sonst schon bekannte Literatur. Selbst wenn den Benutzern des Nachschlagewerkes nur die erwähnte VEB-Literatur zugänglich ist, so sollten doch die wichtigsten übrigen Werke zumindest angeführt werden.

Dieses Handbuch der Fototechnik kann auch der Filmpraxis als Nachschlagewerk dienen. Sowohl der theoretische Teil (etwa 200 Seiten), als auch die Abschnitte "Belichten, Beleuchten und Filter" sind unter diesem Aspekt interessant, da ja - zumindest gilt dies für den Amateur - meist statisch gearbeitet wird. Auch viele Gesichtspunkte der Mikro- und Makrofotografie lassen sich auf Film übertragen. Die Hinweise für den Aufbau elektrischer Anlagen gelten entsprechend auch für den Film und geben dem Laien hinreichend Auskunft über die in der Praxis auftretenden Fragen.       Bi.

Otto Vierling: Die Stereoskopie in der Photographie und Kinematographie. Stuttgart: Wissenschaft!. Verlagsgesellschaft 1965. 249 S., 137 Abb., eine Anaglyphenbrille. 8°, DM 52,-.

Die Stereoskopie hat vor allem in der Photographie und in der wissenschaftlichen Kinematographie Verbreitung gefunden, wenn es auch einige Methoden gibt, die sich für die kommerzielle und künstlerische Kinematographie eignen und zum Teil auch dafür verwandt wurden. Leider fehlten die Künstler, die diese Darstellungsweise meisterten, und so erschöpften sich die Filme in einigen Gags, und nach jedem Anlauf wurde die Produktion stereographischer Filme, sobald die Gags genügend bekannt waren und nicht mehr wirkten, wieder eingestellt.

Vierling gibt in seinem Buche eine verständliche und exakte Darstellung der physiologischen und technischen Grundlagen. Er führt ausführlich die einzelnen Verfahren vor, wobei auch die geschichtliche Entwicklung, die oft schon im vorigen Jahrhundert einsetzte, nicht zu kurz kommt. In der nächsten Auflage, die diesem Buch zu gönnen ist, wird die neueste Entwicklung aufgenommen werden müssen: das Hologramm mittels Laserstrahlen.

Das ausgezeichnet gegliederte Literaturverzeichnis ist sehr ausführlich und bietet gute Einstiegsmöglichkeiten in diesen Problemkreis.       HBi.

Kurd Alsleben: Aesthetische Redundanz. Quickborn bei Hamburg: Schnelle 1962. 133 S. mit Abb. 8°, DM 19,60.

Untersuchungen auf dem Gebiet der Kybernetik zeigen uns, dass unser Gehirn, um die Überzahl der Einzeleindrücke verarbeiten zu können, sogenannte Superzeichen bildet. Die Summe der Einzelinformationen wird reduziert auf die Information ihrer Gesamtheit. Zum Beispiel erfassen wir beim Lesen nicht mehr jeden Buchstaben einzeln, sondern Wörter bzw. Sätze. Entsprechend besitzen auch Bilder eine mehr oder weniger grosse Redundanz, deren Gesetzmässigkeiten Alsleben in vorliegendem Buch aufzuzeigen versucht. Er beschränkt sich dabei auf das statische Bild, doch gibt er eine Reihe Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung in Bezug auf das dynamische Bild des Films und des Fernsehens. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, ein Filmseminar über "Informationstheorie und Film" abzuhalten; unerlässlich (wenn auch nur für das Thema des Bildaufbaues) wäre dazu dieses Buch. Ein ausführliches Literaturverzeichnis (vereinzelt sind Bücher annotiert) gibt weiterführende Literatur an. Zu empfehlen ist die Lektüre dieses Buches allen den Filmkritikern, die auch der ästhetischen Seite des Films die gebührende Aufmerksamkeit schenken.       HBi.


Filmstudio an der Johann Wolfgang Goethe-Universität e.V. und Verband der Industriefilmproduzenten e.V.

veranstalten am 12. und 13. Mai 1966, jeweils 20 Uhr, im Studentenhaus, Frankfurt am Main, Jügelstrasse 1, ein

Industriefilm-Colloquium

mit folgenden Referaten:

Dr. Hans Schaller (stellvertretender Leiter der Abteilung Presse und Information der AEG, Frankfurt am Main):

"Der Industriefilm - modernes Medium der Öffentlichkeitsarbeit"

Hans-Joachim Ruths (Deutsche Industrie- und Dokumentarfilm GmbH., Düsseldorf):

"Kunst oder Kalkül - über die Produktion von Industriefimen"

Erik Wernike (Industriefilm-Regisseur, München):

"Kunst und Kalkül - über die Gestaltung von Industriefilmen"

und den Filmbeispielen:
Hochspannung - Hochleistung
253.000 Stunden
Der Weg nach Multan
Der heisse Frieden
Nur der Nebel ist grau
Der 3. Faktor

Alle Filme waren deutsche Beiträge für internationale Industriefilm-Festival: in Rouen - Wien - Venedig - London - New York u. a.
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Rückumschlag

Fällig ist die Einsicht in das Geschaffene, der Versuch seiner theoretischen Formulierung. Ihr Ziel ist der Aufweis neuer Formen, denn die Geschichte der Kunst wird nicht von Ideen, sondern von deren Formwendung bestimmt.       Peter Szondi
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Kummer mit den Frauen
Strange Bedfellows
(Fremde Bettgesellen), USA 1964; Produktion und Verleih: Universal; Regie: Melvin Frank; Buch: Melvin Frank, Michael Petwee; Kamera: Leo Tover; Musik: Leigh Harline; Darsteller: Gina Lollobrigida, Rock Hudson, Gig Young u. a.

How To Murder Your Wife (Wie bringt man seine Frau um), USA 1964; Produktion: Murder; Verleih: United Artists; Regie: Richard Quine; Buch: George Axelrod; Kamera: Harry Stradling; Musik: Neal Hefti; Darsteller: Jack Lemmon, Virna Lisi, Terry Thomas, Ciaire Trevor u. a.

Der amerikanische Mann liess sich bisher gern von der Traumfabrik Hollywood sein Traumweibchen, sein Betthäschen bescheren, oben neunzig, unten neunzig, dazu die obszöne Unschuld des gepflegten Blond, den halbgeöffneten Mund, den niedlichen Tonfall, die durch eine korrupte Naivität gezügelte, nie unmässig fordernde Sinnlichkeit, vor allem fähig, die männliche Potenz voll zu würdigen. Doch plötzlich dringt ein anderer, ein leicht verstimmter Ton aus Hollywood. Wie bringt man seine schöngekurvte Frau um? Hat er genug, der amerikanische Mann? Einer ist ein fröhlicher Junggeselle, bis er eines Nachts dem Alkohol so kräftig zuspricht, dass er sie mit ins Bett nimmt, und da es ein amerikanischer Film ist: als fix Angetraute. Sie ist beileibe keine Xanthippe, sie zankt nicht, sie zetert kaum, und wenn sie jener an Geist auch kaum nachsteht, so ist sie doch süss und sexy, eine passionierte Köchin und eine vielversprechende Mama. Sie hat nur einen Fehler: sie kommt aus Italien, dem Lande des für amerikanische Verhältnisse hypertrophierten Temperaments, dem auch die beste Potenz nicht standzuhalten vermag. Marilyns fesselnder Sex mit den Unschuldsaugen wird hier zum entfesselten Sex, wenn auch, da es ein amerikanischer Film ist, weiterhin mit Unschuldsaugen.
Wo das Weibchen ihn sieht, stürzt es sich auf ihn, bringt ihn mit umflortem Blick zum Liegen, ihm wird schummrig vor Augen, dem Zuschauer auch, denn das Bild wird verschwommen, ein Summton, aha, wir wissen Bescheid. Es hat ihn wieder erwischt. Einerseits, was die Liebe betrifft, wird er immer müder, andererseits, was die Küche betrifft, wird er immer fetter. Er gesellt sich in die Horde der amerikanischen Ehemänner.
Das ist der Alptraum des Mannes, dass er den Sex, den er gerufen, nun nicht wieder los wird, dass die Sexualität bei den Frauen ein Anspruch und damit eine Macht wird. Er fürchtet die Herrschaft, die er auszuüben pflegte, nun selbst. Er fürchtet nicht die Emanzipation, denn er kennt sie nicht. Das hassgeliebte Schreckensweibchen repräsentiert nicht den sublimierten, sondern den entfesselten Sex, der in offener Naivität als Natur hervorbricht. Nun er das einst geträumte, nur in Grenzen aktive Objekt sich selbständig machen sieht, findet er es plötzlich inhuman, fühlt er sich angegriffen, zum Konkurrenzkampf herausgefordert. Und er reagiert, so human er kann. Wenn er seine Frau schon nicht umbringt, so malt er es sich wenigstens aus; er tut es zwar ziemlich sadistisch, dafür aber nur in der Phantasie. Es gelingt ihm sogar, das Gericht, vor das er wegen Mordverdachtes zitiert wird, von der segensreich-befreienden Wirkung des Mordes an den landesüblichen Ehefrauen zu überzeugen und seinen Freispruch zu erreichen. Jetzt kämpft nicht mehr ein einzelner Mann auf verlorenem Posten, sondern alle, alle unter ihren Ehefrauen leidenden Männer drängen sich zusammen. Allerdings bilden sie keine Anti-Sex-Liga, denn was Jack Lemmon zustösst, stösst nicht allen zu. Die Furcht vor dem Sex, die unsern Helden umtreibt, ist nur eine Variante der allgemeineren Furcht vor der eigenen Schwäche, Unmännlichkeit und Charakterlosigkeit. Sie kristallisiert sich in der Angst vor einem Typ Frau, wie ihn nur Amerika hervorgebracht hat, der "mom", der starken Mutter, die ihr Söhnchen nie zum Manne werden liess. Auch das hübsche Sexmädchen Virna Lisi verwandelt das geschmackvoll karge Haus ihres übertölpelten Junggesellen sogleich in ein Pflegenest, das fast überläuft von Mütterlichkeit. Angeleitet wird sie, die Italienerin, von einer in Wohltaten versierten Amerikanerin, die weiss, wie man sich seinen Mann zum Männchen macht. - Es geschieht ihnen ganz recht, dass sich die Männer im Gerichtssaal durch den Freispruch des Helden, der angeblich seine Frau ermordete, symbolisch ihrer Fesseln entledigen. Wenn diese sich nur nicht wie Kinder benähmen, die Mammi mal den Tod wünschen und dann doch die Tränen des schlechten Gewissens fühlen, wenn 's Ernst werden könnte. Und so ergibt sich 's denn auch hier: da dem Helden das Häschen entflohn, das Bettchen leer ist und die Freiheit winkt, da fällt 's wie Liebe in sein Herz. Was vorher blanke Not war, das wird nun Einsicht in die Notwendigkeit. Endgültig fällt die Tür ins Schloss.
Hier herrscht die Frau zu Hause im Privaten, wie aber, wenn sie den Mann auch bei der Arbeit bedroht? Was sich dort abspielt, muss sich bis in die privaten Beziehungen auswirken. Hollywood pflegt so auch die Ehe als institutionalisierten Ringkampf darzustellen, der, wie es scheint, den ökonomischen Machtkämpfen nachgebildet ist. Die Frau ist Konkurrentin bei der Arbeit und so auch bei der Liebe.
Um einen solchen Kampf erfolgreich zu bestehen, bedarf es natürlich eines anderen Typs als dieses Jack Lemmon, und Hollywood fand ihn in Rock Hudson. Er ist in jeder Beziehung Spitzenklasse. Er wird auch mit schwierigen Fällen fertig. Um einen solchen schwierigen Fall handelt es sich z. B., wenn das schöne Gegenüber den Mund auftut und nicht nur sagt: Let 's make love, sondern wenn sich dem sexuellen Temperament, dem sich Hudson natürlich voll gewachsen zeigt, ein wenig geistiger Zündstoff zugesellt, dem sich Hudson nicht so recht gewachsen fühlt. Natürlich ist der amerikanische Mann auf Seiten von Hudson, denn er ist der Traummann, der sich sportlich zur High Society hinaufarbeitet, trotz dieser Anstrengung nicht draufgeht und auch noch sein Privatleben voll leistungsfähig bewältigt, toller Kerl.
Dabei hat er es mit ihr nicht leicht, denn immerhin ist sie für die Freiheit der Kunst und engagiert sich politisch; aber unterstützt durch die Regie wird Hudson mit ihr fertig. Wie gut, dass er mit ihr nie ernstlich über moderne Kunstwerke diskutieren muss. Die Regie hilft ihm, dem sicher nicht viele Argumente eingefallen wären, so: sie zeigt einen Künstler, dessen Plastik in der Öffentlichkeit umstritten ist, als geilen Gecken, lässt ihn zu einer alten Schachtel ins Bett steigen, ihn von dieser verprügeln, und schon sind Hudson die Argumente erspart geblieben; kein Mensch mehr möchte das Machwerk von so einem sehen. Ausserdem zeigt man, dass "Freiheit des Ausdrucks" eine stehende Formel in dem doch eigentlich so schönen Mund der Heldin ist und hat bewiesen, dass das, was jemandes Klischee ist, nichts sein kann. Man macht die Leute komisch und freut sich, dass man die Sache auf so leichte Weise erschlagen kann. Der alte Banausentrick.

-Der Sieg des Helden ist sicher. Jedoch hat sich die Trivialität mit zuviel Hokuspokus eingelassen und ihr eigentliches Reich, das Banale, schon um soviel verlassen, dass sich die Ordnung nicht mehr recht einstellen will. Dass eine am italienischen Temperament der Lollo zugrundegegangene Ehe auf jeden Fall gekittet werden muss, wenn eine blitzsaubere Familie die Bedingung für den gesellschaftlichen Aufstieg des Mannes ist, das will dem Realisten noch einleuchten; dass das aber mehr als Schein sein kann, das glaube ein anderer. Natürlich wär 's schön, wenn der Mann sein nun ganz sanftes Weibchen in die Arme schliessen könnte, wenn sie fürder nicht in gewagten Demonstrationen, z. B. im hautfarbenen Trikot durch London reitend, ihre Schönheit im Kampf für die Freiheit der Künste, sondern für die Pflege der public relations der Oil Company einsetzen würde. Er im top management und sie auf den nötigen Partys, und beide immer strahlend schön und glücklich _... so ist es eingefädelt in dem Film, und so will es auch das Schlusshappyend suggerieren. Aber leider, leider gibt es logischerweise eigentlich kein happy end. Mit dem Einsatz italienischen Temperamentes zur Aufmöbelung der Normalehe, die der Zuschauer auch zu Hause haben kann, hat sich die Regie in die Sackgasse geritten. Wenn, wie geschehen, die künstlerischen und politischen Ambitionen der schönen Italienerin als Temperament, also als Natur ausgegeben werden, dann wird sich da auch gar nichts ändern lassen, denn Natur ist eben Natur. Aber Hollywood führt seinen Streich mit eherner Stirn: das Temperament der Schönen wird in Zielrichtung Erdölgesellschaft umfunktioniert. Hollywood öffnet seine Wundertüte und holt sie wieder einmal hervor: die Liebe. Des Helden Liebesgeständnis in aller Öffentlichkeit, sein Wille, ihretwegen sogar die Karriere aufzugeben, machen sie weich. Nein, das darf doch nicht sein. Der Zuschauer geht befriedigt von hinnen und merkt vielleicht nicht einmal, dass da ein Film zusammengekittet wurde, der aus allen Fugen springt. Was am Ende Liebe sein sollte, das war den ganzen Film hindurch Karrieremacherei, aber da alle Bemühungen des strebsamen Mannes, seine Frau im Zaum zu halten und damit seine Karriere zu sichern, misslingen, hilft zuletzt nur noch die Liebe. Und weil der Chef so gerührt ist ob so vieler Liebe, da dankt er 's ihnen.
Wenn er aber meint, der amerikanische Mann, dass das, was Hudson gerade noch mit einem blauen Auge schafft, auch ihm möglich sei, so hat er sich ein bisschen übernommen. Deshalb: Schuster, bleib bei deinem Leisten, bleib bei Doris Day.
Sie ist die Frau, die gesellschaftlich avanciert ist, die z. B. in den Werbeagenturen der Madison Avenue ihre Waffen wetzt und Dir als hartgesottene Spezialistin entgegentritt. Wenn Doris Days Kurven auch nicht in die Augen springen, so ist sie dafür moralisch gut gepolstert. Gepflegt, adrett und unbekümmert, fasst sie die Liebe und den Kapitalismus streng moralisch auf. Konkurrenzkampf ja, aber mit fairen Mitteln. Und wenn hier geschludert wird, dann packt sie zu. Dann lässt sie ein ganzes Unternehmen und eine schöne Liebe in die Luft gehen. Wenn da nicht noch Rock Hudson wäre, er, der Potente, der nur gewartet hat auf sie, die Patente. Er gibt sich sublim, sensibel, gelehrt, und fast hat er sie im Bett und damit aus der Konkurrenz, wenn es nicht ein amerikanischer Film wäre, in dem die Jungfräulichkeit gewöhnlich nicht ohne Trauschein verlorengeht. Entweder es steigen ihr im letzten Moment rote Pusteln aus dem Unterbewusstsein ins Gesicht oder sie entdeckt gerade noch, dass sie einen netten, nur scheinbar schüchternen Mann führen wollte, der in Wahrheit sie verführen wollte. So muss schon der Alkohol herhalten, der sie um den Verstand, vors Standesamt und in seinen Pyjama bringt. Zwar bleibt sie sich treu, wenn sie nach der trüben Entdeckung die Ehe annuliert, aber es folgt Kindersegen, und gerade noch in den Eröffnungswehen kann er sie überreden, kein uneheliches oder genauer: nacheheliches Kind zu bekommen. Die Familie ist gerettet, und es bewahrheitet sich eine alte Regel: man entledigt sich seines Konkurrenten schnell und schmerzlos auf eine geradezu feine Weise, indem man mit ihm ein Familienunternehmen gründet.
Die Liebesfilme Hollywoods spiegeln eine entscheidende gesellschaftliche Veränderung: den gesellschaftlichen Aufstieg der Frau. Und da die Filme im wesentlichen von Männern produziert werden, enthalten sie die männlichen Reaktionen auf diese Emanzipation: es ist die Reaktion der Furcht. Die Unfähigkeit, das Selbständigwerden der Frauen als eine Bereicherung auch ihres Lebens zu begrüssen und zu fördern, entspringt einem Denken in Kategorien der Herrschaft. Ganz offensichtlich stehen die Männer hier aber auch unter einem objektiven Zwang; denn so armselig es ist, den Befreiungsprozess misstrauisch hindern zu wollen, so realistisch ist es doch, in ihm eine Herausforderung der eigenen geistigen und physischen Leistungsfähigkeit zu sehen und zu fürchten. Denn der Aufstieg der Frauen vollzieht sich im System der gesellschaftlichen Arbeit, und das heisst vor allem: sie werden zu Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt. Damit aber stehen sie unter Bedingungen, die ihrer Freiheit notwendig auch repressive Züge verleihen müssen.
Doris Day repräsentiert die Frau, der die Anpassung an die Arbeitssphäre gelungen, die dem Mann eine ernstzunehmende Konkurrentin geworden ist. Sie ist besonders deshalb gefährlich, weil sie etwas in den ökonomischen Kampf einsetzt, das eigentlich der Privatsphäre zugehört, nämlich ihre Moral. Ihre Forschheit, Unbekümmertheit und Aufgeklärtheit ist durchsetzt von einer kleinbürgerlichen Moral, die nicht nur individuelles Attribut der Doris Day, sondern eines der an die Familie gebundenen Frau ist. Was die Familie festigte und die Rolle der Frau in der Familie stärkte, das wirkt in der Arbeitssphäre antiquiert. Dennoch ist sie auch hier als Ideologie wirksam und, sofern es Frauen sind, die sie ernstnehmen, eine im Konkurrenzkampf nicht zu unterschätzende Realität. Denn es gilt ganz allgemein, dass die Frauen in den Arbeitsprozess ihre historisch ältere Rolle mitbringen; indem sie sich dort einnisten, durchdringen sie sie mit Privatheit, weben sie mit am Netz der human relations. Und so liegt es auch nahe, dass Rock Hudson den Konkurrenzkampf ins Private verlegt und im gentleman agreement der Ehe das Kriegsbeil zu begraben sucht. Damit allerdings ist die Frau keineswegs wieder in die Familie abgeschoben, denn so leicht gibt sie die gesellschaftliche Stellung, die sie sich erkämpft hat, nicht auf; so ist der ökonomische Schlusspunkt der Geschichte denn auch die gemeinsame Gründung einer eigenen Werbeagentur.
Die durchgängige Selbstbewusstheit der Frauen scheint dem amerikanischen Mann Probleme aufzubürden, die sein Ich erheblich angreifen. Wenn die Einfuhr italienischen Temperamentes auch eher dem ökonomischen Kalkül Hollywoods denn einer männlichen Angstpsychose entspringt, so hat man die fremde Bettgesellin doch mit Zügen ausgestattet, die - so wenig glaubhaft sie auch durch die Darstellungskünste Gina Lollobrigidas werden - der nicht nur selbstbewussten, sondern auch intellektuell anspruchsvollen Frau zugehören, einem Typus also, der eine nicht ungefährliche Herausforderung sowohl im Beruf als auch in der Familie bedeutet. Der Anspruch der Frau auf einen eigenen Lebensstil kann eine Ehe solchen Spannungen aussetzen, dass die Karriere des Mannes auf unteren Positionen beendet ist; denn anscheinend werden führende Stellungen nicht gern Männern anvertraut, die zu Hause nicht zu führen wissen. So muss sich der Mann nicht nur in der Arbeit, sondern auch zu Hause bedroht fühlen.
Und wird es nicht vollends über ihm zusammenbrechen, wenn an ihn auch noch sexuelle Ansprüche gestellt werden, wenn die Frau, von der man im Beruf eine gewisse Entfaltung ihrer Reize erwartet, die Männer genauso zu betrachten beginnt, wie diese sie; wenn sie also vergleicht und ihren Mann einer Konkurrenz aussetzt, der er, da für ihn Konkurrenz und Leistung einander bedingen, nur durch physische Leistungsfähigkeit standzuhalten vermag? Dann entstehen Filme wie HOW TO MURDER YOUR WIFE, in denen des Mannes sexuelle Wunschträume in Alpträume umschlagen.       Dietlind Reck

ES

Deutschland 1965; Produktion: Horst Manfred Adloff; Buch und Regie: Ulrich Schamoni; Kamera: Gerard Vandenberg; Schnitt: Heidi Rente; Darsteller: Sabine Sinjen, Bruno Dietrich; Verleih: Atlas.

Noch vor seiner für März geplanten Uraufführung hat der deutsche Spielfilm ES von Ulrich Schamoni ungefähr alles erreicht, was ein deutscher Film erreichen kann. Die Filmbewertungsstelle der Länder verlieh ihm, auf Anhieb in erster Instanz, das Prädikat "Besonders wertvoll". Die deutsche Filmwirtschaft nominierte ihn für den "Oscar"-Wettbewerb. Der Prämienausschuss des Bundesinnenministeriums sprach ihm eine Prämie von 200 000 Mark zu. Der paritätische Auswahlausschuss bestimmte ihn zum offiziellen deutschen Beitrag bei den Filmfestspielen in Cannes.
In Zeitungen und Zeitschriften, in Rundfunk- und Fernsehprogrammen erschienen in nicht mehr übersehbarer Fülle Interviews und Reportagen, Szenenausschnitte und Bilder aus dem Film. Die Zeitschrift "Filmkritik", die 1965 in ihren Berichten über die Oberhausener Kurzfilmtage Schamonis mit drei Preisen ausgezeichneten Kurzfilm über die Dreharbeiten zu einem Hollywood-Monstrefilm noch nicht einmal erwähnt hatte, schmückte ihre Februarausgabe 1966 mit einem Titelfoto aus ES - und behauptete im redaktionellen Teil fälschlich, der Film sei ohne Drehbuch entstanden; das Konkurrenzorgan "Film" kürte ES zum "Film des Monats".
Wie ist dieser Film, wie ist er entstanden, wer ist sein Regisseur?
Ulrich Schamoni, Jahrgang 1939, ist der jüngste Spross einer gleicherweise an den Umgang mit Filmen wie mit Preisen gewöhnten Familie. Sein Vater, Dr. Viktor Schamoni - der im Krieg gefallen ist, schrieb die erste deutsche Dissertation über ein Filmthema. Sein ältester Bruder Viktor, als Kind Darsteller in dem Pola-Negri-Film "Tango Notturno", erhielt soeben bei dem Adolf-Grimme-Wettbewerb in Mari eine Auszeichnung für seine künstlerische Kameraführung in einer Fernsehreportage. Der Zweitälteste Bruder Peter, der 1966 mit seinem Spielfilm "Schonzeit für Füchse" debütieren will, errang mit seinen Kurzfilmen zahlreiche nationale und internationale Preise. Sein dritter Bruder Thomas wurde für seinen Kurzfilm "Charly May" mit einer besonderen Prämie ausgezeichnet.
Ulrich, der jüngste, versuchte sich zunächst auf dem Feld der Literatur. Sein Primaner-Roman "Dein Sohn lässt grüssen" (Herbigsche Verlagsanstalt 1961) brachte ihm eine dreispaltige Rezension durch Friedrich Sieburg in der "FAZ" und das Verbot durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdendes Schrifttum ein. Mit grüssenden Kindern hat Ulrich Schamoni seither Pech gehabt. Auch für sein Drehbuch "Schöne Grüsse, Deine Tochter", ein im Schwabing-Milieu angesiedeltes Lustspiel um vier Brüder und ein Mädchen, fand er in Bonn keine Prämienbereitschaft. Ohne Prämie und ohne Verleihgarantie begann er im Herbst 1965 dann seinen Spielfilm ES. (Der "Atlas"-Verleih erwarb den Film erst nach der Fertigstellung für seine "Staffel".) Produzent und Finanzier war der im Maklergeschäft vermögend gewordene Münchner Bildhauer Horst Manfred Adloff, den die kontaktfreudigen Brüder Schamoni beim Fasching kennengelernt hatten und der in ES in einer Nebenrolle als Grundstücksmakler zu sehen ist. Gedreht wurde, mit einer Arriflex-Kamera, in 24 Tagen; gekostet haben dürfte der Film - Schamoni wird bei dieser Frage etwas schweigsam - zwischen 300 000 und 400 000 Mark.
Der Film entstand auf Berliner Strassen und Plätzen, vor allem aber in der Wohnung des Regisseurs, in dem bei Hans-Jürgen Pohland am Kurfürstendamm gemieteten Produktionsbüro sowie in einem am Wochenende aus Gefälligkeit überlassenen Architektenbüro.
Als Kameramann hatte Schamoni den Holländer Gerard Vandenberg gewonnen. Bei der Zusammenstellung seiner Darstellerliste aktivierte er mit Erfolg all die Beziehungen, die er als Regieassistent bei William Dieterle, Hans Lietzau und vor allem bei Rudolf Noelte hatte anknüpfen können. Berühmte Bühnenschauspieler wie Tilla Durieux und Bernhard Minetti traten "als Gäste" vor die Kamera. Kleinere Rollen wurden aus dem Familien- und Freundeskreis des Schamoni-Clans besetzt. So übernahm die den Schamonis seit langem verbundene Heidi Rente zusätzlich zu ihren Aufgaben als Regieassistentin und Cutterin noch die Darstellung einer ehemaligen Freundin. Der Regisseur selber kommt, nach berühmtem Vorbild, als nervöser junger Vater ins Bild.
ES erzählt die Geschichte eines jungen Berliner Paares. Er, Manfred, (gespielt von Bruno Dietrich) ist rund 25 Jahre alt, Assistent eines Maklers, alert, selbstsicher, weltmännische Vokabeln auf den Lippen und kleinbürgerliche Sehnsüchte im Herzen tragend; er träumt von fetten Prämien und geht am Sonntag zum Angeln. Sie, Hilke, 22 Jahre, (dargestellt von der nicht wieder zu erkennenden Sabine Sinjen) ist technische Zeichnerin. Beide leben seit einiger Zeit - unverheiratet - zusammen. Freilich ist der Trauschein das einzige, was zur perfekten Ehe fehlt.
Das junge Glück der beiden zeigt Schamoni in einer kurzen, deutlich von Agnes Vardas LE BONHEUR beeinflussten Passage, in der die einzelnen Einstellungen, musikalisch untermalt, an dem Betrachter vorüberrauschen. Die anschliessenden Badezimmer-, Bett- und Frühstückszenen, die letzte akustisch mit einem Rundfunkinterview über die ehefördernden Darlehen des Berliner Senats ("Mit drei Kindern ist das Darlehen zurückgezahlt!") unterschnitten, sind Schamonis Meisterstück. Frischer und frecher waren auch de Brocas "Liebesspiele" nicht.
Das Glück der beiden wird getrübt, weil Hilke "Es", nämlich ein Kind erwartet. Sie vertraut sich wohl einer Freundin, nicht aber Manfred an, der sich indessen - ahnungslos - über seine Bekannten amüsiert, weil sie "heiraten müssen". Hilke verliert allen Mut, sie will eine Eheschliessung nicht durch moralischen Druck auf Manfred erreichen. Sie entschliesst sich zu einem Eingriff.
Der zweite Teil des Films besteht aus zwei parallel laufenden Handlungen: Manfred bemüht sich um ein grosses Geschäft, Hilke sucht den für sie geeigneten Arzt. Als im Maklerbüro schliesslich die Gründung der neuen Gesellschaft vorgenommen wird, erfährt Manfred durch Zufall, wie es um Hilke steht. Fassungslos stürzt er in die Wohnung, wo Hilke mit versteinertem Gesicht auf dem Sofa liegt _...
Schamoni erzählt diese Alltagsgeschichte lebendig, realistisch und einfallsreich, mit erstaunlicher Witterung für sichere Effekte und Geschicklichkeit bei der Überwindung einiger dramaturgischer Schwächen. An drei Punkten könnte die Kritik ansetzen: der Beginn in der Halle des Flughafens Tempelhof ist nicht allzu originell, wird aber bald aufgefangen durch die brillant montierte Vorstellung Manfreds beim Umgang mit Geschäftskunden. Die Statements der Ärzte sind etwas lang geraten, kennzeichnen aber doch präzise die Situation. Die Episode mit der aus Ostberlin zum Friedhofsbesuch kommenden Tante schliesslich steht innerhalb des Films ziemlich isoliert, obwohl Schamoni sie am Schluss geschickt in die Psychologie seines Protagonisten einbezieht: Manfred misst auch auf dem Friedhof Grundstücke aus. Aber in dem grossen Monolog der Durieux über das Verhältnis der Deutschen in Ost und West stösst der Schriftsteller Ulrich Schamoni offenbar an seine Grenzen. Demgegenüber sind hervorzuheben: Vandenbergs excellente und doch nicht - wie manchmal bei Wolf Wirth - in formaler Brillanz erstarrende Kameraarbeit, die glänzende Führung des jungen Schauspielerpaares und Heidi Rentes virtuoser Schnitt. Und dennoch wurden diese hervorragenden Leistungen nicht entscheidend. Entscheidend war vielmehr der Entschluss Ulrich Schamonis, seinen Film in einem Milieu zu drehen, das er kennt und beherrscht. Die autobiographischen Bezüge, die Benutzung der eigenen Wohnung, der Rückgriff auf den eigenen Freundes- und Familienkreis sind nur die äusseren Konsequenzen dieser Entscheidung zu einem Film über die eigene Generation, letztlich: über sich selbst.
Bisher waren die Spielfilmdebuts der jungen Regisseure allenfalls Experimente. Vesely, Kristl oder Sträub blieben Aussenseiter für Cinephilenzirkel und Kunsttheater. Ulrich Schamoni hat von Anfang an das Zentrum erobern wollen. Sein Ziel war nicht Knokke, sondern das grosse Premierenkino. Wenn der deutsche Film in seiner ersten Nachkriegsphase die Enttäuschungen und Hoffnungen einer noch einmal davongekommenen Bevölkerung formulierte, wenn er in den Fünfziger Jahren zum Abbild der "Keine-Experimente"-Gesinnung wurde und in den frühen Sechziger Jahren die Orientierungslosigkeit der Bundesrepublik wiederspiegelte, dann entspricht ES von Ulrich Schamoni jetzt der neuen Phase, in der die kühlen Pragmatiker die Leitung der Geschicke übernehmen: unromantisch und unsentimental, mit persönlichem Charme, aber, wenn es sein muss, auch mit entschlossener Härte, geschickt und anpassungsfähig jede Verbindung nutzend, keinen Gedanken an den Traum, die Welt verändern zu wollen, verlierend, sondern geschmeidig sich mit den bestehenden Machtverhältnissen so arrangierend, dass Grösstmögliches erreichbar wird. Arrangement statt Revolution: die Zukunft Ulrich Schamonis wird davon abhängen, in welchem Grade er die Chancen seiner Position zu nutzen und ihren Gefahren zu widerstehen vermag.       Walther Schmieding


Filmtext: Rotation Ein Film von Wolfgang Staudte

Im Rotationssaal des "Völkischen Beobachter" (Tag)
1. Gegen das Radwerk der Rotationsmaschine. Darunter die Titel des Films. Nach dem letzten Titel wird der schwere Einschlag einer Granate hörbar.
2. Gegen die Decke, von der Kalk und Mörtel fallen. Eine Lampe flackert und schwankt.
3. Die Walze der Rotationsmaschine kommt langsam zum Stehen, und man liest die Schlagzeile:
DER KAMPF UM BERLIN.
Es ist die letzte Ausgabe des "Völkischen Beobachter" vom 28. April 1945.

Berlin April 1945 (Aussen -Tag)
4. Totale einer Strasse.
Auf der linken Bildseite eine Wasserfontäne aus einem Rohrbruch. Frauen, Greise und Kinder mit Wassereimern und Kannen stehen in einer Schlange davor. Wer seinen Behälter gefüllt hat, schleppt diesen nach verschiedenen Richtungen davon. Im Hintergrund der Einschlag einer Granate in eine Häuserfront. Mörtel, Kalk und Steine fliegen durcheinander. Am Strassenrand bricht ein Pferd, das vor einen Lieferwagen gespannt ist, langsam zusammen.
5. Bahnhof. Die Halle ist leer.
Vor der Kamera her rollt ein Güterwagen ins Bild. Auf der Treppe zum Bremserhäuschen hängt ein toter Eisenbahner. Der Wagen stürzt im Hintergrund in einen Granattrichter ab.
6. Eine Fabrik brennt. Im Vordergrund ein Stapel von Kisten, auf denen zu lesen ist "MARGARINE IA Qualität". Die Kisten haben ebenfalls Feuer gefangen, und das brennende Fett ergiesst sich über den Fabrikhof. Das Gerüst eines ausgebrannten Lastwagens steht an der linken Bildkante.
7. Eine Strasse in der Stadtmitte. Die Konturen von etwa 6 deutschen Soldaten sind im Qualm der Strasse sichtbar. In geduckter Haltung überqueren sie den Fahrdamm. Eine alte Frau rennt eilig auf einen Bäckerladen zu, in dem sie verschwindet. Gleich darauf kommt sie mit einem Brot unter dem Arm auf die Kamera zu. In diesem Augenblick wird das Bild - von einer heftigen Detonation begleitet - durch Qualm verhängt. Der Qualm verzieht sich. Auf der Strasse liegt das Brot.
8. Strasse. Hinter der Brüstung eines U-Bahneingangs - bunt durcheinandergewürfelt - Soldaten in Uniformen verschiedenster Formationen, bejahrte Volkssturmmänner und Luftwaffenhelfer, die kaum älter sein können als 15 Jahre. Darunter Leutnant Udo Schulze und Helmut Behnke. Die Kamera fährt an das fanatisch verbissene Jungengesicht heran.

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Im Rotationssaal des "Völkischen Beobachter" (Tag)
9. Die Walze der Rotationsmaschine, über die Walze läuft eine Zeitung mit der Schlagzeile:
WIR KAPITULIEREN NIE!

Berlin April 1945 (Aussen - Tag)
10. Stille Villenstrasse. Ein paar uniformierte SA-Leute, unter ihnen ein betresster Goldfasan, werfen hastig ein paar Koffer und Gepäckstücke in einen eleganten Mercedes. Der Wagen startet.
11. Strasse am Bahnhof Friedrichstrasse. An einer Laterne hängt die Leiche eines Soldaten. Man hat ihm ein Schild um den Hals gebunden mit der Inschrift: "Er brach seinem Führer die Treue". Dahinter ein Konfitürengeschäft mit Reklameschildern "Schokolade", "Pralinen".

Befehlsstand in einem Bunker
12. Ein enger Bunkerraum. Ein einfacher Tisch mit Karte des Berliner Stadtgebietes und einem behelfsmässig angelegten Telefonapparat. Kabel und Drähte offen an der Erde liegend. Stehend über die Karte gebeugt ein Oberst, kaltes Soldatengesicht.
Neben ihm stehend ein Oberleutnant in respektvoller Haltung. Der Oberst hat den Telefonhörer in der Hand. Nach einem Augenblick des Zuhörens antwortet er in schneidendem Befehlston auf einen anscheinenden Einwand seines Gesprächspartners: Ich habe befohlen - Sprengen!

Nähe Bahnhof Friedrichstrasse (Aussen)
13. Sprengung. Eine Sprengladung geht hoch.

S-Bahn-Schacht
14. Modell: Durchblick in den S-Bahn-Schacht. Im Vordergrund zeigt das Mauerwerk fortschreitende Risse, durch die langsam das Wasser durchsickert.
15. Original: Im S-Bahn-Schacht. Ein dort abgestellter Zug dient der obdachlos gewordenen Zivilbevölkerung als letzte Zufluchtsstätte.
Auch in den Eisenkonstruktionen und neben den Gleisen lagern die Geflüchteten. Zwischen ihnen die letzten Habseligkeiten - Bettzeug, Matratzen und Hausrat aller Art.
Im Vordergrund eine Gruppe von Menschen, die zwei Schachspielern zusehen. Etwas weiter auf den Gleisen eine Frau mit einem Kinderwagen, die auf einem improvisierten Ofen aus Backsteinen die Milch wärmt. Im Türeingang zum S-Bahnwagen steht ein alter, weisshaariger Mann, der das Adagio aus dem Violinkonzert von Beethoven gedämpft spielt. Viele schlafen, einige hocken und blicken dumpf ins Leere. Schulkinder tollen ahnungslos um einen der Eisenpfeiler herum und springen spielend über die Stromschiene. Einige Hunde streunen verängstigt zwischen den Menschen umher. Karbidlampen, brennende Kerzen und die allgemeine Notbeleuchtung erhellen notdürftig die Szenerie.
16. Modell: Wie Einstellung 13. Noch eine Detonation lässt die Brücke im Vordergrund in die Luft gehen.
17. Modeil: Mit ungeheurer Kraft reissen die Wassermengen das Mauerwerk auseinander und stürzen auf die Strecke.
18. Original: Gegen den Tunnelschacht (näher). Die Menschen werden auf ein sich näherndes Rauschen aufmerksam. Sie horchen auf. Die Hunde werden unruhig und einige jagen gefahrwitternd davon.
19. Modell: Gegen den S-Bahn-Schacht. Das Wasser kommt auf die Kamera zugestürzt. Der Apparat fährt mit der Welle mit.
20. Atelier: Die Wassermengen schlagen von hinten gegen das Fahrgestell des Zuges. - Rissschwenk gegen den S-Bahnwagen. Eine wilde Panik ist ausgebrochen. Die entsetzten Menschen, durch Gepäckstücke, Koffer und Gegenstände aller Art behindert, versuchen, aus dem Zug ins Freie zu gelangen.
21. Atelier: Vom Zug aus gegen den Bahnkörper, auf dem das Wasser schnell ansteigt. In wildem Chaos versucht ein Teil der Menschen, sich in den höher liegenden S-Bahnzug zu retten, während die anderen der Gefahr durch wilde Flucht zu entgehen trachten. Ein grosser Teil der geretteten Gegenstände treibt auf der Strömung.
22. Atelier: Schnittbild gegen den Zug.
23. Atelier: Im Tunnelschacht steht das Wasser etwa 25 cm hoch. Das Schachbrett kreiselt auf der Wasseroberfläche.
24. Atelier: Ein Hund, den man an einen der Eisenpfeiler festgebunden hatte, versucht, sich wild schwimmend an der Oberfläche zu halten.
25. Atelier: Zwischen der Tunnelwand und der Zugseite versuchen einige Personen, durch die Fenster und Türen ins Freie zu gelangen. Sie springen auf die Strecke und waten bis zu den Knien im Wasser.
26. Atelier: Blick in den Schacht. Menschen laufen im knietiefen Wasser von der Kamera weg. Eine Sturzwelle reisst die Fliehenden zurück.
26 A. Atelier: Ein schmaler Ausschnitt gegen die Treppe auf dem Bahnhof gesehen. Der Kampflärm, Gewehrfeuer und Detonationen liegen über dem Bild. Die Mensch hetzen die Treppe hinauf, um ins Freie zu gelangen. Ein schwerer Bombeneinschlag reisst die Decke ein. Steine, Mörtel und Staub verschütten den Eingang. In wilder Panik jagen die Menschen die Treppe wieder herunter. Einige bleiben tot liegen.
26 B. Atelier: Im S-Bahn-Schacht, der unter Wasser steht. Die Menschen versuchen, eine Nottreppe zu erreichen, die im Hintergrund sichtbar ist. Das Tageslicht dringt von oben durch den Notausgang.
26 C. Atelier: Von unten gesehen gegen das Gitter, das ins Freie führt. In letzter Verzweiflung versuchen die Obenstehenden, das Gitter zu öffnen. Die Nachdrängenden reissen die anderen herunter.

Zelle in einer Strafanstalt (Nacht)
27. Gegen eine Zellenwand. Eingekratzte Inschriften erzählen von Leiden, Hoffen und Schicksalen früherer Zelleninsassen. Die Kamera fährt zurück und erfasst den Häftling Hans Behnke, der bewegungslos in der Mitte des kleinen Raumes steht, den Blick gegen die Wand gerichtet.
28. entfällt.

Zimmer im Verwaltungsgebäude von Moabit (Nacht)
29. Büroraum. SS-Offiziere und Männer sind im eifrigen Aufräumen begriffen. Sie reissen Schubladen auf und vernichten wichtige Akten. Von draussen näherkommendes Maschinengewehrfeuer und einzelne Schüsse aus Maschinenpistolen!
30. In die offenstehende Tür tritt eine Ordonnanz und fragt nachlässig, ohne Haltung anzunehmen: Sollen wir die Kerle rauslassen?
31. Ein SS-Offizier lässt sein Bündel Akten, während er sich zu der Ordonnanz umdreht, achtlos auf die Erde fallen: Ich habe befohlen - Umlegen!

Strasse (Nacht - Aussen)
32. Lotte kommt die Strasse entlang gehetzt. Die Kamera schwenkt mit ihr und trifft auf den Körper eines gehenkten Soldaten. An seiner Uniform ist ein Schild befestigt: ER BRACH SEINEM FÜHRER DIE TREUE.

Zelle in der Strafanstalt (Nacht)
33. Der Häftling Hans Behnke steht noch immer bewegungslos mit dem Blick zur Wand. Von aussen dringen die Stimmen der SS-Wachmannschaft und die verzweifelten Rufe der anderen Häftlinge in die Zelle. Das Aufschliessen der Türen und das Poltern der Schritte auf dem Gang kommen näher. Los! Raus! - Raus, ihr Hunde!
33 A. Die Wand mit den Inschriften. Darunter das schrille Signal einer Trillerpfeife vom Gang her.

Langer Gang in der Strafanstalt (Nacht)
34. Zwei SS-Männer laufen zu dem Scharführer ins Bild und bleiben bei ihm stehen, aber ohne Haltung anzunehmen. Beide sind mit Pistolen bewaffnet, über der Szene liegt die nervöse Unruhe des schnellen Aufbruchs. Vom Ende des Ganges und von anderen Gebäudeteilen her sind Geräusche vernehmbar, die für einen überstürzten Abmarsch typisch sind. Türenschlagen, Schubladen werden zugeworfen oder herausgerissen, auf den Boden geworfen, grobe, laute Zurufe; Poltern von schweren Stiefeln auf den Treppen. Im Hintergrund erkennt man die Gestalten der Häftlinge, die bereits aus ihren Zellen geholt worden sind und von SS-Posten abgeführt werden. Der Scharführer gibt den beiden SS-Männern die lakonische Anweisung: Alles raus und auf den Hof. Los - los!
35. Die beiden SS-Männer laufen jeder zu seiner Zellentür und schliessen auf. Einer von ihnen stösst einen Häftling brutal heraus. Aus der anderen Zelle kommt ein gellender Schrei einer Frauenstimme. Der SS-Scharführer setzt wiederum seine Trillerpfeife an den Mund.

Zelle in der Strafanstalt (Nacht)
36. Der Häftling Hans Behnke lauscht jetzt stehend auf die Geräusche, die vom Gang hereintönen. - Geschrei, Tumult, Schlüsselgeräusche. - Einzelne Stimmen: Lassen Sie mich! Nein - nein!
Stimme eines SS-Mannes: Hau doch dem Kerl in die Fresse.
37. Die Kamera übernimmt jetzt Behnkes Blick, der schleppend auf die Tür zugeht, (Geräusche von draussen) sich dort umdreht und jetzt langsam auf das Fenster zugeht. (Schritte) Als er nahe am Fenster angelangt ist, setzt vom Gang her ein langes Trillersignal ein.
38. In Fortsetzung der Bewegung des Häftlings Behnke fährt die Kamera noch näher an die Fensterwand der Zelle heran. In die Wand eingekratzte Inschriften erzählen von Leiden, Hoffnungen, Schicksalen und Erinnerungen früherer Zelleninsassen.

    Langsame Überblendung.
Das Trillersignal bleibt unter der Überblendung und mischt sich mit den Klängen einer beschwingten Melodie.

Strasse mit Eisenbahnschranke (Aussen -Tag)
39. Gegen eine Eisenbahnschranke ausserhalb von Berlin. Ein Güterwagen rollt vorbei. Ein Rangiermeister steht auf dem Trittbrett des Wagens, hält sich mit einer Hand am Griff fest und lehnt sich weit hinaus, um bessere Übersicht zu haben. Er gibt ein Stopsignal mit einer Trillerpfeife.
Als der Wagen aus dem Bild gerollt ist und den Blick freigibt, hebt sich die Schranke und von der anderen Seite kommt ein junges Mädchen, Lotte Blank, schnell auf die Kamera zu. In hätte Sie beinahe nicht erkannt - Sie fröhlicher Überraschung sagt sie: Ich haben einen ganz anderen Anzug an. Lassen Sie sich mal ansehen.
40. Hans steht vor Lotte. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, der durchaus festtäglich anmutet und für einen sonntäglichen Kirchgang geeigneter wäre als für einen Ausflug ins Freie. Lotte geht um ihn herum und betrachtet ihn anerkennend von allen Seiten. Dabei fragt sie besorgt: Haben Sie schon lange gewartet?
Hans steht in steifer Haltung da, während sie ihn mustert. Dann nimmt er in heiterer Selbstkritik das mutmassliche Ergebnis ihrer Prüfung vorweg: Ziemlich - inzwischen bin ich schon rausgewachsen.
Dabei hat er die Arme nach vorn gestreckt, und man sieht jetzt besonders genau, dass die Ärmel der Feiertagsjacke viel zu kurz sind. Er lässt die Arme wieder sinken und fragt fast zärtlich: Und nun?
41. Lotte fragt ebenso zurück: Ja - und nun?
42. Die Unschlüssigkeit der beiden wird schnell beendet, eine Staubwolke fliegt auf, in raschem Tempo fährt ein schwerer Wagen vorbei (Autosignal).
Hans ist schnell zurückgetreten, um den kostbaren Anzug zu schützen, und hat gleichzeitig Lotte zur Seite gezogen. Er sieht dem Wagen missbilligend nach und schimpft hinter ihm her: Idiot!
Dann klopft er sich den Anzug ab und verlegt jede weitere Überlegung über ihre Pläne auf später, indem er vorschlägt: Kommen Sie erst mal weg hier.
Hans hat Lotte beim Arm gefasst und geht mit ihr weiter. Die Kamera folgt ihnen schwenkend. Überblendung.

Sommerlandschaft (Aussen - Tag)
43. Eine zauberhafte Sommerlandschaft in Totaleinstellung. Ein alleeartiger Weg zwischen alten Bäumen, durch deren Laubwerk das Sonnenlicht fällt. Am Ende der Allee wird der Blick frei auf einen kleinen See mit Gruppen junger Birken. Nur zwei Menschen - Hans und Lotte - sind in grosser Entfernung sichtbar. Lotte pflückt einen Feldstrauss. Überblendung.

Eine andere Sommerlandschaft (Aussen -Tag)
44. Am Sommerhimmel ziehen Wolken, der Ast eines Laubbaumes ragt ins Bild hinein.
Die Stimme von Hans fragt: Wie nennt Ihr Vater Sie denn? - Lotte? Oder Charlotte?
45. Von den Ästen des Baumes beschattet, liegen Hans und Lotte im Gras. Hans ist in Hemdsärmeln, seine Jacke hat er ausgezogen und an einen Ast gehängt. Lotte spielt mit einem Grashalm und antwortet: Lotte. Nur wenn er böse ist, sagt er Charlotte. Hans hat träge auf dem Bauch gelegen. Jetzt dreht er sich zur Seite und sagt nachdenklich: Komisch - vor ein paar Tagen haben wir uns noch gar nicht gekannt, und jetzt liegen wir hier in der Sonne.
Lotte ist anscheinend nicht gesonnen, auf seinen träumerischen Ton einzugehen und antwortet mit trockener Sachlichkeit: Ja - im Regen können wir ja hier nicht liegen.
46. Es tritt eine Pause ein, da Hans nicht in der Lage ist, die Richtigkeit dieser Feststellung zu bestreiten.
Eine schlagfertige Antwort fällt ihm nicht ein, aber während er in die Sonne blinzelt, findet er eine Möglichkeit, Lotte durch eine überraschende Gesprächswendung zu verblüffen.
Betont lässig erkundigt er sich: Wissen Sie eigentlich, wie weit die Sonne von der Erde entfernt ist?
Lotte antwortet erstaunt und ehrlich: Nein. - Sie?
Hans antwortet obenhin, als ob es das selbstverständlichste von der Welt sei: Ja, natürlich. 149 500000 Kilometer.
Lotte hebt den Kopf und sieht Hans interessiert an. Man weiss nicht genau, ob die gewaltige Ziffer oder der Wissensschatz ihres Begleiters ihr Bewunderung abnötigen: Ach!
47. Hans genügt das noch nicht; er gedenkt, die Situation noch etwas weiter auszubauen und fährt fort: Und ihr Durchmesser beträgt 1 390 000 Kilometer - in der Sonne hätten 7 300 000 Erdkugeln Platz. Können Sie sich das vorstellen?
Lotte scheint seine Kenntnisse nun wirklich grossartig zu finden und gibt unumwunden zu, dass sie selbst auf diesem Gebiet nicht so bewandert ist. Sie meint: Ich? - Nein. Woher wissen Sie das eigentlich alles?
48. Hans ist von der Wirkung seines wissenschaftlichen Ausflugs voll befriedigt, geht aber auf Lottes Frage nicht näher ein. Dafür deutet er geheimnisvoll an: Ich weiss noch viel mehr _...
Lotte sieht Hans zweifelnd an. Sie weiss nicht ganz genau, was dahinter steckt - wird jetzt etwas Herzhaftes kommen? Sie zögert einen Augenblick, aber dann siegt doch die Neugierde, und sie fragt zögernd: Zum Beispiel?
Hans richtet sich langsam auf und dreht sich herum, so dass er Lotte voll ansieht und fängt an: Du, Lotte _...
Lotte, mit der stereotypen Wendung eines Mädchens, das eine unangebrachte oder verfrühte Vertraulichkeit zurückweisen will, ohne allerdings dabei unfreundlich zu sein, erkundigt sich: Seit wann duzen wir uns denn?
Hans, während er sich über sie beugt und ihr immer näherrückt, antwortet: Seit eben.
Lotte weicht aus - rollt sich zur Seite, um ein paar Ginsterzweige zu brechen, die sie dem Strauss von Feldblumen beifügt.

Sommerlandschaft (Aussen - Abend)
49. Die Umrisse von Hans und Lotte heben sich gegen den abendlichen Himmel ab. Langsam entfernen sie sich von der Kamera.

Zimmer von Lotte (Nacht)
50. Auf einer Kommode steht die Vase mit den Feldblumen. Daneben ein Koffergrammophon, dessen Schallöffnung mit einem Kissen verstopft ist. Langsam kommt die Grammophonplatte zum Stehen. (Nadelgeräusch)

Hof vor dem Gebäude des Arbeitsamtes (Aussen - Tag)
51. Eine Schlange von wartenden Arbeitslosen reicht von der Tür des nüchternen Amtsgebäudes bis weit in den kahlen Hof hinein. Eilig kommteine uns bekannte Gestalt ins Bild und schliesst sich hinten an. Es ist Hans Behnke, der noch immer seinen schönen blauen Sonntagsanzug trägt und dadurch den naheliegenden Verdacht erweckt, dass er noch nicht zu Haus gewesen ist. Er erregt auch bald berechtigtes Aufsehen unter den schäbig gekleideten Arbeitslosen. Die nach ihm Gekommenen recken neugierig die Hälse. Auch die vor ihm Stehenden werden aufmerksam und drehen die Köpfe, um sich die Sensation nicht entgehen zu lassen. Hans spürt instinktiv, dass er die Aufmerksamkeit seiner Leidensgenossen erweckt hat und in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses getreten ist. Unbehaglich reckt er den Hals, als sei ihm der Kragen zu eng geworden, und wechselt immer wieder nervös das Standbein. Dann riskiert er einen scheuen Seitenblick - richtig, sein Gefühl hat ihn nicht getäuscht - er steht im Kreuzfeuer aller Blicke. Und da werden auch schon aus dem Hintergrund die ersten Bemerkungen laut. Halblaut dringen Stimmen an sein Ohr: Graf Koks von der Gasanstalt. Stehkragenproletarier. Prima - prima Kammgarn.
52. Hans sieht sich drohend um, und hinter ihm wird es still. Dafür kommt jetzt eine Stimme von vorn: Den hat Mutti aber schmuck gemacht.
Hans kriegt rote Ohren und versucht, den Sprecher zu entdecken. Die Sache wird ihm allmählich zu bunt.
53. Da übernimmt ein magerer, hakennasiger Bursche hinter ihm heuchlerisch seine Ehrenrettung und bemerkt verweisend: Der Herr hat sich nur geirrt. Er sucht den Schalter für kaufmännische Angestellte.
Die magere Hakennase geht an Hans vorbei nach vorn und lässt, einen Augenblick stehenbleibend, den Blick betont hochachtungsvoll über Hans' Schale gleiten. Dazu stellt er anerkennend fest: Fein - sehr fein.

Maschinensaal einer Weberei-Fabrik (Tag)
54. An der Schmalseite des Raumes ist eine Art Glaskasten für die Vorarbeiterin abgeschlagen, so dass sie den Raum übersehen und die Arbeiterinnen kontrollieren kann, aber durch den Lärm der Webstühle nicht gestört wird. Sie hat ein schalterartiges Fenster aufgemacht. Vor diesem Fenster steht Lotte. Die Vorarbeiterin, die sie anscheinend von früher her kennt, sagt bedauernd: Wiedereinstellen - daran ist nicht zu denken. Tut mir leid, Fräulein Lotte - wir müssen sogar noch mehr entlassen.
55. Lotte hat sich von ihrem Versuch wohl nicht allzu viel versprochen. Um aber keine Chance zu versäumen, fügt sie bescheiden hinzu: Ich kann ja wieder mal nachfragen.
Die Vorarbeiterin möchte ihr keine Hoffnung machen, die sich nachher doch wieder nicht erfüllt und sagt nett und freundlich: Wenn etwas sein sollte, gebe ich Ihnen sowieso gleich Bescheid, Fräulein Lotte, ich habe Sie vorgemerkt.

Hof vor dem Gebäude des Arbeitsamtes (Aussen).
56. Die Schlange der Wartenden ist noch länger geworden. Hans ist weiter nach vorn gerückt.
Ein Zeitungsverkäufer mit einem Paket Zeitungen kommt ins Bild. Er verteilt kostenlos den Arbeitsmarkt, ein Annoncenblatt, das speziell für Arbeitslose gedruckt wird. Ein paar Arbeitslose lösen sich aus der Reihe, lassen sich ein Blatt geben und lesen stehend oder im Gehen.
57. Auch Hans hat sich einen "Arbeitsmarkt" geben lassen. Lesend kehrt er zu seinem Platz zurück. Da erregt ein Inserat seine Aufmerksamkeit.
58. "Arbeitsmarkt" Inseratenüberschrift: "Kräftiger Arbeiter für stundenweise Beschäftigung gesucht."
59. Hans steckt hastig das Blatt in die Tasche, lässt seinen Platz im Stich und strebt dem Ausgang zu, wo gerade schon ein paar andere Arbeitslose eilig um die Ecke verschwinden.

Strasse (Aussen)
60. In Abständen marschieren drei oder vier Arbeitslose in flottem Tempo die Strasse entlang. Hans erscheint aus dem Eingang des Arbeitsamtes und beschleunigt sein Tempo, um die anderen zu erreichen.
61. Der Spitzenreiter sieht sich um, entdeckt die Verfolger und drückt noch mehr aufs Tempo. Als er sieht, dass die anderen sich nicht abschütteln lassen, setzt er sich in Trab.
62. Hans sieht seine vier Kollegen vor sich rennen und setzt zum Spurt an. Er holt auch auf, aber die Entfernung ist zu gross - es wird kaum möglich sein, die anderen zu überrunden. Er fällt langsam zurück - da kommt gerade die Strassenbahn. Hans spannt alle Kräfte an, mit einem kühnen Sprung hat er die fahrende Bahn geentert.
63. Hans winkt von der Plattform der Strassenbahn, die an den anderen vier Läufern vorüberfährt, seinen Kollegen zu und ruft ironisch: Guten Morgen, meine Herren!

Wanderzirkus (Aussen - Tag)
64. Hans überquert einen Platz, auf dem die Wagen eines Wanderzirkus stehen, und steuert auf einen Wohnwagen zu.
65. Er will gerade seinen Fuss auf die erste Stufe der Treppe setzen, die zum Wagen hinaufführt, da wird die Tür geöffnet, und heraus kommen die vier Kollegen, die er vor wenigen Minuten noch auf der Strasse gesehen hat.
66. Mit fröhlichem: Guten Morgen! und ironischen Verbeugungen gehen sie an ihm vorbei. Er folgt ihnen noch mit dem Blick.
67. Dann will er die Treppe aufwärts steigen, obgleich sein Gesicht schon sehr lang geworden ist. Da taucht auch schon in der Tür der Direktor der Truppe auf und bestätigt ihm seine Befürchtungen;
Wollen Sie etwa auch Stellung? Längst alles besetzt. Schon seit gestern.
68. Von einem seiner Schicksalsgefährten, der stehen geblieben ist, um die Abfuhr zu beobachten, die Hans bevorsteht, kommt noch ein trostreicher Vorschlag. Er ruft dem Direktor ermunternd zu: Nehm'n Se 'n doch als Clown - der hat so 'n schönet dämlichet Jesicht.
69. Hans dreht sich wütend um und sieht die vier Kumpane gerade auf einen Lastwagen klettern.
70. Der letzte Mann (der Zwischenrufer) klettert auf den Lastwagen, und kommentiert: Alles vergebens, Deine Auguste! Bringste uns wieder zurück?
71. Der Fahrer dreht, während er startet, den Kopf zurück: Solche Fuhren habe ich gerne.
72. Räder des startenden Wagens.

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Montage
73. Rotationsmaschine wirft Zeitungen aus. Maschinengeräusch.
74. Schlagzeile: "Wirtschaftskrise 1929."
75. Schlagzeile: "Brüning spricht".
76. Schlagzeile: "Skandal um Sklarek".
77. Schlagzeile: "Der Pelzmantel der Frau des Herrn Oberbürgermeister".
78. Schlagzeile: "Viereinhalb Millionen Arbeitslose".
Das Maschinengeräusch wird abgelöst durch die Melodie des Schlagers "Valencia".

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Möbliertes Zimmer von Lotte Blank (Tag)
79. Die Schallplatte auf einem Koffergrammophon dreht sich. Grammophonmusik: "Valencia". Schmelzende Tenorstimme singt: _... Deine Augen saugen mir die Seele aus dem _... Eine Hand nimmt die Membrane ab. Musik aus.
Die Kamera schwenkt schnell nach oben und trifft auf das Gesicht Hans Behnkes. Er blickt merkwürdig gespannt auf. Sein Gesichtsausdruck ist undeutbar, es liegt etwas von ungläubigem Staunen darin. Dann sagt er langsam: Lotte - sag' das noch mal _...
80. Auf dem Boden hockt Lotte, eine Schere in der Hand. Vor sich hat sie das Seidenpapier von Schnittmustern ausgebreitet, Stoffreste liegen auf dem Fussboden herum. Die Teile eines aufgetrennten Kleides sind über die Nähmaschine geworfen. Lotte blickt einen Augenblick unsicher von ihrer Arbeit auf, ihr Blick streift flüchtig Hans. Dann lässt sie den Kopf wieder sinken nud antwortet zögernd und ungewiss, wie er ihre Mitteilung aufnehmen wird: Ja, Hänschen _... das ist so.
81. Hans Behnke bringt zunächst kein Wort heraus. Es muss sich wohl um etwas sehr Einschneidendes handeln - hastig beginnt er, in dem kleinen Zimmer auf und ab zu gehen, um erst einmal mit sich selbst ins Reine zu kommen. Endlich findet er die ersten Worte - die Sache ist ja so schnell gar nicht zu fassen - und in freudiger Erregung bringt er heraus: la, dann werd' ich _... Donnerwetter, dann werde ich ja Vater!
82. Lotte blickt erleichtert auf, und ihr Blick folgt dem immer noch auf und ab gehenden Hans Behnke. Na, böse scheint er ja nicht zu sein. Aber noch immer weiss sie nicht genau, welche Gefühle in ihm ausgelöst worden sind. Aber dann - noch bevor Hans den Mund zum Sprechen öffnet, wird es ihr eindeutig klar gemacht. Mit einem Satz ist Hans plötzlich bei ihr und hockt neben ihr auf dem Fussboden. Er nimmt sie stürmisch in die Arme, schüttelt sie im Überschwang reichlich unsanft, rollt sich jungenhaft mit ihr auf der Erde herum und brüllt in überströmender Freude: Loffe, Dein Hans wird Vater! Ich werd' verrückt, Lotte - ich werde Vater _...
83. Lotte hat zuerst seinen Ansturm halb lachend über sich ergehen lassen, dann aber versucht sie, sich aus seiner Umarmung zu befreien, um wieder zu Atem zu kommen, und stöhnt: Au! Au' Hans - hör' auf! Ich krieg' ja keine Luft mehr.
Es ist ihr gelungen, sich von ihm freizumachen. Sie streicht sich ihr zerrauftes Haar aus dem Gesicht und fügt hinzu: So geht man doch nicht mit einer jungen Mutter um.
84. Hans erschrickt sichtlich und lässt sofort von ihr ab. Voller Zerknirschung entschuldigt er sich: Donnerwetter nochmal - daran habe ich ja gar nicni gedacht. Natürlich _...
85. Lotte umfasst mit einem Blick die Verwüstung, die Hans angerichtet hat. Ihre sorgsam ausgebreiteten Schnittmuster sind völlig zerknüllt. Sie versucht zu retten, was noch zu retten ist. Während sie sich bemüht, das Seidenpapier zu glätten, sagt sie bedauernd: _... Und meine ganze Arbeit.
86. Aber Hans hat gar keinen Sinn für ihre Klage. Alle seine Gedanken kreisen nur um das grosse Ereignis. Er rutscht ganz nah zu ihr heran und fragt leise: Lotte - wann denn?
Lotte sieht ihn voll an, ganz einfach und ungekünstelt antwortet sie: Ende Mai - glaube ich.
87. Hans lässt seinen Kopf in Lottes Schoss sinken, dann dreht er ihn behutsam herum, sucht ihre Augen und murmelt leise und glücklich: Schön.
Lotte streicht ihm sanft übers Haar und legt dann den Kopf an seine Schläfe. Hans liegt ganz ruhig und träumt vor sich hin: Wir werden heiraten, Lotte - wir werden ganz schnell heiraten. Und dann suche ich eine Wohnung - für uns drei.
88. Lotte lächelt schwermütig. Wie gut ihr Hans zu ihr ist, wie schön das wäre. Aber dann meldet sich doch der praktische Sinn der Hausfrau: Ja, aber - wovon wollen wir leben.
89. Hans richtet sich etwas auf - was ist denn das für eine Frage? Jetzt, in diesem Augenblick, ist er optimistisch wie noch nie vorher: Ach, ich finde schon Arbeit. Bestimmt Lotte - jetzt muss einfach was gefun _...
Es wird kurz an die Zimmertür geklopft. Die beiden fahren auseinander. Und schon hört man die Stimme der Wirtin: Aber so war das ja nun nich gemeint, Fräulein Blank. Auf der Erde brauchen Sie bei mir nich zu sitzen.
90. Im Türrahmen steht Lottes Wirtin, eine gemütliche, ein bisschen rundliche Erscheinung mit echtem Berliner Humor. Sie kommt ins Zimmer herein, stellt ein Tablett mit einer Kanne und zwei Tassen auf den Tisch und fährt resolut fort: Nur, - die Spitzendeckchen soll'n Se abnehmen, wenn Herr Behnke sich uff 'n Sessel setzen will.
91. Hans und Lotte erheben sich lachend. Sie sind diesen Umgangston augenscheinlich gewöhnt und damit völlig einverstanden.
92. Die Wirtin nimmt die besagten Häkeldeckchen ab und motiviert ihre Forderungen noch etwas ausführlicher: De Männer sind immer so unvorsichtig, und von det viele Waschen wer'n se ooch nich besser.
Und dann möchte sie das Gespräch ganz gerne noch etwas ausbauen und nimmt einen neuen Anlauf: So - nu trinken Se erst mal Kaffee. Ick hab'n extra stark jemacht - zur Feier des Tages.
93. Lotte sieht erst fragend zu Hans und dann zur Wirtin hinüber.
Eine Feier? Davon weiss sie ja gar nichts. Und ganz ahnungslos erkundigt sie sich: Wieso, haben Sie denn Geburtstag?
94. Die Wirtin stellt sich in Positur - jetzt ist ihr Augenblick gekommen. Und behaglich gibt sie ihre Meinung zum besten: Ick? Nee, ich nich. Aber ich jloobe, bald is eener, und Sie, Herr Behnke, sind da woll nich janz unbeteiligt.
95. Hans starrt die Wirtin verblüfft und überrumpelt an: Woher wissen Sie denn das?
96. Die Frage will die Wirtin dem jungen Mann gern beantworten: Na hör'n Se mal. Sie haben ja jebrüllt, das hat das janze Haus jehört - det süsse Jeheimnis.
97. Hans und Lotte sehen einander an - Hans ist belustigt, Lotte senkt erst ein wenig den Kopf, aber dann muss auch sie lächeln.
Die Stimme der Wirtin, aus der,Befriedigung über den Verlauf des Gesprächs klingt, fordert die beiden im Abgang auf: Also - lassen Se man den Kaffee nich kalt werden.
Lotte setzt sich an den Tisch, und plötzlich ist alle Heiterkeit aus ihrem Gesicht wie weggewischt. Sie starrt ernst und nachdenklich vor sich hin.
98. Hans setzt sich ebenfalls, sieht Lotte an und fragt besorgt: Was hast Du denn?
99. Lotte antwortet nicht, sie zuckt nur die Schultern - eine hoffnungslose Bewegung, die keiner Erklärung mehr bedarf.
100. Hans fragt nicht noch einmal - er weiss auch so, worüber Lotte sich Gedanken macht, und nicht ganz überzeugend klingen seine Worte: Lotte - du, mach' dir doch keine Sorgen - jetzt darfst du dir auch keine Sorgen machen.
Lotte tritt zu ihm. Er legt seinen Arm um sie, und ehe Hans fortfahren kann, sagt sie: Hans, das geht nicht.
101. Hans: Was? Was geht nicht? Lotte leise, aber bestimmt: Wir müssen vernünftig sein, wir können das Kind nicht _... Wir können es uns nicht leisten.
Hans unterbricht Lotte in echter Empörung: Was redest du denn da? - Wir können uns das nicht leisten! Ein Kind ist doch kein _... ist doch ein Geschenk - und das schönste, was man sich denken kann.
102. In Lottes Augen liest man die Freude über die Kraft, die das Vertrauen von Hans ihr gibt.
Die Stimme von Hans sagt: Da bin ich ja schliesslich auch noch da.

Tauentzienstrasse
103. Gross. Ein Werbeplakat der Berliner Sklala mit der typischen Schlagzeile:
UND ABENDS IN DIE SCALA.
Dazu frech skizziert die Scala-Girls. Das Plakat entfernt sich von der Kamera und man erkennt Hans Behnke, der mit zwei weiteren Plakatträgern die Tauentzienstrasse entlang geht.

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Ost-Hafen (Dämmerung)
104. Ein Spreekahn wird entladen.
Gelegenheitsarbeiter balancieren mit schweren Lasten über die schmale Planke, die an Land führt. Unter ihnen Hans Behnke, der mit schweissüberströmtem Gesicht auf die Kamera zukommt.

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Karussell (Abend)
105. Ein primitives Schiebekarussell mit Autos und Pferden dreht sich zu lärmender Laierkastenmusik im Kreise.
106. Gegen Hans Behnke, der im Innern des Karussells mit noch zwei anderen im Kreise läuft.
Die schrille Glocke, die die Beendigung der Fahrt ankündigt, ertönt. Die Männer bremsen das Karussell. Behnke wischt sich mit dem Arm den Schweiss von der Stirn.

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Souterrain-Wohnung Behnke
107. Zwei Hände, die sich halten. An einer sieht man den Trauring. Die Kamera gleitet langsam zurück und erfasst die kleine Hochzeitsgesellschaft Lotte und Hans, Kurt Blank, der Bruder von Lotte, zwei Arbeitskollegen von Hans vom Osthafen und einer, ein stellungsloser Schauspieler, den wir schon am Karussell gesehen haben. Auch Rudi Wille sitzt mit am Tisch. Als einziger weiblicher Gast die ehemalige Wirtin Lottes.
Schon unter der Fahrt hört man die Stimme Kurt Blanks, der den Versuch einer Hochzeitsrede macht: Was ich noch sagen wollte: Das Ja-Wort, das ihr euch heute vor dem Standesamt gegeben habt, ist auch für mich nicht ohne Bedeutung; denn von jetzt ab übernimmst du, Hans, die Verantwortung für Lotte, an der ich als ihr Bruder bisher schwer getragen habe. Und wenn man dich so ansieht, dann, Junge, dann muss man dich einfach gern haben. Und ich bin überzeugt davon - du wirst das Kind schon schaukeln.
Einer der Arbeiter ruft dazwischen: Das soll doch erst noch kommen. Die Anwesenden lachen über diesen Zwischenruf.
Kurt fährt fort: Und jetzt, meine Freunde, möchte ich einen Schluck aus der Pulle genehmigen, weil ich zutiefst ergriffen bin von den schönen Hochzeitsgeschenken, die ihr in so überreichem Mass zum heutigen Festtag gestiftet habt.
Bei diesen Worten hat die zurückfahrende Kamera drei eiserne Waschgestelle erfasst, eine alte Couch und eine Kommode, auf der zwei Blumentöpfe stehen und ein halber Kasten Bier. Die Anwesenden fühlen sich- keineswegs gekränkt und blicken vergnügt auf die drei Waschgestelle. Während die Kamera weiter langsam zurückfährt, trinken die Anwesenden aus ihren Flaschen.
Kurt fährt fort: Wenn diese Gegenstände auch noch nicht ganz ausreichen, um diesen Festsaal geschmackvoll einzurichten, so kannst du dich, Lotte, glaube ich, ganz auf die Tüchtigkeit von Hans und die Freundschaft von uns verlassen.
Bei diesen Worten ist die Kamera am äussersten Ende dieses fast kahlen, sehr niedrigen und auffallend grossen Raumes angelangt. Im gleichen Augenblick ertönt die Stimme eines Mannes: Raum ist in der grössten Hütte für ein glücklich liebend Paar.
Die Tischrunde wendet die Köpfe zur Tür.
108. Gegen die Tür! Ein freundlich aussehender älterer Mann mit einem grossen Paket unter dem Arm durchquert den Raum. Hans, der aufgesprungen ist, ist ihm entgegengegangen und kommt jetzt ins Bild. Er drückt dem Alten herzlich die Hand und, an seine Gäste gewendet, stellt er vor: Das hier ist mein Wirt, der mir diese Wohnung vermietet hat - ohne Anzahlung - ohne Garantie - nur auf mein ehrliches Gesicht hin.
109. Hans und der Hauswirt sind am Tisch angelangt. Man begrüsst ihn mit: Sehr angenehm! Hört - hört! Bravo - Bravo!
Der Hauswirt beginnt jetzt, das grosse Paket vor den neugierigen Blicken der Anwesenden auszupacken. Dabei erläutert er: Ich habe mir lange überlegt, was ich meinen neuen Mietern, dem jungen Paar, schenken soll. _... und da habe ich mir gedacht _...
In diesem Augenblick fällt die Hülle von dem Gegenstand, und die Worte des Wirtes gehen unter in einem schallenden Gelächter. Der 4. eiserne Waschständer ist eingetroffen.
110. Einer der Männer nimmt den Waschständer und stellt ihn zu den übrigen. Dabei sagt er: Wir sind schon immer ein reinliches Volk gewesen.
111. Hans reicht seinem Wirt eine Flasche Bier aus dem Kasten. Kurt klopft mit seiner Flasche auf den Tisch und sagt: Und zum Schluss will ich noch sagen, dass diese ehemalige Dampfwäscherei - dass hier die Wiege eines neuen Erdenbürgers stehen wird, den Lotte schon unter dem Herzen trägt. Und das ist nun mein Wunsch, dass er in eine bessere Zeit geboren wird als wir. Dieser Wunsch ist fast so alt wie die Menschheit selber. Aber es ist bis zum heutigen Tage immer nur ein frommer Wunsch geblieben. Immer wieder ist eine Generation abgetreten - hat sich einfach davongemacht - ist abgefahren in ein besseres Jenseits. Aber den verstaubten, unbrauchbaren Krempel, den hat sie noch jedesmal stehengelassen: Klassendünkel, Völkerhetze, nationale Engstirnigkeit, Kriegsgeschrei und Heldenpathos. Dieser Plunder hat sich noch immer vererbt von den Urahnen bis zum heutigen Tag.
112. Gegen die Runde der Gäste.
Einer sagt zu seinem Nachbarn: Jetzt wird er wieder politisch.
112 A. Gegen Kurt, der, dadurch gereizt, kräftig und mit starker Anteilnahme fortfährt: Ja, ich werde politisch! Weil unsere Not und die der vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland - und es werden noch mehr werden - nicht durch Gesundbeter beseitigt werden kann. - Und solange es vorkommen kann - wie jetzt am 1. Mai -, dass unsere Polizei, bezahlte Beamte des Staates, in die demonstrierenden Arbeitermassen schiesst und unschuldige Menschen ihr Leben lassen müssen, solange werde ich auch politisch bleiben.
Kurt Blank, der gemerkt hat, dass er im Eifer etwas zu weit gegangen ist, fährt plötzlich in ganz leichtem, freundschaftlichem Ton fort: So - und darauf, dass ihr Holzköppe endlich einmal merkt, worauf es ankommt, darauf trinke ich. - Prost!
Alle heben versöhnlich ihre Flaschen und prosten dem Vorredner zu. Der eine Arbeiter sagt: Holzköppe, - das sollte mal eener zu mir sagen. Hans zu dem stellungslosen Schauspieler: So, Emil, und nun zeig' mal, was du kannst.
Und zu seinem Wirt gewendet, fügt er erläuternd hinzu: Das ist nämlich ein stellungsloser Schauspieler - aber Klasse!
Der mit "Emil" Angeredete hat schon seine Ziehharmonika zur Hand genommen und intoniert aus der "Dreigroschenen Oper" Die Ballade vom angenehmen Leben.
Während er zu singen beginnt, entfernt sich die Kamera langsam von der kleinen Gesellschaft und zieht sich in die äusserste Ecke des Raumes zurück. Dann blenden der Gesang und das Bild ab!

Strasse (Aussen - Tag)

113. Ein Klingelknopf an einer Hauswand, auf den mehrmals stürmisch eine Hand drückt. Darunter ist ein Schild angebracht:
ERNA PESCHKE Hebamme.
Eine Frauenstimme ruft: Ja doch - ja doch, was ist denn?
Die Kamera schwenkt schnell auf ein Parterrefenster. Frau Peschke lehnt sich heraus und sagt gedehnt: Herr Behnke _...
Die Stimme von Hans Behnke, aufgeregt: Frau Peschke, kommen Sie. Es ist höchste Zeit, glaube ich.
Frau Peschke lässt sich nicht erschüttern, sie stellt stoisch fest: Glauben Sie! I Na, Sie müssen es ja wissen. Ich glaube nämlich, es dauert noch 'ne ganze Weile.

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Zimmer und Küche der Souterrain-Wohnung von Hans Behnke (Tag)
114. Auf einem Küchensims steht eine Eieruhr neben Gefässen, die die Aufschrift: "Pfeffer", "Salz" usw. tragen. Der Sand der Uhr rinnt. (Entferntes Strassengeräusch, in der Nähe startet ein Auto)
115. Hans steht vor dem Küchensims. Sein Blick ruht nachdenklich auf der Sanduhr. Gerade fallen die letzten Körnchen nach unten - er dreht den Glasbehälter um und geht aus dem Bild.
116. Im Küchenherd brennt das Feuer, ein Kessel ist aufgesetzt, das Wasser kocht schon. Hans kommt ins Bild, geht an den Herd heran, hockt sich nieder und stochert planlos in der Glut herum.
117. Blick aus dem Fenster auf einen Garagenhof. Hans geht zum Fenster, setzt sich auf das Fensterbrett und starrt - mit dem Rücken gegen das Fenster - auf die gegenüberliegende Tür.
118. Die geschlossene Tür zum Nebenzimmer. Fabriksirene. Eine Stimme auf dem Hof brüllt: Lumpen - Papier - Alteisen - Wein- und Bierflaschen.
Die Tür öffnet sich, und Frau Peschke erscheint mit einer Schüssel in der Hand. Sie schliesst die Tür schnell hinter sich, so dass Hans nicht ins Zimmer sehen kann. Frau Peschke geht zum Herd, nimmt den Kessel ab und giesst das heisse Wasser in die Schüssel.
119. Hans verfolgt jede Bewegung der Hebamme wortlos mit den Augen.
120. Frau Peschke steht am Ausgang und lässt kaltes Wasser in die Schüssel laufen. Dann prüft sie mit der Hand die Temperatur und geht wieder ins Nebenzimmer.
121. Hans starrt in die Gegend und weiss offensichtlich nichts mit sich anzufangen. Er hat das Gefühl, hier völlig nutzlos und überflüssig herumzusitzen. Da fällt sein Blick in eine Ecke der Küche.
122. In dieser Ecke steht ein Kohlenkasten, auf dem ein in Zeitungspapier gewickeltes Paket liegt.
123. Hans springt von der Fensterbank herunter, holt das Paket vom Kohlenkasten, wickelt es auf, nimmt einen Blumenstrauss heraus und stellt ihn in einen Krug, der auf dem Tisch steht.
Von aussen klingt Leierkastenmusik herein.
Während Hans die Blumen im Krug dekorativ anordnet, geht die Leierkastenmusik in eine grosse symphonische Komposition über.
Hans unterbricht seine Beschäftigung. Er horcht auf. Die Kamera fährt dicht an sein Gesicht heran, das den Ausdruck starker Spannung und Erwartung annimmt.
Die Kamera senkt sich und erfasst seine Hände, die aus einer Marguerite nacheinander die einzelnen Blütenblätter herauszuzupfen beginnen. Überblendung.
124. Der Krug mit dem Blumenstrauss. Jetzt sind von den Blüten alle Blütenblätter abgerupft, so dass die Stengel kahl sind und einen trostlosen Anblick bieten. Die Kamera gleitet über den Tisch auf den Boden, wo die Blütenblätter zerstreut herumliegen. Die Kamera gleitet weiter bis zu der jetzt offenstehenden Verbindungstür, durch die man in das andere Zimmer sehen kann.
In der Mitte des Zimmers steht Hans. Die Hebamme tritt zu ihm, das Neugeborene in Tücher gehüllt auf dem Arm.
125. über die Hebamme auf Hans. An der Bewegung der Hebamme erkennt man, dass sie Hans das Kind entgegenstreckt und das Schutztuch vom Gesicht des Kindes hochhebt. Die Musik klingt ab. Frau Peschke beglückwünscht Hans: Gratuliere, Herr Behnke, ein Junge.
Die Kamera fährt schnell an das Gesicht von Hans heran, dessen Blick unsicher zwischen dem Gesicht der Hebamme und dem des Kindes hin und her geht. Erfreut, aber doch etwas skeptisch, fordert er ihre Bestätigung seiner Ansicht heraus: Hübsch - nicht? Ganz hübsch - oder?
Und dann erkundigt er sich bedenklich: Kann man mal anfassen? Überblendung.

Zimmer und Küche der Souterrain-Wohnung von Hans Behnke (Tag - Winter - Schneefall)

126. Totale des Wohnzimmers von Hans Behnke. Die Tür wird geöffnet, und ein junger Mann, der höchstens ein paar Jahre älter sein kann als Hans, kommt herein. Er sieht sich suchend im Zimmer um und ruft: Lotte!
Dabei lehnt er vorsichtig ein Laufgitter an die Wand, jene moderne Erfindung, die den Zweck hat, Kindern das Laufenlernen zu erleichtern. Ausserdem ist es ein wirksames Mittel gegen allzu grossen Freiheitsdrang.
Aus der Küche, zu der die Verbindungstür halb offen steht, kommt die Stimme Lottes: Kurt?
Kurt geht durch das Zimmer auf die Verbindungstür zu. Während er sie öffnet, sagt er: Ja, der Herr Bruder muss sich doch auch mal nach dem werten Befinden erkundigen. Was macht denn mein Neffe?
127. In der Küche steht Lotte vor dem Kochherd. Sie hat gerade den Deckel von einem Topf genommen, rührt mit einem Holzlöffel im Essen herum und antwortet heiter über die Schulter: Dein Neffe? Der frisst uns die Haare vom Kopf.
128. Kurt kommt von der Tür her auf Lotte zu und antwortet lächelnd: Sicher nur aus Mangel an besserer Nahrung. Da sie aber ihre Beschäftigung nicht unterbricht, verzichtet er auf eine Begrüssung und wendet sich zu einer Ecke. Er beugt sich etwas herunter.
129. Auf der Erde kriecht der kleine Helmuth herum und spielt mit einem alten Stoffhund. Kurt hockt sich zu ihm nieder und versucht, sich in das Spiel einzuschalten. Dabei erkundigt er sich, halb zu Lotte umgewendet: Was macht Hans? Wie geht es Euch?
130. Lotte nimmt den Topf vom Feuer. Sie hat die echte Teilnahme, die in der Frage lag, wohl gespürt, aber sie will nicht näher darauf eingehen: So la la!
131. Kurt hat sich wieder Helmuth zugewendet und hält ihm eine kleine Ansprache: Na, Helmuth, Du kleiner Erdensohn, vielleicht erlebst Du mal bessere Zeiten als wir. Sehr lange kann 's ja nicht mehr dauern, bis die Menschheit zur Vernunft kommt. Was meinst Du?
Helmuths ganze Antwort auf dieses Problem sind unverständliche Laute.
Kurt scheint ihn verstanden zu haben und antwortet mit einer zustimmenden Verbeugung: Ganz meine Meinung.
132. Lotte hat inzwischen den Küchenschrank gaöffnet und nimmt zwei Tassen heraus. Dabei erkundigt sie sich: Willst Du 'ne Tasse Kaffee haben?
133. Kurt beendet seine Unterhaltung mit dem kleinen Helmuth durch einen Klaps aufs Hinterteil und fügt sich: Ehe ich mich schlagen lasse.
Dabei richtet er sich auf und tritt nahe an Lotte heran. Möglichst gleichgültig und obenhin kündigt er ihr an: Du, ich habe Dir übrigens was mitgebracht.
Aber Lotte ist doch sofort stark interessiert: Was denn?
Kurt verrät es noch nicht - sie soll sich das Geschenk selbst ansehen: Komm, sieh es Dir selber an. Beide gehen ins Wohnzimmer.
134. Der kleine Helmuth kriecht mit seinem Stoffhund unter den Küchentisch. Dabei hört man die Stimme Lottes erfreut sagen: Das finde ich aber nett, Kurt, dass Du daran gedacht hast. Man hört Kurt und Lotte näherkommen.
135. Lotte und Kurt gehen auf den Küchentisch zu. Kurt trägt das Laufgitter in der Hand, hebt es noch einmal demonstrativ hoch, um Lottes Aufmerksamkeit noch einmal darauf zu lenken und erklärt befriedigt und stolz: Selbst gebaut - wenn ich darauf aufmerksam machen darf.
Lotte bückt sich und zieht den kleinen Ausreisser unter dem Küchentisch vor.
136. Der kleine Helmuth sitzt wieder auf seiner Wolldecke. Lotte und Kurt haben das Laufgitter aufgeklappt - langsam senkt es sich von oben über den kleinen Helmuth. Dabei sagt Kurt: So, das Herumstromern in der Gegend hört jetzt auf, mein Junge.
Die Kamera ist nahe an das Kind herangefahren.

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Villa mit Park (Tag - Aussen)
137. Durch ein Gitter gesehen: Ein herrlicher Park mit englischem Rasen, auf dem gut angezogene Kinder spielen. Im Hintergrund eine Luxusvilla. Die Kamera fährt zurück. Hans Behnke, der durch das Gitter die spielenden Kinder beobachtet hat, wendet sich um und geht aus dem Bild.

    Überblendung.

Schaufenster eines Reisebüros (Atelier - Winter)
138. Eins südliche Landschaft. Die Kamera fährt zurück und erfasst das Schaufenster eines Reisebüros, in dem eine Reihe von bunten Plakaten von der Schönheit dieser Erde erzählen und Reiselustige anlocken. Die Auswahl geht über Monte Carlo, Lugano, Mittelmeerreisen, den Vierwaldstättersee bis zum Nordland. Mit dem Rücken zur Kamera steht Hans vor dem Schaufenster. Langsam schiebt sich ein Drahtgitter von unten in sein Blickfeld vor das Schaufenster.

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Auf einem Leihhaus (Tag)
139. Der Kundenraum ist durch ein Gitter von dem Pfandlager getrennt. Hinter dem Gitter steht Hans und schiebt das Grammophon durch die vorgesehene Öffnung.

Fabrikhof (Tag - Aussen)
140. Durch das Gitter vor einem Fabrikhof gesehen: Ein Trupp von Arbeitern überquert den Platz. Die Kamera fährt zurück. Hans, der durch das Gitter gesehen hat, wendet sich zum Gehen. Die Kamera folgt ihm auf seinem Weg bis zum Fabrikeingang. Das Eingangstor steht auf, der elegante Direktionswagen gleitet lautlos durch das Tor auf die Strasse. Der Pförtner grüsst devot. Hans geht auf das Einfahrtstor zu, aber bevor er das Fabrikgelände betreten kann, schliessen sich vor ihm die Türen. Dadurch schwenkt ein grosses Schild mit der Aufschrift: KEINE NEUEINSTELLUNGEN ins Bild.

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Lebensmittelabteilung eines Warenhauses (Tag)
141. Durch die Gitterstäbe eines Verkaufstisches gesehen: Die Gesichter von Käufern, unter ihnen befindet sich das Gesicht von Hans, der mit hungrigen Augen die Auslagen betrachtet.
142. Durch das Gitter gesehen, mit den Augen des Publikums: Eine üppige Dekoration zeigt Hummer, Geschenkkörbe, Wurst, Schinken und Delikatessen aller Art.
143. Hans reisst sich von dem verlockenden Anblick los und wendet sich zum Gehen. Die Kamera folgt ihm und trifft schwenkend auf einen Tisch, den einige Gäste soeben verlassen. Die Kamera fährt schnell auf einen Teller zu, der auf dem Tisch steht. Dort liegt ein angebrochenes Brötchen. Die Hand von Hans ergreift das Brötchen und steckt es in die Tasche.

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Strasse (Tag - Aussen)
144. Durch ein Gitter gesehen: Ein Zug von Demonstranten wird von der Polizei auseinandergesprengt. Einzelne Teilnehmer an der Demonstration werden verhaftet. Unter ihnen Behnke.

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Gefängnisgang.
145. Durch das Gefängnisgitter gesehen: Die verhafteten Demonstranten im Polizeigewahrsam. Unter den Häftlingen Hans.
Die Türen des Gefängnisses werden geöffnet. Die Inhaftierten verlassen fluchend und schimpfend die Gefängniszelle.

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Garagenhof vor der Wohnung Behnke (Abend - Atelier - Winter)
146. Gegen das Fenster der Souterrainwohnung. Die Kamera blickt in das Wohnzimmer, das durch die Deckenbeleuchtung erhellt ist. Hans Behnke kommt aus der Tiefe des Raumes, tritt ans Fenster und blickt hinaus in den Hof. Seine Hände sind in den Hosentaschen vergraben, und mit verhaltener Wut sagt er: Mit Polizeiknüppeln haben sie uns auseinandergehauen. Eingesperrt haben sie mich - wie'n Verbrecher muss man sich behandeln lassen - Ich weiss nicht, wie das weiter gehen soll. Wenn dem Jungen was passiert _...
Kurt Blank erscheint neben Hans und versucht, ihn zu trösten: Na, na - so schlimmt wird 's ja nicht gleich werden. Kinder werden leicht mal krank.
Hans, leise und gedrückt, als' sei er dafür verantwortlich: Aber Helmuth ist so schwächlich und _... und _...
Und dann bricht es aus ihm heraus: Verdammt nochmall Unterernährt ist er - einfach unterernährt. Was zu fressen müsste er haben! Aus diesem Rattenloch müsste er raus.
Die Stimme von Lotte: Psst! Hans!
Die beiden Männer wenden sich dem Zimmer zu.

Wohnung Behnke (Nacht)
147. Im Wohnzimmer gegen das Bett, in dem Helmuth liegt. Bei ihm auf dem Bettrand sitzt Lotte und sagt mit gedämpfter Stimme: Geht lieber in die Küche. Er ist eingeschlafen.
Vom Fenster her kommen Hans und Kurt und gehen auf die Verbindungstür zu. Als Hans bei Lotte ist, bleibt er zögernd neben ihr stehen, und sein Gesicht und seine Gesten lassen seine Hilflosigkeit und ein - wenn auch ganz unbegründetes - Schuldgefühl mehr erkennen als seine Worte.- Lotte, ich _... Lotte versteht ihn sofort und sagt in warmem Ton: Ich weiss, Hans.
148. In der Küche. Kurt kommt in die Küche, holt seine Pfeife aus der Tasche und sagt: Hier kann ich wenigstens meinen Knösel in Brand stecken. Du wirst ja nicht gleich umfallen. Hans, der bei den letzten Worten die Küche betreten hat, geht gereizt auf und ab. Dann fängt er an zu sprechen: Ich hau doch alles versucht - alles. Gebettelt habe ich um Arbeit - und wenn Du nicht gewesen wärst _...
149. Gegen Kurt, der am Herd steht und mit einem Fidibus aus Zeitungspapier seine Pfeife in Brand steckt. Er murmelt abwehrend: Nun quatsch nicht dusslig, nee.
150. In Hans arbeitet es weiter. Er kann noch immer nicht aufhören. Während er die Küche durchquert, protestiert er: Man kann doch nicht einfach tun, als ob ich nicht da bin. Ich habe doch schliesslich das Recht zum Arbeiten.
151. Kurt, während er qualmend zum Fenster geht, antwortet: Das Recht, Hans, haben in Deutschland fünf bis sechs Millionen Arbeitslose - und in der Welt sechzig bis achzig, vielleicht auch hundert Millionen. Die Zahlen schwanken. Aber darauf kommt es nicht an. Hauptsache: Die Weltmarktpreise bleiben fest.
Und ironisch zitiert er: Immer rin mit dem Kaffee in den Ozean und mit dem Weizen in die Feuerkessel. Das ist immer noch besser als gar kein Profit.
152. Im Wohnzimmer. Gegen die Eingangstür, in der in der Uniform des Jahres 1932 der SS-Mann Rudi Wille steht und mit einem zackigen: Heil Hitler! den Raum betritt.
Lotte, die in der Nähe der Tür stand, wendet sich um und sagt ärgerlich: Schreien Sie nicht so - der Junge.
Rudi: Was denn? Ist er krank?
Es ist nicht zu übersehen, dass Lotte über diesen Besuch nicht sehr erfreut ist. Sie begnügt sich, durch ein Kopfnicken zu antworten.
Rudi lässt sich nicht abschrecken: Schlimm?
Aber diesmal kommt von Lotte gar keine Antwort.
153. Rudi lässt nicht locker: Proletarierkrankheit, was? Ist ja auch kein Wunder.
Und indem er den Blick über den ungesunden Raum gleiten lässt: Sowas müsste die Polizei verbieten.
154. Lotte sieht einen Augenblick von ihrer Beschäftigung auf und sieht den unerwünschten Besucher an, als wolle sie sagen: "Sie auch".
Rudi aber fährt fort - er ist jetzt endlich zu dem Thema gekommen, das ihm am Herzen liegt: Und das kommt, Frau Behnke - das kommt. Darauf können Sie Gift nehmen. Lassen Sie erst mal Adolf Hitler ans Ruder kommen.
Lotte sagt trocken: Rudern kann er vielleicht, - aber ob er auch steuern kann _...
Und mit einer Kopfbewegung deutet sie zur Küche und fügt, um Rudi endlich loszuwerden, hinzu: Hans ist in der Küche.
155. In der Küche. Hans steht am Küchenfenster und - ohne sich nach dem am Küchentisch sitzenden Kurt umzuwenden - sagt er: Und was macht Ihr? Protestversammlungen - Propagandamarsche und _...
Kurt, ohne Pathos: Wir kämpfen, Hans. Hans löst sich vom Fenster und sagt, während er durch die Küche geht, spöttisch: Sa, ich weiss, gegen die Kapitalisten, gegen die Junker, gegen die Monopolherren.
156. Kurt nimmt die Pfeife aus dem Mund und unterbricht Hans mit einem knappen: Nein. Gegen Eure Dummheit - gegen Eure Gleichgültigkeit. Eure gottverdammte Bequemlichkeit.
157. Hans entgegnet heftig, aber nicht persönlich beleidigend: Du bist wohl verrückt geworden. Ich möchte wissen, was hier bequem ist.
Kurt lässt sich nicht auf ein anderes Gleis schieben und wiederholt: Jawohl - Eure Bequemlichkeit. Wenn Euch das Messer an der Kehle sitzt, dann klagt Ihr Gott und die Welt an, aber sonst seid Ihr zu bequem und zu faul, darüber nachzudenken, warum das so ist.
158. Gegen die Tür, die geöffnet wird. Rudi Wille tritt herein und grüsst betont und mit provokatorischer Absicht: Heil Hitlerl
159. Kurt erkundigt sich mit trockenem Humor: Wie kommste denn gerade auf den?
Rudi beantwortet die Herausforderung nur mit einem kurzen: Das wirst Du schon noch merken.
Im übrigen ignoriert er Kurt und wendet sich an Hans, den er für geeigneter hält, seine Propagandareden mit anzuhören: Du, Hans, das hättest Du gestern hören müssen - auf der Versammlung. Jetzt kommen goldene Zeiten - und gerade für uns Arbeiter. Verlass Dich drauf. Hätt'ste mal hören sollen: Kampf gegen Arbeitslosigkeit! Weg mit den Elendswohnungen _...
160. Kurt hört grinsend zu, als die Stimme von Rudi fortfährt: _... Keine Riesengewinne für die Konzernherren, gegen die Junker und Kohlenbarone geht 's los. Keiner darf mehr als tausend Mark verdienen _...
Da kann sich Kurt nicht länger halten und platzt los: _... und Lohnerhöhung für die Arbeiter, bezahlten Urlaub, Mitbestimmungsrecht im Betrieb - mit einem Wort: Das wahre Paradies. Und der Liebe Gott heisst Adolf Hitler. Und das alles glaubst Du, Du Idiot!
161. Hans sieht von einem zum anderen, während die Stimme von Rudi zu hören ist: Halt' die Schnauze, ja. Den Ton wirst Du Dir bald abgewöhnen müssen.
Hans sagt gereizt: Streitet hier nicht herum.
Mit diesen Worten geht er aus dem Bild.
162. Rudi nimmt davon keine Notiz, sondern erregt sich noch weiter: Was habt Ihr denn zu bieten? Redensarten: Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! Er setzt nachlässig den Fuss auf einen Küchenstuhl, schlägt mit der Hand gegen die blanken Schäfte seiner SA-Stiefel und prahlt: Hier! Neue Stiefel - prima Leder, neues Hemd - das sind keine leeren Worte - das sind Tatsachen, Mensch.
163. Von den beiden anderen unbeachtet, geht Hans ins Nebenzimmer. Die Antwort von Kurt ist noch zu hören: Ich kann Dir ein paar Tatsachen sagen, die Dir weniger passen werden als Deine Stiefel.
164. Im Wohnzimmer. Lotte sitzt am Tisch und ist mit einer Näharbeit beschäftigt. Hans tritt neben sie und sagt: Die haben sich schon wieder in den Haaren, die beiden. - Politik.
Er lässt sich schwer auf einen Stuhl fallen, legt die geballten Fäuste auf den Tisch und sagt: Wir wollen uns nun nicht verrückt machen lassen. Mal werde ich schon wieder Arbeit kriegen - ich muss einfach was kriegen.

(Fortsetzung in )
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